Interview mit Sachsens Soko-Linx-Chef
Dirk Münster ist Leiter der Staatsschutzabteilung des LKA Sachsen. Im Interview spricht er über den Prozess gegen die Gruppe um Lina E. und warnt vor einem harten Kern linksextremistischer Gewalttäter in Sachsen.
Bei einer Solidaritätsdemonstration nach dem Auftakt des Prozesses gegen Lina E. und andere im September 2021 hatten Teilnehmer Barrikaden angezündet.
Herr Münster, die Zugangskontrollen zum Gelände des Landeskriminalamtes und des Landesamtes für Verfassungsschutz in Dresden sind verschärft worden. Was ist passiert?
Mit Blick auf die bevorstehende Urteilsverkündung im Prozess gegen die Gruppe um Lina E. haben wir eine umfangreiche Sicherheitsanalyse vorgenommen. Wir befürchten, dass es zu Straftaten kommen wird, unter anderem gegen Liegenschaften und Mitarbeiter der Polizei. Deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen für die Gebäude nicht nur der Polizei, sondern auch der Justiz maßgeblich erhöht worden. In Leipzig hat es in der Vergangenheit bereits koordinierte Angriffe gegeben, bei denen die Täter Zäune überwunden haben, in Gebäude eingedrungen sind und Brandsätze geworfen haben. Von diesem Szenario gehen wir aus und richten unsere Maßnahmen danach aus, um die Menschen zu schützen, die hier arbeiten, aber auch die Sachwerte, die Akten und die Beweismittel, die hier lagern.
Betrifft dies auch das Gericht, in dem demnächst das Urteil verkündet wird?
Das Gebäude ist speziell für solche Prozesse hergerichtet worden. Es wird aber zusätzliche Interventionskräfte geben, die jegliche Störungen unterbinden.
Die linksextremistische Szene ruft zu Demonstrationen am Tag X, dem Sonnabend nach der Urteilsverkündung, auf. Für jedes Jahr Freiheitsstrafe gegen die vier Angeklagten soll ein Sachschaden in Höhe von einer Million Euro angerichtet werden. Wie ernst nehmen Sie diese Aufrufe?
Wir nehmen die Drohungen sehr ernst. Die Bewertung richtet sich nach vergleichbaren Ereignissen in der Vergangenheit, als sich mehr als 1.500 Demonstranten an Ausschreitungen beteiligt haben. Wir haben uns deshalb angesehen, welche Firmen, welche Orte und Liegenschaften potenziell besonders gefährdet sein könnten. Das ist allerdings schwierig, weil die Szene ihre Angriffe mit beliebigen Begründungen versieht. Ein Anschlag auf ein Skoda-Autohaus in Leipzig ist beispielsweise gerechtfertigt worden mit dem Hinweis, dass die Firma Skoda in verschiedenen Ländern Autos an die Polizei liefert. Wir müssten also alles schützen, was faktisch unmöglich ist. Deshalb sind die Polizeidirektionen sowie das Wirtschaftsministerium gebeten worden, gefährdete Unternehmen und andere potenzielle Angriffsobjekte zu informieren. Wenn es das Ziel ist, mehrere Millionen Euro Sachschaden anzurichten, müssen wir davon ausgehen, dass es nicht nur Polizeigebäude treffen soll.
Trifft es zu, dass der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats und die Vertreterin der Bundesanwaltschaft im Verfahren gegen Lina E. besonderen polizeilichen Schutz erhalten?
Es gibt von Anfang an für alle Akteure des Verfahrens eine Gefährdungsbewertung. Danach haben die jeweils zuständigen Dienststellen entsprechende Maßnahmen ergriffen, damit die Akteure in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können.
Laut Kriminalstatistik ist die Zahl politisch motivierter Gewalttaten im Bereich Links gestiegen und liegt deutlich über dem Bereich Rechts. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Diese Entwicklung ist nicht neu. In Sachsen begehen Linksextremisten erheblich mehr Gewaltdelikte als Rechtsextremisten. Die Gründung der Soko Linx (die Abkürzung steht für Linksextremismus, d.R.) im Jahr 2019 war eine Folge dieser Gewaltexzesse. Deshalb tun wir alles, um die Zahl politisch motivierter Gewalttaten insgesamt, aber vor allem im Bereich Links zu verringern. Wenn wir es schaffen, die Zahl linksmotivierter Gewaltdelikte ähnlich stark zu senken, wie uns das im rechten Spektrum gelungen ist, wären wir zufrieden. Polizei und Justiz in Sachsen haben es durch gute Arbeit in den vergangenen Jahren geschafft, dass weniger rechtsextremistische Gewalttaten begangen werden. Das wollen wir bei Links auch schaffen.
