Jesus hängt am Eisernen Kreuz: der Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz. Eine Recherche zu Antifeminismus, christlichem Fundamentalismus und der Neuen Rechten.

Wofür wird marschiert?
Im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz marschieren jedes Jahr hunderte AbtreibungsgegnerInnen, stramme Rechte, AfD-Fans und christliche Hardliner durch die beschaulichen Straßen.
Schweigemarsch deshalb, weil die Teilnehmenden auf der Demoroute vollkommen still sind. Damit wollen sie symbolisch den abgetriebenen Föten, oder in ihrer Welt den “zahllosen, unschuldig ermordeten Kindern”, gedenken. Erst an der Endkundgebung halten sie Reden oder lassen LiedermacherInnen auftreten.
Das Ziel der VeranstalterInnen und der MitläuferInnen ist das vollständige Verbot von Abtreibungen, auch bei Vergewaltigungen oder inzestuösen Missbrauch. Zudem demonstrieren sie für ein Verbot von Sterbehilfe.
Inhaltlich findet sich auf dem Schweigemarsch vor allem antifeministische, nationalistische, verschwörungsideologische und holocaustrelativierende Inhalte wieder. Zu den AkteurInnen kommen wir gleich – aber erstmal die Frage…

Wieso eigentlich in Annaberg-Buchholz?
In Annaberg gibt es eine Klinik, das Erzgebirgsklinikum. Bis vor wenigen Jahren war das im gesamten Erzgebirgslandkreis der letzte Ort, in dem noch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt – bei rund 300.000 Einwohner*innen. Mittlerweile gibt es noch eine weitere Praxis, die Abbrüche anbietet.
Doch auch diese eh schon katastrophale Versorgungslage ist den Fundis und Faschos noch nicht schlimm genug – und so treffen sie sich jedes Jahr vor dem Erzgebirgsklinikum, um von dort aus ihren Schweigemarsch zu beginnen.
Bereits im Vorfeld gibt es rund um die Klinik Plakatkampagnen, auf den gegen Abtreibung gehetzt wird.
Nicht umsonst sind Gehsteigbelästigungen von der Ampel-Regierung verboten wurden, allerdings zählen solche Formen nicht dazu.

Die AkteurInnen
Im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz versammeln sich jedes Jahr eine wilde Mischung aus AbtreibungsgegnerInnen , AfD-Fans, Kirchenmitglieder und der strammen Rechten.
Früher wurde der Schweigemarsch von den “Christdemokraten für das Leben” organisiert, einer CDU-nahen Anti-Abtreibungs Gruppe.
Thomas Schneider gründete nach seinem Austritt aus der CDU den Verein Lebensrecht Sachsen e.V., seit 2016 wird der Schweigemarsch von diesem Verein organisiert.
Lebensrecht Sachsen e.V. , ist ein christlich-fundamentalistischer Verein, dessen Ideologie sich aus wortgetreuer Bibelauslegung speist.
Das Umfeld von Lebensrecht Sachsen e.V. besteht aus AntifeministInnen, Anti-Gender-Rhetorik, völkischer Nationalismus und verschwörungsideologischen Erzählungen.

Lebensrecht Sachsen e.V.
LsR e.V. gehört zum Dachverband Bundesverband Lebensrecht e.V., den wir gleich noch beleuchten.
Schon auf der Website wird klar, wer mitmischt: so finden sich Artikel aus der Jungen Freiheit und Zitate des AfD-Wahlprogrammes im Archiv.
Im Vorstand von LsR e.V. sitzen Susanne Georgi, René Kaiser und Michael Hummitzsch.
René Kaiser hat 2013 den Kreisverband AfD Mittelsachsen gegründet, und blieb dort bis 2018 Kreisvorsitzender. Er ist bis heute aktives Mitglied.
Susanne Georgi begründet ihren Aktivismus mit ihrer einenen Geschichte: als junge Frau sei sie zu einer Abtreibung gezwungen worden, worunter sie heute noch leidet. Vor diesem Schicksal der körperlichen Fremdbestimmung möchte sie andere Frauen bewahren, indem sie …. über andere Körper fremdbestimmt. Alles klar. Sie gehört zudem zur christlichen Polizeivereinigung.

