37 Euro pro Quadratmeter, 14 Zimmer und ein Klo: Deutschland entsetzt über WG in Leipzig

In Leipzig-Lindenau steht ein Wohnhaus an den Bahngleisen, das vom Vermieter als „Cooles Haus voller junger Menschen“ beworben wurde. Was sich darin wirklich abspielt, ist kaum zu fassen.
Leipzig. Winzige, völlig überteuerte Zimmer. Angeblich keine Fenster. Küche, Dusche und Toilette in einem Raum. In sozialen und in Nachrichten-Medien kursieren Schilderungen eines WG-Hauses in Leipzig, dessen Zustand unter anderem als „menschenverachtend“ kommentiert wird.
Ganz Deutschland schaut auf ein Wohnobjekt im Westen der Stadt, nachdem unter anderem die Frankfurter Rundschau einen Post in den sozialen Netzwerken aufgriff. Die Blase der Empörung wächst und wächst, unter anderem auf dem Social-News-Portal „Reddit“. Doch die beschriebenen Zustände bleiben ungeprüft. Stimmen die Angaben? Ein LVZ-Besuch vor Ort in der Demmeringstraße sorgt für ein klares Bild. Es ist ein erschütterndes.
Miete bis zu 37 Euro pro Quadratmeter
Betrat man bis zum vergangenen Mittwoch den Hof am Ende einer langen Straße in Lindenau, fiel gleich der Berg aus Müllsäcken ins Auge. „Wir haben leider keine Mülltonnen“, sagt Sascha. Seit Anfang März wohnt der junge Ukrainer hier. Wie vier andere junge Männer ist er mit zahlreichen widrigen Umständen konfrontiert.
Zum Beispiel mit einer überzogenen Miete. Laut dem bei „Reddit” veröffentlichten Grundriss zahlt man für das kleinste Zimmer 265 Euro. Das sind 37 Euro pro Quadratmeter – knapp das Vierfache des Durchschnitts für Kaltmiete in Leipzig (9,45 Euro). Für einen 11-Quadratmeter-Raum liegt der Preis bei 330 Euro. Die Mieter bestätigen das. 14 winzige Zimmer plus Küche, die ans Klo grenzt. Für die knapp 158 Quadratmeter kalkuliert der Vermieter des Objektes mit insgesamt 4225 Euro Mieteinnahmen im Monat.
Die Zahlen inkludieren die Nebenkosten, also auch die für eine Heizung. Die allerdings funktioniert nicht, in keinem der bislang fünf bezogenen von insgesamt 14 Zimmern. „Besonders nachts ist es unerträglich kalt“, sagt Sascha. Das hat der 18-Jährige auch der zuständigen Wohnungsverwaltung geschrieben. In der E-Mail, die der LVZ vorliegt, bemängelt er zudem die defekten Steckdosen. Ohne Reaktion, sagt er.
Weitere Unzulänglichkeiten: Die vom Vermieter nicht möblierten WG-Räume trennen dünne Wände aus Gipskarton, durch die jedes Geräusch über das Nachbarzimmer hinaus zu hören ist. „Schnarcht einer von uns, kriegen wir es alle mit“, bemerkt Sascha.
Kabel hängen ungesichert von der Decke
Unter anderem die Verkleidung von Wänden und Decken wurde nicht fachgerecht angebracht, sie ist locker und uneben. Der Flur gleicht einer Baustelle. Es fehlen Lampen, Kabel hängen ungesichert von der Decke.
Einen weiteren Mangel führt Rakesh (Name geändert) vor: In jedes Zimmer passt ein und derselbe Schlüssel. „Damit sind weder Sicherheit noch Privatsphäre der Bewohner gewährleistet“, sagt der 19-Jährige, der aus Indiens Metropole Mumbai zum Informatik-Studium nach Leipzig gezogen ist.
