Diskriminierung im Fußball: Symbolpolitik, Ernüchterung und keine echten Antworten
Anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz trafen sich am 27. Januar zahlreiche Diskutanten im Alfred-Kunze-Sportpark um sich über das Thema Diskriminierung im Fußball auszutauschen. Der Tenor war einhellig: Verbände und Vereine sind in der Pflicht, mehr zu tun!
Leipzig. Zuviel Symbolpolitik, keine echten Antworten – so kann das Fazit einer Diskussion zusammengefasst werden, die sich anlässlich des Holocaustgedenktages im Alfred-Kunze-Sportpark mit dem Thema Diskriminierung im Fußball beschäftigte. Es passiere jeden Tag und werde kaum sanktioniert. Vorschläge aus der Runde kompetenter Gesprächspartner: Auch die Funktionäre in den Verbänden sollten geschult werden, weil von dort viel zu wenig komme, um gegenzusteuern. Das Thema müsse an die Schulen sowie in die Trainerausbildung.
Jeder kennt es und musste es schon miterleben und anhören: Wenn im Fußball-Stadion die andere Seite beleidigt werden soll, werden dafür meist stumpfe Stereotype verwendet. Juden, Andersfarbige und Sexuell Andersorientierte müssen dafür herhalten und werden aufs übelste diskriminiert. Einer, der das zur Genüge kennt, ist Amin Belhadj. Der 22-Jährige mit algerischen Wurzeln spielte bis vor kurzem in der U23 der BSG Chemie, ist ein Internetstar und wiegt 215 Kilogramm. Aufgrund einer Stoffwechselerkrankung nimmt er immer weiter zu. Bedrückend, was er zu erzählen hat: „Unvorstellbar, was ich mir aufgrund meiner Statur anhören musste, welche Beleidigungen und Schimpfwörter“, erzählt er. Und das seit seinem 6. Lebensjahr. Das Schlimmste: „Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hat auch nur ein einziger Schiedsrichter dem Einhalt geboten.“
Zahlreiche Fälle antisemitischer Beleidigungen auf dem Spielfeld
Ähnliche Erfahrungen machen Sportler in Vereinen mit jüdischen Wurzeln wie Maccabi Berlin oder Frankfurt. Dr. Yuval Rubovitch, der per Videoschalte aus Israel zugeschaltet wurde, aber ansonsten in Leipzig lebt, schilderte, welch üblen Anwürfen die Kicker aus jenen Vereinen ausgesetzt sind: „Da gibt es viele Fälle antisemitischer Beleidigungen von Spielern, Eltern und sogar Trainern. Wenn das von denen schon kommt, ist es für die Fans dann auch in Ordnung, sich so zu äußern“. Sebastian Rudolph vom Familienverein Tüpfelhausen, der die Veranstaltung unter dem Namen „Fußball als Plattform der Erinnerung“ gemeinsam mit der BSG Chemie organisierte, brachte ein Beispiel aus der unmittelbaren Nachbarschaft.
Am 14. Mai 2022 spielten in der Landesklasse Nord die B-Junioren der BSG Chemie beim SV Blau-Weiß Bennewitz. Das Spiel wurde in den letzten Minuten durch das Leipziger Trainerteam um Sven Schlüchtermann abgebrochen, weil es eine rassistische Äußerung eines Bennewitzer Spielers in Richtung eines Chemikers gegeben hatte. Die Bennewitzer dementierten, es stand Aussage gegen Aussage. Das Spiel wurde 2:0 für Bennewitz gewertet, der Spieler des Heimteams wurde aufgrund fehlender Zeugen vom „Vorwurf der rassistischen Beleidigung vollumfänglich freigesprochen“, war im Urteil zu lesen. Schlüchtermann wurde wegen des von ihm herbeigeführten Spielabbruchs für acht Wochen gesperrt und mit einem Innenraumverbot auf Bewährung belegt. 150 Euro Strafe ergingen an Chemie.
