Bericht vom 66. Prozesstag – Mittwoch, 21.09.2022
Bericht vom 66. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 21.09.2022
Am 66. Prozesstag wurde es schon fast eng im Saal. Die Nebenklage war zahlreich vertreten durch die Anwälte Arndt Hohnstädter, Michael Hentze und Manuel Kruppe und sie teilten sich die Bank mit Enrico Böhm, welcher am 22. August unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde und als Nebenkläger im hiesigen Verfahren auftritt. Hinzu kam eine Praktikantin des Gerichts und Johannes Domhöver (im Weiteren J.D.) mit seinen neuen Freunden.
Inhalt der Befragung waren Nachfragen zu verschiedenen Themen, welche bereits behandelt wurden. Es ging viel um die Frage nach Zugehörigkeit zu etwaigen Kreisen und politischen Diskussionen und Analysen. Das Antwortverhalten J.D.‘s war hierbei wiederholt sehr konfus.
Der 66. Prozesstag begann 13:15 Uhr. Der Vorsitzende Schlüter-Staats erklärte, dass er keinen Streit beim Bundesgerichtshof (BGH) wegen der langen Unterbrechung haben wolle und es einen Beschluss vom 20.09.22 für die Unterbrechung gäbe.
Weiter habe er keine Beschlüsse zu verkünden, da es ja nur ein paar Beiziehungsanfragen gegeben habe.
Er schien sich sehr über die Thüringer Polizei zu freuen, deren Arbeit „des Lobes Wert“ sei, die Beamten hätten einiges geleistet, um dem Antrag der Verteidigung gerecht zu werden, den Tatort in Eisenach nachzustellen.
Dann kündigte Schlüter-Staats einen so genannten Kollegen aus Trient an, der am morgigen Tag den Prozess besuchen wolle, um sich ein Bild zu machen. Es ginge um einen Austausch im Rahmen des europäischen Juristennetzwerks. Dieser Kollege sei zwar grundsätzlich mit Berufungsverfahren betraut, habe jedoch auch schon mal etwas mit „Islamisten“ zu tun gehabt.
Hiernach stellte er seinen Plan für die kommenden Verhandlungswochen vor. Er sei optimistisch, dass die Vernehmungen von J.D. bis Mitte Oktober abgeschlossen seien, danach wolle man ja noch zwei Gutachter anhören und es sollten auch die Einlassungen zur Person folgen.
Der Vorsitzende suggerierte mehrfach, dass bestimmte Anträge das Verfahren in die Länge ziehen würden, was die Verteidigung damit beantwortete, dass ihrer Meinung nach noch nie etwas passiert ist, das dieses Verfahren unnötig in die Länge zieht. Schlüter-Staats wollte derartiges nicht suggeriert haben und sei hoffnungsvoll, das Verfahren innerhalb der jetzt bestehenden Termine abschließen zu können.
In Bezug auf den Tatkomplex Wurzen merkte die Verteidigung an, dass dieser noch nicht abgeschlossen ist, woraufhin der Vorsitzende angab, dass es in Bezug auf einen der Angeklagten ja überschaubar sei, was an Beweismitteln vorliege und es gäbe ja schon einen konkreten Antrag (siehe Zwischenbericht, Abschnitt Tatkomplex Wurzen). Ein weiterer Verteidiger kündigte an, noch weitere Anträge zu stellen.
Die Oberstaatsanwältin der Bundesanwaltschaft, Alexandra Geilhorn, gab an, dass sie auch noch Zeit brauche, um alles zu sichten und zu sortieren. Sie würde darüber, was noch erforderlich sei, mit dem Senat in Austausch treten und dann einen Antrag stellen, hierzu würde sie mit einer Liste auf den Senat zugehen. Ein Beispiel hierfür sei das DNA-Gutachten von dem Dachboden.
Der Vorsitzende wollte wissen, ob es im Interesse aller wäre, in der ersten Novemberwoche eine Pause für die Plädoyers der Verteidigung zu veranschlagen.
Fünf Minuten, nachdem der Nebenkläger Kruppe verspätet um 13:25 Uhr den Saal betrat, wurde eine Unterbrechung für 20 Minuten angekündigt, bis der Verteidiger von J.D. komme und die Vernehmung fortgeführt werden könne.
