Sie wollte sich trennen, er tötete sie: Mordanklage nach Tod von Jessica S. aus Leipzig-Paunsdorf

Bereits im Mai soll ein 40-jähriger Leipziger seine 30-jährige Freundin getötet haben. Sie hatte ihm eröffnet, aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen zu wollen. Nun erhob die Leipziger Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes.

Drei Jahre bevor Jessica S. starb, war ihre Welt noch in Ordnung. Eine eher zufällige Aufnahme einer Überwachungskamera in einer Gartenkneipe aus dem August 2021, die der LVZ vorliegt, gibt eine Ahnung davon, wie glücklich das Leben von Jessica S. einmal gewesen sein muss. Wie glücklich sie war mit dem Mann, der sie – nach allem, was bekannt ist – knapp drei Jahre später ermordet haben soll: Marcus K., ihr damaliger Lebensgefährte und Vater ihrer Kinder.

Die Gaststätte, die nur ein paar Minuten von ihrer damaligen gemeinsamen Wohnung in Leipzig-Paunsdorf entfernt liegt, besuchte das Paar oft. Auf dem Video sitzen die beiden mehr als eine Stunde lang beieinander. Sie teilen sich einen Aperol Spritz, mit zwei schwarzen Strohhalmen. Er, im grauen T-Shirt, legt seine Hand um sie. Sie zeigt ihm etwas auf ihrem Handy. Die beiden lachen, umarmen sich. Sie küssen sich. Und als eine Gruppe Bekannter dazukommt, umarmen sich alle herzlich.

Mehr als drei Jahre später schließt die Staatsanwaltschaft Leipzig ihre Ermittlungen ab. Ergebnis: Der inzwischen 41-jährige K. soll seine Freundin in der gemeinsamen Wohnung ermordet haben. „Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat Mitte November 2024 wegen des Tatvorwurfs des Mordes Anklage zur Schwurgerichtskammer des Landgerichts Leipzig erhoben“, so ein Sprecher.

Dem Angeschuldigten werde zur Last gelegt, in der Nacht vom 20. Mai auf den 21. Mai dieses Jahres „seine vormalige Lebensgefährtin, welche sich von ihm getrennt hatte, getötet und sich dadurch des Mordes schuldig gemacht zu haben“.

Marcus K. wurde Stunden nach der Tat festgenommen

Die Leiche von Jessica S. wurde am Nachmittag nach der Tat gefunden. Noch in den Tagen danach führten Ermittler vor Ort Arbeiten durch, auch unter Einsatz von Hunden – offenbar auf der Suche nach der Tatwaffe. Marcus K., der nur Stunden nach der Tat festgenommen wurde, befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Wann das Hauptverfahren gegen ihn am Landgericht Leipzig eröffnet werden soll, ist noch unklar.

Acht Jahre lang waren Markus K. und Jessica S. ein Paar. Einst sollte K. ins Geschäft des Vaters einsteigen, einen gut laufenden Leipziger Handwerksbetrieb. Mit einem weißen Van führte er bereits Aufträge für die Firma aus. Er zeigte sich auch in Verkaufsräumen, packte mit an. Gemeinsam mit seinem Bruder hätte er das Unternehmen eines Tages übernehmen können – doch er verlor mit der Zeit das Interesse, zog sich schon Jahre vor der Tat aus dem elterlichen Betrieb zurück.

Jessica S. arbeitete in einem Modegeschäft im Paunsdorf Center. Doch sie träumte auch von einem anderen Leben. Mit vielleicht anderen Freunden als denen, die sie in der Plattenbausiedlung Paunsdorf hatte. Auf der Videoplattform Tiktok veröffentlichte sie als „Jazzi“ alle paar Tage Handyvideos, Tänze, kleine Alltagsschnipsel, zufällig gefilmte Ausschnitte aus dem unbeschwerten Leben einer Frau in ihren späten Zwanzigern – und bekam dafür viele Likes und Anerkennung.

Das Paar bekam zwei Kinder. In der kleinen Wohnung in Paunsdorf im tiefen Osten Leipzigs, wurde es allmählich eng. Spricht man mit Freundinnen von Jessica S., erfährt man: Auch die Beziehung zu ihrem Markus nahm in dieser Zeit beklemmende Züge an. „Er war krankhaft eifersüchtig“, sagt eine Freundin gegenüber der LVZ. K. habe sie „psychisch manipuliert“ und „sozusagen eingesperrt“.

Auch die glücklichen Besuche einer nahen Gartenkneipe wurden seltener. Und als K. entdeckte, wie unbeschwert, lebenslustig und einfach schön sich seine Freundin im Internet zeigte – und wie viel Aufmerksamkeit man ihr dort entgegenbrachte, wie sie dort digitale, aber doch recht echte Freundschaften schloss, sei er „ausgerastet“.