Das Umfeld
Den ersten Schweigemarsch organisierte Joachim Hadlich, der erst 10 Jahre CDU-Mitglied war und 2017 zur AfD wechselte. In einem offenen Brief von 2016 schrieb er von “Armutsflüchtlingen” als “Invasion fremder Völker, Religionen und Kulturen”. außerdem würden Schüler und Bürger mit “unsäglich sexistischer Sprachverhunzung” und “Gender-Ideologie” indokriniert.
Der Organisator bis 2015, Daniel Kästner aus der CDU sagte einmal, Abtreibungen bedeuten den Rückfall in die Barberei, da sie letzendlich ein “hedinisches Menschenopfer” bedeuten.
Thomas Schneider, bis vorletztem Jahr im Vorstand von LsR e.V. ist Autor für die Junge Freiheit und teilt auf seiner Website munter Artikel der AfD und von idea.de, einem rechtsoffenen Magazin.

Das Umfeld – Theo Lehmann
Theo Lehmann tritt regelmäßig als Redner auf dem Schweigemarsch auf. Er war nicht nur Ehrengast bei Pegida und Referent für die JA, er unterzeichnete zudem 2012 eine Erklärung gegen homosexuelle Pfarrer*innen und beklagte in der Jungen Freiheit den “Kampf gegen Rechts” von der Evangelische Kirche.
In einem Gemeindebrief von 2004 schreibt er: „Noch ist der Fisch am Autoheck unser geheimes Erkennungszeichen und nicht der staatlich verordnete Aufnäher zur Kennzeichnung ausgegrenzter Christen wie seinerzeit der gelbe Davidsstern für die Juden.“
Und weiter: “Wir sollten die Atempause benutzen, um uns auf Zeiten vorzubereiten, in denen Christsein nicht mehr ‚geil‘, sondern gefährlich ist. Was wir brauchen, sind bibelfeste und notfalls auch feuerfeste, KZ-fähige Christen.“

Das Umfeld – Jörg Swoboda
Jörg Swoboda ist ein MItarbeiter von Theo Lehmann, er wiederum tritt als Liedermacher beim Schweigemarsch auf. Viele seiner Texte sind gemeinsam mit T.Lehmann enstanden, zum Beispiel der Song “Kindersterblichkeit”:
“Dass man die Schwachen töten darf, ist schon einmal bei uns passiert.
Und nach dem Krieg stand Deutschland schamrot da, und rundum braun verführt. […]Heut werden Menschen wiedermal zum großen Sterben selektiert.
Nur sind die Herrenmenschen, die das tun, jetzt grün und rot lackiert.”
Das ist eine eindeutige Holocaustrelativierung. Den Vergleich zwischen Abtreibungen und dem Holocaust sind ein gängiges Narrativ der Anti-Abtreibungsszene, zum Beispiel in Form des Begriffes “Babycaust”, der immer wieder genutzt wird.
Als Jörg Swoboda diesen Song 2019 auf dem Schweigemarsch sang, sagte Susanne Georgi dazu: „Es ist die Wahrheit. Es ist ein Fakt, der steht, und da stehen wir auch dazu.“

Der Bundesverband Lebensrecht Sachsen e.V.
Die Dachorganisation der deutschen Anti-Choice Bewegung, mit dem Ziell, Abtreibungen vollständig zu verbieten. Die Vorstandsvorsitzende Alexandra Maria Lindner schrieb 2009 ihr Buch “Geschäft Abtreibung”, in dem sie Abbrüche immer wieder mit dem Holocaust vergleicht.
Der stellvertrende Vorsitzende, Dr. Paul Cullen, fantasiert 2016 in seinem “Manifest” von einer “Abtreibungs- und Euthansie-Lobby”, die die Unterstützung von “mächtigen Finanzinteressen” habe. Die Bill-Gates-Stiftung und George Soros, ein jüdischer Holocaustüberlebender und Investor, seien dabei die “wahren Strippenzieher”.
Er bedient dabei nichts anderes als Verschwörungserzählungen vom Finanzjudentum.

