Colditzer: Sie wollten mir das Ohr abschneiden
Hartmut Lehmann (48) nennt die Razzia von vor zwei Wochen „überfällig“. Nun müsse die permanente Einschüchterung von Einzelpersonen, Unternehmern und Andersdenkenden thematisiert werden, sagt der bekennende Linke.
Sie lockten ihn in einen Hinterhalt, damals, als er noch seinen Motorradladen hatte, erinnert sich Hartmut Lehmann (48) widerwillig: „Ich sollte ein Bike abschleppen. Doch an der verabredeten Bushaltestelle schlugen sie mich brutal zusammen. Sie brüllten, sie würden mir ein Ohr abschneiden. Zu der Zeit hatte ich noch etliche Ohrringe.“
Und sie schnitten zu. Mit dem stumpfen Messer trennten sie ihm die Haare ab. Mit Stiefelabdrücken im Gesicht und letzten Kräften verhinderte Lehmann, dass die Osteuropäer mit seinem Pkw samt Anhänger abfuhren: „Da saß mein damals noch ganz kleines Kind drin.“ Er solle sich überlegen, wie er sich in Colditz aufführe, riefen ihm die Unbekannten hinterher.
Lehmann ließ sich nicht einschüchtern, damals nicht, heute nicht. Er ist einer der wenigen, die nach der Razzia von vor zwei Wochen offen reden: „Die Razzia war überfällig.“ Nun müsse gründlich ermittelt werden, fordert er. Noch immer wisse er nicht, wer ihn vor 18 Jahren so übel zugerichtet habe. Er gehe von einem „Netzwerk“ aus.
Netzwerk – dieses Wort hat seit wenigen Tagen eine ganz neue Bedeutung in Colditz bekommen. Dass im Muldental rechtsextreme Kräfte aktiv sind, ist keine Neuigkeit. Seit Jahren ist die Szene in der Region vertreten. Doch seit der Razzia in der Kleinstadt wird neu über die Rechtsextremen und ihre Strukturen diskutiert. Auch wenn bislang nichts dafür spricht, dass das, was Lehmann passiert ist, mit den Verdächtigen bei der Razzia in Colditz irgendetwas zu haben könnte.
Innenausschuss beschäftigt sich mit Colditz
Wie berichtet, hoben 225 Beamte von Zoll und Bundespolizei zuletzt mehrere Adressen in und um Colditz aus. Bei den zweitägigen Durchsuchungen stellten sie Drogen, Waffen, Bargeld und zwei Luxusautos sicher. Ralf N. (66) sowie seine Söhne Uwe (35) und Andreas (38) wurden festgenommen, sitzen seitdem in U-Haft.
Inzwischen beschäftigte sich der Innenausschuss des Landtages mit den Geschehnissen. Abgeordnete sind besorgt, dass der Fall Colditz eine neue Qualität hat. Dass er auf ein Netzwerk der organisierten Kriminalität hindeutet. „Wir haben es in Colditz offenbar mit einer verfestigten Struktur von rechtsextremer Clan-Kriminalität zu tun“, sagte Valentin Lippmann (Grüne). Die Verbindung von Rechtsextremisten und organisierter Kriminalität sei ein Punkt, dem man sich entschieden widmen müsse.
Er könne den Eindruck nachvollziehen, „dass hier rechte Strukturen sehr große Freiheiten hatten, weil Behörden nicht in dem Maße gehandelt haben, wie es gut gewesen wäre“, ergänzte SPD-Innenexperte Albrecht Pallas. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass Colditz eine Stadt sei, „die seit einigen Jahren durch rechte Kräfte drangsaliert wird“.
Mindestens 100 Verfahren
Von einer dreistelligen Anzahl an Ermittlungsverfahren, die die Polizei gegen die Familie N. und ihr Umfeld angestrebt habe, war nach dem Ausschuss die Rede. „Mindestens 100“ Verfahren seien es gewesen, sowohl Drogen- als auch Staatsschutzdelikte. Den Ausschussmitgliedern werde demnächst eine Liste mit den einzelnen Delikten vorgelegt, hieß es.
Auch die Polizei habe in Colditz „umfangreich ermittelt“, betonte Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa. Ein solcher Erfolg, wie ihn jetzt der Zoll erzielt habe, „war uns bisher nicht gelungen“. Von einem Misstrauen gegenüber der sächsischen Polizei, die bei der Razzia kaum beteiligt war, könne keine Rede sein, so Kubiessa: Bei Drogendelikten mit Grenzbezug sei der Zoll zuständig.
