Gewalt gegen junge Sorben: „Kein Sorbisch mehr, sonst kriegt ihr aufs Maul“
Immer wieder werden auf Partys junge Sorben angegriffen, geschlagen oder beleidigt. Das Problem gibt es seit Jahren. Drei junge Frauen berichten von ihren Erlebnissen.
Es passiert Mitte September 2021. Sandra* ist in einem sorbischen Club mit Freunden feiern. Sie ist 16. Schon die ganze Zeit über hat sie ein komisches Gefühl auf der Party. „Die erste Situation war, als ich mich an einer Gruppe vorbeidrücken wollte und aus Versehen mein Wasser über das Shirt von einem Typen gekippt habe“, sagt sie. „Der war offensichtlich ein Nazi, der hat sich total aufgeregt.“
Sandra und ihre Freunde beschließen, nach Hause zu fahren. Während die anderen mit ihren Fahrrädern schon losmachen, hat Sandra mit ihrem Probleme. „Ich hab auf Sorbisch relativ laut hinterhergerufen: ‚Könnt ihr kurz warten, mein Rad funktioniert nicht.'“
Neben ihr steht eine größere Gruppe, die sie am Anfang nicht beachtet. Dann kommen zwei Männer zu ihr. Sie fragen Sandra, ob alles in Ordnung ist. Sie antwortet auf Sorbisch, dass alles gut ist. „Dann haben die angefangen mit ‚Wir sind hier in Deutschland, sprich doch mal deutsch. Das ist doch deine Muttersprache.‘ Ich habe dann einfach nur Nein gesagt, ich sehe das nicht ein, Deutsch zu reden, nur weil mir das zwei Typen sagen.“
Dann schlägt einer der Männer Sandra ins Gesicht. Geschockt von der Situation fährt sie schnell los. „Ich habe das erst paar Tage später realisiert, was da passiert ist.“ Bei dem Angriff wird sie verletzt: Zwischen Wange und Auge trägt sie einen Bluterguss davon. Die Stelle ist geschwollen. Seitdem fühlt sie sich auf Partys häufig unwohl.
Provokationen, Beleidigungen und „Sieg Heil“-Rufe
Gewalttaten wie diese passieren immer wieder auf sorbischen Partys und Veranstaltungen. Auch Sandras Freundinnen Sarah* und Lina* kennen Gewalt, Provokationen, Beleidigungen – nur weil sie sorbisch sprechen. „Meine erste Berührung damit war mit 14, da hat mir meine Cousine erzählt, dass sie in der Nähe von Bautzen auf einer Party waren“, erzählt Lina. Sie seien von Leuten angesprochen worden. „Die meinten so ‚Für eure eigene Sicherheit, redet jetzt mal lieber Deutsch, kein Sorbisch mehr, sonst kriegt ihr aufs Maul.'“
Immer wieder kommt es zu solchen Vorfällen. Lina erzählt von Parolen, Provokationen und Beleidigungen, wenn auf einer Party sorbische Lieder gesungen werden, und davon, dass sie sich oft nicht alleine auf die Toilette, Getränkeholen oder nach Hause traut. Von einem Freund, dem zuerst ein Bein gestellt und dann eine Platzwunde verpasst wurde. Von Securitys, die vor dem Club Nazis Hände schütteln, die eigentlich rausgeworfen wurden und dann trotzdem wieder drin sind. Von „Sieg Heil“-Rufen zu Trinksprüchen. Und davon, dass manche Jugendclubs und Partyveranstalter trotz der Probleme keine Gegenmaßnahmen ergreifen.
Die drei jungen Frauen erzählen, sie seien alle sensibler geworden auf Partys. Und von einer bestimmten Strategie der Provokateure: „Die Jungen kommen immer, um die Party auszuspähen“, sagt Lina. „Und wenn was gehen kann, werden die anderen gerufen.“ Die würden auf dem Parkplatz stehen und warten. Einige seien auch immer wieder dabei, sie würden ein paar Gesichter kennen.
„Auf jeder zweiten Party landet jemand im Krankenhaus“
Das Problem ist nicht neu. So stürmten über ein Dutzend schwarz gekleideter Männer Mitte Oktober 2014 eine Disco in Schönau, bedrängten junge Sorben. Wenige Wochen davor wurde in Ralbitz ein Sorbe niedergeschlagen und am Jochbein verletzt, ein paar Tage später prügelten Männer während einer Musikveranstaltung in Ostro auf zwei sorbische Jugendliche ein. Die Ermittlungen zu den Vorfällen hat damals das Operative Abwehrzentrum (OAZ) übernommen. Eine Spezialtruppe des Freistaats, die sich um rechtsextreme Straftaten kümmert.
Am 8. Februar 2020 schlug ein junger Mann in den frühen Morgenstunden auf dem Parkplatz des Gasthofes Schönau einen anderen mehrfach mit der Faust gegen Körper und Gesicht. Das Opfer erlitt eine Wurzelfraktur und hatte Schmerzen an der Schulter und Prellungen im Gesicht. Der Schläger wurde ins Gefängnis gesteckt.