Nachfragen zur G7-Sponti 2015, Silvester in Leipzig, Training und Entlassungsfeiern
J.D. betrat den Saal erneut in Begleitung und seine Befragung wurde fortgesetzt. Zunächst wollte ein Beisitzer Rückfragen zu bereits bearbeiteten Themen stellen. Hierbei ging es um den Lebenslauf und den genauen Zeitraum seiner Erzieherausbildung. Im Personenbericht habe gestanden, dass die Ausbildung von September 2012 bis August 2017 angedauert habe. Dies entspreche der Erinnerung von J.D..
Im Folgenden ging es erneut um die G7-Proteste bei Schloss Elmau, wobei es eine Verwirrung gegeben habe. Der Senat sei davon ausgegangen, dass die Sponti in der Nähe des Gipfeltreffens stattgefunden habe, was J.D. jedoch korrigierte und meinte, es sei eine Sponti in Leipzig gewesen, zu der er eingeladen worden sei. Er habe die Einladung von einem Beschuldigten erhalten. r habe früher abreisen müssen, da seine Großmutter im Sterben gelegen habe.
Der Beisitzer wollte wissen, ob eine Spontandemo als etwas mit militanten Aktionen Verbundenes zu verstehen sei. J.D. sagte, dass es klar gewesen sei, dass Straftaten verübt werden würden, der Begriff „Sponti“ sei irreführend, es habe knallen sollen. Auf die Frage, ob es vergleichbar mit den Krawallen bei der EZB-Eröffnung oder eher eine gruppenspezifische Aktion im Rahmen einer Demo habe sein sollen, meinte J.D., dass es um anlassbezogene Ausschreitungen gegangen sei. Im Nachgang habe er erfahren, dass es um verschiedene Gebäude auf der Wegstrecke gegangen sei. Laut einem Beschuldigten sei die Demo nicht weit gelaufen, sie sei schnell aufgeflogen. Der Beisitzer wollte wissen, ob noch andere Personen als der eine Beschuldigte eine Rolle gespielt hätten, was J.D. nicht beantworten konnte. Auf die Frage, ob die Sponti zeitlich vor der Aktion in Weißenfels gewesen sei oder nicht, meinte J.D., dass Weißenfels zuerst stattgefunden habe und die Sponti dann 2015 gewesen sei.
Die folgende Frage bezog sich auf Silvester 2014/15 oder 2015/16 in Leipzig mit einem Treffpunkt in einem Park und ob er hier, im Gegensatz zur polizeilichen Vernehmung, Aussagen zu Straftaten machen wolle, was J.D. verneinte.
Fortan wurde auf Aufforderung der Verteidigung jede Berufung von J.D. auf den §55 zur Aussageverweigerung protokolliert.
Eine weitere Frage des Beisitzers bezog sich auf das Training im Hausprojekt. Dabei ging es erneut um die zeitliche Einordnung.
Hiernach fragte der Beisitzer, ob J.D. einen Beschuldigten nach dessen Entlassung aus dem Gefängnis abgeholt habe und ob es eine Party gegeben habe. J.D. gab an, er habe an einer Feier teilgenommen, diese habe an zwei Örtlichkeiten stattgefunden. Im Weiteren ging es um die Party, wo diese stattfand und wer vermeintlich daran teilgenommen haben soll.
Der Beisitzer fragte nochmals zur Beteiligung eines Angeklagten am Training im Hausprojekt nach. Letztlich meinte J.D., er selbst habe den Angeklagten nie bei einem Training gesehen.
Wohnverhältnisse
Dann ging es um J.D.’s Adressen in Berlin und ob ihm eine Straße in Köpenick etwas sage. J.D. gab an, er habe mal in Köpenick gewohnt und es könnte diese Adresse gewesen sein. Der Beisitzer fragte, ob es eine teilweise Bürgschaftserklärung gegeben habe, woraufhin J.D. einfiel, dass er sich diese Wohnung angeguckt habe, jedoch nie dort gewohnt hätte. Laut Beisitzer sei die Bürgschaftserklärung vom 06.02.2018 und er wollte wissen, seit wann J.D. in Berlin gewohnt habe. Er antwortete, er sei schon länger dort gewesen, er habe seit 2017 mehr oder weniger dort gelebt, sei jedoch nicht dort gemeldet gewesen. Laut dem Beisitzer habe es zwischen dem 29.01.2018 und dem 18.02.2018 in seinem E-Mail_Postfach 14 Mails wegen Wohnungsbesichtigungen in Berlin gegeben. Zudem gäbe es die Überwachungsaufnahme vom 13.12.2019 vor einem Hauseingang, dort habe er auch mal gewohnt, und die Frage sei, in welchem Zeitraum. J.D. sagte, es würde komplexer werden. Letztlich ordnete er ein, wann er wo in Berlin gelebt habe. 2021 habe er in Warschau gewohnt, 2020 in Friedrichshain, wo auch die Hausdurchsuchung stattgefunden hätte, davor zwischen 2018 und 2019 habe er in Prenzlauer Berg gewohnt.
