Montagsproteste in Altenburg: Chef der Versammlungsbehörde findet Demos „derzeit etwas problematisch“
Explodierende Preise, Ukraine-Krieg, Corona-Maßnahmen: Die Montagsproteste in Altenburg sind von unterschiedlichen Motivationen und verzeichnen einen rasanten Zulauf. Doch das ist nicht der Grund, warum Ronny Thieme, Chef der Versammlungsbehörde des Kreises, die Demonstrationen „derzeit etwas problematisch“ findet.
Altenburg. Existenzielle Nöte und Sorgen wegen explodierender Energiepreise und der galoppierenden Inflation treiben auch im Altenburger Land immer mehr Menschen auf die Straße. So verdreifachten sich die Teilnehmerzahlen der Montagsproteste in der Kreisstadt binnen Monatsfrist, und in Schmölln gab es seit Corona deswegen erstmals wieder eine Demonstration. Grund genug, um mit Ronny Thieme, Fachbereichsleiter Ordnungsangelegenheiten des Landratsamts und damit Chef der Versammlungsbehörde, über das Thema zu sprechen.
Herr Thieme, rechnen Sie auch im Altenburger Land mit einem heißen Herbst?
Vielleicht nicht mit einem heißen Herbst. Aber wir rechnen damit, dass die Teilnehmerzahlen bei den Versammlungen steigen.
Mit welchen Zahlen konkret?
So um die 2000 bis 2500 Menschen. Vielleicht auch mehr. Ähnlich wie zu Spitzenzeiten der Flüchtlingskrise oder der Corona-Proteste.
Kontaktversuche mit möglichen Versammlungsleitern
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Für uns ist es zurzeit etwas problematisch, weil die Teilnehmer oder die Veranstalter die Versammlung nicht anzeigen. Für uns ist das aber wichtig, weil wir vertrauensvoll mit den Veranstaltern zusammenarbeiten sollen und wollen. Gegenwärtig ist es bei solch größeren Veranstaltungen, bei denen mehrere Personen zu verschiedenen Themen agieren, praktisch so, dass viele Teilnehmer kleine Veranstalter sind. Das wollen wir ändern und versuchen, da auch Kontakt aufzubauen.
Warum?
Weil wir nur mit einer Anzeige den Schutz der Versammlung gewährleisten können. Es sind dabei ja auch Grundrechte von Bürgern betroffen, die sich nicht versammeln. Und wir sollen einen Ausgleich zwischen diesen Interessen schaffen. Insgesamt sollen wir Sicherheitsinteressen wahren und Grundrechtskolissionen verhindern. Und ganz wichtig: die Verkehrsregelung gewährleisten. So wie es im Moment läuft, können wir nicht gewährleisten, dass keine Unfälle passieren und im schlimmsten Fall jemand in den Menschen-Aufzug fährt.
Erweiterte Demo-Route „schwierig“
Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Ausweitung der Demo-Route über die Innenstadt hinaus auf stark befahrene Hauptstraßen?
Das ist schon sehr kompliziert und schwierig. Die Teilnehmer müssen sich bewusst sein, dass es rechtlich so ist, dass jeder praktisch für sich läuft. Wenn ein Unfall passiert oder eine Sachbeschädigung, sind die Teilnehmer selbst haftbar. Nach dem Versammlungsgesetz kann jeder anmeldende Veranstalter seine Route, die Dauer und die Örtlichkeiten frei wählen, wenn dem keine anderen Gründe entgegenstehen wie ein bereits besetzter Platz oder Baumaßnahmen. Wir würden gern unserer Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nachkommen, können das aber nicht, solange wir keinen Anmelder haben.
Warum meldet die Demonstrationen niemand an?
Es gibt da eine falsche Denke von Leuten, die als Anmelder infrage kämen. Der Veranstalter haftet entgegen der landläufigen Meinung nicht für seine Teilnehmer. Wir haben mitbekommen, dass Leute deshalb Respekt vor dieser Aufgaben haben.
Auflösung der Montagsproteste nur ultima ratio
Welche Aufgaben hat denn ein Anmelder?
Es gibt nur eine Anmelde-, aber keine Erlaubnispflicht. Es braucht also keine Genehmigung. Der Anmelder würde mit uns kooperieren. Dabei tauschen wir Informationen aus und können dadurch die Route, die erwartete Teilnehmerzahl und den Ablauf sowie die dafür nötigen Verkehrsmaßnahmen abstimmen. Denn unsere Aufgabe ist es, die Versammlung zu schützen und ihre Durchführung zu gewährleisten – so wie sie angemeldet wurde. Es sei denn, dem stehen wichtige Gründe entgegen.
Brauchen Demonstrationen dieser Größe keine Ordner?
Das hängt vom Charakter der Veranstaltung ab und ist das Einzige, was genehmigt werden muss. Aber so wie es im Moment läuft, sind keine Ordner nötig.
Ist es ohne Anmelder rechtlich einfacher, einen Aufzug aufzulösen?
Versammlungsrecht ist ein hohes Gut. Laut Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist Protest ein unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens. Auflösung kann demnach nur das letzte Mittel sein. Eine reine Nichtanmeldung ist nicht strafbar und weder ein Grund noch eine Möglichkeit, eine Versammlung aufzulösen.
