Auch die Grünen haben Blut an ihren Händen!
Presseerklärungen zu den Aktionen gegen die Büros des Bündnis 90/Die Grünen
Auch die Grünen haben Blut an ihren Händen!
In den frühen Morgenstunden des 19. Juli haben internationalistische Jugendliche unter anderem in Berlin, Bremen, Leipzig, Bochum und Frankfurt die Parteibüros des Bündnis 90/Die Grünen aufgesucht und eine Aktion des zivilen Ungehorsams durchgeführt. Die Aktion richtet sich gegen die Politik der Grünen, insbesondere gegen die Doppelmoral des grün-geführten Auswärtigen Amtes und seiner anhaltenden Rückendeckung für den türkischen Vernichtungskrieg in Kurdistan. Die Türkei führt einen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Syrien und dem Irak und die Bundesrepublik Deutschland leistet Schützenhilfe! Im Rahmen der Aktion wurden Plakate an den Fensterscheiben und Büros angebracht, welche einen Teil der Folgen grüner Außenpolitik und der deutschen Unterstützung für die Türkei bildlich darstellt, sowie im Eingangsbereich der Büros Kunstblut verschüttet.
Heute vor 11 Jahren, am 19. Juli 2012 gelang es der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung von Nord- und Ostsyrien (kurdisch Rojava), in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs, das Assad-Regime aus ihren Städten zu vertreiben und anstelle des alten syrischen Staatsapparates eine demokratische Selbstverwaltung zu errichten. Die Revolution, die vor 11 Jahren in den kurdischen Gebieten Nord- und Ostsyriens begann, breitete sich im Zuge des Kampfes gegen den Islamischen Staat weit über die kurdischen Siedlungsgebiete und in andere Teile Syriens aus. Heute wird nahezu ein Drittel des Landes von der demokratischen Selbstverwaltung kontrolliert. Das multiethnische Verwaltungsmodell, welches jeder ansässigen Volksgruppe, das Recht auf das Ausleben der eigenen Kultur, die Pflege eigene Muttersprache und eine paritätische politische Repräsentation garantiert, gilt gemeinhin als Modell für eine friedliche und demokratische Lösung der Krisen im Nahen Osten. Die Errungenschaften in der Frage der Befreiung der Frau und das politische System in welchem alle öffentlichen Ämter jeweils von einer Frau und einem Mann, gemeinsam ausgeübt werden, ist nicht nur in der Region etwas Besonderes, sondern weltweit einzigartig.
Dem türkischen Staat war das demokratische Projekt auf der anderen Seite der Grenze, seit jeher ein Dorn im Auge, stellt es doch die Grundlagen des islamistischen und nationalistischen Regimes des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, radikal in Frage. Die Türkische Republik wurde seit nun fast 100 Jahren auf einer nationalistischen Doktrin und der Verleugnung und Vernichtung des kurdischen Volkes aufgebaut. Dass die kurdische Bevölkerung Nord- und Ostsyriens, nach Jahrzehnten der Unterdrückung, ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen hat, war für das Regime in Ankara, von Anbeginn in keinster Weise zu akzeptieren. So unterstützte die türkische Regierung verschiedene islamistische Milizen wie den syrischen Ableger der Al-Qaeda1, gewährte den Dschihadisten des Islamischen Staates freies Geleit2 und begann ab 2016 selbst mit direkten militärischen Aggressionen gegen die selbstverwalteten Regionen Nord- und Ostsyriens. Auch in den anderen Teilen Kurdistan, im Osten des türkischen Staatsgebietes sowie im Norden des Iraks, führt die türkische Armee seit 2015 einen brutalen und rücksichtslosen Krieg, welcher Tausende zivile Opfer gefordert hat und Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingt. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt diesen Krieg aktiv, durch die Lieferung von Waffen und militärischer Technik an die Türkei, durch über 6000 deutsche Firmen, welche die türkische Wirtschaft mit frischen Investitionen und neuen Devisen versorgen und vor allem aber durch eine grenzenlose politische Rückendeckung und die damit einhergehende Legitimation des türkischen Angriffskriegs.