Anschließend ging es um einen vermeintlichen Besuch von J.D. in Leipzig zu Silvester 2019/20. Dabei ging er näher darauf ein, wo er übernachtet habe, mit wem er essen und auf einer Party gewesen sei. Unter anderem erzählte J.D. auch, wo zu dieser Zeit Beschuldigte sowie ein Angeklagter gewohnt hätten, um schließlich zeitlich seinen Umzug in Berlin einzuordnen.
Nebenräume eines Kulturprojekts und die Taten in der Anklageschrift
In einem Bericht der LKA-Beamtin Kästner, die Teil der Ermittlungsgruppe innerhalb der Soko LinX ist, sei es um einen Gruppenchat gegangen. An diesem Chat hätten mehrere Beschuldigte und Angeklagte teilgehabt, doch J.D. könne sich nicht an diesen Chat erinnern.
Danach ging es um die erste Festnahme einer angeklagten Person. An diesem Tag, habe J.D. laut Berliner LKA mit einem Angeklagten und weiteren Personen an einer Versammlung teilgenommen. J.D. vermutete, dass es sich um eine Versammlung am Boxhagener Platz gehandelt haben könne. Er erinnere sich aber auch an ein Treffen nach der Festnahme, bei dem der oben genannte Angeklagte jedoch nicht dabei gewesen sei.
Dann fragte der Beisitzer, ob J.D. etwas zur Indymedia-Linksunten-Demo am 25.01.2020 in Leipzig sagen könne, aber J.D. sei nicht dabei gewesen und habe keine Erkenntnisse über Aktionen des hiesigen Personenkreises. Dann sollte ein Lichtbild in Augenschein genommen werden, welches am 13.01.2022 schon einmal vor Gericht gezeigt worden sei. J.D. sollte sagen, ob er den Ort, das Ereignis und die Personen kenne. J.D. sagte, dieses Bild sei in einem Nebenraum eines Kulturprojekts aufgenommen worden. Der Beisitzer fragte, ob es sich hierbei um eine Entlassungsfeier eines Beschuldigten handeln könne und ob er sich selbst erkenne. J.D. meinte, er selbst sei nicht auf dem Bild, es könne jedoch nach der Entlassung gewesen sein und es sei ein Ort in fußläufiger Nähe des Kulturprojekts. Auf die Frage des Vorsitzenden ob J.D. im Zusammenhang mit dem Kulturprojekt auch zu einem anderen Vorfall dort etwas sagen könne, berief sich J.D. auf den §55. Der Vorsitzende ließ das protokollieren.
Hiernach ging der Beisitzer die vorgeworfenen Taten aus der Anklageschrift durch und fragte J.D., ob er daran teilgehabt habe oder etwas dazu sagen könne. In Bezug auf Enrico Böhm, Cedric Scholz und den Kanalarbeiter verneinte J.D. beides. Zum Hammerdiebstahl am 13.12.2019, welcher Lina vorgeworfen wird, sagte er, es sei bei der Auswertung von Eisenach thematisiert worden. Vor dem 14.12.2019 meint er, nichts davon gewusst zu haben; ob er es vor der Akte oder danach erfahren habe, könne er nicht sagen. Es sei damals nicht bekannt gewesen, er habe nicht gefragt, warum sie Hammer geklaut habe. Er habe sich auch gewundert, weil die ja nicht so teuer seien, aber es sei bekannt gewesen, dass diese für Eisenach gedacht gewesen seien. Der Vorsitzende kommentierte dies und meinte, er hätte ihr den Kopf gewaschen, was das solle, er selbst hätte bar gezahlt, weil es ja nicht so teuer sei.
