Nach mutmaßlich rechtem Vorfall in Chemnitz: Andrang bei Podiumsdiskussion der Kulturhauptstadt-GmbH

Warum sich Nazis in Chemnitz pudelwohl fühlen und wie das zur Kulturhauptstadt Europas passt, war Thema einer Podiumsdiskussion Donnerstagabend im Chemnitzer Smac. Das Interesse war riesig, die Beiträge waren emotional und die Stimmung wackelte zwischen Frust und Hoffnung.

Wer auf den letzten Drücker kam, wurde Donnerstagabend vor dem Smac in Chemnitz ausgebremst: Während die Türen des Staatlichen Museums für Archäologie verschlossen und vom Aufsichtspersonal im Auge behalten wurden, sammelte sich draußen eine Traube der Zuspätgekommenen. Drinnen bildete sich eine Schlange vor dem Fahrstuhl, der die Besucher in den oberen Stock beförderte zur dort stattfindenden Podiumsdiskussion über die aktuelle Realität rechter Gewalt in Chemnitz.Passend zum Thema mussten die Veranstalter am Fahrstuhl noch mit drei Vertretern rechtsextremer Gruppierungen diskutieren. Die wollten auch teilnehmen, sollten es aber seitens der Veranstalter nicht: Die hatten entschieden, dass Menschen, die ein rassistisches Menschenbild pflegen, nicht eingelassen werden und verwiesen auf ihr Hausrecht. Das verstanden die drei Herrn nicht, filmten mit Handykameras die Auseinandersetzung und wollten Polizei anfordern. Letztlich ging die Veranstaltung zehn Minuten später los – ohne Beteiligung Rechtsextremer.

Mit Kehlkopfbruch im Krankenhaus

Eingeladen zur Podiumsdiskussion hatten unter anderem der Verein Solidarisches Chemnitz/Aufstehen gegen Rassismus und die Kulturhauptstadt-GmbH. Anlass war ein Vorfall in Chemnitz, der knapp drei Wochen zurückliegt – und nur peu à peu ans Licht kam. In der Nacht zum 25. März war ein 33-jähriger Kulturprojektmanager seinen Angaben nach auf offener Straße aus einer Gruppe heraus angegriffen worden. Zuvor hatte er mit Vertretern der Kulturszene aus Deutschland und anderen Ländern ein Treffen besucht, bei dem es unter anderem bezüglich des Chemnitzer Kulturhauptstadtjahres 2025 um Ideen für europäische Kooperationsprojekte ging.

Nachts auf dem Weg zum Hotel kam es zum Angriff, offenbar weil er, so sagte später der Projektmanager, mit seinen zwei internationalen Begleitern englisch gesprochen hatte. Der Mann endete mit Kehlkopfbruch und Jochbeinfraktur auf der Intensivstation. Die Polizei konnte mehrere Deutsche als mutmaßliche Täter feststellen. Der Staatsschutz wurde eingeschaltet. Dessen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung dauern an.

Polizei, Stadt und Kulturhauptstadt-GmbH wurden kritisiert, dass sie den Fall nicht offensiv kommunizierten. Dass der Eindruck entstehen konnte, dass über eine mutmaßlich rechtsextrem motivierte Tat gern der Mantel des Schweigens gelegt worden wäre. Nach der Kritik kam nun der Schritt in die Öffentlichkeit:

Mit der Podiumsdiskussion wolle man ein „deutliches Zeichen der Solidarität mit dem Opfer setzen“ und analysieren, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um rechte Gewalt zu verhindern, hieß es in der Ankündigung. Einen Maßnahmenplan gab es nach der über zweistündigen Diskussion erwartungsgemäß nicht, aber doch ein Stimmungsbild, eine ziemlich ehrliche Zustandsbeschreibung und einige konkrete Punkte, an denen angesetzt werden müsse.

Aufgewühlte Erzählungen

Zunächst das Stimmungsbild: Offenbar gibt es angesichts der Teilnehmerzahl ein Interesse daran, das Kulturhauptstadtjahr nicht den Rechten zum Fraß vorzuwerfen – die hatten bereits angekündigt, die Stadt 2025 mit eigenen Aktionen in die Schlagzeilen bringen zu wollen. Allein der komplett gefüllte Veranstaltungsraum am Donnerstag fasste rund 200 Menschen, starken Zulauf hatten in der Vergangenheit auch andere ähnliche Diskussionsforen. Unter den Besuchern am Donnerstag befanden sich junge wie ältere Menschen.

