(1) Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen: „Rechts rockt nicht!“

Im Rahmen der Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen waren wir heute u.a. in Staupitz. Hier wurde durch Antifas folgender Flyer an Anwohner*innen verteilt:

 

Rechts rockt nicht!

Liebe Anwohnerinnen und Anwohner,

Sie wissen es sicher selbst: Seit 2008 finden im »Alten Gasthof Staupitz« regelmäßig Neonazi-Konzerte statt. Wahrscheinlich haben Sie sich bereits daran gewöhnt. Wir möchten Ihnen dennoch die Bedeutung dieses Ortes vor Augen führen und Sie ermutigen, dies nicht einfach hinzunehmen. Denn was hier passiert, ist nicht normal.

Was spielt sich hier ab?

Die Konzerte, die hier stattfinden, werden im Verborgenen organisiert und beworben. Dass wir von ihnen wissen, hängt auch damit zusammen, dass sie beim Landratsamt Nordsachsen ganz offiziell angemeldet werden. Zehn Konzerte im Jahr dürfen hier stattfinden, maximal 239 Personen sind dabei jeweils erlaubt. Mehr als die Hälfte aller Neonazi-Konzerte in Sachsen seit 2019 fand im »Alten Gasthof Staupitz« statt.

Die Bands, die hier in Staupitz auftreten, tragen Namen wie »Blitzkrieg«, »Deutsch, Stolz, Treue«, »Heiliger Krieg«, »Kraft durch Froide«, »Leibstandarte« oder »Überzeugungstäter«. Die slowakische Band »Kratky Proces«, die am 14. März 2020 hier auftrat, hieß früher »Judenmord«.

Die auftretenden Bands und die Namen der hier gespielten Lieder werden zwar vorab dem Landratsamt Nordsachsen vorgelegt. Doch die Konzerte sind geschlossene Veranstaltungen, zu denen nur in eingeweihten Kreisen eingeladen wird. Die Eindrücke, die dennoch nach außen dringen, sind verstörend – sie zeigen auch Hitlergrüße und strafbare Symbole. Weil der Zutritt zu den Konzerten erst ab 18 Jahren erlaubt ist, dürfen auch die zahlreichen als jugendgefährdend indizierten Lieder vieler Neonazi-Bands gespielt werden.

Der »Alte Gasthof Staupitz« ist europaweit eine bekannte Marke in der Neonazi-Szene. Regelmäßig treffen sich hier bis zu 250 Neonazis aus ganz Deutschland und den umliegenden Ländern. RechtsRock-Bands aus ganz Europa und sogar den USA und Australien verbreiteten hier bislang ungestört und abgeschottet ihren Hass. Wenn ein Konzert andernorts nicht stattfinden kann – in Staupitz klappt es immer. Darauf verlassen sich auch Bands aus der Ferne, denen hier in »Mitteldeutschland« ein sicherer Hafen in vertrauter Runde gewiss ist. So kündigte das britische RechtsRock-Urgestein »Brutal Attack« im Sommer 2020 ein Konzert an, mit dem man im »Alten Gasthof Staupitz« das vierzigjährige Bandjubiläum zelebrieren wollte. Aufgrund der Vorschriften zur Eindämmung der Corona-Pandemie fiel dieses Konzert jedoch aus. Auch die Neonazi-Band »Endstufe« feierte ihr vierzigjähriges Bestehen im September 2022 nicht etwa in ihrer Heimatstadt Bremen, sondern hier in Staupitz. Gleich an zwei Tagen hintereinander konnten die Neonazis dabei ihrem Hass frönen. Zu dem Konzert war auch eine Band aus den USA eingeladen, auf deren neuesten Fanartikeln der Spruch »Bringing back fascism« prangt – »Wir bringen den Faschismus zurück«. Ein anderes zweitägiges Konzert hatte schon im Juni 2022 stattgefunden.

Die Konzerte im »Alten Gasthof Staupitz« dienen nicht nur der Unterhaltung. Vielmehr ist die Musik ein Kitt der Neonazi-Szene. Konzerte sind Orte der Vernetzung und des Austauschs, sie stärken den Zusammenhalt und helfen beim Aufbau von Strukturen. Alte und junge Menschen werden hier in ihrem menschenverachtetenden Weltbild gefestigt und an Neonazi-Strukturen gebunden. Und natürlich dient der Verkauf von CDs, Bekleidung, Getränken und Eintrittskarten auch der Finanzierung der Szene.

Wer steckt dahinter?

