„Kaum noch freie Plätze“ – Ex-Flughafenhotel als Notquartier? Rund um Leipzig werden Flüchtlingsunterkünfte knapp

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen fehlen den Landkreisen rund um Leipzig Kapazitäten für die Unterbringung. Im „Geisterort“ Kursdorf in Schkeuditz etwa könnten Menschen in einem früheren Flughafen-Hotel unterkommen. In Markranstädt gibt es derweil nicht mehr genug Kita-Plätze.

Schkeuditz/Markranstädt/Markkleeberg/Taucha. Das „Friendly Hotel“ am Flughafen Leipzig/Halle war einst bei Reisenden beliebt, die vor dem Abflug eine Nacht am Airport verbringen wollten. Davon zeugen noch die Bewertungen im Internet: Auf eine Weiterempfehlungsquote von 100 Prozent kommt die Ex-Unterkunft in einem Online-Vergleichsportal. Seit Jahren hat hier aber niemand mehr geschlafen. Das Hotel auf der Gemarkung von Schkeuditz-Kursdorf ist geschlossen, befindet sich seit 2015 im Besitz des Landkreises Nordsachsen.

Der Kreis ist es auch, der für das „Friendly Hotel“ eine neue Verwendung ins Spiel bringt: Er hat das Hotel aktuell „als potenzielle Notunterkunft für 36 Personen eingeplant“, wie es seitens des nordsächsischen Landratsamtes heißt. Wann Flüchtlinge dort unterkommen, ist noch nicht absehbar: Derzeit werde geprüft, „was baulich an den Räumlichkeiten gemacht werden müsste“, teilt die Behörde auf LVZ-Anfrage mit. Die ehemalige Herberge böte jedenfalls die Möglichkeit, Flüchtlinge „zeitlich begrenzt“ unterzubringen – auch wenn es sich hierbei nur um einen kleinen Beitrag zur Bewältigung einer großen Herausforderung handelt.

Die mögliche Verwendung des Hauses als Notunterkunft zeigt, wie händeringend die Behörden auch in der Region Leipzig nach Kapazitäten für Flüchtlinge suchen. Die Bundesinnenministerin hat für diesen Donnerstag einen Krisengipfel angesetzt, Vertreter von Landkreisen und Kommunen melden sich seit Wochen deutschlandweit zu Wort – und berichten, die Kapazitäten seien erschöpft. Der Freistaat Sachsen etwa hat im vergangenen Jahr mehr Menschen aufgenommen als 2015 – Geflohene aus der Ukraine inbegriffen. Veronika Müller, stellvertretende Geschäftsführerin des Sächsischen Landkreistages, betont, dass es immer schwieriger werde, „akzeptierte und überhaupt geeignete Unterkünfte zu finden“.

Zahl geflüchteter Menschen steigt kontinuierlich

Zudem konstatieren die Städte und Gemeinden am Rande von Leipzig einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl geflüchteter Menschen. Beispiel Markranstädt: In der Gemeinschaftsunterkunft wohnen derzeit 127 Menschen, hinzu kommen 61 Personen, die in Wohnungen leben. Vertriebene aus der Ukraine sind hier nicht einberechnet – das sind 102 weitere Personen. Beispiel Markkleeberg: Dort leben 45 geflüchtete Menschen in Wohnungen, aus der Ukraine sind es 229 Personen. In Schkeuditz wohnen 59 Asylbewerber und Geduldete sowie 170 Vertriebene aus der Ukraine.

„Landkreis streckt Fühler in alle Richtungen aus“

Nach den Worten des Schkeuditzer Oberbürgermeisters Rayk Bergner (CDU) streckt der Landkreis Nordsachsen bei der Suche nach Wohnmöglichkeiten „die Fühler in alle Richtungen aus“. So kämen alle Optionen, die sich auch nur ansatzweise als denkbar erwiesen, auf den Tisch.

Bergner sagt, er und seine Kollegen seien sich bewusst, dass „auch die gesellschaftliche Akzeptanz Grenzen kennt“. Ausdrücklich distanziert sich der Schkeuditzer Rathaus-Chef von Ereignissen wie im nordsächsischen Laußig, wo verbale Attacken gegen den Bürgermeister Empörung ausgelöst hatten. „Ich persönlich distanziere mich davon, wenn Landräte oder Bürgermeister angegriffen werden – verbal und körperlich. Das sind Dinge, die gehen nicht.“

Die potenzielle Unterkunft am Flughafen bezeichnet der Schkeuditzer Rathauschef als geeignet. „Das Gebäude lässt sich nutzen. Das Argument, die Menschen seien in Kursdorf im Niemandsland, gilt nicht“, findet er. Eine S-Bahn-Haltestelle am Airport sei fußläufig gut zu erreichen – und damit auch die Anbindungen nach Halle, Leipzig oder Schkeuditz.