Viele meldeten sich zu Wort, erzählten teils aufgewühlt mit zitternden Stimmen von ihren Erfahrungen – von rechtsmotivierten Angriffen; von der Verunglimpfung als Nestbeschmutzer, wenn sie auf Probleme mit Rechtsextremismus aufmerksam machten; vom Frust über teils auf den rechten Augen blinden Behörden; von der Ohnmacht gegenüber den von Rechts unterwanderten Montagsspaziergängern; von der Fassungslosigkeit über das Schweigen eines Teils der Gesellschaft; von der Angst, dass einen die Polizei auf Gegendemos nicht schütze; von Überlegungen, Chemnitz zu verlassen.

Der große Knall 2018

Ines Vorsatz von der Fachstelle Kriminalprävention der Stadt Chemnitz, unterstrich als Zustandsbeschreibung, dass die Verwaltung natürlich um das Problem des Rechtsextremismus in der Stadt wisse, es nicht verdecken wolle, sondern vielmehr seit vielen Jahren mit einer engagierten Zivilbevölkerung Strategien und Projekte ausarbeite sowie Fördergeld ausreiche, um Demokratieprojekte zu stärken – und man dennoch die Probleme nicht ausreichend in den Griff bekomme. Das bereite der Verwaltung große Sorge.

Aber warum fühlen sich Rechte in Chemnitz offenbar so wohl? 2018, als es nach dem gewaltsamen Tod eines Chemnitzers zu rechtsextremen Ausschreitungen kam, die Chemnitz weltweit in die Negativ-Schlagzeilen brachten, sei eine Art Knall gewesen, der zeigte, was für Rechte in dieser Stadt möglich ist, sagte der Soziologe Ulf Bohmann von der TU Chemnitz. „Aber schon vorher gab es Strukturen, die im Stillen wirkten.“ Die – das ist der Umkehrschluss – in all den Jahren von all den Strategien, Projekten, Fördergeldern und Engagierten nicht ernsthaft angesägt werden konnten. Der Knall 2018, so Bohmann, habe Chemnitz für die Rechten mit symbolischer Bedeutung aufgeladen: Das Gefühl, hier auf Resonanz zu stoßen, bringe Zulauf und Motivation, „das verstärkt sich selbst“.

Gabriele Engelhardt vom Verein Solidarisches Chemnitz ging in ihrer Analyse bis in die DDR zurück. „Es gab zwar einen Antifaschismus, aber keine Auseinandersetzung damit.“ Und nach der Wende sei es vor allem um eine Aufarbeitung der Stasiaktivitäten gegangen, nicht um rassistische und faschistische Tendenzen in der Gesellschaft. Und da Rechte somit jahrelang auf wenig Widerstand stießen, haben sie sich ausgebreitet: auf der Straße und im Stadtrat, so Robert Kusche vom Verein RAA Sachsen, der Betroffene rechtsmotivierter Gewalt berät.

Die Frage des Aufstehens

Und das heißt nun was? Der Zwickauer Autor Jakob Springfeld, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert, betonte: „Man muss die Dinge benennen, wie sie sind.“ Ähnlich sieht das Bohmann. Man müsse sich immer wieder, auch von höchster Stelle, deutlich von rechten Umtrieben abgrenzen – und nicht denken, dass man das Selbstverständliche nicht immer wiederholen müsse. Doch, genau das müsse man. Robert Kusche forderte, systematisch für das Jahr 2025 vorzugehen, dazu gehöre auch, die Polizei für internationales Publikum zu sensibilisieren.

Die Kulturhauptstadt habe es immerhin schon geschafft, so Ines Vorsatz, dass nun in der Verwaltung Englischkurse angeboten werden, die sehr gut nachgefragt würden. Sie stellte zudem mehrere Termine in Aussicht, bei denen unter anderem der Angriff auf den Kulturmanager im März mit Experten aufgearbeitet werden solle. Und auch Stefan Schmidtke, als einer der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt-GmbH im Publikum, versicherte, dass sich die GmbH ab Juni verstärkt mit Workshops, Infocafés und Diskussionsveranstaltungen wahrnehmbarer einschalten werde.

Aber auch die Stadtgesellschaft werde nicht drum herum kommen, so Gabriele Engelhardt, sichtbarer zu werden, auf die Straße zu gehen und den Rechten zu zeigen: „Jetzt ist Schluss!“ Es geht also wieder einmal um das Aufstehen und die Frage, ob die Chemnitzer dazu bereit sind.