Das Umfeld – Kaleb e.V.
In Chemnitz, gleich neben Annaberg gibt es eine Schwangerenberatungsstelle.
Ungewollt Schwangere sind in Deutschland verpflichtet, vor einer Abtreibung eine solche Beratung wahrzunehmen, erst dann bekommen sie ihren Beratungsschein und damit einen strafffreien Abbruch.
Kaleb bietet solche Beratungen an, stellt aber keinen Schein aus, die Gespräche sind auch nicht ergebnisoffen. In den Beratungen wird auf die Frauen massiver, religiös motivierter Druck ausgeübt, die Schwangerschaft fortzuführen. Teils wird sogar mit den Betroffenen während der Beratung gebetet und Falschinformationen verbreitet; bspw., dass Frauen durch Abtreibungen unfruchtbar werden.
Das sächsische Sozialminsterium fördert Kaleb jedes Jahr mit mehreren Millionen Euro aus Steuergeldern und führt die Beratung vollkommen unkritisch auf ihrer Website auf.

Als wäre das nicht genug…
Es gibt noch zahllose weitere AkteurInnen, die auf indirektem oder direkten Weg mit dem Schweigemarsch in AB, Lebensrecht Sachsen e.V. und AbtreibungsgegnerInnen im Allgemeinen zusammenhängen, zum Beispiel die Alliance Defending Freedom, die im EU-Parlament Lobbyarbeit leistet und unter anderem maßgeblich an der massiven Verschärfung des Abtreibungsrechtes in Polen beteiligt waren. An diesem Gesetz sind bereits mehrere Frauen verstorben.
An einer von der ADF organiserten Konferenz in Brüssel m April/24 nahmen z.B. Victor Orban und Hans-Georg Maßen teil, und Albert Steegemann aus der CDU sagte öffentlich, er wolle die “Anregungen” der ADF mit ins Parlament nehmen. Er ist wiederum Mitglied des Stephanuskreis, welche die ADF unterstützt. Weitere Mitglieder sind unter anderem Jens Spahn und Julia Glöckner.
Für die Beeinflussung von PolitikerInnen sind bereits rund 28 Millionen Dollar von der ADF nach Europa geflossen.

Und nun?
Die Argumentationen der fundamentalistischen Vertreter im deutschen Christentum beruhen im Kern auf anti-emanzipatorischen, anti-modernen, frauen- und queerfeindlichen und vor allem antidemokratischen Narrativen. Die darin liegenden Gemeinsamkeiten bilden den Nährboden für unheillige Allianzen.
Wer sich gegen den Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz stellt, stellt sich also auch gegen Erzählungen und Narrative der extremen Rechten, stellt sich gegen Antisemitismus und Shoarelativierung, gegen Verschwörungserzählungen und korrupten Lobbyismus.
Es geht ihnen nicht nur um Vernetzung, es geht ihnen um realpolitische Einmischung und Gesetzgebungen: Ländern wie Polen, Ungarn und die USA sind dafür traurige Beispiele. Auch die vermeintlich kleinste oder “unbeutende” Veranstaltung nützt ihnen zur Verbreitung ihrer Ideologien.
Kommt also mit uns, um diese regressive Forderungen und ihre VertrerInnen ein für alle Mal zur Hölle zu jagen – wir sehen uns am 14.6. zur Gegendemo in Annaberg!
Bustickets zur gemeinsamen Anreise aus Leipzig gibt es im NoBorders. Mehr Infos unter https://prochoiceleipzig.wordpress.com/