Erst Thomaskirche, dann Altes Rathaus: Leipzigs neuer Stadtrat legt los

Erstmals hat die konstituierende Sitzung des Leipziger Kommunalparlamentes im festlichen Ambiente stattgefunden. OBM Burkhard Jung (SPD) hat die Stadträte auf ihren Dienst zum Wohle der Stadt verpflichtet. So harmonisch wie am Mittwoch im Festsaal des Alten Rathauses wird es wohl nicht bleiben.

Seit der Friedlichen Revolution, die nicht zuletzt mit dem Engagement mutiger Christen ins Rollen kam, werden in Leipzig kurz vor einer konstituierenden Stadtratssitzung die Blicke gen Himmel gerichtet. So geschehen auch anno 2024.

Rund 30 von 70 Volksvertreterinnen und Volksvertretern waren der Einladung zu einer ökumenischen Andacht in der Thomaskirche gefolgt. Unter denen, die sich am Mittwochnachmittag auf die geistliche halbe Stunde einließen, war nahezu das gesamte Stadtkabinett um Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).

Der neue römisch-katholische Propst Ralph Kochinka begrüßte die überschaubare kommunalpolitische Gemeinde mit dem Hinweis, dass Menschen mitunter den Beistand von oben bräuchten. „Weil nicht alles allein in unseren Händen liegt, weil wir in einem größeren Kontext stehen.“

Sebastian Feydt, Leipzigs evangelisch-lutherischer Superintendent, griff in seiner Ansprache diesen Gedanken auf. „Wir schaffen nicht alles aus uns selbst“, sagte er. Aber einer jeden und einem jeden sei die Gabe geschenkt, „immer noch neu lernen zu können. Gegebenenfalls die eigene Haltung zu verändern, eine neue Sicht auf die Dinge zu gewinnen“.

Superintendent Feydt dankt und zollt Respekt

Feydt dankte den Zuhörerinnen und Zuhörern für ihr Engagement und zollte ihnen Respekt: „Es ist nicht selbstverständlich, dass Sie sich in so bewegten Zeiten bereithalten, sich für das Wohl der Bürgerschaft Leipzigs in einem demokratisch bestimmten Diskurs einzubringen.“ Zugleich warb er dafür, „die Menschen mit den Augen Gottes zu sehen“. Das schaffe einen Perspektivwechsel im eigenen Kopf, „der sich am Ende für alle Seiten auszahlt – auch im Stadtrat“, so Feydt.

Nach Johann Sebastian Bachs Fuge C-Dur BWV 545, dargeboten von Thomasorganist Johannes Lang, und dem Segen von beiden Geistlichen zog die kleine beseelte Schar ein paar Ecken weiter. Am Markt trafen die Andachtsteilnehmer auf den Rest des neuen Stadtrates. Dort wartete ein besonderer Rahmen für einen ganz besonderen Tag: Auf persönlichen Wunsch von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), dessen dritte und letzte Amtszeit 2027 endet, fand die konstituierende Sitzung erstmals nicht im schlichten Plenarsaal des Neuen Rathauses, sondern im ehrwürdigen Festsaal des Alten Rathauses statt.

Im Festsaal des Alten Rathauses speisten schon Königspaare

Umgeben von holzvertäfelten Wänden und Sandsteinkaminen, unter der beeindruckenden Kassettendecke und großen Leuchtern finden in dem Saal für gewöhnlich Konzerte und Empfänge statt. Hier hatten unter anderem schon das schwedische und das niederländische Königspaar gespeist.

Die Wände zieren große Gemälde von einstigen sächsischen Herrschern, Markgrafen, Herzögen und Kurfürsten, die die Entwicklung der Messestadt in früheren Jahrhunderten stark beeinflusst hatten. Darunter Albrecht der Beherzte (1443–1500), dem Leipzig das dauerhafte Reichsmesseprivileg zu verdanken hat. Sie alle blickten an diesem Nachmittag auf die nächste Generation von Frauen und Männern herunter, die in den kommenden fünf Jahren für die Zukunft ihrer Stadt Verantwortung tragen.