Dann kam der Beisitzer zum geplanten Angriff auf Brian Engelmann und fragte, ob J.D. an der Vorbereitung beteiligt gewesen sei. J.D. meinte, er habe mit einem Beschuldigten über einen Angriff auf einen Kampfsportler gesprochen, er sei darin jedoch nicht eingebunden gewesen. Der Vorsitzende fragte, ob dies im Zusammenhang mit Brian Engelmann besprochen worden sei oder eine Assoziation gewesen sei. J.D. sagte, es sei keine Assoziation gewesen. Das Gespräch habe vor dem 10.06.2020 stattgefunden und Gesprächsdetails hätten mit der Personalie übereingestimmt. Auf Nachfrage fiel ihm ein, dass es zwei Personen gäbe, zu denen das passen würde. Die Details seien „Kampfsportexpertise“ und „anspruchsvoller Gegner“ gewesen. Nach einer Pause fügte er noch hinzu, dass ein Studium oder Jurist eine Rolle gespielt habe.
Der Beisitzer fragte, ob er mehr zu der Geschichte mit dem Feuerzeug aus der polizeilichen Vernehmung erzählen könne. Da habe er gesagt, man habe sich erzählt, dass jemand sich ein Feuerzeug habe geben lassen und sich die Feuerzeug gebende Person im Nachhinein als Zivilbeamtin herausstellte. J.D. konnte nicht sagen, wer das war und wer das erzählt habe. Der Vorsitzende fragte, in welchem Zusammenhang diese Geschichte erzählt worden sei und J.D. sagte, dies sei im Zusammenhang mit der Akteneinsicht gewesen. Personen hätten Akten unterschiedlich schnell gehabt und sich gegenseitig berichtet. Das habe keine große Relevanz gehabt und sei eher halb Joke-mäßig erzählt worden. Es sei um den Grund für die Hausdurchsuchung gegangen und der Gefahrenabwehrpunkt sei überraschend gewesen, weil es nicht Eisenach gewesen sei. Es könne sein, dass die Geschichte im Rahmen der Ausspähung passiert sei, er wisse aber nicht, wer wem Feuer gebeten habe.
Politische Diskussionen und Analysen? Griechenland und Kapitalismuskritik
Der Beisitzer kam dann zurück auf den politischen Werdegang von J.D. und meinte, dass beispielsweise die EZB ein anderes Themenfeld sei, als gegen Faschist:innen vorzugehen. Er wollte wissen, wie das bei den anderen Leuten gewesen sei, ob er sich mit ihnen, um die unterschiedlichen Einstellungen gestritten habe. J.D. sagte, die Feindbilder seien gleich gewesen, die politische, inhaltliche Ausrichtung könne kommunistisch, anarchistisch oder sozialistisch gewesen sein, die Schwerpunktthemen seien unterschiedlich. Der Beisitzer wollte ein Beispiel dafür wissen. J.D. nannte Griechenlandreisen, welche ihn nie politisch interessiert hätten, für ihn sei das nicht relevant gewesen, aber das sei ja kein Dissens. In der weiteren Befragung offenbarte sich, dass J.D, lediglich über Reisen nach Griechenland im Zusammenhang mit der Hoffnung nach Ausschreitungen nachgedacht habe. Andere politische Themen, die eventuell auch mit politischer Arbeit in Griechenland assoziiert werden könnten, wie beispielsweise Unterstützungsarbeit von Geflüchteten, hätten ihn nicht interessiert.
Der Beisitzer kam zurück auf die politischen Unterschiede: Man sei halt gegen Kapitalismus, Rassismus und Faschismus gewesen, aber er wollte wissen, ob es nicht neben den Überschneidungen auch Unterschiede gegeben habe. J.D. meinte zu erklären, dass bei Eisenach zum Beispiel nicht alle eine gemeinsame gesellschaftliche Analyse gehabt hätten, aber das Ziel würde alle einen. Einzelne politische Standpunkte seien hierbei unerheblich, das sei erst mit der Repression gekommen, da habe man unterschiedliche Blickwinkel zum Umgang gehabt. Laut Beisitzer seien die Anklagepunkte nur Aktionen im Kampf gegen den Faschismus und nichts antikapitalistisches, die kaputten Scheiben bei der EZB seien jedoch nicht gegen Nazis gerichtet gewesen, sondern eher ein kapitalismuskritischer Akt gewesen. J.D. meinte, dies sei punktuelle Zusammenarbeit gewesen, Leute hätten nicht nur antifaschistische Politik gemacht.
