Weil sie Frauen klein hält und Männer groß macht: Politologin fordert Abschaffung der Ehe
Die Politologin Emilia Roig provoziert mit ihrem Buch „Das Ende der Ehe“ – Was schlägt sie als Alternative vor?
Jede dritte Ehe in Sachsen wird geschieden. Während Männer danach wieder frei seien, blieben Frauen häufig von ihnen abhängig, genauso, wie sie es in der Ehe schon waren, meint Emilia Roig. Die Französin hat ein Buch geschrieben, das schon im Titel sagt, was sie will: Das Ende der Ehe. Denn Ehegattensplitting, unbezahlte Hausarbeit und Co halten ihrer Meinung nach Frauen klein und Männer groß – staatlich unterstützt. Das müsse enden. Als Aufruf zur Scheidung und Absage an die Liebe versteht die 40-jährige Politikwissenschaftlerin ihr Buch jedoch nicht. Sylvia Miskowiec hat mit ihr gesprochen.
„Freie Presse“: Frau Roig, Sie waren vier Jahre selbst verheiratet. Warum haben Sie denn geheiratet?
Emilia Roig: Ich bin damals vor zehn Jahren einfach einem gesellschaftlichen Skript gefolgt. Und ich mochte die Idee, meine ganze Familie an diesem Tag dazuhaben, Freunde und Freundinnen, eine schöne Feier zu genießen. Und klar, ich war verliebt in meinen damaligen Mann. Es schien normal zu sein, zu heiraten, gerade wenn man wie ich 30 war. Das macht man einfach, dachte ich.
„Freie Presse“: Damit sind Sie sicher nicht allein. Doch die Ehe hielt nicht. Da könnte man das Buch als eine Art Abrechnung der gekränkten Ehefrau verstehen, oder?
Emilia Roig: Könnte man, ist es aber nicht. Ich habe einen guten Kontakt zu meinem Ex-Ehemann, wir haben eine funktionierende Co-Elternschaft. Das Buch ist kein Angriff auf ihn, keine Rache, sondern eine kritische Betrachtung der Institution Ehe auf Grundlage von Erfahrungen.
„Freie Presse“: Was haben Sie an der Institution Ehe auszusetzen?
Emilia Roig: Ich habe um mich herum so viele Fälle gesehen, die mir klargemacht haben: Die Ehe ist eine staatliche Institution, die Frauen in die Abhängigkeit drängt. Besonders, wenn Kinder in die Ehe hineingeboren wurden. Sie ist ein staatlich gewolltes System, in dem die Frauen in eine Rolle gedrückt werden, aus der sie schwer wieder herauskommen. Hier geht es um patriarchale Macht.
„Freie Presse“: Sie schreiben in Ihrem Buch, die Ehe nütze den Männern, den Frauen eher nicht. Können Sie das präzisieren?
Emilia Roig: Die Ehe gibt Männern in der Regel die finanzielle Macht. Das fängt doch schon beim Ehegattensplitting an. Meist ist es der Mann, der von den niedrigeren Steuersätzen profitiert, nicht die Frau, die für das Wohlergehen der Familie ihre Erwerbsarbeit gekürzt hat. Auch wenn alles in eine Familienkasse geht, es ist und bleibt der Mann, der profitiert. Ohne die Ehe wären beide freier in ihrer Entscheidung, wer wie viel Lohn- und Fürsorgearbeit nachgeht. Und wir dürfen nicht vergessen: Die finanzielle Macht in einer kapitalistischen Gesellschaft zu haben, heißt auch politisch, kulturell, wirtschaftlich vorn dabei zu sein. Dass da mehr Männer als Frauen anzutreffen sind, ist eine Folge der Ehe. Nicht zuletzt ist die Care-Arbeit selten gleich aufgeteilt. Frauen leisten meist deutlich mehr – unbezahlt. Und Putzen, Kochen, auf die Kinder aufpassen, das sind nicht gerade Statussymbole in unserer Gesellschaft. Eine Bezahlung dafür gibt es höchstens am Ende der Ehe, beim Zugewinnausgleich. Aber auch dafür müssen Frauen kämpfen, denn Tricks, einen fairen Ausgleich zu verhindern, gibt es genug. Es sind meist die Frauen, die am Ende einer Ehe abhängig bleiben von ihrem Mann, nicht umgekehrt – was im Übrigen auch nicht richtig wäre. Insofern: Schafft die Ehe ab!
„Freie Presse“: Was raten Sie verheirateten Frauen, die etwas an dieser Lage ändern, sich aber nicht trennen wollen?
Emilia Roig: Sie müssen sich ja auch nicht trennen, niemand muss das, wenn es Liebe ist, die zwischen den Menschen dominiert. Aber jede Frau sollte ihre Position und Situation ernsthaft betrachten, sich fragen, wie sie in ihrer Ehe aufgestellt ist. Mache ich Abstriche, zu viele Kompromisse? Wer bin ich ohne meinen Ehemann, persönlich, gesellschaftlich und finanziell betrachtet? Ich wünsche Frauen die Kraft, sich in ihrer Ehe zu behaupten, Anforderungen zu stellen. Etwa, dass sie eine faire monetäre Kompensation für die ganze Care-Arbeit bekommen – nicht erst, wenn sie sich trennen, sondern bereits während der Ehe.