In Markranstädt werden die Kita-Plätze knapp

Allerdings sieht OBM Bergner auch im Hinblick auf die Infrastruktur begrenzte Möglichkeiten. „Wir brauchen händeringend Wohnungen. Es gibt einen Wettbewerb um den Wohnraum – wir können Wohnungen ja auch nicht zaubern.“

Wohnraum, der in den vergangenen Jahren auch im Leipziger Speckgürtel knapper geworden ist, bleibt nicht die einzige Herausforderung. In Markranstädt etwa bezeichnet Bürgermeisterin Nadine Stitterich (parteilos) die Lage in den Kindertagesstätten als „sehr angespannt“. Aktuell könne nicht für jedes Kind unter 6 Jahren ein Kindergartenplatz zur Verfügung gestellt werden. „Gerade zur Integration der geflüchteten Kinder wäre das aber wichtig“, sagt sie.

Weitere Sammelunterkünfte sind derzeit nicht geplant

Die Stadt arbeite bereits „mit Hochdruck“ an einer Kita-Erweiterung, im Frühjahr 2024 stünden in der Tagesstätte Weißbachzwerge dann weitere 30 Krippenplätze zur Verfügung, erläutert Nadine Stitterich. In einer geplanten Kindertagesstätte am Kulkwitzer See sollen weitere 120 Plätze entstehen. „Bis zur Realisierung bleibt die Situation aber leider weiterhin angespannt“, betont die Markranstädter Bürgermeisterin.

In den anderen Umland-Kommunen scheint es bisher keine konkreten Pläne für weitere Flüchtlingsunterkünfte zu geben – abgesehen vom ehemaligen Hotel am Flughafen. In Taucha zum Beispiel, teilt das nordsächsische Amt für Migration und Ausländerrecht mit, würden „fortlaufend geeignete Standorte besichtigt und geprüft“. Eine Nutzung der bisher unter die Lupe genommenen Objekte werde aber nicht mehr verfolgt. Vom Landkreis Leipzig heißt es, dass in Markkleeberg, Markranstädt und Zwenkau derzeit keine Planungen für Gemeinschaftsunterkünfte verfolgt würden. Wenngleich betont wird: „Auch im Landkreis Leipzig haben wir kaum mehr freie Unterbringungskapazitäten.“

Derweil hat die Belegung der Erstaufnahmeeinrichtung in Schkeuditz-Dölzig zugenommen. Nach Angaben der Landesdirektion Sachsen sind in dem Ortsteil der Flughafenstadt aktuell 472 Asylsuchende untergebracht, womit die Einrichtung an der Autobahn 9 zu rund 60 Prozent belegt ist. Im Oktober lebten in der Erstaufnahmeeinrichtung rund 80 Personen weniger – wobei die Belegung Schwankungen unterliegt.

Für den Schkeuditzer Oberbürgermeister Bergner ist die Erstaufnahme in Dölzig denn auch ein Beleg dafür, dass Flüchtlingsunterbringung funktioniert: Die Einrichtung sei „sehr gut geführt“. Auch sei die Akzeptanz der Bevölkerung gegeben: „In Schkeuditz und in der Region hat man sich mit der Einrichtung abgefunden. Und in Dölzig merkt man keine negativen Auswirkungen.“

Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass es in den Unterkünften nicht immer ruhig bleibt: Laut Polizei kommt es in Erstaufnahmeeinrichtungen „hin und wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen“ unter den Bewohnern – in Dölzig etwa im vergangenen Sommer bei einem gewaltsamen Zwischenfall am Einlass der Einrichtung.


Zwischenfall bei Einlasskontrolle – Gewalt in Dölziger Asylunterkunft: „Rassismus gibt es auch innerhalb Afrikas“

Ein Nigerianer wird von einem Security-Mann in der Erstaufnahmeeinrichtung Dölzig verletzt. Opfer und Flüchtlingsrat sprechen von einem rassistischen Tatmotiv. Aber war das wirklich so?

Leipzig. „Sie wussten, was sie taten. Das waren Rassisten.“ Osaro O. ist sich sehr sicher, was am 30. Mai 2022 in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in der Dölziger Westringstraße passiert ist. Der 27-jährige Nigerianer behauptet, von einem Security-Mitarbeiter aus rassistischen Motiven krankenhausreif geprügelt worden sein, ein Augenhöhlenbruch und die Verletzung des Augapfels seien die Folgen gewesen. LVZ-Nachfragen ergaben nun: Der beschuldigte Sicherheitsmann ist selbst Afrikaner, stammt aus dem Senegal und soll bis vor Kurzem ebenfalls Asylbewerber gewesen sein. Wie passt das zusammen?