Der Beisitzer fragte, ob sie neben den Feindbildern, auch die Bereitschaft zu militanten Aktionen geteilt hätten, was J.D. bejahte. Der Vorsitzende fasste zusammen und meinte, man wolle gegen Rechtsextreme vorgehen und begehe dabei auch Straftaten, entweder steige man dabei in die politische theoretische Analyse nicht ein oder mache es als Ergebnis dieser oder sei nicht gegen das System und fände dies in europäischen Ländern okay. Er wollte wissen, ob es tiefer gehende politische Analysen bei den Beteiligten gegeben habe. J.D. sagte, es habe politische Diskussionen gegeben, aber die Triebfeder habe schwanken können. Er würde sagen, alle Personen seien politisch interessiert gewesen und hätten sich mit Inhalten auseinandergesetzt. Ein weiterer Beisitzer fragte, ob die Differenzen zwischen Kommunismus und Anarchismus diskutiert worden seien und das mehr als fünf Minuten. J.D. meinte, dies sei unterschiedlich gewesen. Aus seinem Blickwinkel brauche man keine 3-Stunden-Diskussionen, warum Nazis angreifen oder Gewalt auf einer Demo gut sei. Mit einem Beschuldigten habe er manche Themen diskutiert. Es sei nicht nur Lust auf Action gewesen, das würde er komplett verneinen, sie seien auch zu Vorträgen gegangen. Der Vorsitzende erklärte, dass er nicht meinte, dass es nur Lust auf Action gewesen sei. Der Senat sei auch gegen Rechte, habe sie auch schon verurteilt, jedoch keine Straftaten begangen. Man könne gegen Nazis, aber nicht gegen das politische System sein, als Anarchist müsse eh alles weg oder ich bin straighter Kommunist wie aus den 70ern.
Nach dieser Zusammenfassung gab es erneut eine Pause für angekündigte 15 und tatsächliche 25 Minuten.
Verhältnisse untereinander – Kreis 1,2,3,4…
Im Anschluss der Pause wollte der Beisitzer weitere Details zu den Verhältnissen der benannten Personen untereinander wissen. Im Fokus der Fragen standen die Begriffe „Startup“, „Pool“ und „flexibles Geflecht“, welche er in seiner polizeilichen Vernehmung so nannte.
J.D. fragte nach, ob es um die Struktur gehen solle, um wieder auf seine „Kreisbeschreibung“ zurück zu kommen. Nach seiner Wahrnehmung sei es ein flexibles Geflecht gewesen, nicht statisch oder hierarchisch, was man ja an den Festgenommen sehen könne, da es unterschiedliche Personen gewesen seien. Es habe einen Personenkreis um je eine beschuldigte sowie eine angeklagte Person gegeben, welcher Ideen und Ziele ausarbeitete. Die beiden habe er genannt, da er mit diesen Kontakt hatte und von ihnen angefragt worden sei, zudem wegen des Trainings. Daraus hätten sich immer wieder unterschiedliche Zusammensetzungen von Personen ergeben aber auch Regelmäßigkeiten.
Als Beispiel führte er Wurzen an, hier habe J.D. im Auftrag eines Beschuldigten weitere Personen angefragt.
Es habe Verhältnisse unter Personen gegeben, welche sich nicht gleich stark gekannt hätten. Weiter habe es punktuelle, aber auch kontinuierliche Zusammenarbeit gegeben. Es seien aber auch gleiche Leute gewesen, wie beim Training aber auch Zufallsmomente. Das Ziel sei es gewesen, Nazis anzugreifen.
Die so genannten Ausfahrten, beispielsweise nach Eisenach, würden sich unterscheiden; bei einer Demo sei es etwas anderes, wen man in der Seitenstraße treffen könne, im Gegensatz zu so etwas wie Eisenach. Bei so etwas seien die Kennverhältnisse auch anders gewesen.
J.D. nannte mehrere angeklagte und beschuldigte Personen zu denen er glaubt, ein gutes und freundschaftliches Verhältnis im Beschuldigtenkreis gehabt zu haben. Da sei auch ein Vertrauensverhältnis gegeben gewesen.
Nun wollte der Beisitzer Schritt für Schritt wissen, wieviele Kreise es gegeben habe. J.D. wiederholte, dass es ein flexibles Geflecht gewesen sei, die Beziehungen seien mal dichter und mal weiter weg gewesen. Er habe das in drei oder vier Kreise unterteilt. Mit einer beschuldigten und einer angeklagten Person sei er immer wieder in Kontakt gewesen und habe Anfragen für Projekte bekommen. Kreis 1 sei eng miteinander gewesen, was auch an der räumlichen Beziehung zueinander gelegen habe. Im Kreis 2 hätten sich Leute befunden, die sich gut kannten und vielleicht auch in der gleichen Stadt lebten, so wie er selbst und ein Beschuldigter sowie ein Angeklagter.