„Auf jeder zweiten Party landet jemand im Krankenhaus, würde ich sagen. Du gehst bei uns auf Partys mit dem Wissen, da sind immer Nazis“, sagt Sarah. Ein Freund von ihr sei auf einer Feier von Unbekannten zusammengeschlagen worden. „Ich bin raus und habe Schreie gehört“, erzählt sie. „Ihm wurde die Schulter ausgekugelt, er hat einfach nur geschrien.“ Ihr Freund wurde ins Krankenhaus gebracht.
Polizei fährt Streife in der Umgebung
Lina erzählt, dass die Security zu dem Zeitpunkt weg war. „Auf einmal standen die Nazis wieder neben uns.“ Ein Kumpel habe versucht, mit ihnen zu reden und die Lage zu schlichten. Dann kam die Polizei. Die berichtet später, eine unbekannte Gruppe habe mit Gästen Streit angefangen, mehrere Menschen wurden niedergeschlagen und verletzt. Aktuell läuft das Verfahren noch, der Staatsschutz ermittelt.
Die Staatsanwaltschaft Görlitz teilt auf Anfrage von Sächsische.de mit, dass in dem Fall ein Tatverdächtiger identifiziert worden ist. Zwei weitere Verfahren seien noch offen, die Täter noch unbekannt. „Die Beschreibungen legen aber nahe, dass sie mutmaßlich der rechten Szene zuzuordnen sind“, so ein Sprecher.
Die Polizeidirektion Görlitz hat 2024 bisher einen Fall von Gewalt gegen Sorben auf Partys registriert. „Weitere Fälle sind im Dezernat Staatsschutz nicht bekannt geworden.“ Seit Jahren gebe es immer wieder Gespräche zwischen Polizei und Jugendclubs. Veranstaltungen sollten angemeldet werden, so eine Polizeisprecherin, damit man besser planen könne. „Seitens der Veranstalter wurde eine Polizeipräsenz direkt vor Ort aber stets abgelehnt.“ Man fahre dann Streife in der Umgebung und führe präventiv Gespräche.
„Gewalt macht was mit einem Menschen“
Die Domowina – Bund Lausitzer Sorben – beschäftigt das Thema Rechtsextremismus schon seit Jahren. 2024 hat sie nun ein Projekt gestartet, das Betroffene von rechter Gewalt unterstützt, berät, vermittelt und Präventivarbeit leistet. Ein wichtiger Kooperationspartner ist „tvbunt“, ein Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis Bautzen. Für die Jugendlichen soll es eine Stelle geben, an die sie sich im Vertrauen wenden und wo sie ihre Sorgen und Probleme loswerden können.
„Gewalt, ob psychisch oder physisch, macht was mit einem Menschen“, sagt Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina. „Insbesondere für junge Menschen sind das einschneidende Erlebnisse, ich habe das selbst in meiner Jugend erfahren und weiß, wie viel Unsicherheit das schafft.“ Man wolle den Opfern eine Stimme geben und sie ermutigen, in den Situationen richtig zu handeln.
Melanie Hainke ist seit circa vier Monaten Projektmanagerin bei der Domowina. Sie hat sich mit Jugendlichen getroffen, ihnen zugehört und ihre Erfahrungsberichte gesammelt. „Das ist ein sehr sensibles Thema“, sagt sie. „Zum Beispiel sind Leute als ‚Scheiß Sorben‘ oder ‚Scheiß Sorbenzecke‘ beleidigt worden.“ Zwei Sorbinnen sei „Raus aus Bautzen“ hinterher gebrüllt worden. Ein junger Sorbe berichtete Hainke, dass er bei einem Fußballspiel von der Seitenlinie den Satz gehört hat: „Die Sorben haben sie halt damals vergessen zu vergasen.“
Domowina will mit Flyern und Jugend-Hotline helfen
Die Domowina will den Jugendlichen etwas an die Hand geben und hat dafür einen Flyer auf Sorbisch und Deutsch entwickelt – mit Verhaltenstipps für Bedrohungssituationen und Hinweisen auf Anlaufstellen wie das Projekt „Support“ des RAA Sachsen. Auch bei der Planung von Veranstaltungen stehe die Domowina zur Seite.
„Wir haben auch eine Jugend-Hotline eingerichtet“, sagt Melanie Hainke. „Die Nummer können Jugendliche anrufen, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Wir leiten weiter an die richtigen Stellen.“ Man könne sich dort auch anonym melden. „Auch Gespräche mit der Polizei können vermittelt werden“, ergänzt Dawid Statnik. „Der Staatsschutz und die Polizei sind sensibilisiert und offen demgegenüber.“
Man nehme das Problem sehr ernst, sagt Statnik. „Die Domowina steht an der Seite der Jugendlichen.“ Man toleriere diese Gewalt nicht und lehne Ausgrenzung ab. „Die Lausitz ist nur dann lebenswert, wenn die Menschen hier frei leben können.“ Das fange schon damit an, sorbisch sprechen zu können, ohne Angst haben zu müssen. Sandra, Sarah und Lina sind Sorbinnen – und das ist ihre Sprache.
Die mit * markierten Namen sind Pseudonyme, um die Identität der Betroffenen zu schützen.