Innenminister Armin Schuster (CDU) betont stets, dass die größte Gefahr in Sachsen vom Rechtsextremismus ausgeht. Wie sehen Sie das?
Die Einschätzung der Politik zum Rechtsextremismus bezieht sich hier mehr auf die Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Das ändert nichts an der fachlichen Einschätzung der Polizei, die auf den aktuellen Zahlen zur politisch motivierten Gewaltkriminalität basieren.
Richten die Gewalttäter der linken Szene nicht vornehmlich Sachschäden an?
Ich bitte Sie, nein! Gezielte Gewalttaten gegen politische Gegner sind ein typisches Merkmal der Szene. Die Darstellung, dass deren Straftaten nur spontane Reaktionen auf rechte Demonstrationen sind, stimmt mit der Realität schlicht nicht überein. Ich lasse die uns vorliegenden Falldaten zum Beispiel auch von Wissenschaftlern auswerten und kann das daher sehr gut belegen. Es gibt keinen guten Extremismus und es gibt auch keine legitime extremistisch motivierte Gewalt. Wir als Polizei haben einen gesetzlichen Auftrag, Kriminalität und Gewalt zu verfolgen und das ist genau das, was wir tun. Es geht nicht an, dass jemand zusammengeschlagen wird, weil er sich politisch äußert oder als Szeneangehöriger erkennbar ist!
Wie groß ist der harte Kern linksextremistischer Gewalttäter?
Die Soko Linx hat einen Personenpool im Blick, der etwa 150 Personen umfasst. Dies sind Personen, die dringend tatverdächtig sind, Gewalttaten begangen oder anderen dabei Unterstützung geleistet zu haben.
Es hat in jüngster Zeit erneut Angriffe auf Rechtsextremisten gegeben, unter anderem in Erfurt und in Budapest. Ein Verdächtiger, der zur Gruppe um Lina E. gehören soll, sitzt in Ungarn in Untersuchungshaft. Gibt es gefestigte Täter-Strukturen in diesem Bereich?
Das ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass nach den Überfällen in Erfurt und in Budapest mehrere Linksextremisten untergetaucht sind. Wir fahnden sehr intensiv nach ihnen. Wenn man davon ausgeht, dass diese Personen alle Brücken hinter sich abgebrochen haben, um sich zu verstecken, könnte man davon sprechen, dass sich ein harter Kern noch weiter radikalisiert hat. Diese Besorgnis gibt es.
Der Strafprozess gegen Lina E. und ihre drei Mitangeklagten hat eine große Solidarisierungswelle in der linken Szene ausgelöst. Bewirkt das Strafverfahren womöglich das Gegenteil von dem, was erreicht werden sollte?
Der Strafprozess hat die Gewalt, die durch die Gruppe verübt worden ist, offengelegt und ich hoffe, dass dadurch innerhalb der Szene differenzierter nachgedacht und gehandelt wird. Ich bewerte nicht die politische Meinung der Täter, aber sie haben eindeutig rote Linien überschritten. Der Kreis um Lina E. ist größer als vier Personen, es wird weitere Ermittlungen und Strafverfahren geben. Das Verfahren gegen Lina E. ist für das LKA schon jetzt von großer Bedeutung, aber im Grunde genommen haben wir gerade erst angefangen. Politische Auseinandersetzungen müssen geführt werden, ohne dass sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Warum sind die Ermittlungsverfahren zu den Brandanschlägen auf die Baufahrzeuge einer ostsächsischen Firma eingestellt worden?
Die Ermittlungen bei Brandanschlägen sind nie einfach. Die Spurenträger sind durch die Tat häufig vollständig vernichtet worden. Hinzu kommt, dass die Ermittler es mit Tätern zu tun haben, die Einblick in Ermittlungsakten bekommen und dadurch Fehler minimieren können. Sie verzichten auf Kommunikationstechnik und wissen, wie man es vermeidet, auf Brandsätzen DNA-Spuren zu hinterlassen. Allerdings ist die Zahl der Brandanschläge in Leipzig seit 2019 zurückgegangen. Das zeigt mir, dass wir bei unseren Ermittlungen die richtigen Leute im Fokus hatten. Aber es ist ein mühsames und schwieriges Geschäft.