S. trennte sich schließlich vom Vater ihrer Kinder. Sie fand eine neue Wohnung ganz in der Nähe, in die sie ziehen wollte. Der Plan sei gewesen, sich das Sorgerecht zu teilen. Vor allem wollte S. ein neues Leben beginnen. In ihrer kleinen Wohnung war die weite Welt immer ganz nah: An der Wand hing eine Landkarte, an der Tür stand ein leuchtender Globus. Für ihre Kinder simulierten K. und S. noch ein intaktes Leben. Noch am Tag vor ihrem Tod besuchte die Familie die nahe Gartenkneipe. Eine Person, die auch zugegen war, sagt: K. habe „abwesend“ gewirkt.

Dass S. ihn verließ, wollte K. offenbar nicht hinnehmen. Eine Bekannte sagt: „Für ihn war das so: Wenn er sie nicht haben kann, soll sie keiner haben.“ Am Pfingstmontag tötete er Jessica S. in der gemeinsamen Wohnung.

Auf der Plattform Tiktok posten bis heute Jessicas Online-Freunde, die sie zum Teil nie in echt getroffen haben, regelmäßig Gedenk-Videos. Etwa an ihrem Geburtstag im August. An dem Grab der Verstorbenen stehen viele kleine Steine mit Inschriften. Porzellanherzen, Kerzen und Blumen. Und ein Foto, ein Urlaubsfoto: Es zeigt Jessica S. lächelnd mit ihren beiden Kindern vor einer Berglandschaft.

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Josa Mania-Schlegel
05.06.2024

Mordverdacht in Leipzig-Paunsdorf: Sie wollte sich von ihm trennen – da rastete er aus

Vieles deutet darauf hin, dass am Pfingstmontag in Leipzig ein 40-Jähriger seine 30-jährige Freundin ermordete. Aus dem Umfeld der getöteten Jessica S. heißt es: Der Inhaftierte handelte aus Hass und Eifersucht.

Nach allem, was man über Jessica S. weiß, war sie eine junge Frau mit großen Plänen. Nach acht Jahren Beziehung, acht Jahren mit dem Mann, der sie offenbar tötete, weil er es nicht ertrug, dass sie ihre Zukunft ohne ihn plante, wollte sie mit den beiden Kindern ausziehen. Sie wollte sich trennen, neu anfangen. S. träumte von der weiten Welt, in ihrer Wohnung hing eine große Weltkarte, neben dem Fernseher stand ein leuchtender Globus. Für August muss sie eine Zusage für eine Wohnung ganz in der Nähe gehabt haben. So habe sie es, das erfährt man im Stadtteil Paunsdorf, wenige Tage vor ihrem Tod in einer nahen Gartenkneipe erzählt.

Mehr als zwei Wochen später, Anfang Juni, hält ein grauer Van in der grün bewachsenen Siedlung im Leipziger Osten. Noch immer räumen Kriminalbeamte die Wohnung aus. Manche Nachbarn lugen hinter einer Gardine hervor. Was genau geschehen ist, können sie nur erahnen. Die Meldung der Polizei fällt am Tag nach der Tat, dem 21. Mai, eher kurz aus. „Tatverdächtiger wegen Verdachts des Totschlags in Untersuchungshaft“, heißt es da. Im Leipziger Stadtteil Paunsdorf sei die Leiche einer 30-jährigen Frau gefunden worden. „Noch am selben Tag wurde ein 40-Jähriger (deutsch), der dem Umfeld der Verstorbenen zuzuordnen ist, als dringend tatverdächtig vorläufig festgenommen.“

Marcus K., Sohn einer Leipziger Handwerkerfamilie

Die Rede ist von Marcus K., Jessicas Freund und Vater eines gemeinsamen vierjährigen Sohns. „Derzeit sind keine weiteren Auskünfte möglich“, erklärt die Polizei.

Doch dieser Fall, so scheint es, könnte eine größere gesellschaftliche Dimension haben. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland, weil ihr Partner oder Ex-Partner es so will. Schon seit Jahren fordern Aktivisten, inzwischen auch Politiker, den Tatbestand des „Femizids“. Was sie fordern: Gezielte Prävention für Frauen, die von ihren Partnern bedroht werden. Doch nicht bei jedem Delikt ist sofort klar, ob es sich um einen Femizid handelt. Spricht man mit Personen aus dem Umfeld von Jessica S., deutet sich an: Offenbar musste S. sterben, weil sie sich trennen wollte – und ihr Partner rasend vor Eifersucht war.

Wer ist Marcus K.? Der Sohn einer Leipziger Handwerkerfamilie lernte Jessica S. als Mutter einer zweijährigen Tochter kennen. Sie verliebten sich, zogen vor acht Jahren in die gemeinsame Wohnung, bekamen nach vier Jahren einen Sohn. S. arbeitete bei einer Modekette im nahen Paunsdorf Center, war dort beliebt. K. stieg ins Geschäft des Vaters ein: Ein gut laufender Handwerksbetrieb, der damit wirbt, viele Lösungen aus einer Hand anzubieten. Mit seinem weißen Van führte K. Aufträge aus, sollte das Unternehmen eines Tages mit seinem Bruder übernehmen.

