Leipziger Pokal-Derby: Unmut nach Einsatz einer Polizeidrohne

Seit zehn Jahren wurden Polizeidrohnen in Sachsen nicht mehr bei Fußballspielen eingesetzt. Beim Pokalspiel zwischen der BSG Chemie und Lok Leipzig war erstmals wieder eine in der Luft. Aber warum?

„Guck mal, eine Drohne!“ Den Kindern im Familienblock des Alfred-Kunze-Sportparks entging das bei der Polizei als unbemanntes Luftfahrtsystem (ULS) benannte technische Artefakt nicht, dass das Leipziger Stadtderby im Sachsenpokal am 25. September zwischen der BSG Chemie und dem 1. FC Lok begleitete. Die Polizeidrohne wechselte vor und während des Spiels die Seiten von links nach rechts hinter dem Norddamm. Eine ungewöhnliche Szenerie, denn während die Polizei Hochsicherheitsspiele wie das Derby der Messestadt häufig von Hubschraubern aus beobachtet, sind Drohnen eine Rarität. Seit rund zehn Jahren war bei Fußballspielen in Sachsen keine mehr in der Luft. Im Umfeld der Grün-Weißen sorgt der aktuelle Einsatz für Unverständnis.

„Überwachung hochproblematisch“

„Wenn es nun zum Standardrepertoire der Polizei und Staatsanwaltschaft gehört, bei etwas kniffligeren Spielen in Leutzsch das ganze Stadion mittels Drohnen abzuscannen und hinter jedem Gang zum Dixiklo eine potentielle Straftat zu vermuten, dann ist für uns als Fanhilfe eine deutliche Grenze überschritten“, erklärte Miriam Feldmann, Sprecherin des Rechtshilfekollektivs der BSG Chemie Leipzig, der LVZ. So gäbe es spätestens seit den massenhaften Telefonüberwachungen von 2015/16 rund um den Verein und innerhalb der Fanszene eine erhöhte Sensibilität in Sachen Datenschutz und Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Polizeisprecherin Kirstin Ilga im Sächsischen Innenministerium erklärte jedoch gegenüber der LVZ, dass „bei dem Einsatz am 25. September 2022 keine Videoaufzeichnungen von Personen, sondern lediglich Live-Übersichtsaufnahmen“ mit dem ULS erfolgten. Das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG) sieht keine spezifische Rechtsgrundlage für den Einsatz von Drohnen vor. „Vielmehr erfolgte der Einsatz unter Rückgriff auf die technikoffen formulierte Regelung des Paragrafen 57 Absatz 1 („Eine Identifikation von Personen oder Aufzeichnung der Übertragung findet hierbei nicht statt.“) bzw. Absatz 2“, wie die Polizeisprecherin beschreibt.

„Mag sein, dass das neue Polizeigesetz solchen Eingriffen eine Hintertür öffnet: für ein intaktes gesellschaftlichen Zusammenleben – und nichts anderes findet auch in einem Fußballstadion statt – ist die pauschale und flächendeckende Überwachung des gesamten Alfred-Kunze-Sportparks keine wirklich gute Idee“, findet Miriam Feldmann. Mittlerweile fänden nicht nur junge sondern auch ältere Fans „das Ausmaß der polizeilichen Überwachung hochproblematisch.“

War der Einsatz rechtmäßig?

Auf die Frage, ob der Einsatz der Drohne im Vorfeld beziehungsweise während des Einsatzes mit Vertretern der Vereine überhaupt kommuniziert wurde, antwortet Polizeisprecherin Kirstin Ilga: „Die Bildübertragung durch polizeiliche Einsatzmittel zur Lenkung und Leitung des Einsatzes mit Bildübertragungswagen und Hubschraubern ist bei Risikospielen der Kategorie 1 üblich und wird offen mit den Vereinen kommuniziert. Unmittelbar vor dem Spiel wurden der Sicherheitsbeauftragte der BSG Chemie sowie der Sicherheitsdienst durch die einsatzführende Dienststelle (Polizeidirektion Leipzig) in Kenntnis gesetzt, dass es sich um ein unbenanntes Luftfahrtsystem (ULS) der Polizei handelt.“ Ein anderweitiger Hinweis auf die Drohne erfolgte nicht.

Doch war der Drohneneinsatz damit überhaupt rechtmäßig? Nicht, wenn es nach der „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ geht. Diese hatte Anfang 2021 auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hingewiesen. Demnach sei ein Einsatz von Polizeidrohnen gegen Fußballfans (im vorliegenden Fall gegen Fans von Eintracht Frankfurt) grundsätzlich rechtswidrig, so lange die Polizei für die Betroffenen nicht erkennbar auf einen Drohneneinsatz hinweist. Denn es gelte „das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ und „gegen die immer weiter ausufernde polizeiliche Überwachungsbefugnisse“ vorzugehen.

Erster Drohneneinsatz seit zehn Jahren

Der Einsatz Ende September war der erste in diesem Jahr im Rahmen von Fußballspielen, obwohl der Freistaat schon früh mit ULS begann. Beim Landespokalfinale zwischen dem Chemnitzer FC und dem FC Sachsen Leipzig am 30. April 2008 hob erstmals eine Drohne vom Boden ab. Wenige Tage später kam eine Drohne beim Regionalligaspiel der SG Dynamo Dresden gegen Rot-Weiß Erfurt zum Einsatz. Die jährlichen Kosten beliefen sich damals auf 76.000 Euro für die Anmietung und 22.000 Euro für die Bildauswertungstechnik, das ergab eine Anfrage der Grünen.

Der damalige Innenminister Roland Wöller (CDU) erklärte 2021, dass seit 2012 kein Drohneneinsatz mehr beim Fußball erfolgte. Das letzte Mal kreisten in Sachsen am 20. Oktober 2012 beim Aufeinandertreffen von Dynamo Dresden und Eintracht Braunschweig über einem Stadion. Zudem ergänzte Wöller: „der präventive Einsatz von Drohnen für Videoaufzeichnungen von Personen – zum Beispiel bei Fußballeinsätzen – ist im Freistaat Sachsen nicht vorgesehen.“

Polizeisprecherin Kirstin Ilga erklärt dazu: „Videoaufzeichnungen von Personen erfolgen nicht präventiv, sondern mit dem Ziel der Strafverfolgung. Zudem ist unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Übersichtsbildübertragung zulässig. Dies trifft auch für den Einsatz von unbemannten Luftfahrtsystemen (ULS), umgangssprachlich auch als Drohne bezeichnet, zu.“

Weitere Drohneneinsätze ungewiss

Roland Wöller ist seit April diesen Jahres nicht mehr Innenminister des Freistaats und die Drohnen fliegen wieder in Sachsen. Auch beim Ligaspiel der BSG am vergangenen Freitag gegen den FC Carl Zeiss Jena kam eine ULS zur Anwendung. Ob am Sonntag beim Stadtderby in Probstheida eine Drohne zum Einsatz kommt, entscheidet der Polizeiführer nach der Lageeinschätzung vor Ort wie das Innenministerium auf Nachfrage am Freitag mitteilte.