Anstatt das türkische Vorgehen zu verurteilen, eine Untersuchung der türkischen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsbrüche einzuleiten sowie die nötigen Strafmaßnahmen gegen die türkische Regierung zu ergreifen, beweist die Bundesregierung bei jeder Gelegenheit traute Einheit mit dem Regime Erdogans. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung sind sich nicht zu schade, sich regelmäßig beim Händeschütteln mit Massenmördern, Kriegsverbrechern und Faschisten ablichten zu lassen und betonen stets die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft. „Deutschland und die Türkei sind enge Partner und Alliierte“, erklärte jüngst Bundeskanzler Olaf Scholz und unterstrich er freue sich nach der türkischen Präsidentschaftswahl nun darauf, die „gemeinsamen Themen mit frischem Elan voranzutreiben“3. Was das bedeutet, konnte man in den vergangenen Monaten auch hierzulande ganz praktisch beobachten. Auch in der Bundesrepublik Deutschland werden demokratische und kurdische Oppositionelle aus der Türkei, kriminalisiert, verfolgt und sogar verhaftet4.
Anlässlich des Festakts zum 25. Jubiläum der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes (IstGH) erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Montag, dass „niemand […]im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben5“ darf. In scharfen Worten verurteilte sie den Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine als „Urverbrechen6“ und bemängelte die bestehende „Lücke in der Strafverfolgung“ gegen „das Verbrechen der Aggression7.“ Die Idee einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ wird von Ministerin Baerbock und ihrem Amtbesonders gerne im rhetorischen Kampf gegen vermeintliche oder tatsächliche „Störer“ dieser Weltordnung ins Feld geführt.
„Eine Weltordnung die auf Mulitlateralismus und der bindenden Gültigkeit eines festgelegten völkerrechtlichen Rahmens basiert, klingt im ersten Moment nach einem durchaus vernünftigen Konzept. Doch die Türkei führt einen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Nordirak und in Nordsyrien. Warum ist es Partnern der Bundesrepublik und Verbündeten der NATO offensichtlich gestattet eben dieses Recht mit Füßen zu treten und die deutsche Politik hüllt sich in schweigen?“, meint die junge Aktivistin Sarah, welche an den Aktionen des heutigen Morgens beteiligt war.
Seit dem Jahr 2016 hat die türkische Republik insgesamt vier militärische Offensiven auf syrischem Staatsgebiet durchgeführt und hält weite Teile Nordsyriens besetzt. Hunderttausende vor allem Kurdinnen und Kurden wurden im Rahmen gezielter türkischer Umsiedlungsaktionen, aus ihren Städten und Dörfern vertrieben und ihrer Heimat beraubt. In den besetzten Gebieten wurde ein Marionettenregime mit der Türkei verbündeter dschihadistischer Milizen errichtet, an den Amtsgebäuden weht die türkische Flagge, Spezialeinheiten der türkischen Armee und Polizei patrouillieren durch die Straßen und der Türkische Lira ist die offizielle Währung in den besetzten Gebieten. Die Regionen Nordsyriens unter türkischer Besatzung sind de facto annektiert und Vertreter der türkischen Regierung allen voran der Autokrat Recep Tayyip Erdogan, machen kein Geheimnis aus ihren Expansionsbestrebungen. So erklärte Präsident Erdogan, schon am 10. November 2016, dass „die Türkei […] größer als die Türkei“ seie und erklärte „Wir können uns nicht auf 780 Tausend Quadratkilometer zwängen“ und erklärte mit Blick auf die „Brüder und Schwestern in Mossul, Kirkuk, Hasakeh, Aleppo, Homs, Misrata, Skopje, auf der Krim und auf dem Kaukasus“ dass die „Herzensgrenzen“ der Türkei, andere seien, als die derzeitigen „physischen Grenzen“8 und rief zur Rückeroberung der „Grenzen des Misak-ı Milli (Nationalpakt)“ auf. Der „Misak-ı Milli“ war das politische Programm der türkischen Nationalbewegung unter Mustafa Kemal Atatürk und sah die Schaffung einer Großtürkei unter Einschluss weiter Teile Westthrakiens in Griechenland, der Provinzen Mossul und Kirkuk im Nordirak sowie weiten Teilen Nordsyriens, einschließlich der Metropole Aleppo vor.
