„Sind unendlich dankbar!“: Leipziger Mieter kaufen eigenes Haus bei Zwangsversteigerung
Wenn Investoren anklopfen, wird Mietern oft bange, denn teure Sanierungen sind gleichbedeutend mit steigenden Mieten. In Leipzig hat eine Hausgemeinschaft die Sache selbst in die Hand genommen und ihr eigenes Haus in einer nervenaufreibenden Zwangsversteigerung gekauft.
Schon eine Stunde vor dem Termin stehen am Dienstagvormittag rund zwei Dutzend Menschen mit Schildern und Plakaten vor dem Leipziger Amtsgericht. Warum? „Weil es heute um unser Zuhause geht“, sagt eine junge Frau. Denn um Punkt zehn Uhr wird ihr Mehrfamilienhaus in der Zollschuppenstraße 7 in Plagwitz unter den Hammer kommen. Es wird zwangsversteigert. Und die Hausgemeinschaft hatte eine außergewöhnliche Idee: Sie möchte mitbieten.
Im Gerichtssaal ist die angespannte Stimmung dann regelrecht spürbar. Mehr als 50 Menschen sind da – unter ihnen auch die Eigentümerin der Zollschuppenstraße 7. Viele der Hausbewohnerinnen und -bewohner sind gekommen, auch Freunde und Unterstützer sind dabei. Sie haben sich im Verein „Zolle 7 e.V.“ organisiert.
Zwangsversteigerung sorgt für Aufregung
Es wird getuschelt und sich im Raum umgeschaut. Wer könnte heute mitbieten? Vielleicht die junge Frau mit dem Tablet-Computer und der schwarzen Aktentasche in der ersten Reihe? Dann tritt ein junger Mann in den Saal. Seine teure Uhr blitzt unter dem schwarzen Pullover der Marke Ralph Lauren hervor. „Oh, das sieht nicht gut aus“, entweicht es einer der Anwesenden. Die Anspannung ist groß.
Der Richter erklärt, dass das Mindestgebot für den Hauskauf bei 70 Prozent des Schätzwerts liegt, also bei 425.000 Euro. Als er die sogenannte „Bietstunde“, die mindestens eine halbe Stunde dauern muss, eröffnet, tritt der Zolle-7-Vorstand ans Pult und gibt das erste Gebot ab. Es ist der Mindestbetrag. Dann sind noch zehn Minuten auf der Uhr. Der Verkauf kann nur stattfinden, wenn die anwesende Eigentümerin mit dem Angebot einverstanden ist. Doch das ist sie nicht. Es muss ein neues Gebot her – und die Uhr tickt.
Erbschaftsstreit führt zu Zwangsversteigerung vom Leipziger Gebäude
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass das Haus zwangsversteigert wird, daran seien mehrere Faktoren schuld, erklärt Valeska vom Verein Zolle 7 vor der Verhandlung. Sie selbst ist seit 2020 Mieterin in dem Objekt. „Seit vielen Jahren versuchen wir, das Haus zu kaufen, um es als selbstverwaltetes Projekt zu sichern.“ Es gehe den insgesamt acht Mietparteien auch darum, sozialen Wohnraum und bezahlbare Mieten zu sichern.
Bereits im Jahr 2005 sei der Hausgemeinschaft von der damaligen Eigentümerin zugesagt worden, dass sie in zehn Jahren ein Vorkaufsrecht hätten. Doch aus gesundheitlichen Gründen der Hausbesitzerin sei es nie zu einem Kauf gekommen, erklärt Josefa, die auch im Haus wohnt. 2017 sei die Eigentümerin dann gestorben. Das Objekt ging an ihre Tochter und ihren Sohn. Das Problem: Die Geschwister sind zerstritten. Es begann ein Erbschaftsstreit der üblen Sorte. Während die Tochter gerne verkaufen wollte, stellte sich der Sohn quer. Die Entzweiung der beiden Hinterbliebenen blieb letztlich unüberwindbar, sodass die Tochter den Antrag zur Zwangsversteigerung einreichte.
Haus in der Zollschuppenstraße hat 650.000 Euro Schätzwert
Doch das stellte die Hausgemeinschaft vor ein Problem. Denn wenn nun ein Investor bei der Versteigerung mitbietet und den Zuschlag bekommt, drohen Sanierungen inklusive steigender Mieten und im schlimmsten Fall Entmietungen. Das habe man verhindern wollen. Also wurde ein Entschluss gefasst: Die Hausgemeinschaft wird bei der Zwangsversteigerung mitbieten. Das Haus wurde von einem Sachverständigen auf einen Wert von 650.000 Euro geschätzt. Die Bereitschaft zum Kauf war da – das Geld nicht.
Der Zolle 7-Verein startete einen Aufruf und bat um Direktkredite. Wie funktioniert das? Valeska erklärt: „Unterstützerinnen und Unterstützer konnten sich die Summe, die Zinsen und die Dauer der Kredite mehr oder weniger aussuchen.“ Mehr als 200 Kredite seien auf diesem Wege zusammengekommen. „Von 1000 bis 100.000 Euro war alles dabei.“ Am Ende sei genügend Geld beisammen gewesen, um mitbieten zu können. Doch die Gefahr, dass jemand noch mehr bieten könnte, bereitete so manch schlaflose Nacht.
Showdown im Leipziger Amtsgericht
Zurück im Gerichtssaal: Die Uhr tickt gnadenlos weiter, nur noch wenige Minuten bis der Hammer fällt und noch konnte man sich nicht einig werden. Auf dem Flur besprechen sich einige der Mieterinnen und Mieter mit der Teil-Eigentümerin. Im Saal wird getuschelt. Dann kehrt plötzlich Stille ein. Der junge Mann mit der teuren Uhr erhebt sich. Bietet er? Was bietet er? Kann die Hausgemeinschaft da mithalten? Doch Entwarnung. Er greift nur zum Exposé und kehrt an seinen Platz zurück.
Als die Hausbesitzerin wieder in den Saal tritt, ist klar, das Angebot wird deutlich erhöht. 660.000 Euro lautet es diesmal. Und die Eigentümerin ist einverstanden. Der Richter schwingt den imaginären Hammer. Jubel und Applaus unter den Anwesenden bricht aus. Menschen umarmen, beglückwünschen sich. Es fällt eine Last von ihnen ab. Sie haben soeben ihr Haus gekauft.
Sekt für die glücklichen Käufer
Draußen vor dem Amtsgericht: strahlende Sonne und strahlende Gesichter. Valeska und Josefa von „Zolle 7″ sind überglücklich. „Wir konnten heute auch ein Zeichen für andere Hausgemeinschaften setzen“, finden sie. Es brauche mehr sozialen Wohnraum. „Wir sind den Kreditgebern unendlich dankbar, dass sie das möglich gemacht haben.“ Es muss allerdings noch abgewartet werden, ob der Erbe Rechtsmittel einlegen möchte. Dafür hat er zwei Wochen Zeit.
Doch daran wollen die glücklichen Ex-Mieter und jetzigen Hausbesitzer nicht denken. Sie planen bereits die nächsten Schritte. „Wir wollen eine Genossenschaft gründen oder einer beitreten“, erzählen sie. Aber jetzt wird erstmal gefeiert, oder? „Ja, ich hoffe doch“, sagt Josefa. „Der Guiseppe holt gerade schon Sekt!“