Hat die Polizei die Lage in Sachsen noch im Griff?

Corona-Fälle in den eigenen Reihen, illegale Proteste im Land: Jetzt sollen Polizeistudenten aushelfen. Laut einem Gewerkschafter ist die Lage dramatisch.

Es ist das vielleicht offensichtlichste Signal, dass die Sicherheitskräfte im Freistaat an die Grenzen ihrer Einsatzfähigkeit kommen: Ab kommenden Dienstag sollen Auszubildende der Polizei für mehrere Wochen in den Hilfseinsatz geschickt werden.

Für rund 400 Studenten der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/Oberlausitz wird das Weihnachtsfest deshalb eher ungemütlich. Sie sollen bis mindestens 7. Januar in Revieren eingesetzt werden, um bei der momentanen „herausfordernden Lage“ zu helfen, heißt es in einem Schreiben von Prorektor Mirko Göhler von Ende vergangener Woche.

Der geplante Weihnachtsurlaub werde deshalb widerrufen, das „erforderliche Engagement der Studierenden“ nicht nur von der Hochschule vorausgesetzt. Aber nur 160 von den 400 Rothenburger Studenten verfügen bereits über Berufserfahrung im Polizeialltag. Sie sollen deshalb in Teams mit erfahrenen Beamten eingesetzt werden.

Nicht erst, seitdem Extremisten und ihre Mitläufer mit Fackeln vor dem Privathaus von Sozialministerin Petra Köpping (SPD) aufliefen, steht die Polizei unter Druck. Seit Wochen finden in Sachsen illegale Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen statt und es werden immer mehr.

Landespolizeichef setzt auf Wirkung von Bußgeldern

Vergangenen Montag hatte es im Freistaat 82 illegale Versammlungen mit rund 6.800 Teilnehmern gegeben, darunter in Dresden, Chemnitz, Freiberg und Bautzen.2.440 Polizisten, darunter Beamte aus Bayern, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und von der Bundespolizei waren im Einsatz.

Nicht noch einmal wollte man sich dem Vorwurf des Kontrollverlusts aussetzen; der Kritik, Corona-Leugner gewähren zu lassen, während die vernünftige Mehrheit fassungslos zusieht.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hatte indirekt eine Kapitulationserklärung abgegeben, dass die Menschen sich im eigenen Interesse an Regeln halten sollen und die Einhaltung nicht flächendeckend kontrolliert werden könne. Man habe in den letzten Wochen wohl zu sehr auf das Gute im Menschen, auf Vernunft und Einsichtsfähigkeit vertraut, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Hat die Polizei die Lage noch im Griff oder schon die Kontrolle verloren? Die Behörde steckt in einem Dilemma. Einerseits sollen illegale Proteste aufgelöst und Verstöße knallhart geahndet werden, andererseits will man den Rechtsextremisten „Freie Sachsen“ oder vom III. Weg keine Bilder liefern, die diese für ihre Propaganda verwenden könnten, so ein Experte.

Von einer neuen Gangart spricht inzwischen Sachsens Polizeipräsident Horst Kretzschmar. „Wir haben bislang auf Vernunft gesetzt, die sich nicht eingestellt hat. Deshalb treten wir als sächsische Polizei künftig entschlossener und wenn notwendig auch robuster auf.“ Mehr als 1.000 Ordnungswidrigkeiten erfasste die Polizei am Montag, dazu 60 Straftaten, darunter Angriffe auf Polizisten und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

Kretzschmar setzt auf die erzieherische Wirkung von Bußgeldern. Jede Teilnahme an einer unzulässigen Versammlung sei mit 250 Euro bewehrt. „Das Ziel muss sein, den Leuten an den Geldbeutel zu gehen, die sich nicht an die Regeln halten.“ Er habe die Landesdirektion gebeten, Einfluss auf kommunale Stellen zu nehmen, damit Bußgeldbescheide umgehend bei den Regelbrechern im Briefkasten landeten.

Impfquote bei der Polizei: 65 Prozent

Von Extremisten organisierte Demonstrationen sind nur ein Teil des Problems. Die Beamten sollen die Einhaltung der Corona-Schutzverordnung kontrollieren und das normale „Polizeigeschäft“ mit Verkehrsunfällen und Kriminalität irgendwie stemmen.

Auch die Pandemie geht nicht spurlos an der Behörde vorbei. Die Impfquote liegt bei gerade einmal 65 Prozent, etwa 18 Prozent gelten als genesen. Von gut 12.000 Polizisten im Freistaat sind am Mittwoch 780 in Quarantäne gewesen, 521 davon hätten sich mit dem Coronavirus infiziert, so Landespolizeipräsident Kretzschmar.

Dazu kommen nach Einschätzung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) noch rund 1.000 Beamte, die wegen Langzeiterkrankungen dauerhaft dienstunfähig sind. „Dass jetzt die Polizeischüler zum Einsatz kommen, zeigt, wie wir kräftemäßig in Sachsen aufgestellt sind“, sagt DPolG-Landesvorsitzende Cathleen Martin. Es gebe sonst niemanden mehr, der diese Aufgaben übernehmen könnte. „Das sollte wachrütteln, damit wir nicht in den nächsten Jahren wieder zu solchen Maßnahmen greifen müssen.“

Hagen Husgen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hofft, dass die angespannte aktuelle Lage „ein Wink mit dem Zaunpfahl für den Finanzminister und den Innenminister“ ist. „Die Kacke ist am Dampfen, was das Personal betrifft, aber jahrelang ist nur darüber geredet worden.“ Man brauche mindestens 840 Polizisten mehr als heute.

Die DPolG fordert mehr als 1.000 Neueinstellungen pro Jahr, weil schon in der Ausbildung bis zu 15 Prozent wieder abspringen würden und 400 Beamte jedes Jahr in Pension gingen. „Unseren Innenminister interessiert das alles nicht, da gibt es auch keine Wertschätzung“, sagt DPolG-Chefin Martin.