Die Nachricht von einem mutmaßlich rassistischen Übergriff des Sicherheitsdienstes wird zunächst vom Sächsischen Flüchtlingsrat verbreitet – und erfährt breite mediale Aufmerksamkeit. Demnach schlägt der Metalldetektor an, als Osaro O. an jenem Abend die Einlasskontrolle der Flüchtlingsunterkunft passieren will. Nachdem er Handy und Portemonnaie aus den Hosentaschen geholt hat, habe der Detektor erneut reagiert. Kurz darauf soll die Security – ein Subunternehmen des eigentlichen Sicherheitsdienstes – ihn fixiert und ein Mitarbeiter ihm ins Gesicht geschlagen haben. „Es geschah aus dem Nichts“, wird Osaro O. vom Flüchtlingsrat zitiert. „Ich bin ein friedlicher Mensch und wurde komplett ohne Grund zusammengeschlagen.“

Aber ist das wirklich so passiert? Die Behörden haben daran zunehmend Zweifel. „In den Einzelheiten unterscheidet sich die uns vorliegende Darstellung des Vorgangs deutlich von der des Flüchtlingsrates“, teilt Ingolf Ulrich von der Landesdirektion Sachsen auf Anfrage mit. „Da die Polizei den Vorgang aufgenommen hat, sind deren Ermittlungsergebnisse und daraus möglicherweise resultierende Konsequenzen abzuwarten.“

„Wechselseitig begangene Körperverletzungen“

Die Polizei spricht von „wechselseitig begangenen Körperverletzungen“. Auch der Security-Bedienstete (40) habe dabei leichte Blessuren erlitten, der Nigerianer sei hingegen ambulant versorgt worden. „Es wurden vor Ort zwei Körperverletzungsdelikte aufgenommen, in welchen die beiden Beteiligten je einmal Tatverdächtiger und einmal Geschädigter sind“, so Polizeisprecherin Dorothea Benndorf. „Die Ermittlungen dazu sind noch nicht abgeschlossen, sodass zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Angaben gemacht werden können.“ Auch nicht dazu, ob das mutmaßliche Opfer Osaro O. womöglich zuerst gewalttätig geworden sein könnte, wie das Zeugenaussagen nahelegen sollen.

Obwohl also noch gar nicht klar ist, was an der Wache der Erstaufnahme konkret geschehen ist, hat der Sächsische Flüchtlingsrat bereits politische Forderungen damit verknüpft. „Der Vorfall beweist, dass staatliche Aufgaben wie die Beherbergung von Asylsuchenden nicht einfach an private Sicherheitsbetriebe ausgelagert werden können“, so Sprecher Dave Schmidtke. Der Verein setze sich generell für eine dezentrale Unterbringung Schutzsuchender ein. Gerade die Unterkunft in Dölzig stehe seit Jahren in der Kritik von verschiedenen Hilfsorganisationen und den Bewohnern selbst. So sei die Einrichtung angeblich zu voll. Informationen der Landesdirektion zufolge war die 700 Plätze fassende Erstaufnahme Ende Juni mit gerade mal 357 Personen belegt.

„Schwarze Community von arabischen Geflüchteten diskriminiert“

Unabhängig von der Belegung scheinen die Zustände in den Unterkünften tatsächlich schwierig zu sein. Sicherheitsdienste sind nach Behördenerkenntnissen dabei eher nicht das Problem. „Hin und wieder kommt es in Erstaufnahmeeinrichtungen zu körperlichen Auseinandersetzungen, die jedoch meist unter den Bewohnern stattfinden“, berichtet die Polizeisprecherin. „Eine weitere Auseinandersetzung mit der Security ist uns aus diesem Jahr nicht bekannt.“ Laut Landesdirektion werden die Angehörigen unterschiedlicher Ethnien – insbesondere wenn Konfliktpotenzial bekannt ist – „im Rahmen der Möglichkeiten getrennt voneinander untergebracht“ – entweder in separaten Gebäuden oder Etagen. Ukraine-Flüchtlinge würden beispielsweise in separaten Objekten unterkommen, so Behördensprecher Ulrich.

Auch Osaro O. habe selbst entsprechende Erfahrungen machen müssen, so der Flüchtlingsrat. Nach Angaben des Vereinssprechers berichtete der Nigerianer, dass „die schwarze Community von arabischen Geflüchteten stark diskriminiert wird“. Hinsichtlich des Zwischenfalls am 30. Mai hält Osaro O. am Rassismus-Vorwurf weiterhin fest, als die LVZ auf die afrikanische Herkunft des beschuldigten Security-Mannes hinweist. „Rassismus“, sagt Schmidtke vom Flüchtlingsrat, „gibt es auch innerhalb Afrikas.“