Sachsens neuer Innenminister im Interview: „Muss die skandalgeplagte sächsische Polizei vor Ihnen zittern, Herr Schuster?“

Armin Schuster über den Dissens mit dem Finanzminister um mehr Polizisten, die Bezahlung von Fußballeinsätzen und die Abschiebepraxis im Freistaat.

Innenminister Armin Schuster (CDU) hat Lust auf sein neues Amt – und auf den nächsten Landtagswahlkampf in Sachsen. Mit dem 61-jährigen Nachfolger von Roland Wöller sprachen die beiden „Freie Presse“-Landeskorrespondenten Tobias Wolf und Tino Moritz.

Freie Presse: Sie sind selbst Polizist gewesen und kennen Behörden von innen. Muss die skandalgeplagte sächsische Polizei vor Ihnen zittern?

Armin Schuster: Die Polizei Sachsen unterscheidet sich nicht von den Polizeien anderer Bundesländer. Aber ich kenne kaum ein anderes Bundesland, in dem die Polizei so belastet ist. Für unsere Sicherheit arbeiten die Beamten jeden Tag und jede Nacht hart. Das betrachten vier Millionen Menschen zwar zurecht als selbstverständlich. Aber immer gleich Skandal zu rufen, macht etwas mit unseren Bediensteten und ist angesichts ihrer Leistung in der großen Masse auch unverhältnismäßig. Deshalb stelle ich mich schützend vor und hinter meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dafür erwarte ich nach innen gute handwerkliche Qualität und einwandfreie Haltung. Disziplin, Präzision und Zuverlässigkeit sind bewährte deutsche Tugenden, wegen derer niemand zittern muss.

Freie Presse: Worin besteht die besondere Belastung?

Armin Schuster: Wir haben Sondereffekte wie einen 580 Kilometer langen Grenzverlauf, ständige Versammlungs- und Demonstrationslagen, intensive Fußballeinsätze, anhaltende Extremismusgefahren und sind mit unserer Lage im Herzen Europas auch Durchgangsland für Straftäter.

Freie Presse: Sie nennen Polizisten Botschafter des demokratischen Staats. Braucht es mehr politische Bildung?

Armin Schuster: Es ist für mich eher eine Frage der Führungskultur. Vorgesetzte prägen jeden Tag die Haltung ihrer Mitarbeiter. Ich würde gern mit dem Satz aufräumen, wonach die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft sei. Wir verlangen überdurchschnittliche geistige, körperliche und medizinische Fitness und haben ein hartes Auswahlverfahren. Wer ausgewählt wird, muss wissen, dass sie oder er im Umgang mit Bürgern in vielen Krisensituationen besonders gefordert wird: fachlich, sozial und kommunikativ. Das ist ein hoher Anspruch. Die Polizei, besonders in Uniform, steht quasi täglich im Schaufenster unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Ihr eigenes Agieren ist entscheidend, ob die Bürger Vertrauen in sie haben. Das gilt aber auch beispielsweise für die Mitarbeitenden in der Landesdirektion und den Kommunen.

Freie Presse: Zuletzt hat ein Revierchef Interna an Rechte durchgestochen. Wie viele Extremisten haben Sie in den eigenen Reihen?

Armin Schuster: Wer den bundesweiten oder den sächsischen Lagebericht liest, könnte meinen, die Lage sei nicht besorgniserregend. Ich will jedoch keine Entwarnung geben, auch wenn die acht Verdachtsfälle innerhalb von drei Jahren nur 0,05 Prozent der Bediensteten in unseren Sicherheitsbehörden entsprechen. Über das Dunkelfeld lässt sich schwer spekulieren. Ich appelliere deshalb an die Vorgesetzten, präsent zu führen. Nur so merken wir, wie von wem diskutiert wird und können rechtzeitig Einfluss nehmen. Ob und mit welcher Motivation der Revierleiter wie gehandelt hat, wird jetzt untersucht. Es war richtig, ihn umzusetzen – auch zu seinem eigenen Schutz.

Freie Presse: Die Polizei-Fachhochschule steht auch immer wieder im Fokus und soll umstrukturiert werden.

Armin Schuster: Ja, wir werden die von meinem Vorgänger angestoßene und zum 1. März begonnene Reform konsequent umsetzen. Unter dem Dach der Fachhochschule werden Ausbildung, Studium, wissenschaftliche Forschung und die zentrale Fortbildung zusammengeführt. Die Hochschule übernimmt Auswahl, Einstellung und Qualifizierung des Nachwuchses. Rothenburg hat damit eine Schlüsselfunktion.