Kreis 3 seien Leute gewesen, die dazu geholt beziehungsweise angefragt worden seien, um die Personenzahl oder Schlagkraft zu erhöhen. Diese Leute kannten sich teilweise auch. Es sei nicht klar hierarchisch gewesen und habe sich immer wieder verschoben. Wenn er sich zum Beispiel mit einem Beschuldigten in Berlin etwas angeguckt hätte, hätten sie die Position oder Rolle gewechselt. Die Struktur beziehe sich daher auf die Arbeitsweise, wobei es darum ginge, Rechte anzugreifen, wie auf Demos.
Beim Begriff des „Startups“ habe seine Beschreibung einen Fokus auf einen Beschuldigten gehabt, welcher Aktionen vermarkten wollte. Hierzu nannte er einen Angriff in einer anderen Stadt. Für den Vorsitzenden schienen Teile dieser Aussage neu zu sein.
Im Anschluss sprach J.D. von der Organisation im Hinblick auf die Kommunikation. Er erklärte, dass sie durch ein Chatprogramm in permanenter Kommunikation, ohne Risiko und trotz räumlicher Distanz, gestanden hätten. Im Kreis hätten das alle benutzt. Zudem habe es die großen Trainings gegeben, damit sich Leute mit ähnlichen Handlungsansätzen kennen lernen könnten. Die Leute bei diesen Trainings ordnete er dem Kreis 3 zu. Sie seien gezielt eingeladen worden. Die Positionen könnten sich verschieben, jedoch ergäbe die Handlung die Struktur.
Der Beisitzer fragte, ob der Beschuldigte die zuvor genannten Taten in der anderen Stadt selbst ausgeführt habe, wozu J.D. sagte, dass er damals als Scout angefragt worden sei, aber nicht wisse, ob der Beschuldigte vor Ort gewesen sei. Der Beisitzer fragte erneut nach, ob der Beschuldigte ihn angefragt habe, was J.D. bejahte, er habe aber abgelehnt. Dann wollte der Beisitzer wissen, ob J.D. von jemand anderen wisse, der vor Ort gewesen sei, was J.D. bejahte und einen Namen einer beschuldigten Person nannte. Der Beisitzer fragte, warum J.D. abgelehnt habe, dieser erinnerte sich nicht mehr, aber vermutete wegen seiner laufenden Bewährung.
Dann fragte der Beisitzer, ob sich Kreis 1 und Kreis 2 darin unterscheiden würden, dass die Personen nicht in der gleichen Stadt wohnen würden. J.D. sagte, das treffe auf ihn selbst zu, er könne jedoch nicht sagen, wie oft Leute sich getroffen hätten, wenn er nicht dabei gewesen sei. Kreis 1 seien hauptsächlich die Leute, von denen die Anfragen gekommen seien. Es sei eine Struktur, die lose sei, aber dennoch eine Struktur aufweise. Anschließend nannte der Beisitzer die Namen, die J.D. dem Kreis 1 zugeordnet habe und wollte wissen, ob er diesem auch noch eine weitere beschuldigte Person zuordnen würde, was J.D. bejahte und ausführte. Danach zählte J.D. noch eine Person diesem Kreis hinzu.
Der Vorsitzende merkte an, dass diese Person bisher nur im Zusammenhang mit dem Training benannt worden sei und sonst nicht auftauchen würde und fragte, ob J.D. bekannt sei, ob dieser an Aktionen teilgenommen habe. J.D. erwiderte, sie würden sich nicht gut kennen, er kenne jedoch seine Haltung zu politischen Thematiken und würde es an den Trainings festmachen. Der Vorsitzende sagte daraufhin, dass er diesen vorher nicht zu Kreis 1 gezählt habe, dafür jedoch jemand anderen, und dass laut seiner vierten polizeilichen Vernehmung diese Person weder in Kreis 1, 2 oder 3 vorgekommen sei, weshalb er nach den Kriterien für die Kreise fragte. J.D. sagte, dass es darum ginge, welche Anfragen für was gestellt worden seien und wie Leute zueinander stünden, aber er habe ja gesagt, es sei flexibel. Daraufhin verlas der Vorsitzende die Verständnisdefinition des SoKo LinX Ermittlers Mathe, welcher behauptete, dass es sich bei den Personen aus Kreis 1 um Personen mit regionalen Bezug zu Leipzig handeln würde, welche militante Aktionen organisieren und gemeinsam durchführen würden. Die Verteidigung beanstandete diesen Vorhalt, da zuvor nicht noch einmal nachgefragt wurde. Der Vorsitzende fuhr einfach fort mit dem Kreis 2, zu dem er sagte, es sei ein Personenkreis, welcher regelmäßig Straftaten begehen, aber nicht zum inneren Kreis gehören würde.
