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Zugriff bei Chemnitzer Demonstration am Montag: Wen oder was schützte hier die Polizei?

Der Zugriff Montagabend gegen eine angemeldete linke Demo hat verstörende Zeichen gesetzt. Für kommende Aufzüge von Corona-„Spaziergängern“ kündigt die Polizei ein anderes Vorgehen an. Dieser Protest sei „in höchstem Maße unsozial“.

Während am Montagabend bis zu 400 Corona-Maßnahmen-Gegner unter Missachtung der pandemischen Lage und geltender Regeln zum wiederholten Mal unbehelligt durch die Stadt „spazierten“, wurde eine etwa 30-köpfige Gegendemonstration von der Polizei unter Einsatz körperlicher Härte aufgelöst. Die genauen Umstände blieben auch am Dienstag im Dunkeln. Eine detaillierte Anfrage zum Auslöser der Eskalation beantwortete ein Polizeisprecher am Nachmittag mit dem Hinweis auf eine noch vorzunehmende interne Auswertung.

Bei dem Einsatz, bei dem Gegendemonstranten von einigen Polizisten im Lauf angesprungen, auf den Boden geworfen und gefesselt wurden, gab es nach Angaben des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“ Verletzte. Ein Stadtsprecher bestätigte, dass die Gegendemo angemeldet war – im Gegensatz zum „Spaziergang“, der sich auflöste, als die Gegendemonstranten eine Stunde lang festgehalten wurden, um die Personalien der Beteiligten aufzunehmen. Die „Spaziergänger“ hatten wie stets auf Masken und Corona-Abstandsregeln gepfiffen. Bei der Gegendemo wurden Masken getragen.

Das Ziel der Maßnahme habe darin bestanden, „beide Lager strikt zu trennen“, so ein Polizeisprecher am Dienstag. Man habe eine körperliche Auseinandersetzung befürchtet. In einem Polizeibericht vom Montagabend hieß es, einige der linksorientierten Personen hätten dem Gegenüber Schirme entgegen gehalten „und die Konfrontation gesucht“. Nach Zeugenberichten und bei Betrachtung eines Videos, das aus der Perspektive der „Spaziergänger“ aufgenommen und noch am Abend auf rechtsgerichteten Social-Media-Kanälen geteilt wurde, ist allerdings keinerlei körperliche Provokationen seitens der Demonstranten erkennbar. Die Schirme hielten sie aufgespannt vor Kopf und Körper.

Es sei der Polizei keineswegs darum gegangen, den sogenannten Spaziergang weiter zu ermöglichen, so der Sprecher – auch wenn die Folge des Zugriffs auf die Gegendemonstranten war, dass alle „Spaziergänger“ ohne Identitätsfeststellung den Ort verlassen, ihren Rundgang beenden und sich zerstreuen konnten. Eigentliches Einsatzziel der Polizei sei es nach eigenen Angaben gewesen, „die Rädelsführer des Aufzugs aus der Anonymität zu holen“. Das sei nicht erreicht worden. Stattdessen wurde die Polizei von den Protestlern bei ihrem Zugriff auf die Gegendemo mit „1, 2, 3 – Super Polizei“-Rufen gefeiert.

Der Polizeisprecher stellte indessen klar, „dass wir kein Verständnis oder gar Sympathien für diejenigen haben, die Woche für Woche ihren Protest durch sogenannte Spaziergänge auf die Straßen tragen. Dieses Verhalten ist in höchstem Maße unsozial und gefährdet das Gemeinwohl.“ Mit Blick auf kommende Protestaktionen werde die Lage neu bewertet und das Vorgehen angepasst. In Zwickau [1] hatte die Polizei am Montagabend die dortigen „Spaziergänger“ festgesetzt und eine Identitätsfestellung durchgeführt.

Oberbürgermeister Sven Schulze sagte am Dienstag, er wolle die Taktik der Polizei am Montagabend nicht bewerten. „Es sind aber schwierige Bilder auch in der Verhältnismäßigkeit, wenn 400 Leute unbehelligt laufen, während von zwanzig Personen die Personalien kontrolliert werden.“ Er rief dazu auf, „deutlich zu zeigen, was Recht und Gesetz ist“, andernfalls könnten „falsche Signale“ gesendet werden. Ordnungsbürgermeister Miko Runkel [2] werde den Einsatz noch einmal mit der Polizei besprechen.

Der Chemnitzer Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann (Bündnis90/Grüne) erklärte am Dienstag, er sei „fassungslos“, dass eine Gegenkundgebung „mit insgesamt 27 Teilnehmer:innen aufgelöst wurde, während der Demonstrationszug weiter unbehelligt durch die Stadt ziehen konnte“. Mit diesem Verhalten verliere die Polizei „weiter an Vertrauen derjenigen, die sich vernünftig verhalten.“ Karola Köpferl, Sprecherin des Kreisverbands von Bündnis 90/Die Grünen sagte: „Aktuell habe ich nicht den Eindruck, dass die Polizei sich für die Einhaltung des Infektionsschutzes einsetzt, sondern stattdessen den teils staatsfeindlichen Verschwörungsideologien Beistand leistet.“ Die Linke-Innenpolitikerin Kerstin Köditz resümierte auf Twitter: „Querdenker marschieren ungehindert durch Chemnitz, dagegen protestierende Linke werden gewaltsam festgesetzt.“ Linke-Stadtrat Klaus Bartl [3] erklärte: „Dass das Entgegenhalten von Regenschirmen als Stopp-Zeichen als gefährlicher eingeschätzt wird als 300 Menschen, die sich an keinerlei Regeln halten, ist absurd.“ Es gebe für den Rechtsstaat „nichts Peinlicheres und nichts Schlimmeres, als Vorschriften zu schaffen und sie dann nicht durchzusetzen.“

  1. https://www.freiepresse.de/zwickau/ort-zwickau
  2. https://www.freiepresse.de/thema/person/miko+runkel
  3. https://www.freiepresse.de/thema/person/klaus+bartl