Konsequente Aufarbeitung ist eher die Ausnahme
Ähnliches passiert jedes Wochenende, nur ohne solch drakonische Konsequenzen – aktenkundig ist auch eine Begegnung der C-Jugend des ATSV Frisch Auf Wurzen gegen den VfB Fortuna Chemnitz vom 17. Mai 2007, als der Linienrichter sich die schlimmsten verbalen Entgleisungen notierte und anschließend Anzeige bei der Polizei erstattete. 14-jährige (!) Nachwuchsspieler hatten ihre Gegenspieler auf das übelste beleidigt, von den Rängen brüllte eine alkoholisierte Gruppe schlimmste Beleidigungen gegen Juden und Ausländer. Wurzen wurde zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt. Die Mannschaft der Landesliga C-Junioren wurde für das nächste Pflichtspiel gesperrt und bekam drei Punkte Abzug in der laufenden Meisterschaftsrunde. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von 480 Euro musste der Verein selber tragen.
Eine seltene Ausnahme konsequenter Aufarbeitung. „Sportgerichtsurteile sind oft sehr frustrierend, wenn, wie in manchen Fällen bereits geschehen, das Ganze als ‚fußballtypisches Verhalten‘ klassifiziert wird“, meint Dennis Schmidt vom IVF (Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball). Der Verein ist seit 10 Jahren in der Antidiskriminierungsarbeit im Fußball aktiv. Mit dem Projekt »Ein Verein für Alle« setzt er explizit auf eine langfristige Zusammenarbeit mit sächsischen Fußballvereinen. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Sensibilisierung der Vereinsmitglieder gegenüber diskriminierendem Verhalten und Vorurteilen im Fußball sowie ein Austausch über Gegenstrategien.
Die Kritik an den Verbänden untermauert Schmidt: „Der Sächsische Fußballverband macht nur so viel, wie er gerade muss. Selbstinitiativ ist man dort eher nicht“. Und er berichtet davon, wie der lange Kampf um die Aufnahme eines Workshops zur Antidiskriminierung in die Trainerausbildung trotzdem noch scheiterte.
Der Fußball kann nicht unpolitisch sein
„Die Hintergründe sind oft komplex. Die Kabine ist ein Ort der Vertrautheit, ein Rückzugsort aus dem normalen gesellschaftlichen Leben, an dem Dinge toleriert werden, die man sonst nicht sagen kann. So wird das salonfähig“, meinte Gregor Schönecker vom Fanprojekt Leipzig. Die Verbände wollten zu oft eine unpolitische Haltung einnehmen, was sie aber gar nicht könnten, weil es der Lebensrealität eben gar nicht entspräche. „Dass Fankurven selbstregulierend unterwegs sind, ist doch eher selten. Die Vereine müssen den Anstoß geben“, so Schönecker. Besonders im ländlichen Bereich mangele es oft an der entsprechenden Erinnerungskultur. Und bei kleineren Vereinen mangele es oft an den Ressourcen. Deshalb, so regte Schönecker an, müsse man bereits in den Schulen ansetzen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Und er ging noch weiter: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass auch eine Schulung in den Verbänden nötig ist. Da ist oft viel mehr Wissen notwendig“.
Das interkulturelle Begegnungsfest, das Tüpfelhausen seit acht Jahren organisiert, sei ein gewichtiger Beitrag, so Sebastian Rudolph. Jugendliche aus verschiedenen Ländern treffen sich alljährlich zum gemeinsamen Kennenlernen und Fußballspielen bei einer der größten Jugendbegegnungen Deutschlands. Auch Überlebende des Holocausts sind dabei anwesend, um ihre Erfahrungen zu teilen. Das wirke mehr als alle Preise und Sonntagsreden.
Am Ende war sich die Runde einig: es gibt zu viel Symbolpolitik und zu wenig Antworten. Die Arbeit an der Basis muss dringend verstärkt werden, um Ergebnisse zu erzielen. Eine große Aufgabe allemal.