Dann fragte er, da J.D. diese Person zuvor nicht zugeordnet habe, ob er diesen zu Kreis 1 zählen würde. J.D. sagte, dies habe für ihn keinerlei Relevanz gehabt, nach seiner Kenntnis habe diese Person aber auch an so genannten Ausfahrten teilgenommen. Der Beisitzer wollte wissen, wie andere Personen einzuordnen seien und fragte nach einer beschuldigten Person. Diese Person würde J.D. zwischen Kreis 1 und 2 einordnen. Der Beisitzer wollte wissen, warum er diese zwischen den beiden Kreisen einordnen würde, was dabei seine Erwägungen und Überlegungen seien. J.D. antwortete, die beschuldigte Person, sei bei Trainings und anderen Gelegenheiten anwesend gewesen und er habe sie bei Straftaten getroffen, woraufhin der Beisitzer ein konkretes Beispiel für eine Straftat genannt haben wollte. J.D. verweigerte dazu die Aussage, was der Vorsitzende protokollierte.
Ein weiterer Beisitzer fragte erneut nach der Definition von Kreis 1 und dem Kriterium, das Personen zu Kreis 1 gehören würden und welche Personen abgesehen von einer beschuldigten und einer angeklagten Person Anfragen an andere Personen gestellt hätten. J.D. sagte, er habe nur von den beiden Anfragen erhalten. Der Beisitzer wollte nun wissen, wen J.D. jenseits von sich selbst sowie den zwei bereits genannten Personen zu Kreis 2 zählen würde. Weitere Personen fielen J.D. nicht ein. Dann fragte der Beisitzer, ob J.D. eine angeklagte Person irgendwo in das Kreismodell einordnen könne und J.D. erklärte, er habe kein Verhältnis zu dieser Person, er habe ihn mal getroffen und die Person sei immer wieder in Gesprächen aufgetaucht. Er würde ihn in Kreis 1 einordnen wegen seines engen Verhältnis zu einer beschuldigten und einer angeklagten Person. Der Vorsitzende wollte wissen, worüber dort gesprochen worden sei, woraufhin J.D. antwortete, ein Beschuldigter hätte oft den Namen gedroppt, dort sei er aufgetaucht, zudem begegne man sich auf der Straße. Der Vorsitzende meinte dann, dass J.D. ja auch eine befreundete Person einer angeklagten erwähnt habe, die ja sicher auch in Gesprächen erwähnt worden sei, diese habe er aber nicht in die Gruppe eingeordnet und wollte nun wissen, warum der:die Freund:in nicht zugeordnet worden sei, aber die angeklagte Person hingegen schon. Wo sei da der Unterschied. J.D. sagte, dies sei eine berechtigte Frage und die Verteidigung warf ein, dass man dem Zeugen sagen sollte, dass man nicht einordnen müsse. J.D. sagte, es sei nicht greifbar, es sei sein Gefühl dazu, dass heiße nicht, dass der:die Freund:in nicht die gleiche Rolle habe, er habe sie mal bei einem Besuch im Park getroffen, dies sage aber nichts darüber aus, ob er damit richtig liege. Er habe ja nicht zu allen Leuten ein tiefes Verhältnis.