Er teile die Meinung mancher Colditzer nicht, wonach die drei Beschuldigten irgendwann wieder aus dem Gefängnis entlassen würden und alles wieder von vorn beginne, sagt Hartmut Lehmann: Die permanente, auf breiter Ebene stattgefundene Einschüchterung von Einzelpersonen, Unternehmern, auch Andersdenkenden, müsse jetzt thematisiert werden.
Lehmann ist kein Unbekannter
Er selbst bezeichnet sich als links, so Lehmann. In Colditz ist er längst kein Unbekannter mehr. Als 2015 die ersten – wie er sagt – „Flüchtis“ ankamen, begrüßte er sie mit Gleichgesinnten persönlich. Damit nicht genug: Es wurden Patenschaften für deren Familien organisiert und zur Verfügung stehende Wohnungen aufgemöbelt.
Als sogenannte Montagsspaziergänger in Corona-Zeiten vom Colditzer Markt starteten, mobilisierte der Knapp-Zwei-Meter-Mann prompt zum Gegen-Protest: „Ich wollte die Sieg-Heil-Rufe nicht tatenlos hinnehmen“, sagt Lehmann, der fortan eigene Kundgebungen anmeldete. Motto: „Für Anstand, Abstand und Solidarität.“
Einige Leute folgten dem Aufruf. Sie spielten Federball auf dem Markt. Kinder bastelten im Beisein der Eltern. Es wurden Tische und Stühle aufgestellt – Ziel: ein Marktgespräch. Aus den anfangs politisch aufgeladenen Treffen wurden die um einiges entspannteren Kulturmärkte. Diese wird es auch in diesem Jahr wieder geben.
Lehmann fordert Bekenntnis vom Stadtrat
Er selbst sei da jetzt erstmal raus, sagt Lehmann, der beruflich in einer Biogasanlage angestellt ist. An Wochenenden geht er mit seiner weithin einmaligen „Mitmachschmiede“ auf Touren. Bei Volksfesten sei er landauf landab gut gebucht: „Ich habe fünf Ambosse und alle ab sieben Jahren dürfen hämmern.“
Ausgerechnet Lehmann, der an seiner mobilen Schmiede alle davor warnt, sich bloß nicht die Finger zu verbrennen, fasst im wahren Leben die heißen Eisen an. So fordert er vom Stadtrat kein „Rumgeeiere“, wie er es nennt, sondern ein klares Bekenntnis zu den aktuellen Entwicklungen. „Ja, natürlich, wir haben alle Angst.“
In der Region geboren und aufgewachsen, will er nicht abwandern wie andere. Ja, er sei kein Waisenknabe, verbrannte einst vor der Schule das FDJ-Hemd, sprühte Parolen gegen den Direktor und verging sich zuletzt an AfD-Plakaten: „180 Euro Strafe für Sachbeschädigung an zwei Kabelbindern musste ich zahlen.“ Er lehne Extremismus genauso ab wie Leute, die radikal seien.
Solange es das dünner werdende Haar erlaube, trage er erhobenen Hauptes seinen Irokesen-Schnitt: „Ich will provozieren. Bin aber immer offen und gesprächsbereit.“ Er träume von einer Stadt ohne Angst, in der man sich mit Respekt begegne – egal wer wie ticke. Dass es geht, habe der Heiligabend im Jugendclub bewiesen: „Als DJ hatte ich dort mit meiner Freundin aufgelegt.“
Zeit online Alexander Ritzmann 06.04.2023
Die Neonazimafia
Rechtsextreme vernetzen sich über Grenzen hinweg miteinander, aber auch mit klassischen kriminellen Gruppen. Solche transnationalen Netzwerke hat das Counter Extremism Project, ein in Deutschland und den USA arbeitender Thinktank, im Auftrag des Auswärtigen Amtes untersucht. (https://www.counterextremism.com/sites/default/files/2023-03/CEP%20Report_Transnational%20linkages%20between%20violent%20right-wing%20extremism%2C%20terrorism%20and%20organized%20crime_March%202023.pdf)
Der Politikwissenschaftler Alexander Ritzmann ist Mitautor dieser Studie.