Keine Reaktion auf Mieter-Beschwerden
Auffällig und kurios ist die Aufteilung der Nische am Ende des langen Flurs: Sie besteht aus Küche, Bad und WC in quasi einem Raum. Für 14 Mieter konzipiert. Auf einer Zeile reihen sich Waschmaschine, Küchengeräte und Arbeitsplatte. Direkt gegenüber – etwa einen Meter entfernt – befinden sich die Toiletten, lediglich durch Türen von der Küche abgetrennt. Das riecht buchstäblich nach hygienischer Problematik.
Eines der beiden WCs ist schon lange defekt. Auch dieses Manko haben die Bewohner gemeldet, ohne dass sich etwas änderte. Ahmad, ein Student aus Syrien, möchte die Zustände nicht mehr ertragen. „Es gibt keine Worte dafür, wie schlecht das Leben in dieser Wohnung ist“, schrieb er an die Hausverwaltung und signalisierte das Vorhaben, zu kündigen.
Kündigung erst für September möglich
Das allerdings ist nicht einfach. Im Mietvertrag, der der LVZ ebenfalls vorliegt, steht: „In den ersten vier Jahren ab Unterzeichnung (…) ist es ausschließlich möglich, zum Ablauf des jeweiligen Septembers zu kündigen.“ In einer Antwort an den 23-Jährigen klärt die Hausverwaltung ihn auf, er müsse bei einer vorzeitigen Beendigung einen Nachmieter benennen.
Bloß: Wie findet man jemanden, der zu diesen Bedingungen wohnen will? Und überhaupt: Warum haben sich die jungen Männer das angetan? „Ich hatte keine Wahl, der Wohnungsmarkt ist dicht“, sagt Ahmad. Er habe zuvor vorübergehend in der Eisenbahnstraße wohnen können, dann aber lange erfolglos eine Alternative gesucht. Sascha und Rakesh ging es ebenso.
Auf der Seite „WG-gesucht“ entdeckte Ahmad das Angebot in Lindenau. „Es blieb mir nichts übrig, als zuzusagen und zu unterschreiben, sonst wäre ich auf der Straße gelandet.“ Sascha sagt: „Ich wusste, was ich unterschreibe und welche Bedingungen damit verbunden sind.“ Er könne sich mit allem arrangieren, außer dem Müllproblem und der nicht laufenden Heizung.
Nun leben die jungen Leute in einem Objekt, das alles andere als ein Wohn- oder gar Wohlgefühl vermittelt. Sie sind Opfer vom immer knapper werdenden finanzierbaren Wohnraum. Das Netz ist sich einig. „Der Wohnungsmarkt zeigt die ganze Niedertracht menschlicher Existenz“, schreibt ein User auf „Reddit“.
Leiwo Hausverwaltung schweigt
Entsprechend fallen die Kommentare auf „Reddit“ zum Leipziger WG-Haus aus. Angeprangert werden „menschenverachtende“ Umstände, es werden Vergleiche zu „Wohnkäfigen in Hongkong“ gezogen. Einzig unwahr ist die auf dem Portal genannte Angabe von fensterlosen Räumen. Fenster hat jeder Raum. Allerdings dringen laut Bewohnern Kälte und Wind hindurch.
Die LVZ konfrontierte die Leiwo Hausverwaltung mit den Mängeln und den Vorwürfen. Im Vertrag ist sie als Vertretung des namentlich nicht genannten Eigentümers genannt. Ebenfalls kontaktiert wurde die im Schriftverkehr der Bewohner aufgeführte Hausverwaltung. Von der kam eine automatische Bestätigung des E-Mail-Erhalts. Doch geantwortet hat niemand.
Bis vor Kurzem war das Objekt in der Demmeringstraße bei „WG-gesucht“ als „Cooles Haus voller junger Menschen“ beworben worden. Schon vor der LVZ-Recherche war die Annonce vom Portal verschwunden.
Für die Mieter Sascha, Ahmad, Rakesh und zwei weitere Personen hängt die Zukunft voller Fragezeichen. „Ich hoffe, aus diesem Dilemma wieder herauszukommen“, sagt Ahmad. „Und dass ich bald irgendwo menschenwürdig wohnen kann.“ Ein kleiner Lichtblick für die WG: Fünf Stunden nach der LVZ-Anfrage war der Müllberg am Eingang verschwunden.