Der Vorsitzende wollte nun noch einmal wissen, warum die angeklagte Person anders eingeordnet wurde. Er sagte, der Senat hätte die befreundete Person ja nicht im Fokus und gab als Beispiel für seine Frage: „Fragen wir mal die, ne die Fragen wir nicht“ oder „Fragen wir den, ne der hat keine Zeit“ an, um die unterschiedliche Bewertung J.D.s zu verstehen. J.D. antwortete, bei Treffen in Berlin sei das auch unterschiedlich gewesen, mal habe er Infos an andere Leute weitergegeben, mal jemand anderes. Dann fragte der Beisitzer, ob er die angeklagte Person eigentlich gar nicht einordnen wolle, was J.D. mit „genau“ beantwortete. Der Beisitzer fragte, ob ihm eine andere Person mit gleichen Namen bekannt sei, was J.D. verneinte. Im Anschluss fragte er noch nach dem Kreismodell aus der polizeilichen Vernehmung, welches drei Kreise beinhaltete und nun benannte er ein Alternativmodell von vier Kreisen. J.D. sagte, das sei der Erinnerung geschuldet und lange her.
Wer hat den Hut auf?
Der Beisitzer fragte nun im Zusammenhang mit den verschiedenen Rollen und Kreisen, was mit „Hut aufhaben“ gemeint sei. J.D. sagte, dabei handele es sich um Projekte, Ansprechpartner, Ideengeber und behauptete, wenn beispielsweise er und eine beschuldigte Person sich in Berlin etwas angeschaut hätten, dann hätten sich die Rollen gedreht. Es sei jedoch eine Struktur mit ganz klaren Aufgaben, wenn auch nebulös. Daraufhin merkte der Beisitzer an, dass das Beispiel mit dem Rollentausch in Berlin ja nicht passiert sei. J.D. sagte, dass es in Eisenach klar gewesen sei, dass ein Beschuldigter Ansprechpartner sei. Mit wem dieser im Hintergrund Absprachen gehabt hätte, sei für ihn nicht relevant gewesen. Der Beisitzer fragte erneut nach, ob „den Hut aufhaben“ für Ideengeber und Ansprechpartner gegolten habe, nicht aber für Kommandoführer. J.D. verneinte, das verbildlichende sei gewesen, wer mit J.D. beispielsweise über Eisenach gesprochen habe. Der Beisitzer fragte, ob Ansprechpartner und Ideengeber unterschiedlich gewesen seien, woraufhin J.D. behauptete, dass der Beschuldigte ihn auch einmal gefragt habe, ob er sich mal etwas anschauen könne, da sei klar gewesen, dass der Beschuldigte die nötigen Infos und den Überblick gehabt habe. Bei Fragen dazu hätte er somit nicht anderen gesprochen. Der Beisitzer sagte, dass er in den Vernehmungsprotokollen in Bezug auf „den Hut aufhaben“ zwei Personen benannt habe, was J.D. bestätigte: Eine angeklagte und eine beschuldigte Person. Anschließend wollte der Beisitzer wissen, ob J.D. in seinem Erfahrungsschatz jemand anderes einfalle, der jemals „den Hut aufgehabt“ habe. Dies verneinte J.D., dies bedeute aber nichts. Der Vorsitzende wollte wissen, ob das auch die Fälle beträfe, zu denen J.D. nichts sagen wolle. J.D. blieb dabei, dass er zu diesen nichts sagen wolle.
Anschließend fragte der Beisitzer noch zu Rollen hinsichtlich des Hut-auf-habens der beschuldigten und der angeklagten Person. Dies führte J.D. länger aus und wies den jeweiligen Personen Charaktereigenschaften zu, zudem versuchte er ihren Umgang mit stressigen Situationen einzuordnen.
Der Beisitzer fragte noch nach unterschiedlichen Berücksichtigungen von Personen bei militanten Aktionen und J.D. erwiderte, ein Beschuldigter sei bei manchen Sachen dabei gewesen, er selbst sei wegen seiner Bewährung nur Scout gewesen. Der Beisitzer fragte erneut nach, was die Verteidigung als Wiederholungsfrage beanstandete.
Anschließend fragte der Beisitzer nach den politischen Ansichten der beschuldigten und der angeklagten Person und wollte wissen, ob es dort unterschiedliche Ansichten gegeben hätte.
J.D. fragte, ob sich die Frage auf die theoretische Basis beziehe, was der Beisitzer verneinte. Die theoretische Basis interessiere weniger, es ginge eher darum, ob jemand eine Aktion einbringe und es dann unterschiedliche Positionen geben würde. J.D. sagte, das habe es sicher gegeben, er habe jedoch kein Beispiel dafür. Das gehe manchmal so rein, raus.
Nach dieser Frage wurde der Prozesstag um 17:05 Uhr beendet.
Der nächste Prozesstag ist der 22.09.2022 um 09:30 Uhr am OLG Dresden.