„Freie Presse“: Viele Frauen wählen die Ehe, weil sie ihnen eine finanzielle Sicherheit bietet …
Emilia Roig: Richtig, doch sie ist nur eine Teilabsicherung, auch der Zugewinnausgleich ist irgendwann aufgebraucht, und selbst der Unterhalt ist eine Form der Abhängigkeit. Zusätzlich ist zu bedenken: Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben haben, sind weniger wettbewerbsfähig auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie wieder einsteigen. Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, sollten doch nicht dafür gesellschaftlich und finanziell bestraft werden! Natürlich ist es einfacher und für manche auch bequem, in finanzieller Abhängigkeit zu leben, das kann jede tun, die das möchte. Mir geht es darum, dass der Staat solche Abhängigkeiten nicht auch noch fördern sollte, sondern Autonomie stärken müsste – das passiert im Konstrukt Ehe aber nicht.
„Freie Presse“: Sind gemeinsame Kinder kein Grund, verheiratet zu bleiben?
Emilia Roig: Eine Trennung der Eltern ist fast immer traumatisch für Kinder, für alle. Nur kann sich niemand komplett vor solchen Erfahrungen schützen. Und ein Weiterleben in der Ehe kann auch traumatisch für Kinder sein. Nur wird darüber kaum gesprochen, die Ehe wird als überlegene Form des Familienlebens betrachtet. Wir reden zu wenig über Gewalt in der Ehe, in all ihren Formen. Diese Gewalt wird abgeschirmt von der Gesellschaft, sie wird negiert.
„Freie Presse“: Nichtsdestotrotz gab es in der Vergangenheit Fortschritte, die die Ehe reformiert haben. Müssen wir sie denn wirklich abschaffen? Zudem ist ja niemand gezwungen, zu heiraten.
Emilia Roig: Ich antworte da gern mit einer Gegenfrage. Warum haben wir etwas dagegen, eine veraltete patriarchale Institution abzuschaffen? Gern wird darauf mit dem Schutz der Familie, der Frau entgegnet. Das ist für mich kein Argument! Das ist staatlich geförderte Abhängigkeit! Zudem hieße es ja, dass die Gesellschaft zu gefährlich wäre für unverheiratete Frauen! Und zum Thema „müssen“, richtig, niemand muss. Aber die Gesellschaft vermittelt schon: man sollte. Und der Staat lockt mit Vergünstigungen.
„Freie Presse“: Wir reden viel über die Mann-Frau-Beziehung. Nun haben gerade homosexuelle Menschen sehr dafür gekämpft, auch heiraten zu dürfen. Sinnlos, oder?
Emilia Roig: Nein. Denn sie haben damit die gleichen wirtschaftlichen und rechtlichen Vorteile erlangt wie heterosexuelle Paare. Nichtsdestotrotz wurde es verpasst, die Ehe wirklich zu erweitern. Ein Stichwort ist das Abstammungsrecht: Wenn heterosexuelle Ehepaare ein Kind bekommen, wird der Mann von vornherein als Vater anerkannt, egal, ob er das Kind wirklich gezeugt hat. Bei Frauen-Paaren dagegen muss die nicht-leibliche Mutter ein langwieriges Adoptionsverfahren durchlaufen. Von Gleichstellung kann noch nicht die Rede sein.
„Freie Presse“: Was sollte nach dem Ende der Ehe Ihrer Meinung nach kommen?
Emilia Roig: Die authentische Liebe. Das wäre eine Liebe auf Augenhöhe, kein Gesetz würde mehr Abhängigkeiten fördern und verklären. Sowohl Frauen als auch Männer müssten die Hierarchisierung der Geschlechter verlernen. Wir müssten uns loslösen von diesen Überlegen- und Unterlegenheitskomplexen, die uns seit der Kindheit eingetrichtert wurden und die wir meist komplett unbewusst verinnerlicht haben. Es würde auch bedeuten, dass neben der hetero-monogamen Beziehung andere Formen gleichberechtigt existieren, ohne dass diese die heterosexuelle Kernfamilie nachahmen müssten, um akzeptiert zu sein. Das ist im Moment noch so. Und ja, der Weg zu dieser Art der Liebe ist noch sehr, sehr lang.
„Freie Presse“: Welche Reaktionen erreichen Sie?
Emilia Roig: Überwiegend positive. Ich bekomme täglich Nachrichten von Menschen, die sich für das Buch bedanken, weil es ausspricht, was sie selbst nicht in Worte fassen konnten, aber verspüren. Der Affekt ist groß bei dem Thema, wir sind alle irgendwie von der Ehe berührt. Es kommen auch Gegenwind und Hassnachrichten, bisher nur von Männern, was auch wiederum zeigt, dass die Ehe ihren Interessen dient. Sonst hätten sie keine Angst vor deren Abschaffung.
Emilia Zenzile Roig
Die 40-Jährige ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Die Französin hat in Berlin und Lyon studiert und leitet das von ihr gegründete Center for Intersectional Justice in Berlin. Roig ist Mutter eines Sohnes, geschieden und lebt mit einer Partnerin zusammen.
Buchtipp:Emilia Roig: Das Ende der Ehe, Ullstein, 380 Seiten; 22,99 Euro; ISBN: 9783550202285