Leipziger Eisenbahnstraße: Freispruch nach Angriff mit Dönermesser

Beinahe wäre ein Mann am helllichten Tag in der Eisenbahnstraße durch einen Angriff mit einem Dönermesser getötet worden. Doch der Prozess gegen den angeklagten Iraker endete mit einem Freispruch. Zu viel stimmte in diesem Verfahren ganz und gar nicht.

Leipzig. Eindeutige Spuren fehlten, Zeugen blieben zweifelhaft und nicht einmal das Opfer wollte bereitwillig aussagen: Nach einer lebensbedrohlichen Attacke mit einem Dönermesser am helllichten Tag in der Leipziger Eisenbahnstraße ist der Angeklagte am Dienstag freigesprochen worden. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft dem Iraker Ahmad O. (25) ursprünglich versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

In der Anklage war die Behörde davon ausgegangen, dass Ahmad O. am 1. August 2020 gegen 13.10 Uhr seinen Kontrahenten Ammar A. im Freisitz eines Bistros mit einem 80 Zentimeter langen Dönermesser attackiert haben soll. Zunächst habe er ihm einen Hieb auf den Rücken versetzt, dann mit einer Schlagbewegung von oben nach unten den Hals seines Widersachers angegriffen. Ammar A. konnte den Angriff mit dem gewaltigen Messer mit seiner linken Hand abwehren, zog sich dabei allerdings eine tiefe Schnittwunde an dieser Hand zu. Ohne diese Abwehrbewegung im letzten Moment, da war sich das Gericht sicher, wäre Ammar A. bei dem Angriff wohl getötet worden.

Zeugen mussten von Polizei vorgeführt werden

Es ging also um schwerste Tatvorwürfe in dem seit August vorigen Jahres laufenden Prozess. Doch die 16. Strafkammer konnte trotz 20 Zeugen und mehrerer Sachverständiger nicht genügend Anhaltspunkte für einen sicheren Tatnachweis finden. Nach Auffassung des Gerichts waren bereits die Ermittlungen problematisch. So sei die Tat zehn Monate lang nicht als versuchtes Tötungsdelikt bearbeitet worden, sondern vom zuständigen Polizeirevier lediglich als Körperverletzung, woraus gewisse Defizite resultierten.

„Objektiv fehlt es hier an so ziemlich allem“, konstatierte der Vorsitzende Richter Hans Weiß. Es lägen keine Aufzeichnungen von Überwachungskameras vor, es gebe keine Dokumentation von Notrufmitschnitten und keine Funkzellenauswertung. Auch Spuren am Tatort seien nicht gesichert worden, musste selbst Staatsanwalt Torsten Naumann einräumen.

Auf Zeugenaussagen konnte das Gericht ebenfalls nicht bauen. „Die Tat ereignete sich zur Mittagszeit auf offener Straße. Zu dieser Zeit befanden sich jede Menge Personen auf der Eisenbahnstraße, aber kaum jemand hat sich als Zeuge zur Verfügung gestellt“, schilderte der Vorsitzende Richter. Teilweise hätten mögliche Beobachter der Tat polizeilich vorgeführt oder mit Ordnungsgeldern belegt werden müssen, um sie im Prozess vernehmen zu können.

Überdies blieben viele Aussagen widersprüchlich. Ein Bekannter des Opfers, der bei der Tat anwesend war, konnte sich im Prozess nur noch an das viele Blut erinnern. Während er bei der polizeilichen Vernehmung den maskierten Angreifer noch eindeutig identifizierte, ihn an Stimme, Augen und Haaren wiedererkannte, war er sich vor Gericht plötzlich nicht mehr sicher. Auch das Opfer selbst berief sich zunächst auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Gegen ihn ist Gerichtsangaben zufolge ein Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten in Dresden anhängig. Später erinnerte er sich zumindest an das Dönermesser, machte aber keine Angaben zum Täter.

Staatsanwalt: „Szenetypische Konfliktlage“

Mithin blieben die Hintergründe der Bluttat unklar. Allerdings soll der Angeklagte in die Drogenszene verstrickt sein. Wie vor Gericht bekannt wurde, sitzt er derzeit wegen eines Rauschgiftdelikts in Haft. Staatsanwalt Naumann sprach von einer „szenetypischen Konfliktlage“. Aber auch ihm blieb nichts anderes übrig, als auf Freispruch zu plädieren. Wie auch Verteidiger Carsten Brunzel, der in dem Fall „viele Ungereimtheiten“ ausmachte.