Gewalt markiert Grenze auch in Altenburg
Wann wäre denn eine Grenze erreicht, ab der Sie über eine Auflösung nachdenken würden? Hängt das an einer Teilnehmerzahl von in Altenburg zum Beispiel 5000 Menschen, ab der der Verkehr zu stark eingeschränkt wäre oder nur daran, ob Gewalt von der Veranstaltung ausgeht?
Wenn der öffentliche Friede gestört ist. Aber nur von einer Teilnehmeranzahl abhängig wäre eine Auflösung aus unserer Sicht sicher nicht gerechtfertigt. Dafür gibt es sogenannte Mindermaßnahmen. Wir sprechen immer vom mildesten Mittel, das wir einsetzen. Das wäre etwa, den Aufzug anzuhalten und zu versuchen, doch ins Gespräch mit jemandem zu kommen und die Strecke entsprechend zu bestimmen. Solange der Grundsatz „friedlich und ohne Waffen“ gewahrt ist, gibt es keinen Grund aufzulösen.
Bei den Corona-Protesten war es ja schon so, dass in Altenburg auch Rechtsextreme mitgelaufen sind. Haben Sie dazu Erkenntnisse, oder hat sich das jetzt geändert?
Dazu haben wir keine Erkenntnisse. Es demonstrieren jetzt alle Bevölkerungsschichten, sicher auch alle Konfessionen und alle politischen Richtungen. Es ist jetzt ein größerer Protest zu vielen Themen.
Also hat der Verfassungsschutz noch keinen Kontakt zu Ihnen aufgenommen?
Nein. Das geschieht auch in der Regel nicht, solange der Grundsatz „friedlich und ohne Waffen“ eingehalten wird und keine Straftaten begangen werden.
Ellen Paul und Kay Würker – LVZ 13.09.2022
1500 Menschen zeigen in Altenburg öffentliche Wut – mit teils drastischen Worten
In Altenburg wächst die öffentliche Wut. Rund 1500 Menschen zogen am Montagabend im lautstarken Protest durch die Innenstadt – deutlich mehr als noch vor einer Woche. Dabei hat sich im Vergleich zu früheren „Spaziergängen“ der Schwerpunkt der Kritik verschoben.
Die Montagsdemonstrationen in Altenburg gewinnen Woche für Woche an Zulauf und verändern ihr Gesicht. So lautet das Fazit nach dem jüngsten, rund einstündigen Protestzug, der sich am Montagabend durch die Skatstadt bewegt hat. Während vor Ort Ende August etwa 700 Menschen demonstrierten und eine Woche später rund 950, stieg deren Zahl Polizeiangaben zufolge diesmal auf etwa 1500.
Und diese ziehen nicht mehr vorwiegend still, sondern äußerst lautstark durch die Straßen. Trillerpfeifen und Rasseln im Permanenteinsatz, ein Mann gibt mit Pauke den Takt vor. Der Schwerpunkt der Botschaften ist ein anderer als noch im Sommer. Die lange prägende Kritik an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wird von einer breiter gefassten Wut auf die Bundespolitik im Allgemeinen überlagert. Im Vordergrund stehen nun Inflation und Energiekrise – und in diesem Zusammenhang die Haltung der Bundesregierung gegenüber Russland und der Ukraine und Putins Krieg.
Drastische Worte auf Plakaten
„Waffen gegen den Krieg ist wie Schnaps gegen Alkoholismus“ ist auf einem Plakat zu lesen. Auf einem anderen Schild wird das Ende der Sanktionen gegen Russland und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch gefordert. Friedenstauben sowie handgemalte kleine Flaggen Russlands und der Ukraine sind darunter angeordnet. Doch es geht noch deutlich drastischer, beispielsweise mit Aufschriften wie „Scholz und Baerbock an die Ostfront“ und „Verbrecher regieren uns“. Ein Demonstrant proklamiert in großen Lettern Putins Kriegsrhetorik, der ukrainische Präsident Selenskyj sei ein Faschist. Auch die blauen Herzen der AfD-Kampagne „Unser Land zuerst“ sind mehrfach zu sehen.
Zugenommen hat die Zahl der Fahnenträger in der Menge. Neben zahlreichen Deutschland-Flaggen, einer sächsischen und einer kroatischen wird auch die Wirmer-Fahne getragen – eine Kreuzflagge, die ihren Ursprung im Widerstand gegen Hitler hat, in den vergangenen Jahren jedoch im Reichsbürgermilieu sowie bei rechtsextremen Gruppierungen populär wurde. Von Anfang an war sie fester Bestandteil der Pegida-Symbolik.
Veränderter Weg durch die Innenstadt
Die Protestierenden wählen am Montag erneut einen etwas veränderten Weg durch die Innenstadt, ziehen diesmal über die Sporen- und Friedrich-Ebert-Straße die Lindenaustraße hinauf, entgegen der Einbahnstraßen-Regelung. Ein Linienbus, der der Demo entgegenkommt, muss stoppen, die Teilnehmer machen aber relativ schnell die Fahrbahn frei. Über Puschkinstraße, Schmöllnsche, Teich- und Wallstraße ging es zurück zum Markt, wo noch einmal minutenlang im Takt der Pauke geklatscht und gejubelt wird.
Zurück bleiben zwei Plakate an der Rathaustür. Filzstift auf Kartonpappe: „Der Kapitalismus siecht.“