Der wirtschaftliche Aspekt der Konzerte offenbart sich beim Blick auf die Veranstalter. In den Anfangsjahren waren es vor allem Personen aus lokalen Neonazi-Strukturen, die hier Konzerte organisierten. Doch seit einigen Jahren werden praktisch alle Konzerte im »Alten Gasthof Staupitz« von einigen wenigen Neonazis veranstaltet, die aus Cottbus, Oranienburg (Brandenburg) und Chemnitz kommen und seit Jahren im RechtsRock-Geschäft tonangebend sind. Einer der Veranstalter steckt hinter einem weltweit bedeutsamen Neonazi-Versand in Chemnitz. Er ist bestens in der international organisierten »Blood & Honour«-Bewegung vernetzt (die in Deutschland verboten ist) und organisiert seit 2013 unter anderem Konzerte in Staupitz. Ein anderer Veranstalter betreibt in Cottbus ebenfalls einen einflussreichen Versand für Szene-Artikel und Musik. Gemeinsam mit dem Veranstalter aus Oranienburg unterhält er zudem enge Kontakte zu den »Hammerskins«, einer verschworenen, internationalen Neonazi-»Bruderschaft«.

Auch der Sicherheitsdienst an Veranstaltungsabenden liegt in Staupitz in eingespielten Händen: eine kampfsporterfahrene Neonazi-Gruppierung aus dem Spreewald ist seit Jahren dafür zuständig. Anhänger dieser Gruppe waren regelmäßig als Kämpfer auf dem europaweit bekannten Neonazi-Kampfsportturnier »Kampf der Nibelungen« anzutreffen.

Den Besitzer des »Alten Gasthof Staupitz« kennen Sie vermutlich bereits. Er ist ein bekannter Neonazi aus der Region Torgau, für den die Konzerte seit Jahren eine verlässliche Einnahmequelle sein dürften. Bei Veranstaltungen erhält er Unterstützung von seiner Frau und von einzelnen Personen aus Staupitz.

Was können Sie tun?

Dass Neonazis in einem Gebäude seit 14 Jahren ungestört Konzerte veranstalten können, ist bundesweit einzigartig. Dass dieses Gebäude ausgerechnet in Ihrem Ort liegt und Ihre Lebensqualität hier beeinträchtigt, ist ärgerlich.

Doch Bürgerinitiativen aus anderen Regionen zeigen, dass Widerstand gegen Neonazi-Konzerte funktionieren kann. So hat die Bürgerinitiative »Kein Rechtsrock in Nienhagen« dazu beigetragen, dass in dem kleinen Ortsteil der Stadt Schwanebeck im Harz seit 2015 keine RechtsRock-Konzerte mehr stattfinden. Und in der Kleinstadt Ostritz bei Görlitz haben die Initiative »Rechts rockt nicht!« und das »Ostritzer Friedensfest« den Neonazis ihre Konzerte im dortigen »Hotel Neißeblick« vermiest. Dort fand 2019 das bislang letzte RechtsRock-Event statt.

  • https://www.rechtsrocktnicht.org

Für Unterstützung können Sie sich beispielsweise an das Kulturbüro Sachsen wenden. Das Kulturbüro Sachsen e.V. berät und unterstützt seit über 20 Jahren Bürgerinitiativen, Vereine und Kirchgemeinden, die sich gegen Neonazi-Strukturen und für eine aktive, demokratische Zivilgesellschaft einsetzen. Auch Gemeindeparlamente und Stadträte können die Angebote des Kulturbüros in Anspruch nehmen.

  • https://kulturbuero-sachsen.de

Organisieren Sie sich, vernetzen Sie sich, finden Sie Verbündete in Staupitz, Torgau oder Leipzig. Haben Sie Mut, tun Sie sich zusammen und zeigen Sie den Neonazis, dass sie in Staupitz nicht willkommen sind! Sie werden sehen, dass Sie nicht allein sind. Lassen Sie nicht zu, dass Staupitz nur durch Neonazis und deren Konzerte bekannt ist. Bauen Sie öffentlichen Druck auf und appellieren Sie an die Lokalpolitik und das Landratsamt!

Die netten Leute von der Kaffeefahrt, Oktober 2022

Infobox: Was ist RechtsRock?

RechtsRock gibt es seit Ende der 1970er Jahre. Er entstand aus der Skinhead-Kultur in England. Heute ist »RechtsRock« ein Sammelbegriff für alle musikalischen Spielarten aus der Neonazi-Szene. Dies beinhaltet Rock, Balladen, Heavy Metal, Punk, Black Metal, aber auch moderne Stile wie Hip-Hop, Hardcore und Techno. Die Musik ist Mittel zum Zweck, denn sie transportiert lediglich die menschenverachtende Ideologie und ruft zur Hass und Gewalt gegen all diejenigen auf, die nicht ins Bild der Neonazis passen – aufgrund von Herkunft, politischer Einstellung oder Sexualität.