Christian W. sitzt entspannt in einem Gartenstuhl im Grünen, in der Hand ein Glas Bier. Auf seinen muskulösen Oberkörper sind die Schriftzüge der Hooligantruppe Alte Garde Essen, des Bikerclubs Bandidos MC und des Kampfsportvereins Guerreros Fightclub tätowiert. So kann man es auf einem Foto auf Instagram sehen. Christian W. soll einer der führenden Köpfe der Steeler Jungs aus Essen sein, einer selbsternannten rechtsextremen „Bürgerwehr“.
Im Juli 2021 hat die Bundesregierung die Bandidos MC Federation West Central aufgrund von Gewaltverbrechen sowie dem Besitz und Verkauf illegaler Waffen und Drogen verboten. Als die nordrhein-westfälischen Strafverfolgungsbehörden dann im Januar 2022 eine Reihe von Razzien in den Räumlichkeiten der Bandidos Essen Ost durchführten, die trotz Verbot weiter aktiv waren, fand die Polizei mehrere Kilogramm illegaler Drogen, 50.000 Euro in bar, eine Cannabisplantage, illegale Schusswaffen und eine Waffenwerkstatt. Christian W. ist – oder war bis vor Kurzem – der Präsident der Bandidos Essen Ost.
Die Steeler Jungs und die Bandidos Essen Ost sollen sich eine Liegenschaft geteilt haben, in der ein Video der rechtsextremen Hooliganband Kategorie C gedreht wurde. Und in der Sportsbar 300 ist im November 2019 der mehrfach vorbestrafte rechtsextreme Musiker Michael Regener, genannt Lunikow, aufgetreten. Die Bar soll Christian W. gehören.
Drogenhandel statt Nazinetzwerke
Handelt es sich hier möglicherweise um ein transnationales, rechtsextrem motiviertes und militantes Netzwerk der Organisierten Kriminalität?
Bei den Ermittlern weiß man das in diesem und anderen Fällen nicht immer so genau. Denn hier ermittelt in der Regel nicht der Staatsschutz mit seinem Bereich für Rechtsextremismus, sondern Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften, die zuständig sind für Organisierte Kriminalität.
Die Ermittler decken die transnationalen rechtsextremen Netzwerke in der Regel nicht auf. Denn statt des Rechtsextremismus steht die finanziell motivierte Straftat im Vordergrund. Drogenhandel statt Nazinetzwerke. So werden rechtsextreme Drogen- und Waffenhändler im Strafrechtsverfahren häufig entpolitisiert.
Im Jahr 2019 wurden drei Rechtsextreme im Alter von 25, 31 und 35 Jahren zu Haftstrafen verurteilt, weil sie von 2015 bis 2017 im Darknet mit mehreren Kilogramm illegaler Drogen wie Amphetamin und Ecstasy gehandelt hatten. Ein Täter war Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung. Der 31-jährige Anführer war bei der Kameradschaft Aachener Land/Syndikat 52 und zugleich Leiter des Ortsverbands der rechtsextremen Mikropartei Die Rechte in Aachen. Außerdem soll er eine der wichtigsten transnationalen rechtsextremen Organisationen in Deutschland, die Bruderschaft Thüringen, mit illegalen Drogen versorgt haben.
Die Einnahmen aus den Drogengeschäften wurden vor Gericht auf 260.000 Euro geschätzt. Aufgrund des bescheidenen Lebensstils der Täter und weil nur sehr wenig Geld beschlagnahmt worden war, vermutete die Richterin, dass die illegalen Gewinne aus dem Drogengeschäft zur Unterstützung ihrer extremistischen Aktivitäten verwendet worden sein könnten. Die Aachener Polizei entschied jedoch, den Fall als simple Drogenkriminalität zu behandeln. Laut Gericht bewerteten die Fahnder politische Aktivitäten der Angeklagten irrtümlich als konspiratives Verhalten unter Dealern.