„Ein würdiger Rahmen“, meinte Grünen-Fraktionschef Tobias Peter. Er war mit dieser Einschätzung nicht allein. Michael Weickert, der Fraktionsvorsitzende der CDU, erschien passenderweise im Frack. Und Oberbürgermeister Jung trug zum Anlass des Tages seine repräsentative Amtskette.

Oberbürgermeister Jung wirbt für respektvollen Umgang

Nach einer musikalischen Eröffnung des Thomanerchors, der mit der Bach-Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“ wohl auch eine Botschaft an die versammelte Volksvertretung senden wollte, hieß Jung die Stadträtinnen und Stadträte willkommen und bot ihnen im Namen seiner Verwaltung eine konstruktive Zusammenarbeit an.

„Das Stadtratsmandat ist eine hohe Verantwortung“, hob Jung hervor. „Sie bestimmen nun die Geschicke dieser Stadt an ganz zentraler Stelle mit.“ Jedes Ratsmitglied müsse jedoch sein Mandat dem Gesetz nach in seiner „freien, dem Gemeinwohl verpflichtenden Überzeugung“ ausüben. Jung warb für einen Umgang miteinander, der von demokratischen Grundwerten und gegenseitigem Respekt getragen ist, für eine sach- und lösungsorientierte, parteiübergreifende Zusammenarbeit zum Wohle der ganzen Stadt. Das erscheint angesichts der Zusammensetzung des Rates auch nötig.

Elf Parteien, sieben Fraktionen: Mehrheitssuche wird schwieriger

Mit elf Parteien und sieben Fraktionen ist dieser Stadtrat so vielfältig wie nie zuvor. Keines der klassischen Lager, weder links noch rechts, verfügt über eine Mehrheit. Er sehe das aber auch als Chance, sagte Jung. Sein Argument: „Wir sind gezwungen, noch mehr miteinander zu reden, noch besser mit Sachargumenten zu überzeugen und tragfähige Kompromisse zu finden“.

Als große Themen nannte er bezahlbares Wohnen, Mobilität, die Energiewende, den Klimawandel und die Migration. Diese werden auch den Doppelhaushalt 2025/2026, über den das Kommunalparlament in den nächsten Wochen verhandeln wird, stark beeinflussen. „Der Haushalt wird die erste demokratische Nagelprobe für den Stadtrat sein“, prophezeite Jung.

Zuwanderung und der Krieg in der Ukraine hatten bei der Kommunalwahl eine große Rolle gespielt – und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als neuen Player auf die kommunalpolitische Bühne gebracht. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse dürfte es mit seinen sieben Stadträten künftig das Zünglein an der Waage sein.

BSW erwartet „sehr starken Konflikt“

Wie kam die Rede des Oberbürgermeisters bei den Neuen an? „Herr Jung hat sehr deutlich die Politik der letzten Jahre von Rot-Rot-Grün propagiert“, sagte BSW-Fraktionschef Eric Recke gegenüber der LVZ und bedauerte, dass Jung eine von seiner Fraktion angeregte „Diplomatiereise“ nach Moskau und Kiew ablehnt. Er befürchte „einen sehr starken Konflikt“, wenn – wie von Jung angekündigt – auf der einen Seite die Haushaltsmittel sinken werden, andererseits aber „diese teilweise sehr ideologiegetriebenen klimaorientierten Projekte“ weiter finanziert werden sollen. „Ich hoffe, dass wir da soziale Lösungen finden“, so Recke.

Das lässt schwierige Debatten erwarten. Am Mittwoch war die Stimmung noch versöhnlich. Die ersten Beschlüsse des neuen Stadtrats nach seiner formalen Amtsverpflichtung – zur Fraktionsfinanzierung und zur Besetzung von Ausschüssen und Stadtbezirksbeiräten – gingen ohne Diskussionen und Gegenstimmen über die Bühne. Das wird so nicht bleiben.