Wie der deutsche Staat einstige KZ-Areale verkauft – und an wen

Immer wieder verkauft der Bund Liegenschaften, die mal zu Konzentrationslagern gehörten. Die Behörden beteuern, dabei sehr sensibel vorzugehen, aber nach SPIEGEL-Informationen stimmt das nur bedingt.

Am Umgang des deutschen Staates mit manchen früheren NS-Lagern regt sich Kritik. Mehr als ein Dutzend solcher Liegenschaften hat der Bund in der Vergangenheit veräußert, drei weitere Flächen stehen derzeit zum Verkauf. Dies geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.
Der Historiker Jens-Christian Wagner, NS-Experte und Direktor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar, zeigt sich irritiert. Die nun vorgelegte Liste der verkauften Liegenschaften sei »definitiv nicht vollständig«.

Eine SS-Fabrik an einen Privatinvestor

Käufer in den nun aufgelisteten Fällen waren vor allem Städte oder Stiftungen zum Gedenken an die Naziverbrechen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Einige Grundstücke seien aber auch an Privatinvestoren verkauft worden.

– So verkaufte der Bund 2019 ein Grundstück im sächsischen Chemnitz für 2,75 Millionen Euro an eine Immobiliengesellschaft. Auf dem Gelände, einst Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg, produzierten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene während des Zweiten Weltkriegs für die Auto Union Teile des Wehrmachtspanzers »Tiger«.
– 2017 verkaufte der Bund eine denkmalgeschützte Wohnsiedlung in Dachau bei München für rund drei Millionen Euro. In den Wohnungen lebten ab 1933 SS-Angehörige, die im nahe gelegenen KZ arbeiteten.
– Im selben Jahr wurde das Landwerk Neuendorf für 500.000 Euro veräußert. In dem Lager östlich von Berlin leisteten jüdische Menschen zwischen 1941 und 1943 Zwangsarbeit, viele wurden nach Auschwitz deportiert.
– 2020 erwarb eine Privatperson im Rahmen einer Versteigerung einen Bunker in Weimar nahe der Gedenkstätte Buchenwald für 6.500 Euro.
– Aktuell plant der Bund einen Verkauf der ehemaligen SS-Brotfabrik in Oranienburg, die von Zwangsarbeitern des KZ Sachsenhausen gebaut und betrieben wurde, an einen privaten Investor.

In ihrer Antwort weist die Bundesregierung darauf hin, dass beim Verkauf bundeseigener Liegenschaften weder eine Vornutzung als NS-Konzentrationslager noch ein eventueller Zusammenhang mit Verbrechen des Nationalsozialismus statistisch erfasst werde. Deshalb sei nicht auszuschließen, dass weitere Liegenschaften verkauft worden seien.

Nicht immer ist eine Privatisierung problematisch. In Neuendorf beispielsweise arbeitet ein Verein die Geschichte des Gutshofs auf. In Chemnitz steht immerhin eine Gedenktafel.

Es habe fast 1000 Haupt- und Nebenlager von Konzentrationslagern gegeben, »die kann man nicht alle zu Gedenkstätten ausbauen und die ehemaligen Lagergelände in öffentlichem Eigentum halten«, sagt auch Historiker Wagner. »Aber es ist extrem wichtig, sich Kaufinteressenten und deren Pläne ganz genau anzuschauen.«

Die Bundesregierung betont, man gehe »bei der Verwertung dieser speziellen Liegenschaften behutsam vor« und stimme sich insbesondere mit den Kommunen, den Denkmalschutzbehörden sowie entsprechenden Stiftungen ab, »um ethische sowie erinnerungspolitische Aspekte zu berücksichtigen«. Zudem achte man darauf, nicht an Personen zu verkaufen, bei denen »Anhaltspunkte auf deren Anhängerschaft zu extremistischen oder terroristischen Vereinigungen« oder für »sonstige kriminelle Handlungen« vorlägen. So wolle man »eine Schändung« des historischen Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes verhindern.

Der Bund scheint dabei jedoch nicht immer das nötige Fingerspitzengefühl bewiesen zu haben.

So ließ die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) 2020 einen DDR-Zivilschutzbunker in Weimar öffentlich versteigern. Der Bunker sei »400 m östlich des Geländes des Glockenturms (Gedenkstätte Buchenwald)« gelegen, warb die BImA im Verkaufsprospekt, fügte ein Foto mit dem berühmten Mahnmal hinzu und verlangte ein Mindestgebot von 500 Euro. Die Gedenkstättenstiftung selbst erfuhr davon nur zufällig kurz vor der Auktion – und ersteigerte den Bunker für 12.000 Euro, um eine Nutzung durch Rechtsextremisten in unmittelbarer Nähe zu den Massengräbern des KZ Buchenwald zu verhindern.

Die BImA sieht in ihrem Vorgehen bis heute offensichtlich kein Problem. Der Bunker sei klein, das Grundstück »überwuchert«, und nur weil das Grundstück in »Sichtweite des Glockenturms« läge, sei von einem Erwerbsinteresse der Stiftung nicht auszugehen gewesen, argumentiert sie auf Anfrage. Auch der Kommune bot sie das Grundstück demnach nicht vorab an. Die Behörde erkannte also offenkundig gar nicht die Bedeutung des Areals.

Historiker Wagner kritisiert dieses Vorgehen der BImA: »Es geht Rechtsextremen in solchen Fällen offenkundig nicht darum, eine hochwertige Immobilie zu besitzen – sondern eine geschichtspolitisch attraktive Location, eine Trophäe. Deshalb ist es so wichtig, diese Orte nicht in die falschen Hände fallen zu lassen.«

Ähnlich äußert sich die Linkenpolitikerin Martina Renner. »Es passt ins Bild unserer Erinnerungskultur, wenn der sorgsame Umgang mit Haft- und Folterstätten der NS-Zeit zuvorderst in die Hände einer Immobilienverwaltungsbehörde gelegt wird«, sagt die Bundestagsabgeordnete. Sie plädiert für »neue und andere Verantwortlichkeiten für diese Orte und Häuser« – damit es, so Renner, »nicht vom Zufall und der oft strapazierten Kassenlage in den Kommunen abhängt, ob und wie dort der Opfer dieser Schreckensherrschaft gedacht werden kann«.

Hintergrund der Kleinen Anfrage der Linken sind zwei ehemalige KZ-Grundstücke in Leipzig und Halberstadt, über die der SPIEGEL ausführlich berichtet hat. Beide Liegenschaften gehören nach SPIEGEL-Recherchen derzeit Personen mit Verbindungen in rechtsextreme Kreise.

Die Bundesregierung weiß eigenen Angaben zufolge, dass sich das Gelände in Leipzig »im Eigentum eines Rechtsextremisten befindet«, zum Verkauf des Grundstücks lägen allerdings »keine Erkenntnisse« vor. Entsprechend listet der Bund das Gelände auch nicht unter den zwölf ihm bekannten Verkäufen auf.

(Foto: Geschäftsleute Jugl, Prinz von Preußen 2017 in Karlsbad: Grundstücksbesitzer und Bekannte. Foto: business-journal.tv)

Dabei ist gerade dieser Fall brisant, es handelt sich um das einst größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Der Kaufvertrag, der dem SPIEGEL vorliegt, zeigt, dass die damals bundeseigene TLG Immobilien GmbH, ursprünglich eine Tochter der Treuhand, das Gelände im Osten Leipzigs 2008 für 36.000 Euro versteigern ließ.

Der Käufer, Ludwig Prinz von Preußen, war schon damals polizeilich bekannt. Er war zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden, saß Anfang der Nullerjahre in Torgau sowie Gera in Haft und sollte im Oktober 2005 entlassen werden. Wieso konnte er dennoch 2008 ein ehemaliges KZ-Gelände kaufen? Wurden seine Vorstrafen nicht überprüft? Prinz von Preußen antwortete auf eine Anfrage des SPIEGEL nicht, die heutige TLG Immobilien AG verweist darauf, dass ihr keine detaillierten Informationen zum damaligen Verkauf im Auftrag des Bundes vorliegen würden.

Die Sicherheitsbehörden führen das 17.800 Quadratmeter große Gelände in Leipzig heute als »Treff- und Trainingsort« von Rechtsextremisten, die ihn für Konzerte, Partys und Kampfsport nutzen. Überlegungen der Stadt, das Gelände zurückzukaufen, torpedierte Prinz von Preußen mit dem völlig realitätsfernen Preis von rund zehn Millionen Euro.

Doch selbst, wenn der Bund bei der Auswahl der Käufer genauer hinsieht, können am Ende doch die Falschen profitieren. Das zeigt das Beispiel Halberstadt, wo NS-Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs kilometerlange Stollen für die unterirdische Rüstungsproduktion in die Berge treiben mussten. Mehr als 4300 Menschen kamen binnen zwölf Monaten ums Leben.

Im Dezember 1994 veräußerte der Bund das Gelände für eine Million Mark an eine kommunale Gesellschaft, die mehrheitlich dem Landkreis Wernigerode gehörte. Das Areal wurde mehrfach weiterverkauft: 1995 für eine Million Mark an eine private Grundstücksgesellschaft, 1997 für fünf Millionen Mark an einen Privatinvestor, schließlich vor wenigen Jahren für 1,3 Millionen Euro an den heutigen Eigentümer. So geht es aus den Kaufverträgen hervor, die dem SPIEGEL vorliegen. Der Bundesregierung lägen »keine eigenen Erkenntnisse« dazu vor, schreibt sie auf Anfrage der Linken. Auch dieses Grundstück führt sie daher nicht in ihrer Liste.

Der Millionär Peter Jugl, dem das Areal heute gehört, hatte nachweislich enge Kontakte in rechtsextreme Kreise – und sucht derzeit Geldgeber: Er will, das jedenfalls behauptet er, den einstigen KZ-Stollen in eine Art luxuriösen Prepper-Bunker verwandeln.