Freie Presse: Qualität ist das eine. Sie haben gleich nach Amtsantritt auch auf Quantität gesetzt und mehr Polizisten gefordert. Der Finanzminister lehnt das ab, auch mit Verweis auf die Kriminalstatistik …

Armin Schuster: Meine ersten Erkenntnisse sind ziemlich deckungsgleich mit dem Bericht der Fachkommission, der für uns zuallererst entscheidend ist. Dieser geht schlüssig davon aus, dass wir 14.900 Polizeibeamte benötigen, um die Aufgaben zu bewältigen, die auf der Tagesordnung sind. Dass der Finanzminister zuerst mit dem Blick auf die Finanzen argumentiert, ist doch verständlich. Ich bleibe aber dabei: Wir müssen die Anwärter, die wir jetzt ausbilden, auch in den Polizeidienst übernehmen. Wie hoch die Zahl der Einstellungen in den nächsten Jahren sein kann, darüber müssen wir uns einigen. Ich sehe jedenfalls deutlichen Mehrbedarf, um die Aufgaben zu bewältigen.

Die Bürger in den ländlichen Regionen erwarten zurecht, dass ihre Polizeiposten und -reviere wieder besetzt sind, für diese Präsenz müssen wir vordringlich sorgen. Auch die Kriminalfälle werden immer komplexer: Der Arbeitsaufwand in der digitalen Welt wird ungleich höher. Wenn Ermittler bei der Onlinekriminalität Treffer erzielen, sind sie mit einem riesigen Datenvolumen konfrontiert. Im Landeskriminalamt wird nicht mehr von Terabyte, sondern von Petabyte gesprochen, beispielsweise im Bereich Missbrauch und Kinderpornografie. Kinderpornografie ist leider auch in Sachsen eines der großen Themen.

Freie Presse: Komplex-Ermittlungen gab es 2021 nach den Krawallen von Dynamo Dresden. Auch Chemnitz, Aue und Zwickau haben Problemfans. Sollen Vereine für Fußballeinsätze bezahlen?

Armin Schuster: Ich persönlich präferiere die Privatisierung von öffentlicher Sicherheit nicht. Das könnten sich selbst Proficlubs nur in unterschiedlicher Güte leisten, aber jedenfalls kaum die dritte bis fünfte Liga. Fußball muss in jeder Liga vergleichbar „sicher“ gespielt werden können. Die Vereine können diese Diskussion allerdings stark zu ihren Gunsten beeinflussen, durch ihre Art und Weise der Kooperation mit der Polizei.

Freie Presse: Wie gehen Sie mit umstrittenen Personalentscheidungen Ihres Vorgängers Roland Wöller in der Polizei um?

Armin Schuster: Durch die mediale Präsenz derart sensibler Personalentscheidungen ist das öffentliche Vertrauen in den Entscheidungsprozess nicht mehr adäquat gegeben. Das beschädigt nicht zuletzt auch das Ansehen der Bewerber. Selbst wenn es im ein oder anderen Fall keinen Anlass für Zweifel gibt, werden wir den Vertrauensverlust als Behörde nicht stehen lassen können. Bei einigen müssen wir eine Korrektur vornehmen.

Freie Presse: Haben Sie sich schon ins Sächsische Polizeigesetz eingelesen, das zum Fall für den Verfassungsgerichtshof geworden ist?

Armin Schuster: Eine Entscheidung dazu steht noch aus, aber das Gesetz ist ein guter Schritt in Richtung mehr Sicherheit. Wir konzentrieren uns derzeit aufs Verfassungsgerichtsurteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz. Das ist richtungsweisend und betrifft alle Bundesländer. Bund und Länder wollen eine entsprechende Novelle gemeinsam angehen. Wir hatten in Sachsen unmittelbar vor dem Urteil einen Entwurf für eine große Novelle ausgearbeitet. Unser Ansporn ist jetzt, auf der Grundlage des Urteils schnell eine aktualisierte Lösung zu entwickeln.

Freie Presse: Ihr Vorgänger wollte das sächsische Verfassungsschutzgesetz so ändern, dass extremistische Verdachtsfälle öffentlich benannt werden dürfen, um ein echtes Frühwarnsystem zu sein …

Armin Schuster: Eine entsprechende Änderung ist Bestandteil des Entwurfs. Ob sich aufgrund des Urteils Änderungen ergeben, wird noch geprüft. Aber wir haben ein gut funktionierendes Frühwarnsystem, unser Verfassungsschutz informiert beispielsweise Kommunen über Aktivitäten von Reichsbürgern.

Freie Presse: Sachsen hat ein Rechtsextremismus-Problem. Bei Protesten wird die Stimmung aggressiver. Wie wollen Sie damit umgehen?