Jedoch: Laut Bericht von Tag24 gab der Vater und Chef der Firma an, sein Sohn habe „seit sechs Jahren nichts mehr mit der Firma zu tun“. Für eine LVZ-Anfrage war der Vater nicht zu erreichen.

Eine Freundin: „Sie war sozusagen eingesperrt“

Vor dem Mietshaus in Paunsdorf sind Blumen, Kerzen und Kuscheltiere niedergelegt. „Jazzi, du fehlst uns“, steht auf einer Tafel.“ Jazzi – so nannte sich S. auch auf der Videoplattform Tiktok. Mit Schmuck, Sonnenbrille und immer neuen Outfits nahm sie regelmäßig Tanzvideos von sich auf. Zur Musik bewegte sie die Lippen. „Ich hab neulich geträumt von einem Land, in dem für immer Frühling ist“, heißt es im vorletzten Clip vor ihrem Tod. „Vanilleeis zum Nachtisch, alle sterben alt.“

Manche der Videos haben Zehntausende Aufrufe. Auf Kommentare antwortete sie häufig und freundlich: „Wie ist eure Woche bis jetzt?“ – „Morgen Weisheitszähne ziehen…“ – „Ohh ohh, du schaffst das!“ Ihr Profilbild glich sie mit anderen Nutzern ab. Es scheint, als hatte S. auf Tiktok eine kleine zweite Familie gefunden. Menschen, die von ihren Videos begeistert waren und ihr Aufmerksamkeit schenkten. In ihrem Profil vermerkte sie auch ihren Beziehungsstatus: Ein „M“, ein Unendlichkeitszeichen, ein Herz.

Brauchte Jessica S. eine Ersatzfamilie? Eine junge Frau, die Jessica S. gut kannte, glaubt das. Die Beziehung mit Marcus K. sei schon seit Langem in die Brüche gegangen. „Er war krankhaft eifersüchtig“, sagt sie gegenüber LVZ. Sie glaubt auch, Spuren häuslicher Gewalt erkannt zu haben. Und: Dass K. sie psychisch manipulierte. „Sie war sozusagen eingesperrt“, so die Freundin. „Absolute Kontrolle, immer und überall.“

Als K. die Videos seiner Freundin auf Tiktok entdeckte, wo S. sich schön und lebenslustig zeigte und Anerkennung fand, sei er „ausgerastet“.

Die Kinder sind bei der Mutter des Tatverdächtigen

Am Sonntag, einen Tag vor ihrem Tod, war die kleine Familie noch zu Besuch in der nahen Gartenlaube mit Gaststätte. K. muss inzwischen gewusst haben, dass S. sich von ihm trennen – den Kindern zuliebe aber in eine nahegelegene Wohnung ziehen wollte. Das ertrug er offenbar nicht. „Für ihn war das so: Wenn er sie nicht haben kann, soll sie keiner haben“, sagt eine Bekannte.

Offenbar blieb die Tat am Pfingstmontag noch einige Zeit unentdeckt, bevor sich Marcus K. seiner Mutter anvertraute. Sie war es auch, die Jessica S. in der Wohnung fand und die Polizei alarmierte. Die Leipziger Beamten machen zu dem Fall auch zwei Wochen später keine neuen Angaben.

Die Mutter des Tatverdächtigen nahm auch die beiden Kinder des Paars in Obhut, was in sozialen Medien für Entrüstung sorgt. Nach Ansicht von Freundinnen der Verstorbenen sei dies aber eine gute Lösung. „Für die beiden ist es das Beste.“ Das Jugendamt der Stadt Leipzig erklärt: „Aufgrund der aktuell noch laufenden polizeilichen Ermittlungen können wir uns nicht zu dem Einzelfall äußern.“ Generell werde „im Sinne des Kindeswohls als erstes im familiären Umfeld geprüft, ob und wie die Kinder dort untergebracht werden können.“

Schwester sammelt Spenden für Nebenanklage und Beerdigung

Der Verdacht des Totschlags, erklärt die Staatsanwaltschaft am Dienstag, sei nicht endgültig. „Das ist keine abschließende rechtliche Würdigung“, erklärte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz gegenüber LVZ. Im Rahmen des Verfahrens sei „eine weitere, eingehende Prüfung der Tat“ vorhergesehen. Die Anklage könne dann auch schnell anders lauten: Mord.

Über eine Gofundme-Seite sammelt Sindy S., die Schwester von Jessica, Spenden für die Beerdigung Ende des Monats und eine Nebenanklage für den zu erwartenden Gerichtsprozess gegen Marcus K.