Auch im Norden des Iraks hat die türkische Armee seit 2018 fünf groß angelegte Operationen durchgeführt. Schon seit den 1990er-Jahren unterhält die Türkei in Bashiqa nahe Mossul einen Stützpunkt mit mehreren Tausend Soldaten, doch seit 2018 ist das Regime in Ankara dazu übergegangen weite Teile des Nordiraks permanent zu besetzen. In den an die Türkei grenzenden Gebieten der Autonomieregion Kurdistan im Irak, haben die türkischen Streitkräfte Dutzende von permanenten Militärbasen errichtet und auch hier zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in Nordsyrien. Übergriffe auf die Bevölkerung und gezieltes Bombardement auf zivile Infrastruktur, Dörfer und Fahrzeuge, aus der Luft und mit Artillerie, sind an der Tagesordnung. Die Türkei rechtfertigt ihre Invasionen mit dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“ und beruft sich auf ihr vermeintliches „Recht der Selbstverteidigung“.
Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat bei der Untersuchung der türkischen Militäroperationen wiederholt festgestellt, dass die türkische Regierung sowohl bei der Besatzung Afrins im Januar 20189, als auch bei der jüngsten Offensive im Nordirak im April 202210, keinerlei Beweise vorbringen konnte, welche das „Vorliegen einer Selbstverteidigungslage“ untermauern würden. Auch der Überfall der türkischen Armee und der mit ihr verbündeten islamistischen Milizen auf die kurdischen Gebiete in Nord- und Ostsyrien im Oktober 2019, entbehrt jeglicher substanziierten völkerrechtlichen Legitimation und wurde vom wissenschaftlichen Dienst als das betitelt, was er war: ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und ein Angriffskrieg11. Gleichsam stellt auch die fortgesetzte Präsenz türkischer Besatzungskräfte auf irakischem und syrischem Territorium und die trotz wiederholter Aufforderung der irakischen und syrischen Zentralregierung, anhaltende Weigerung der türkischen Regierung ihre Truppen abzuziehen und die militärischen Operationen einzustellen, selbst eine schwere Verletzung internationalen Rechts dar.
In allen türkischen Militäroperationen der letzten Jahre kam es zu schweren Kriegsverbrechen seitens der Türkei und ihrer Verbündeten. Die Bombardierung ziviler Infrastruktur12, die Verwendung von Wasser als Waffe13, der gezielte Einsatz von geächteten Waffen wie Weißem Phosphor gegen zivile Siedlungsgebiete14, extralegale Hinrichtungen von Kombattanten und politischen Vertreterinnen und Vertretern der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens15, Folter, Entführungen sowie systematische Vergewaltigungen16 und zuletzt im vergangenen Jahr der massive Einsatz von chemischen Kampfmitteln gegen kurdische Guerillaverbände im Nordirak17, sind nur einige wenige Beispiele der langen Liste türkischer Kriegsverbrechen. All das, scheint für die Bundesregierung jedoch kein Grund zu sein, die Beziehungen zum Partner Türkei zu überdenken.
Als die türkische Armee im vergangenen November, innerhalb weniger Tage die Gebiete entlang der Grenze mit Hunderten Angriffen aus Luft und vom Boden überzog, gezielt Schulen, Krankenhäuser, zivile Infrastruktur zerstörte und in Folge der Angriffe die Energieversorgung in weiten Teilen Nord- und Ostsyriens zusammenbrach18, da konnte sich das Auswärtige Amt zu nicht mehr als einem müden Hinweis, die Türkei solle doch bitte „verhältnismäßig reagieren“19 hinreißen. Auch für Innenministerin Nancy Faeser war das zu dem Zeitpunkt anhaltende türkische Bombardement, kein Grund zu außergewöhnlicher Besorgnis und so reiste sie nur zwei Tage nach dem Beginn der türkischen Luftoperation nach Ankara und erklärte, dass „Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite der Türkei“20 stehe. Mit freundlichem Lächeln reichte sie ihrem damaligen Amtskollegen dem rechten Hardliner und Faschisten Suleyman Soylu die Hand. Dass Suleyman Soylu in seiner Position, verantwortlich war, für die tausendfachen Verhaftungen von Oppositionellen, der rabiaten Repression der freien Presse, Folter und ungeklärte Morde in den Gefängnissen, und die dutzendfache Entmachtung von demokratisch gewählten Stadträten und die Einrichtung der Zwangsverwaltung in den kurdischen Städten, scheint für die selbst ernannte Antifaschistin Faeser, kein Problem zu sein.
„Offensichtlich hat das Kriegs- und Völkerrecht nur in manchen Fällen eine Geltung, während man es im Interessensfall auch getrost in den Dreck treten kann. Das Gerede von der „regelbasierten Weltordnung“ erscheint lächerlich, wenn man bedenkt, dass der NATO Partner der Bundesrepublik Deutschland große Teile der Territorien seiner Nachbarstaaten besetzt hält, einen uneingeschränkten Drohnenkrieg in Nord- und Ostsyrien sowie dem Nordirak führt und dabei keinerlei Anstalten unternimmt von seinem derzeitigen Expansionskurs abzuweichen.“, erklärt Michael von der Initiative „Blut an euren Händen“.
Im Koalitionsvertrag der Ampel21 Regierung ist von einem vermeintlichen „Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten“ und einer „strategischen Solidarität mit unseren demokratischen Partnern“ die Rede. Die Formulierung scheint absurd, betrachtet man die autoritäre und zutiefst undemokratische Innenpolitik der türkischen Regierung. So hat die Türkei, ein vermeintlicher „demokratischer Partner“ unserer Bundesregierung, im alljährlichen Ranking über den Zustand der Pressefreiheit, der NGO „Reporter ohne Grenzen“, den schändlichen Platz 16522 von 180 besetzt und lag damit im Ranking sogar noch einen Platz unter der Russischen Föderation.
Was in dieser Presseerklärung dargelegt wird, ist nur ein Bruchteil, der Verbrechen, welche durch den türkischen Staat und mit Rückendeckung der Bundesregierung begangen werden. Die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft verdeutlicht einmal mehr, dass solange es maßgeblich die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Konzerne sind, welche die deutsche Außenpolitik bestimmen, das Gerede von einer „wertebasierten“ oder gar „feministischen Außenpolitik“ leider nichts weiter als schöne Worte und leeres Geschwätz bleiben werden. Wir haben uns dazu entschieden, den 11. Jahrestag der Revolution von Rojava, zum Anlass zu nehmen um ein entschlossenes Zeichen gegen die widerliche Doppelmoral und Käuflichkeit der herrschenden Politik, zu setzen. Getroffen hat unsere Aktion heute die Parteibüros der Grünen, weil diese Partei, mit dem von ihnen geführten Außenministerium im Besonderen und ihrer Regierungspolitik im Allgemeinen, so wie keine andere Partei, für eben jene Verlogenheit und Doppelmoral in der deutschen Politik steht. Eine Partei, welche noch im Wahlkampf 2021 mit dem Stopp aller Waffenlieferungen in Kriegsgebiete geworben hat, und sich mittlerweile zur einer zur größten Verteidigerin der Aufrüstung aufgeschwungen hat, die von feministischer Außenpolitik schwadroniert während in Nord- und Ostsyrien Frauenrechtlerinnen durch türkische Drohnen und mit Hilfe deutscher Technik ermordet werden, hat jegliche moralische und politische Integrität verloren.
Wir werden nicht länger hinnehmen, dass die Bundesregierung in unserem Namen, Regime wie das Erdogans in der Türkei aufrüstet, finanziert, politisch und geheimdienstlich unterstützt. Solange die Bundesregierung und vor allem das grün geführte Auswärtige Amt diese Politik deckt, erklären wir, dass auch sie, Blut an ihren Händen kleben haben und sich dafür verantworten werden müssen. Die Grünen sind nicht die einzigen Akteure der deutsch-türkischen Kollaboration und die Schuldigen sitzen an verschiedenen Stellen. Wir erklären an dieser Stelle, dass, sollte sich die Haltung der Bundesregierung nicht ändern und das faschistische Regime in der Türkei weiter auf diese Art und Weise unterstützt werden, wir uns gezwungen sehen unsere Aktionen fortzusetzen und der deutschen Öffentlichkeit das Ausmaß der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft vor Augen zu führen. In Anbetracht der durch die Türkei begangenen Verbrechen und der deutschen Komplizenschaft, ist das für uns mehr als nur eine politische Frage, auch eine Frage des Gewissens. Wenn die Türkei mithilfe deutscher Waffen, ethnische Säuberungen durchführt, fremde Länder überfällt und ohne Rücksicht gezielt Zivilisten ermordet und die deutsche Politik meint, dies als Verteidigung „legitimer türkischer Sicherheitsinteressen“ rechtfertigen zu müssen, dann ist es unsere Verantwortung, Widerstand gegen diese Politik zu leisten.
Für ein Ende der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft und Schluss mit einer deutschen Außenpolitik, die nur den Interessen des Kapitals dient!
Initiative „Blut an euren Händen“
19. Juli 2023