Armin Schuster: Die Gesetze konsequent vollziehen und dabei dieser Klientel so wenig Raum wie möglich geben. Wir werden jede Möglichkeit nutzen – auch um Hass im Netz Einhalt zu gebieten. Extremisten sollen spüren, dass der Staat keine Ruhe lässt, dass wir Druck erzeugen. Dafür brauche ich einen starken Verfassungsschutz und eine starke Polizei, die das auch personell leisten können.

Freie Presse: Das wird nicht allen gefallen, die da demonstrieren.

Armin Schuster: Leider ja. Viele, die ihre Meinung bei Demonstrationen äußern, wissen häufig nicht, mit wem sie sich da gemein machen. Wir müssen das stärker verdeutlichen.

Freie Presse: Inzwischen geht es auch um die Sicherheit von Menschen, die als Feinde identifiziert werden.

Armin Schuster: Das Strafgesetzbuch wurde hinsichtlich der Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte verschärft. Wir müssen uns aber auch verstärkt damit auseinandersetzen, wie wir Menschen schützen wie Gemeinderäte, die bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Haltung zeigen und dafür angegriffen werden. Das betrifft auch Bürgermeister und andere Mandats- und Amtsträger. Durch diese Anfeindungen streben wohl auch weniger Menschen solche Ämter an. Dazu zählt für mich übrigens auch, wie wir Medienschaffende bei Versammlungen schützen. Ich will mit der Justizministerin besprechen, ob es Möglichkeiten gibt, den Strafrahmen maximal auszuschöpfen, wenn Mandatsträger oder Journalisten angegriffen werden. Wir brauchen öffentliche Kampagnen und Schutzkonzepte für diesen Personenkreis, die deutlich machen: „Tu es, wir coachen Dich, wir schützen Dich, auch niederschwellig.“

Freie Presse: Polizei und Verfassungsschutz würden viel enger zusammenarbeiten, aber ihre Organisation, Befugnisse und Datenverarbeitung müssen getrennt sein. Wie stehen Sie dazu?

Armin Schuster: Das Trennungsgebot ist kein generelles Kooperationsverbot. Ich bin durch drei Untersuchungsausschüsse im Bundestag geprägt, davon zwei zum NSU. Die Kooperation der beiden Behörden ist mir sehr wichtig, darunter wird das Trennungsgebot nicht leiden.

Freie Presse: Bisher hat Sachsen eine harte Abschiebepraxis gepflegt. Da wurden auch gut integrierte Familien mit ihren Kindern nachts aus dem Bett geholt und abgeschoben. Bleibt es dabei?

Armin Schuster: Wir liegen im Vergleich zu anderen Bundesländern bei Rückführungen im Mittelfeld. Ich stehe für Humanität und Ordnung. Schutzsuchenden, die Hilfe benötigen, helfen wir. Sie sollten sich jedoch an unser Regelwerk halten. Wer endgültig ausreisepflichtig ist, muss dem auch nachkommen, hier kann der Staat nicht beliebig werden und den Vollzug von Gesetzen relativieren. Wir erwarten Verfassungs- und Rechtsstaatstreue, dann müssen wir es auch vorleben. Bei vollziehbar Ausreisepflichtigen habe ich aber eindeutige Prioritäten: Mehrfach-, Intensiv- und Serienstraftäter sowie Gefährder sind als Allererste zurückzuführen.

Freie Presse: Der letzte Minister, der hier außer der Reihe ernannt wurde und nicht aus dem unmittelbaren sächsischen Politikbetrieb kam, war ein parteiloser Lehrer aus Dresden und nur 57 Tage im Amt. Wie lange wollen Sie Minister bleiben?

Armin Schuster: Die Aufgabe als Innenminister ist eine ganz besondere. Ich spüre eine hohe Verantwortung, habe aber auch größte Freude an diesem Amt und ich mache sehr gerne Wahlkampf. Übrigens mit Erfolg, ich habe dreimal einen sehr umkämpften Bundestagswahlkreis gewonnen und daraus wohl diese Leidenschaft entwickelt. Warum sollte ich das nicht in Sachsen noch mal für die CDU zum Einsatz bringen dürfen? Alles weitere liegt in den bewährten Händen von Michael Kretschmer.

Zur Person Armin Schuster

Der 61-Jährige ist seit dem 25. April sächsischer Innenminister. Für dieses Amt – als Nachfolger von Roland Wöller (CDU) – gab der langjährige Bundestagsabgeordnete (2009-2020) seinen Posten als Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf. Geboren in Andernach am Rhein (Rheinland-Pfalz), begann er 1980 beim Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) als Wachtmeister. Der CDU-Politiker ist verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter.