AfD in Sachsen – Die gefährliche Methode der AfD
FDP und SPD werfen der AfD eine Mitschuld an der Tat in Idar-Oberstein vor. Die protestiert. Sind die Methoden der Partei eine Gefahr für die Demokratie? Eine Reportage aus Sachsen.
Der Schankraum im Gasthof am Stausee ist dicht gefüllt. Gleich startet die Wahlkampfveranstaltung des AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse im sächsischen Sohland. Es ist Hilses Wahlkreis „Bautzen I“, hier hat der Ex-Polizist schon 2017 das Direktmandat geholt und will es bei dieser Wahl erneut gewinnen.
Circa 35 Männer und Frauen, fast alle über 50, sitzen schon an Holztischen, Schulter an Schulter. Niemand trägt Maske. „Mensch zweiter Klasse – ungeimpft“ steht auf dem T-Shirt eines Mannes mit Brille, darunter: ein Totenkopf. Hilse rückt noch Stühle für die letzten Zuhörer zurecht, begrüßt einige mit Handschlag, projiziert dann eine Präsentation auf eine Leinwand. Folie 1: „Was die AfD wirklich will!“
Mario N. folgte vor allem AfDlern
Gut eine Woche später wird Mario N. im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein einen 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter töten. Gezielt, durch einen Schuss von vorne in den Kopf. Der Auslöser: Die junge Aushilfe wies Mario N. auf die Maskenpflicht hin. Später wird N. angeben, er habe keinen anderen Ausweg gesehen, als ein Zeichen zu setzen.
Analysen zeigen, dass er in den sozialen Medien nicht „Querdenker“-Accounts, sondern vor allem AfD-Politikern folgt, sie liket, retweetet, kommentiert. Parteikollegen von Karsten Hilse aus dem Westen sind darunter, auch der Thüringer Landeschef Björn Höcke.
FDP und SPD kritisieren die AfD deswegen nun scharf. „Die AfD hat seit ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag erheblich dazu beigetragen, dass Hass und Hetze auf den Straßen und in den sozialen Medien enorm angestiegen sind“, sagte SPD-Innenpolitikerin Ute Vogt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Partei habe „schnell das Potenzial erkannt und die ‚Querdenker‘-Szene für sich genutzt“.
Was ist dran an den Vorwürfen? Wie stark adressiert die AfD Angst, Hass und Widerstand unter jenen, die Corona-Maßnahmen ablehnen? Und wie gut wird sie von dieser Zielgruppe angenommen?
Bei diesen Fragen lohnt der Blick nach Sachsen, wo die AfD besonders stark vertreten ist, wo sie gerade massiv für sich wirbt – und wo ihre Methoden eine besonders große Fangemeinde haben.
Ein Polizist gegen die Maskenpflicht
„Herr Hilse, erzählen Sie mal, wie war das, als Sie festgenommen wurden in Berlin?“, fragt eine 63-Jährige mit Reibeisenstimme in Sohland. Das Video, auf das sich die dunkelhaarige Frau bezieht, kennen wohl alle im Raum: Am Rande einer Corona-Demonstration in Berlin im November 2020 werfen Polizisten Karsten Hilse auf den Boden, fesseln ihm die Hände auf den Rücken und führen ihn ab. Der Auslöser: Hilse trägt keine Maske, die Maskenpflicht aber ist Auflage für die Versammlung.
Hilse beteuert noch heute, er habe ein gültiges Attest, das ihn von der Maskenpflicht befreie. Die Bundestagspolizei vermerkt in einem internen Dokument laut Medienberichten, Beamte hätten Hilse auf die fehlende Maske angesprochen, der aber habe sich „unkooperativ“ verhalten, sich als Abgeordneter ausgewiesen, dann seinen Begleiter zum Filmen aufgefordert – und gezielt Widerstand geleistet, als die Kamera lief. Nach dieser Darstellung also ist das Video ein Fake, eine inszenierte Lüge. Ausgerechnet von Hilse, dem Polizisten.
„Na, NPD. Da hatte ich ja noch keine Alternative“
Ob die 63-Jährige mit Reibeisenstimme AfD wählt? „Natürlich!“, antwortet sie am Rande der Veranstaltung bei einer Zigarette. Sie habe Hilse sogar schon in Berlin besucht. Welche Partei sie vorher gewählt hat? „Na, NPD. Da hatte ich ja noch keine Alternative.“
Schon im Mai 2020 hatte Hilse, der nach eigener Aussage vom Polizeidienst seit seinem Einzug in den Bundestag 2017 freigestellt ist, in einem offenen Brief „an alle Gemeinde-, Landes- und Bundespolizisten“ gefordert, dass sie nicht gegen Demonstranten auf Anti-Lockdown- und Anti-Maßnahmen-Protesten vorgehen, sondern Bedenken bei ihren Vorgesetzten anmelden sollten. „Karsten Hilse, Mitglied des Deutschen Bundestags“, steht ganz oben auf dem Brief, gleich neben dem schwarzen Adler.
Seit Beginn der Pandemie erzählt die AfD die Geschichte vom Widerstand gegen alle staatlichen Maßnahmen. Gegen Masken, Tests, Lockdown, Impfungen. Gegen Vernunft, Solidarität, Wissenschaft. Inzwischen sind auch die letzten zweifelnden Stimmen an diesem Kurs in der Partei verstummt. Im Wahlkampf ist Corona das populärste Thema, das die AfD zu bieten hat. Bei jeder Rede im Bundestag, in Videos in den sozialen Netzwerken, auf Demos, in Talkshows und in Interviews wiederholen Funktionäre dasselbe Narrativ. Es fällt ihnen leicht, weil der Protest gegen die Corona-Politik sich wie ein natürlicher Baustein in ihr Programm fügt: Anti-Alles, vor allem Anti-Staat.
Er gehe aus Überzeugung gegen die Corona-Politik auf die Straße, sagt Hilse t-online kurz vor der Veranstaltung in Sohland. Er lasse sich auch nicht impfen. „Absolut“ sei er für eine Kooperation seiner Partei mit den „Querdenkern“, sagt er mit fester Stimme. „Sie haben es geschafft, Menschen unterschiedlichster Einstellungen auf die Straße zu bringen, die ein Ziel haben: die Freiheit.“ Was der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen hingegen bewirken könne, „das haben wir vor knapp 90 Jahren gesehen“. Ungeimpfte, die wie Juden im Nationalsozialismus behandelt werden – diesen haarsträubenden Vergleich ziehen AfDler immer wieder.
Ein kleiner, runder Mann meldet sich in Hilses Fragerunde: Wenn die 2G-Regelung in Sachsen komme, wo solle er dann noch Lebensmittel kaufen? Hilse antwortet nicht: 2G ist für Supermärkte überhaupt nicht geplant, die Grundversorgung ist für alle garantiert, auch für Ungeimpfte. Hilse antwortet: „Um das zu verhindern, wählen Sie AfD.“
Die Fraktion der Extremen im Bund wird wachsen
War die AfD-Fraktion in dieser Legislatur schon radikal – in der nächsten wird sie noch radikaler. Es ist eine der wenigen Gewissheiten in diesem Wahlkampf. Die Ost-Bundesländer werden dafür sorgen, Hilses Landesverband in Sachsen allen voran.
Stärkste Kraft wurde die AfD in Sachsen schon bei der Bundestagswahl 2017, elf Abgeordnete entsandte sie in die Fraktion im Bundestag. Inzwischen sind es nur noch acht. Sie zählen zum Höcke-„Flügel“ in der Partei, stehen weit rechts außen. Die drei Abgeordneten, die der AfD den Rücken kehrten – darunter die ehemalige sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry – gelten unter den Verbliebenen als „Verräter“, „Wendehälse“, „Renegaten“.
Ohrfeige für die CDU
Während die AfD in Umfragen zurzeit bundesweit maximal 12 Prozent Zustimmung erreicht, ist sie in Sachsen mit weit über 20 Prozent stärkste Kraft. Sie könnte im Freistaat Prognosen zufolge außerdem fast alle der 16 Direktmandate holen. Es wäre ein erneuter Triumph für die extremen Kräfte in der AfD und eine schallende Ohrfeige für die CDU, die in Sachsen seit 1990 regiert.
Zwei Stunden lang wird Hilse im sächsischen Sohland sprechen und dabei Dutzende Fotos einblenden: Kinder in der Schule unter Corona-Bedingungen, der Berliner Breitscheidplatz nach dem Terroranschlag 2016, vollverschleierte Frauen in schwarzen Gewändern, von Windrädern geschredderte Vögel, brennende Windkraftanlagen. Die Fotos lösen im Publikum oft stärkere Reaktionen aus als das, was Hilse sagt. „Bah“, ruft eine Frau angewidert, als die Frauen in Burkas eingeblendet werden.
Beim Thema Klimawandel, einem von Hilses Lieblingsthemen, wird im Publikum verstohlen gegähnt. Applaus brandet hingegen auf, als Hilse zur Corona-Politik kommt und fordert: „Alle Maßnahmen beenden.“ Hilse rattert überholte Fakten und Halbwahrheiten, gemischt mit Meinung herunter: Laut Weltgesundheitsorganisation sei Corona nicht schlimmer als eine „mittelschwere Grippe“, PCR-Tests seien nicht geeignet, um Infektionen nachzuweisen, die Corona-Schutzimpfung sei ein „Human-Experiment“, 2G erinnere an die „schlimmste Zeit“ in Deutschland. „Wehret den Anfängen“, nutzt Hilse ein Zitat, das eigentlich im Kampf gegen den Rechtsextremismus verwendet wird. Das Publikum klatscht.
Richter, Polizisten, Journalisten
Hilse wird sicher wieder einen Platz im nächsten Bundestag erhalten. Wenn nicht über das Direktmandat, dann über die Landesliste, wo er auf Platz vier steht. Mit ihm werden Kollegen aus Sachsen wieder oder zum ersten Mal ins Parlament einziehen, die Größen in der rechten Szene sind, mit Einfluss auf extreme Netzwerke und mit einflussreichen Berufen in der Gesellschaft.
Platz zwei auf der Liste: Jens Maier, Richter, der sich selbst den „kleinen Höcke“ nennt und die NPD lobt. Vor Gericht hat er Urteile im Sinne der rechtsextremen Partei gesprochen, die später wieder gekippt wurden. Der Verfassungsschutz stuft ihn als Rechtsextremisten ein.
Platz drei: Siegbert Droese, ehemaliger Hotelkaufmann, der mit der Hand auf dem Herzen vor dem Hitlerbunker posierte und im Landtag Führungskräfte der rechtsextremen Identitären Bewegung beschäftigte.
Platz fünf: Andreas Harlaß, der 20 Jahre lang Journalist bei der „Bild“-Zeitung war, nationalsozialistische Symbole auf Facebook postet und sich in T-Shirts mit dem Logo der Artamanenbewegung zeigt. Die Mitglieder der radikal-völkischen Siedlungsbewegung treten oft wie Bio-Bauern auf, die aus der Gesellschaft aussteigen wollen. Beobachter aber warnen seit Jahren davor, dass ihre Mitglieder Strukturen im ländlichen Raum infiltrieren und dort ihre Ideologie verbreiten.
Platz sechs: Steffen Janich, eigentlich Polizist, vom Dienst suspendiert, weil er als Versammlungsleiter bei einem der ersten Corona-Proteste in Sachsen auftrat.
Platz acht: Ulrich Oehme, Makler, der im Bundestagswahlkampf 2017 Plakate mit dem verbotenen Wahlspruch der SA „Alles für Deutschland“ plakatieren ließ und später behauptete, er habe von dem Verbot nichts gewusst.
Platz elf: Martin Braukmann, Rechtsanwalt, der Parteikollegen bei Rechtsschwierigkeiten anwaltlich vertritt. Als Mitglied des AfD-Schiedsgerichts stimmte er Medienberichten zufolge dagegen, die Parteimitgliedschaft des brandenburgischen Rechtsextremisten Andreas Kalbitz zu annullieren.
„Wenn nur alle so wählen würden wie wir in Sachsen“
Nicht alle auf der Liste machen persönlich intensiv Wahlkampf, so wie Hilse. Zu den Veranstaltungen auf der Straße kämen ohnehin nur Leute, die bereits AfD wählten, heißt es in der Partei. Stattdessen lassen sie von Ehrenamtlichen Kurzfassungen ihrer Ziele für den Bundestag und parteieigene Zeitungen wie „Aufrecht“ oder die „Blaue Post“ in jeden Briefkasten in der Region stecken. Desinformationskampagnen, persönlich zugestellt.
Hilse aber ist am Ende seiner Wahlkampfveranstaltung in Sohland zufrieden. Auf der Terrasse des Gasthofs, mit Blick auf den malerischen See, zündet er sich eine Zigarette an. „Ein gutes Publikum“, befindet er.
Ein Mann Anfang 50, der aus einem Ort in der Nähe angereist ist, seufzt: „Wenn nur alle so wählen würden, wie wir in Sachsen – dann wäre alles gut.“
Verwendete Quellen:
Tagesspiegel: Corona-Rebell will für die AfD in den Bundestag
Volksverpetzer: Das Neonazi-Netzwerk
MDR: Dresdner AfD-Politiker Jens Maier als rechtsextrem eingestuft
Bundeszentrale für politische Bildung (zur Artamanenbewegung): Völkische Enklaven nach NS-Vorbild mitten in Deutschland
Landesliste der sächsischen AfD