Bericht vom 6. Prozesstag im Antifa-Ost Verfahren – 22.09.2021
Vor dem Prozessbeginn fielen vereinzelt Faschist:innen auf, welche vor dem Gerichtsgebäude vorbei fuhren. Außerdem verteilte ein Nazi Flugblätter mit der Aufschrift „Linksextremismus stoppen“.
Um 9:35 begann der 6. Prozesstag mit der Verkündung eines weiteren Nebenklage-Anwalts. Anschließend wurde der Antrag der Verteidigung auf Verschiebung der Vernehmung Böhms abgelehnt. Ebendiese Vernehmung wurde dann 10 Minuten später durch den Vorsitzenden Richter Schlüter-Staats begonnen. Zunächst wurden persönliche Details und der Tathergang abgefragt, später dann nach möglichen Motiven und dabei dem politischen Hintergrund des ehemaligen NPD-Politikers. Als Beistand der Vernehmung fungiert Arndt Hohnstädter, welcher bereits Böhm und andere Neonazis vor Gericht vertrat.
Böhm schilderte den Morgen des 2. Oktober 2018. Er sei wie üblich aus seinem Haus getreten, habe die Hecke passiert und sah wie 4 vermummte Personen auf ihn zu rannten. Er habe sich noch zwischen parkende Autos retten können, wo die Angreifenden nach einem Pfefferspray-Einsatz auf ihn eingetreten und eingeschlagen haben sollen. Die Personen seien kampfsporterfahren gewesen und hätten mit schweren Schuhen auf ihn eingetreten. Hierbei widersprach sich Böhm mehrmals: So vertrat er erst die Auffassung, dass er niedergeschlagen wurde, dann nach Verlesung des Protokolls der Erstvernahme erinnerte er sich plötzlich daran, dass die Vermummten ihn mit Tritten gegen die Kniescheibe zu Boden gebracht hätten. Zudem wusste er nicht mehr, ob die Täter gleichzeitig oder versetzt bei ihm ankamen. An die Schuhe der Vermummten konnte er sich zwischenzeitlich gar nicht mehr erinnern, erst nachdem das verlesene Protokoll der Erstvernehmung von leichtem Schuhwerk sprach.
Die Angreifer seien vier Männer gewesen. Er wolle nicht chauvinistisch sein, aber eine solche Tat traue er einer Frau nicht zu, so Böhm wörtlich. Die eine Person, die während des Angriffs kurz Anweisungen gegeben haben soll, habe männliche geklungen. Alle vier trugen Sturmhauben und schwarze Kleidung.
Seine Gesichtsverletzungen habe Böhm auf seinem Handy protokolliert. Das sei aber gerade beim LKA Sachsen, in einem Verfahren gegen ihn beschlagnahmt. Vermutlich handelt es sich um die Durchsuchungen seiner Versandhandel „Lukis True“ und „Der Schelm“. Böhm war wegen dem Angriff ein halbes Jahr in ärztlicher Betreuung und weitere 1,5 Jahre in Physiotherapie.
Um 10:50 Uhr endete die Befragung des Vorsitzenden Richters, und die Staatsanwaltschaft erkundigte sich noch nach der Statur der Angreifer, welche Böhm als sportlich, kräftig, trainiert und größer als ihn (1,80 Meter) beschrieb. Explizit nicht als „drahtig“. Damit widersprach er direkt den Zeug:innen vom Vortag. Von 11:05 bis 11:25 gab es eine Unterbrechung, anschließend verzichtet die Verteidigung auf Fragen zum Tathergang. Nur die Bundesanwaltschaft erkundigte sich, ob sie sich verhört habe, dass es vier (männliche) Täter gewesen seien und woran er das festgemacht habe. Die Verteidigung monierte dies, da Böhm die Frage bereits beantwortet hatte, woran sich alle Beteiligten bis auf den Vorsitzenden Schlüter-Staats erinnern konnten. RA von Klinggräf bemerkte, dass es wiederholt sehr selektiv sei, was auf Richterseite ankomme. Böhm erwiederte auf die Bundesanwaltschaft, „ohne chauvinistisch sein zu müssen“ habe er eine solche Tat Frauen einfach nicht zugetraut. Zudem hätten die Fähigkeiten und die Staturen der Angreifern nur zu Männern gepasst. Im zweiten Teil der Vernehmung wurden mögliche Motive der Angreifer und Hintergründe Böhms erfragt. Böhm saß von 2014 bis 2019 im Stadtrat Leipzig, bis 2016 für die NPD, und hat eine gewisse Prominenz in rechten Kreisen. Der Vorsitzende fragte ihn wiederholt, ob Böhm wahrgenommen habe, dass oder ob er als rechtsradikal wahrgenommen wird, was Böhm verneinte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die ein entsprechendes Urteil einmal gefällt habe, sei ja aus dem linken Spektrum, aber die Bevölkerung sehe ihn nicht als radikal an, so Böhm.Die Nebenklageanwälte intervenierten an der Stelle, um einen Antrag auf Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden zu stellen und einen Antrag auf 30 Minuten Pause, um ersteren vorzubereiten. Der Antrag auf Pause wurde abgelehnt.
Der Vorsitzende fuhr mit der Vernehmung fort, und sprach davon, dass der Leipziger OB Jung Böhm als Rassisten bezeichnet hat. Er frage nach, da Böhm den Angriff von Anfang an als linksradikal dargestellt hatte. Dieser wich der Frage nur aus. Der Vorsitzende gab zu Protokoll, dass es dem Zeugen nicht erinnerlich sei, dass Jung ihn sinngemäß als Rechtsradikalen bezeichnet habe. Weiter wurde die Aussage Böhms zu Protokoll gegeben, dass Jung dazu neige, alles als extremistisch darzustellen was nicht seinem Weltbild entspräche, er werde im Stadtrat nie als radikal bezeichnet, auch nicht sinngemäß.
Des weiteren beschrieb Böhm nach mehrfachen Nachfragen sonstige, vor allem Online stattfindende Anfeindungen, wovon die Hälfte vom Vorsitzenden als „Quatsch“ bezeichnet und zurückgewiesen wurden. Konkret wurde Böhm erst nach mehreren Aufforderungen, und nannte Twitter-Aktivitäten der Linken Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und des Grünen Stadtrats Jürgen Kasek. Des weiteren kam heraus, dass seine damalige Adresse, in der Naturnekstraße, seit 2014 einer Auskunftssperre unterlag.
Es folgte eine Mittagspause von 12:15 bis 13:25.
Nach der kurzen Unterbrechung revidierte Böhm seine Aussage zu seiner Rechtsradikalität, da der Verfassungsschutzbericht ihn so bezeichnete und er annehme, dass dieser repräsentativ sei. Im Folgenden ging es um Enrico Böhms austritt aus der NPD im Jahr 2016. Die offizielle Begründung der NPD, es würde um Geld gehen, träfe nicht zu. Vielmehr sei es ihm um das Wahlverhalten gegangen.
Fortsetzung folgt…
gefunden am 01.10.2021 auf: https://www.soli-antifa-ost.org/bericht-vom-6-prozesstag-22-09-2021/