Mit der Flex eine Sache von Sekunden
15. Oktober 2025
Presseartikel

An Schnellladesäulen werden immer häufiger die Kabel geklaut. Ärgerlich für E-Auto-Besitzer, ein Millionenschaden für die Betreiber. Was steckt dahinter?
Stefan Moeller legt sich auf die Lauer. Nachts, im Großraum Leipzig, parkt er sein Elektroauto so, dass er gute Sicht auf einen Ladepark habe, erzählt er am Telefon, und beobachte mit dem Fernglas jedes Auto, jedes Fahrrad und jede Person, die sich den Ladesäulen nähert. Stunden verharre er manchmal dort, schalte irgendwann die Standheizung an, weil die Kälte in die Knochen ziehe.
Eigentlich betreibt Moeller die bundesweite E-Auto-Vermietung Nextmove und den gleichnamigen YouTube-Kanal. Seine über 171.000 Follower kennen den 49-Jährigen als sympathischen Experten der E-Mobilität, meist im T-Shirt, mit Dreitagebart und wuscheligen Haaren. Doch hier, nachts bei Leipzig, will Moeller Diebe auf frischer Tat ertappen. Diebe, die Ladekabel klauen.
Anders als bei der heimischen Wallbox sind Ladekabel an Schnellladestationen fest montiert. Sie sind schwer und so dick wie der Kraftstoffschlauch an einer Zapfsäule. Und sie bestehen aus einem wertvollen Rohstoff: Kupfer. Pro Kabel liegt der Materialwert bei rund 50 Euro. Darauf haben die Diebe es abgesehen. Und der Schaden, der europaweit entsteht, geht inzwischen in die Millionen.
900 Kabel an über 130 Standorten
Abgeschnittene Kabel, gesperrte Ladesäulen – in den vergangenen Jahren ist Stefan Moeller das immer wieder aufgefallen. Es habe ihn wütend gemacht, sagt er, ist er doch in jeder Hinsicht von der Elektromobilität abhängig: Wegen seines Unternehmens und im Alltag, denn auch da fährt er Elektroauto. Trotzdem habe er lange geschwiegen. „Vor zwei Jahren war das Phänomen neu, und ich wollte Trittbrettfahrer nicht durch die Berichterstattung motivieren“, sagt Moeller. Doch inzwischen sei in ganz Europa bekannt, dass der Ladekabelklau lohnenswert – und mit einer Akkuflex leicht zu erledigen sei.
Wie groß die Dimension des Ladekabelklaus ist, lässt sich an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) ablesen. Die EnBW ist mit mehr als 7.000 schnellen Ladepunkten an über 1.500 Standorten der größte Betreiber in Deutschland. Das Unternehmen hat viel Geld investiert. Und sieht sich jetzt mit einem unvorhergesehenen wirtschaftlichen Risiko konfrontiert: An über 130 Standorten seien bisher über 900 Kabel gestohlen worden.
„Die zunehmende Zahl von Kabeldiebstählen schafft neue Herausforderungen“, sagt Volker Rimpler, Chief Technologie Officer (CTO) für Elektromobilität bei der EnBW. Es ist eine Herausforderung, mit der die Branche kaum gerechnet haben dürfte.
Zwar könnten Schäden durch das eigene Team von Technikern rasch behoben werden – das geklaute würde einfach durch ein neues Kabel ersetzt. Es entstehe aber ein „erheblicher monetärer Schaden“, sagt Rimpler. Für die Arbeitszeit der Servicetechniker bei der Reparatur, das Material und die vorgeschriebene Eichrechtsprüfung seien das pro Kabel durchschnittlich 3.500 Euro. Der Umsatzverlust durch den Ausfall des Stromverkaufs ist da noch nicht mal eingerechnet. Allein bei der EnBW kommen so über drei Millionen Euro zusammen.
