Leipzig: Hitziger Wortwechsel bei Demo vor Flüchtlingsunterkunft

Es war laut, aber es gab keine besonderen Vorkommnisse. Eine Kundgebung samt Gegendemonstration fand am Sonntagmittag vor der neuen Flüchtlingsunterkunft in der Stötteritzer Kolmstraße statt. Beide Seiten redeten gar nicht miteinander – oder aneinander vorbei.

Leipzig. Am Anfang schien es, als würde die Polizei die stärkste Teilnehmergruppe darstellen. 70 bis 80 Bürgerinnen und Bürger aus Stötteritz zogen am Sonntagmittag vor die neuen Notunterkünfte für Geflüchtete an der Ecke Kommandant-Prendel-Allee/Kolmstraße, die im März in Betrieb gehen sollen. Unter den Demonstranten waren viele mittleren Alters, die Bedenken zu den Unterkünften eint. Und die das Gefühl haben, sie würden von Politik und Öffentlichkeit stumm geschaltet oder in die rechte Ecke abgeschoben. Daher das Motto ihrer Kundgebung: „Dialog und Miteinander statt Hass und Hetze! Wir brauchen gesellschaftlichen Diskurs!“

Trommler und Sprechchöre bei den Gegendemonstranten

Ein Teilnehmer hatte ein Plakat dabei. „Diskutieren statt als ,rechts‘ abgestempelt werden“, stand darauf. Das zielte auf die Gegendemonstranten, die sich wenige Meter weiter versammelt hatten – etwa 60 bis 70 Mitglieder der Initiativen „Stötteritz Nazifrei“, „Leipzig nimmt Platz“ und der Internationalen Jugend Leipzig. Vorwiegend schwarz gekleidete junge Leute, die in Sprechchören riefen: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ oder „Refugees are welcome here“. Laute Unterstützung bekamen sie von einer Trommlergruppe.

Die Rhythmusmusiker überlagerten akustisch die Kundgebung der Anwohnerinnen und Anwohner. Dennoch griffen einige Stötteritzer vor der Schwimmhalle Südost zum Mikrofon. „Die nicht vorhandene Information durch die Stadt ist für mich das größte Problem“, sagte ein Bürger, der direkt neben den Großraumzelten wohnt. Er habe zuerst gedacht, dort starte ein neues Wohnungsbauvorhaben. Vier Zelte stehen schon, sieben Zelte und Container sollen es werden – mit Platz für bis zu 330 Menschen.

Anwohner sorgen sich um ihre Sicherheit

Ein 54-jähriger Mann aus der Kolmsiedlung fürchtet, dass die Stadt nicht ausreichend Personal hat, um Flüchtlinge aus 30 verschiedenen Nationen vernünftig betreuen zu können. „In einer Demokratie muss jeder seine Meinung vertreten dürfen. Man muss sich doch mit Inhalten auseinandersetzen und nicht mit Vorwürfen“, forderte er. Seine 42-jährige Ehefrau ergänzte: „Wir haben Angst, was da auf uns zukommt.“ Marius Beyer, Stadtrat der AfD, richtete an die Adresse von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) die Forderung: „Er soll gegenüber der Landesdirektion sagen: Wir können nicht mehr, wir brauchen mindestens einen temporären Aufnahmestopp und müssen schneller abschieben.“ Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern sei das Gebot der Stunde.

„Stadt hat die Pflicht, Geflüchtete unterzubringen“

Auch Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek befand sich unter den Gegendemonstranten. Auf Nachfrage sagte er, dass er sich ebenfalls eine frühzeitige und offene Kommunikation der Kommune wünschen würde. Nicht im Sinne von Basisdemokratie, sondern im Sinne von „erklären, was los ist“. Die Unterbringung von Geflüchteten sei eine Pflichtaufgabe, da gebe es keine Bürgerbeteiligung. „Die Stadt bekommt eine festgesetzte Zahl an Menschen zugewiesen und muss sie unterbringen“, betonte er. Der Stadtbezirksbeirat Südost sei – nach einer Vorinformation im Dezember – Anfang Januar offiziell über die Pläne für die Notunterkünfte unterrichtet worden. In diesem Monat gab es in Stötteritz, ebenso wie in Lindenthal, eine Infoveranstaltung für die Bürger. Vor der Eröffnung der Unterkünfte soll es einen Tag der offenen Tür geben.

Ob die Anwohnerinnen und Anwohner ausreichend informiert werden, darüber herrschten am Sonntag an der Kolmstraße verschiedene Meinungen. „Die Ängste kann man nicht einfach wegwischen, darüber muss man diskutieren“, sagte Bernd Ringel, der Anmelder der Stötteritzer Kundgebung. Er glaubt, dass die Stadt Tatsachen schaffe, „damit die Leute nicht wach werden und Fragen stellen. Wer Fragen stellt, wird in die rechte Ecke geschoben.“

Der ehemalige Oberstleutnant, der 37 Jahre Soldat war, ist offenbar die Reizfigur, die die linke Szene auf den Plan ruft. „Er ist ein Wolf im Schafspelz, meldet immer wieder Demonstrationen für alles Mögliche an, läuft auch mal mit Reichsfahne oder Putinfahne herum“, sagte ein Mitglied der Initiative „Stötteritz Nazifrei“. Auch ins gemütliche Stötteritz würden sich Neonazis zurückziehen, ohne dass dies von den Einwohnern registriert werde. Rassistische Umtriebe wolle man aber nicht dulden.

Gespräch zwischen Bernd Ringel und Jürgen Kasek

Dennoch waren es Ringel und einige Vertreter der Stötteritzer Bürger, die im Anschluss an die Kundgebung mit einem Gesprächsangebot auf die Gegendemonstranten zugingen. „Mach dich weg“, bekam Ringel zunächst zu hören. Stadtrat Kasek ging letztlich auf die Offerte ein, es gab einen hitzigen Wortwechsel. Wobei beide Diskutanten in manchen Punkten durchaus übereinstimmten. Rechtsanwalt Kasek kritisierte CDU und AfD, die nur die schnelle Abschiebung Geflüchteter wollten und keine Integration. Geflüchtete dürften nicht arbeiten, obwohl so viele Arbeitsplätze unbesetzt seien. Dies zu ändern, sei allerdings Ländersache. „Warum setzt ihr euch nicht mal an einen Tisch, trinkt ein Bier und quatscht einfach mal?“, fragte Petra Roth (65), Krankenschwester aus Stötteritz. Die Frage, an die Adresse von Kasek und Ringel gerichtet, blieb unbeantwortet.


Kommentar Kerstin Decker

Zeltunterkünfte in Leipzig – warum es Dialog braucht statt Nazi-Vorwürfe

Bürger, die sich Sorgen machen, sind nicht automatisch Nazis. Einander zuhören, diskutieren, sich mit anderen Positionen auseinandersetzen, das kann mühsam und frustrierend sein. Doch verhärtete Fronten lassen sich nur im Dialog aufbrechen, meint LVZ-Reporterin Kerstin Decker.

Erschreckend verhärtet sind in Leipzig die Fronten. An der Kolmstraße in Stötteritz standen sich am Sonntag Anwohner und Gegendemonstranten gegenüber. Die einen haben Bedenken wegen der neuen Notunterkünfte für Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft, die anderen riefen ihnen zu: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda.“

Man hatte den Eindruck, da laufen zwei völlig verschiedene Kundgebungen, die nichts miteinander zu tun haben und an getrennten Orten hätten stattfinden können. Beide Lager sprachen nicht miteinander. Und wenn sie es taten, redeten sie aneinander vorbei. Bürger, die sich Sorgen machen und die Einwände haben, sind nicht automatisch Nazis. Sie haben Gesprächsbedarf, haben vielleicht nicht alle Informationen zum Sachverhalt. Dass die Stadt keine Zeit hat, eine Pflichtaufgabe so lange zu diskutieren, bis auch der letzte Leipziger überzeugt ist, ist hingegen auch verständlich. Und natürlich darf jede(r) gegen Nazis demonstrieren. Auch das ist gutes demokratisches Recht.

„Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen. Wir hören zu, um zu antworten“ – dieser Spruch kursiert in den sozialen Netzwerken. Jemanden als Nazi zu bezeichnen, das geht leicht. Man könnte ihn aber auch fragen, was seine Sorgen sind, welche Befürchtungen ihn umtreiben. Im Dialog würden beide Lager sogar herausfinden, dass sie in vielen Punkten übereinstimmen: Zeltunterkünfte sind nicht menschenwürdig, Geflüchtete sollen arbeiten dürfen, Fluchtursachen müssen bekämpft werden.