Beim Gericht blieben zum Schluss ein ungutes Bauchgefühl, aber eben auch erhebliche Zweifel. Der Vorsitzende Richter zitierte den norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen: „Glück ist zuerst und vor allen Dingen das stille, frohe, sichere Gefühl der Schuldlosigkeit.“ Dieses Gefühl, sagte Weiß, habe sich am Ende der Beweisaufnahme nicht eingestellt. „Wir sind nicht glücklich.“


24.08.2022

Versuchter Totschlag mit Dönermesser – Spur führt in Leipziger Drogenszene

Mit einem gewaltigen Dönermesser soll ein Mann in der Eisenbahnstraße auf einen Kontrahenten losgegangen sein. Seit Mittwoch rollt das Landgericht den Fall auf. Doch die Beteiligten wollen nichts sagen.

Leipzig. Es waren dramatische Szenen, die sich im Sommer vor zwei Jahren in der Leipziger Eisenbahnstraße abspielten. Am helllichten Tag wurde ein Mann auf offener Straße mit einem Dönermesser angegriffen und beinahe getötet. In höchster Not konnte er sich in ein Bistro retten. Beim Prozessauftakt am Mittwoch im Landgericht wurde klar: Die Spur führt möglicherweise in die Drogenszene.

Nach Überzeugung der Ermittler handelt es sich bei dem Angreifer um Ahmad O. (25). Die Staatsanwaltschaft Leipzig wirft dem Iraker versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor. Laut Anklage soll er am 1. August 2020 gegen 13.10 Uhr seinen Kontrahenten Ammar A. mit einem 80 Zentimeter langen Dönermesser attackiert haben. Zunächst habe er ihm einen Hieb auf den Rücken versetzt, dann mit einer Schlagbewegung von oben nach unten den Hals seines Widersachers angegriffen.

Angeklagter schweigt zu Tatvorwürfen

Ammar A. konnte den Angriff mit dem gewaltigen Messer mit seiner linken Hand abwehren, zog sich dabei allerdings eine tiefe Schnittwunde an dieser Hand zu. Auch am Rücken erlitt er Verletzungen. Nach Einschätzung der Anklagebehörde hatte das Opfer Glück, dass nichts Schlimmeres passierte. „Dem Angeklagten war bewusst, dass ein derartiger Hieb mit einem solchen Dönermesser gegen den Hals dazu geeignet ist, todbringende Verletzungen hervorzurufen“, sagte Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit. Ammar A. rettete sich der Anklage zufolge in ein nahe gelegenes Bistro.

Ahmad O., der sich gegenwärtig wegen einer anderen Straftat in Haft befindet, schwieg beim Prozessauftakt zu den Anklagevorwürfen gegen ihn. „Zum jetzigen Zeitpunkt wird er keine Angaben machen“, erklärte sein Verteidiger Carsten Brunzel. Auch das Opfer der Messerattacke scheint wenig mitteilsam zu sein. Nach Angaben des Gerichts teilte die Anwältin von Ammar A. mit, dass ihr Mandant sich umfassend auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufe. Laut Strafprozessordnung darf jeder Zeuge die Auskunft auf solche Fragen verweigern, bei deren Beantwortung ihm oder Angehörigen die Gefahr drohen würde, selbst wegen einer Straftat ins Visier der Ermittler zu geraten.

Auch gegen Opfer wird ermittelt

Womöglich steht auch dieser blutige Zwischenfall im August 2020 im Zusammenhang mit der in der Eisenbahnstraße ansässigen Drogenszene. Das Areal im Leipziger Osten gilt seit Jahren als Kriminalitätshotspot. Während der Verhandlung am Mittwoch wurde bekannt, dass gegen das Messer-Opfer selbst ein Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten in Dresden anhängig ist. Aktuell sitzt der Mann bereits hinter Gittern. Dies war zunächst nicht bekannt, daher erschien Ammar A. auch nicht wie geplant am ersten Verhandlungstag zur Zeugenvernehmung in Leipzig.

Bis Mitte Oktober will die 16. Strafkammer in diesem Fall verhandeln. Fünf Prozesstage sind dafür bislang vorgesehen. Ob andere Zeugen in diesem Verfahren eine größere Aussagebereitschaft zeigen, gilt aktuell zumindest als fraglich.