„In die eine oder andere Ecke gestellt“: Darum unterstützt ein Röthaer Unternehmer den Protest

Demokratie nennt der Röthaer Ralf Ketturat ein Gut, für das zu streiten unverzichtbar ist. Weil er dieses und die Wirtschaft insgesamt in immer deutlicherer Gefahr sieht, trägt der Bauplaner aus Borna seinen Protest auf die Straße.

 

Borna/Rötha. Es sind düstere Aussichten, die Ralf Ketturat umtreiben: Unternehmen stellen ihre Produktion ein, weil es an bezahlbarer Energie und an Rohstoffen fehlt. Handwerksbetriebe schließen, weil sie keine Fachkräfte, geschweige Nachfolger finden. Menschen haben drei Jahrzehnte nach den wirtschaftlichen und Lebensumbrüchen der deutschen Wiedervereinigung Zukunftsangst.

Ketturat, Vater einer erwachsenen Tochter, kann verstehen, dass der Unmut sich in Protest entlädt. Sich politisch einzubringen, ist für den 57-jährigen leitenden Angestellten aus Rötha essenziell – für sich selbst, mehr noch für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Gerade den sieht er nicht einfach nur schwinden. Er ist fest von seiner These überzeugt: Er werde zerstört, ganz bewusst.

Von der Gruben-Lok zu erneuerbaren Energien

„Was aktuell passiert, ist eine enorme Aushöhlung unserer demokratischen Gesellschaft“, klagt Ketturat an. „Wir im Osten wissen, wie es sich anfühlt, in einem nicht so demokratischen Staat zu leben.“ Der Mann war Tagebau-Lokführer in der späten DDR, studierte danach, wurde Fachmann für erneuerbare Energien. In einem Bornaer Planungsbüro kümmert er sich heute um das Bauplanungs- und Baurecht.

Zudem zeichnet er für die Entwicklung von Immobilienprojekten verantwortlich, wandelt etwa Industriebrachen in energieeffiziente Wohngebiete um. Auf Hochbauvorhaben verzichtet das Unternehmen seit einigen Monaten vorerst: Die Preise seien einfach nicht mehr zu kalkulieren, die Verfügbarkeit von Baustoffen und Haustechnik hoch problematisch. So warte man auf Wärmepumpen derzeit 65 bis 70 Wochen.

Engagement von 1989 findet keine Heimat auf Dauer

Der Wille, etwas beizutragen zu einem Wandel, machte Ketturat 1989 zu einem der Wiederbegründer der Sozialdemokratie im Kreis Borna. Dort sah er sich an der Seite von Walter Christian Steinbach (Pfarrer, Bürgerrechtler, Kritiker der Umweltzerstörung, in den Neunzigern Regierungspräsident). Bald fremdelte er aber („Das war mir zu sehr aus dem Westen gesteuert.“), war Jahre Stadtrat für die Christdemokraten und im Bauausschuss in Rötha aktiv, fand auch hier nicht auf Dauer seine politische Heimat.

Soziale Marktwirtschaft – das nennt Ralf Ketturat ein gesellschaftliches Modell, das ihm tragfähig erscheint. Doch das Soziale und gesetzt geglaubte Grundrechte gerieten immer stärker unter die Räder. Nach 1990 habe man in der Industrie im Osten „die Schalter umgelegt, Zigtausende entlassen, in die Armut geschickt. Viele, die diese Abstürze und Verwerfungen glücklich hinter sich gebracht haben, die sich etwas schaffen konnten, fürchten jetzt, wieder vor dem Nichts zu stehen“.

Dass der vor allem vom Energiemangel forcierte Niedergang der Wirtschaft mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine zusammenhängt, bezweifelt Ketturat. „Diese Verbindung sehe ich nicht. Wir kastrieren uns als Industrie-Nation selbst. Das hilft den Menschen in der Ukraine nicht, und es schwächt mitnichten Putin.“ Die Frage, die er sich vielmehr stelle, lautet: Wem nützt es dann?

Demokratie heißt Widerspruch aushalten

Dass am 18. Oktober in Grimma Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ihren Protest hörbar machen wollen – Ralf Ketturat nennt das „ein Signal“, auch wenn er an diesem Tag nicht dabei sein kann. „Der Grimmaer Oberbürgermeister hat seit Langem den Mut, sich zu positionieren.“ Sachliche Auseinandersetzung sei unverzichtbar: „Demokratie heißt, auch Dinge zuzulassen und auszuhalten, die man selbst nicht gut findet.“ Genau diesen Diskurs vermisse er zunehmend: „Wer sich nonkonform äußert, wird in die eine oder andere Ecke gestellt.“

Als Beleg führt er eine Erfahrung aus jüngerer Vergangenheit an. Anfang September war der Röthaer wie Freunde, Bekannte, ehemalige Kollegen in Leipzig. Mit seinem Transparent, auf dem er einer „mutwilligen Zerstörung unserer industriellen Basis“ entgegentrat, wurde er – wie er es schildert – aus der Kundgebung der Linken „unter Androhung von Gewalt“ herausgedrängt und auf die Demonstration „der anderen“ verwiesen. Zwischen den Lagern stehen: Es ist eine Erfahrung, die ihm nicht fremd ist.

Ketturat: Risse ziehen sich durch Familien und Freundeskreise

Mehrfach gespalten sei das Land, beklagt Ketturat: in arm und reich – klar, aber auch in jung und alt, in Land und Stadt. Hart geht er dabei auch mit den „öffentlichen Medien“ ins Gericht. „Sie leisten zu dieser Spaltung einen leidvollen Beitrag – sicher nicht zentral gesteuert, aber vielleicht im vorauseilendem Gehorsam“, so seine sehr eigene Sicht.

Ihn schmerzt dieser scheinbare Schwund an Gemeinsamkeiten, die Risse zögen sich durch Familien und Freundeskreise. Irrsinn sei das angesichts der unaufschiebbaren komplexen Herausforderungen etwa durch den Klimawandel. Angesichts der Verantwortung jedes Einzelnen für den Zustand der Welt. „Wer ist die moralische Instanz, die Menschen überzeugt? Die Grünen, die sich als wirtschaftsfeindlich entpuppen, definitiv nicht mehr. Die haben sich verbrannt.“

Sein Credo verpackt er in eine sperrige Frage, zu formulieren nicht erst am Ende des Lebens: Wer möchtest du gewesen sein? Was bleibt, was ist der eigene Beitrag? „Die Antwort bleibt keinem erspart. Wir können und dürfen uns nicht drücken. Ich will Verantwortung wahrnehmen. Deshalb trage ich meinen Widerspruch auf die Straße.“

Die Kundgebung findet am 18. Oktober auf dem Grimmaer Marktplatz vor dem Rathaus statt. Sie steht unter dem Motto „Energie statt Ideologie“ und beginnt 19 Uhr.

 

18.10.2022, 07:02 Uhr, https://www.lvz.de/lokales/leipzig-lk/borna/roetha-unternehmer-ketturat-unterstuetzt-protest-aus-sorge-um-demokratie-JCL7OEGXEX4RRXURZ4NWHVMUCM.html