Eine transnationale Neonazimafia
Bei der Bruderschaft Thüringen, den Turonen, läuft es ähnlich. In mehreren parallelen Gerichtsverfahren wird Mitgliedern und Unterstützern vorgeworfen, seit 2019 eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Sie sollen mit Drogen gehandelt sowie ein Geschäft mit Zwangsprostitution und professioneller Geldwäsche betrieben haben. Die auf die Verfolgung von Organisierter Kriminalität spezialisierte Staatsanwaltschaft schätzt die Einnahmen der Beschuldigten auf mehr als 1,2 Millionen Euro. Bei Razzien im Februar und Juni 2021 wurden Drogen, 200.000 Euro Bargeld und mehrere Waffen sichergestellt, darunter halbautomatische Gewehre. Insgesamt haben die Ermittler Vermögen im Wert von über drei Millionen Euro beschlagnahmt. Der mutmaßliche Kopf der Bande und Hauptangeklagte Marcel B. wurde im Februar 2023 wegen Drogenhandels zu elf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, ein weiterer Turone zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren und neun Monaten.
Die Turonen sind Schlüsselakteure des deutschen und transnationalen gewaltorientierten Rechtsextremismus. Es bestehen langjährige Kooperationen mit anderen führenden deutschen Rechtsextremen, die ihrerseits ein Netzwerk aus Gruppierungen und Unternehmen aufgebaut haben. Einige ältere Turonen waren bereits seit den Neunzigerjahren im Thüringer Heimatschutz (THS) aktiv, dessen Mitglieder 1999 an einem Überfall auf einen Geldtransporter beteiligt waren. Mit dem gestohlenen Geld kauften sie ein Bordell in Rudolstadt, das sie mehrere Jahre lang betrieben haben. Mindestens zwei der Naziräuber schmuggelten später in Deutschland gestohlene Autos nach Litauen und Russland. Mitglieder der Turonen sind bis heute offene Unterstützer des Nationalsozialistische Untergrunds (NSU), der tödlichsten rechtsextremen Terrororganisation in Deutschland seit 1945. Der NSU beging zwischen 2000 und 2011 elf Morde und finanzierte sich maßgeblich durch 15 Banküberfälle.
Das rechtsextreme OK-Netzwerk aus Thüringen
Nach Einschätzung des Thüringer Innenministeriums verfügen die Turonen aber nicht nur über „Kontaktnetze innerhalb der rechtsextremen Szene in Deutschland, sondern auch in ganz Europa“. Mitglieder der Turonen waren auch in anderen Ländern aktiv, beispielsweise in Österreich beim rechtsextremen Netzwerk Objekt 21. Diesem wurde vorgeworfen, als Handlanger für lokale Banden der Organisierten Kriminalität tätig gewesen zu sein und von 2008 bis 2012 Attentate, Bombenanschläge und Brandanschläge verübt zu haben. Die Turonen haben zudem starke Verbindungen zum rechtsextremen Blood-and-Honour-Netzwerk in der Schweiz.
Die Turonen haben dabei die Struktur von Bikergruppen kopiert. Sie bestehen aus privilegierten Vollmitgliedern und engagierten Anwärtern, die Garde 20 heißen. Frauen spielten im Turonen-Netzwerk eine Schlüsselrolle. Sie leiteten anscheinend das Bordell und fungierten als Eigentümerinnen der Immobilien der Organisation, durften aber nicht Mitglied der Turonen oder der Garde 20 sein.
Der Rechtsanwalt Dirk W., ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Hessen und Ehrenmitglied der Turonen, ist wegen Geldwäsche, gewerbsmäßigen Drogenhandels und Erpressung in insgesamt 70 Fällen angeklagt. Die Geldwäsche soll durch den Erwerb von Immobilien, durch legale und illegale Prostitution und durch den Betrieb einer Immobilienverwaltungsgesellschaft erfolgt sein. Diese zahlte die Gehälter an Turonen-Mitglieder und Anwärter, ohne dass diese tatsächlich für das Unternehmen arbeiteten.
Bereits vor den Verhaftungen führender Turonen im Februar 2021 gab es 32 Gerichtsverfahren gegen die Mitglieder dieser Gruppe wegen Körperverletzung, Volksverhetzung, Betrugs, Hehlerei, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruchs und weiterer Delikte.
Ein brandenburgisches Mafianetzwerk?
Ein weiteres rechtsextremes Mafianetzwerk scheint es im brandenburgischen Cottbus zu geben. Die inzwischen aufgelöste rechtsextreme Fußballhooligangruppe Inferno Cottbus 99 war Berichten zufolge im Bereich der Organisierten Kriminalität, insbesondere Drogenhandels, illegaler Prostitution und Steuerhinterziehung, tätig. Sie soll gute Verbindungen zu ähnlichen Gruppen in Frankreich, Polen und Russland gehabt haben. Die Cottbuser Staatsanwaltschaft ermittelte 2019 erfolglos gegen das Netzwerk als kriminelle Vereinigung, Ermittlungen gegen einzelne Mitglieder dauern bis heute an. Seitdem soll die Kampfgemeinschaft Cottbus die Rolle von Inferno Cottbus 99 als Netzwerk für rechtsextreme Hooligans, Kampfsportler und Geschäftsleute übernommen haben, die private Sicherheitsfirmen, Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants betreiben.
