An die Verbliebenen: Unterstützt die Streikenden

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Der öffentliche Dienst streikt. Rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind aufgerufen für Lohnerhöhungen auf die Straße zu gehen. Oder zumindest der Arbeit fern zu bleiben. Inflation und allgemeine Teuerungen sind Treibstoff für die laufenden Arbeitskämpfe. Und tatsächlich kommen diese eine gewisse historische Bedeutung in Zeiten der Polykrise zu. Permanent prasselnphänomene auf einen ein. Permanent sorgen Einmalzahlungen für kurzes Aufatmen. Dauerhaft gibt es staatlich keine Alternativen. Manche sitzen im Boot, manche reüssieren auf der Yacht. Aus den Villen und Luxusappartements gibt es einen Hinweis, wie sehr der Waschlappen eine warme Dusche ersetzen kann oder wie echte Weihnachtskerzen die Raumtemperatur erhöhen. Währenddessen schaut der größere Teil, wie der Monat überwunden werden kann. Wenn dann einmal ein paar hundert Euro mehr übrig sind als im Vormonat, dann ist man recht schnell zufrieden. Anderen geht es noch schlechter und man solle schließlich nicht maßlos sein. Genau darin liegt die Tragik. Wenn vom Vermögenszuwachs in den letzten Jahren in Deutschland das reichste 1 Prozent insgesamt 81 Prozent kassiert und sich die restlichen 99 Prozent um die verbliebenen 19 Prozent kloppen dürfen. Krisen bringen immer Sieger und Verlierer hervor. Wir sind auf der Seite der Verlierer. 
Dabei scheint eine Krise bereits überwunden, dessen Nachwirkungen aber bis heute spürbar sind. Corona sorgte für die große Mehrheit im öffentlichen Dienst zu keinem Zeitpunkt für Home Office. In jeder noch so unklaren Situation musste der Lohnarbeit körperlich anwesend nachgegangen werden. Keine Zeit neue Romane zu entdecken, Serien zu Bingen oder Freude am Brot backen zu entdecken. Stattdessen: Schulterklopfen, Klatschen und „Alltagshelden“. Letzteres mündete schließlich im Wahlkampf des jetzigen Bundeskanzlers und begleitet uns in Gestalt von „Respekt“ bis heute. Bloße Lippenkenntnisse, keine Folgen. Das aktuelle lächerliche Angebot von insgesamt 5 Prozent Lohnerhöhung und Einmalzahlungen in Höhe von 2500€ bei einer Laufzeit von 27 Monaten, soll dann auch „Ausdruck des Respekts“ sein. Wo in anderen (Bullshit-)Jobs Prämieren bequem von zu Hause kassiert wurden, warten andere Berufsgruppen bis heute darauf. Und die Zeiten zahlen sich aus. Nicht wenige wissen nun um Gleitzeiten von zu Hause aus. Den derzeitig Streikenden bleiben solche Möglichkeiten verschlossen. Sie sind indes das, was anderswo als „Rücken“ bezeichnet wird: die unsichtbare, unabdingbare Tätigkeit ohne die nichts laufen würde.
Gestreikt wurde auch in der jüngeren Vergangenheit. Relativ leise vollzog sich im vergangenen Jahr der größte Streik im deutschen Gesundheitssystem, den es bislang gab. 11 Wochen lang hatte das Pflegepersonal aller Unikliniken in Nordrhein-Westfalen für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Von allgemeiner Solidarität war nichts zu spüren. Man war wieder auf sich gestellt. Ähnliches befürchten wir bei den aktuellen Streiks – daher der Aufruf.
Nun werden einige besonders Radikale wieder nörgeln, wieso denn ein ganz realer Arbeitskampf mit ganz realpolitischen Forderungen unterstützt gehört. Die klassenlose Gesellschaft der Freien sei damit doch nicht erreichbar und man habe es bestenfalls mit moralischer Ökonomie zu tun. Nun, selbige beleidigten auf diese Weise auch die Gelbwesten in Frankreich. Sie wurden stiller als zunehmend Gegenmacht spürbar wurde, neue Forderungen laut wurden, ein Präsident Pläne zur Flucht diskutierte und tatsächlich von einer sozialen Bewegung die Rede sein konnte. Wir sehen uns beileibe nicht in solch einer Situation, aber es sei darin erinnert, dass reale Kämpfe einerseits Lackmustest für Theorie und andererseits, Theorie, Resultat realer Kämpfe ist. Diskutiert, interveniert, kritisiert. Alles ist sinnvoller als im Kreise der Immergleichen zu abstrahieren oder solidarische Insta-Stories zu tippen.
Und Streiks tun weh. Bereits in dieser frühen Phase werden Stimmen laut, die das Streikrecht einschränken und es ihren Klassenverbündeten in Großbritannien gleich tun wollen. So möchte die Mittelstandsunion der CDU mindestens 4 Tage Vorlaufzeit für angekündigte Streiks und nur nach „verbindlich abgeschlossenen Schlichtungsverfahren“. Dessen Vorsitzende Gitta Connemann ist sich nicht zu blöd dafür, den Streikenden vom Flugpersonal, parallel zur Sicherheitskonferenz, Schützenhilfe für Putin zu unterstellen. Doch findet solch eine Delegitimierung von Arbeitskämpfen nicht nur auf politischer Ebene statt: auch zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen kommt es nicht selten zu einer Entsolidarisierung mit den Streikenden. Der Grund hierfür ist nicht nur die unmittelbare Betroffenheit als Pendler:in im Nahverkehr, als Elternteil mit Betreuungsbedarf in Kita und Hort, oder als Kundschaft in diversen Dienstleistungssektoren. Wenn das DHL-Paket nicht rechtzeitig ankommt, der Müll sich vor der Haustür stapelt oder keine Alternativbetreuung für das Kind gefunden wird, stoßen die Streikenden mit ihren Forderungen auf Unverständnis. Man verdiene doch sowieso schon mehr als andere oder es könne ja noch viel schlimmer sein, wird häufig argumentiert. Diesem Kampf um die letzten paar Krümel gilt es zu begegnen und zu trotzen. Den Vorwurf, nicht im Sinne des Gemeinwohls zu agieren, nehmen wir achselzuckend zur Kenntnis. Denn wir sehen: die Sorge ist groß. Die Warnstreiks verlassen bereits jetzt die ritualisierten Abläufe der vergangenen Jahre. Man wartet nicht mehr. Zeit also, aktiv zu werden.
Wir sind selbst eine Gruppe von streikenden Erzieher:innen. Bei alldem Kampfgeist wissen wir um die bürokratischen Gewerkschaftsstrukturen. Sozialpartnerschaft ist nicht zu leugnen und mit welchen Gehältern einige gewerkschaftliche Expert*innen ihr Dasein fristen, ist für uns nicht erklärbar. Ungeachtet der Tatsache, dass diese selten bis nie im Beruf standen und eine rein akademische Ausbildung vorzuweisen haben. Allein bei Aussagen der DGB-Chefin Fahimi fragt man sich, wozu der monatliche Beitrag taugt, wenn die Interessen des Kapitals offensichtlich wichtiger sind? Das soll und muss kritisiert werden. Doch hier fehlt ehrlicherweise auch der Mut und die ziemlich durchchoreografierten Warnstreiks werden passiv zur Kenntnis genommen. Wir müssen selber das Tempo bestimmen. Müssen Demozüge zu einem Ort der Wut machen. Keine geballten Fäuste in der Tasche, sondern zuschlagen, wo es weh tut.
Wir denken, da draußen gibt es immer noch Leute, die solidarisch sind. Die Konflikte nicht meiden, sondern an diesen wachsen. Die gegenseitige Hilfe praktizieren, ohne selbst einmal davon betroffen zu sein. Diese laden wir ein. Unterstützt den Kampf der Streikenden.