Keine Hinweise auf politisches Motiv
Zu Beginn waren die Täter offenbar vorwiegend Kleinkriminelle auf der Suche nach dem schnellen Euro, so berichten Beobachter. Es ist jedoch plausibel, dass der Diebstahl mittlerweile organisiert ist. Auch wenn Gegner der Elektromobilität teils hämisch reagieren, Hinweise für eine politische Dimension gibt es nicht.
Für die Fahrerinnen und Fahrer von Elektroautos ist der Kabelklau vor allem ein großes Ärgernis. Schließlich brauchen sie Schnellladesäulen, vor allem auf langen Reisen. An einem Standort anzukommen und festzustellen, dass die Anschlusskabel abgeschnitten sind, ist nervig. Viele Elektroautos sind zwar permanent online und zeigen an, ob ein Ladepunkt besetzt ist oder ob irgendetwas nicht stimmt. Das ist allerdings nicht bei jedem Fahrzeug so – und ohnehin achten nicht alle Menschen darauf. Zudem reduziert sich durch zerstörte Ladesäulen das Angebot an Schnellladepunkten.
Bei den Anbietern ist man deshalb bemüht, den Diebstahl zu verhindern. Man suche, so heißt es von der EnBW, den Kontakt zu den Ermittlungsbehörden, um gemeinsame präventive Maßnahmen zu entwickeln. Zudem stehe EnBW in engem Austausch mit Alpitronic, dem Hersteller der Ladesäulen, um den Kabelklau zu erschweren. Alpitronic aus dem italienischen Südtirol ist Marktführer bei der Produktion von Schnellladesäulen.
Markierungsflüssigkeit mit individueller Signatur
Auch den Konkurrenten Kempower aus Finnland beschäftigt das Thema: Nach eigenen Angaben hat sich die Zahl der Ladekabeldiebstähle bei ihren Säulen von 2023 auf 2024 verdoppelt. Absolute Zahlen nennt das Unternehmen nicht – vielleicht fürchtet man auch hier Nachahmungstäter.
Kempower hat im August ein überarbeitetes Ladekabel mit einer doppelten Sicherung vorgestellt: Zum einen ist das Kabel dicker ummantelt, sodass das Durchtrennen erschwert wird. Nur sind die Kabel der Schnellladesäulen ohnehin nicht besonders flexibel oder leicht; eine weitere Schicht könnte sie noch steifer machen. Kempower gibt jedoch an, dass die Handhabung dadurch nicht leiden würde.
Zusätzlich ist das Kabel mit einer Flüssigkeitsleitung umgeben. Wird sie angesägt oder anders beschädigt, spritzt eine Flüssigkeit auf den Täter und dessen Ausrüstung. Sie ist transparent, kann aber unter ultraviolettem Licht sichtbar gemacht werden und hat eine spezifische Signatur. Dadurch kann zwischen einer Person und einem bestimmten Ladepark ein Zusammenhang nachgewiesen werden; das ist wichtig für die strafrechtliche Verfolgung.
Die Verfolgung aufnehmen
Bald könnte also manche Ladesäule über ausgefeilte Sicherungstechniken verfügen. Bis diese auch in der Fläche etabliert sind, wird es jedoch noch eine Weile dauern.
Bis dahin will Stefan Moeller in und um Leipzig weiter auf der Lauer liegen. Die Schwierigkeit dabei: die Täter auf frischer Tat ertappen. Mit einer Akkuflex sei so ein Kabel in weniger als einer Minute entfernt, sagt Moeller.
Zudem müsse man den Diebstahl eines Kabels auch einem bestimmten Täter nachweisen können. Neben sein Elektroauto, aus dem er die Ladeparks beobachte, stelle er deshalb immer auch sein Fahrrad, erzählt Moeller. Wenn er Diebe bei der Arbeit sieht, will er die Polizei rufen – und dann mit dem Fahrrad oder Auto die Verfolgung aufnehmen. Erfolg hatte er dabei jedoch noch nie.
Von Christoph M. Schwarzer, zeit.de