Das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg erwartete im Jahr 2020, dass die Verflechtungen zwischen Akteuren der Organisierten Kriminalität und Rechtsextremen zunehmen könnten.
Deutsche und europäische Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Gruppen der Organisierten Kriminalität (OK) ungern mit Rechtsextremen zusammenarbeiten, weil diese die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden auf sich zögen. Dabei scheint das tatsächliche Risiko eher gering zu sein. Bisher wurden meist nur kleine und sehr selten große Gruppierungen verurteilt. Die transnationalen OK-Netzwerke blieben unberührt. Und da rechtsextreme Mafiosi im Strafprozess in der Regel entpolitisiert und als organisierte Kriminelle behandelt werden, bleiben auch möglicherweise involvierte rechtsextreme Netzwerke und Schlüsselakteure unangetastet.
Diese betreiben weiterhin vermeintlich legale Sicherheitsunternehmen, Restaurants und Merchandisegeschäfte oder veranstalten Rechtsrockkonzerte. Hier könnte ein Geldwäschenetzwerk existieren, in dem illegale Einnahmen aus Drogenhandel und Prostitution gewaschen werden. Um herauszufinden, ob es sich bei den hier aufgeführten Fällen um Einzelfälle handelt, müsste es gezielte Ermittlung geben, die genau dieser Frage nachgehen.
Sind Behörden auf dem rechten Auge blind?
Die eingeschränkte Sicht der Sicherheitsbehörden auf mögliche rechtsextreme OK-Netzwerke liegt auch am System der Strafverfolgung in Deutschland. Die Bearbeitung politisch motivierter und finanziell motivierte Kriminalität bei den LKA ist organisatorisch streng in verschiedene Zuständigkeiten getrennt. Gleiches gilt für die Steuerfahndung der Finanzämter, die selten mit den LKA kooperieren. Und genau zwischen diesen Zuständigkeiten scheinen die rechtsextremen OK-Netzwerke zu operieren. Einzelne Ermittlungen, mal vom Staatsschutz, mal von der Kriminalpolizei und vielleicht auch mal vom Finanzamt, sind keine echte Bedrohung. Es fehlt die Kooperation zwischen den verschiedenen Bereichen.
Dafür sollten auf Länderebene gemeinsame Taskforces eingerichtet werden. Diese müssten aus den Kripoabteilungen für Staatsschutz und OK-Ermittlungen, Staatsanwaltschaften und Finanzämtern bestehen, um eine wirksame Identifizierung, Untersuchung und Verfolgung der Netzwerke zu ermöglichen – getreu dem Ansatz: follow the money. Auch die deutschen Nachrichtendienste sollten nach Möglichkeit einbezogen werden.
Mehr Al Capone wagen
Diese Länder-Taskforces sollten die bekannten Verbindungen zwischen der rechtsextremen und der Organisierten Kriminalität untersuchen und deren Beziehungen zu den Schlüsselakteuren und Netzwerken des deutschen Rechtsextremismus beleuchten. Die Aufdeckung bisher unentdeckter illegaler Aktivitäten könnte so auch zur Beschlagnahmung von finanziellen Vermögenswerten führen, zum Beispiel von Immobilien. Dafür braucht es einen klaren Auftrag durch die zuständigen Innen-, Justiz- und Finanzministerien. Da alle bekannten rechtsextremen OK-Netzwerke länderübergreifend oder sogar transnational tätig sind, sollte zudem ein Koordinierungsmechanismus auf Bundesebene eingerichtet werden.
Dem amerikanischen Mafiaboss Al Capone konnte keines der von ihm in Auftrag gegeben Verbrechen nachgewiesen werden. Er wurde schließlich wegen serieller Steuerhinterziehung zu elf Jahren Haft verurteilt. Eine solche Al-Capone-Strategie, umgesetzt von deutschen Sicherheits- und Finanzbehörden, ist einen Versuch wert.