Vom rechtspopulistische Feindbild „Die Grünen“ und der Systemfrage
Irgendwelche sich als „antimilitarisch“ verstehenden kommunistischen Jugendlichen schrieben auf Indymedia, dass sie unter anderem den Slogan „Grüne an die Ostfront“ auf eine Wand gesprüht haben. Herzlichen Glückwunsch zu dieser bemerkenswert hohlen Aussage, möchte ich ironischerweise schreiben – doch die Hintergründe sind fast zu bitter, um sich noch darüber lustig zu machen. Denn leider steckt dahinter der stalinistische Geist der sogenannten „Sozialfaschismus-These“. Dazu muss man nicht dreimal um die Ecke denken. Wer bedenkenlos und im überheblichen Stolz des wahren Idiotentums, einen Spruch übernimmt, der von der krytofaschistischen Partei „Freie Sachsen“ derzeit im Wahlkampf weithin plakatiert wird, bei dem ist Hopfen und Malz verloren.
Man mag unterschiedliche Auffassung hinsichtlich des Ukraine-Krieges haben, selbst wenn irgendwelche bloßen Forderungen, Waffen dorthin zu liefern oder dies sein zu lassen, letztendlich völlig belanglos sind und im leeren Raum verhallen. Grundsätzlich gilt es die Regierungspolitik zu kritisieren und wenn diese unter dem „modern“ klingenden Anstrich einer „feministischen“ Außenpolitik vollzogen wird. Somit ist auch dieser erneuerte neoliberal-technokratische Herrschaftsmechanismus offenzulegen und anzugreifen. Anstatt wirkliche Regierungskritik zu betreiben (mit welcher Putin als Kriegstreiber und Quasi-Diktator im Übrigen regelmäßig ausgeblendet wird), springen die losten kommunistischen Kids aus Berlin aber lediglich auf den Zug zum Autoritarismus auf, wie er von allen hetzerischen rechtspopulistischen Kräften betrieben wird.
In Sachsen überwerfen sich die konkurrierenden menschenfeindlichen Parteien dabei mit ihren Forderungen und Programm, um aus dem ausgeweiteten Stimmpotenzial zu schöpfen. Neben den erwähnten „Freien Sachsen“, haben sich auch das „Bündnis Deutschland“, die „Werteunion“, die „Freien Wähler“, selbstverständlich die AfD, wie neuerdings auch BSW, auf den Prügelknaben Die Grünen eingeschossen. Die CDU, mit welcher sie im Bundesland regiert, würde sie ebenfalls gerne loswerden. Solange aber noch nicht klar ist, dass sie die 5%-Hürde nicht schaffen, beißen die Christdemokraten in den sauren Apfel und halten sich die grüne Partei als Koalitionspartner offen, um die von der Bundespolitik – dem Wirtschaftsstandort zu Liebe – verordneten „Brandmauer gegen rechts“, aufrecht erhalten zu können. Dass auf kommunaler, regionaler und Landes-Ebene weithin Absprachen und Kooperationen mit der AfD stattfinden, ist bei den politischen Kräfteverhältnissen selbsterklärend und ein Effekt des parlamentarischen Systems allgemein.
Nun liegt es mir durchaus fern, die GRÜNEN zu verteidigen, obwohl ich der Partei in meiner Jugend kurzzeitig nahe stand. Seitdem ist allerdings viel Wasser die Elbe und Saale heruntergeflossen… Die Grünen haben sich mit dem Streben nach der Staatsmacht und ihrer Regierungsbeteiligung ebenso verändert, wie ich mich, aber auch die politische Landschaft insgesamt. Es stimmt, dass die Partei staatstragend geworden ist, ja gewissermaßen sogar sein „progressives“ Zentrum darstellt. Als „linksliberal“ könnte man sie bei Weitem größtenteils nicht mehr bezeichnen – das bringt die Regierungsverantwortung mit sich. Dennoch haben sich bestimmte Dinge gesellschaftlich verändert in den letzten 20-30 Jahren. In verschiedenen Bereichen (die Wirtschaft wiederum ausgeschlossen) hat eine Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft stattgefunden. Dieser Trend ist den Konservativen ein Dorn im Auge.
Die Reaktionären können sich daran hingegen sogar inszenieren und aufbauen. So wurde vor einer Weile im Bundesland Bayern die Gender-Sprache an Schulen verboten. Wer Internet-Zeitungen ließt oder sich vorgeschlagene youtube-Videos anschaut, begegnet mittlerweile einer Fülle von kostenpflichtigen Anzeigen, in denen die Solar-Branche auf suggestive Weise diskreditiert wird und armselige Kommentatoren, deren Videos hunderttausendfach geklickt werden, Bundespolitiker der Grünen Partei mit Dreck bewerfen. So überrascht es nicht, dass ihre Wahlkampfhelfer und Parteibüros – ebenso wie jene der in die Versenkung getriebenen Linkspartei – zur Zielscheibe kontinuierlicher Angriffe werden: Von der Morddrohung per Email, über die eingeschlagene Scheibe oder das Gerangel am Wahlkampfstand. Auch hierbei liegt es mir fern für jene Politiker*innen Partei zu ergreifen, welche sich doch auf einer ganz anderen Ebene bewegen, ganz andere Bezugspunkte haben, als meine Leute und ich.Als Indikator für die zunehmend aufgeladene und aufgehetzte Stimmung unserer Zeit, halten diese Entwicklungen dennoch her. Das Ganze setzt sich auf der Straße fort, wie man aktuell den Naziprotesten gegen verschiedene CSDs und den anhaltenden Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten, insbesondere im Osten von Deutschland, entnehmen kann.
Irrerweise ist es ja die bestehende „progressive“ Ampel-Regierung, welche im vorlaufenden Gehorsam, den Regeln des politischen Betriebs nach, selbst gezwungen ist, die Forderungen ihrer Gegner*innen zu erfüllen: Sei es bei der Verschärfung von Abschiebungen, der Rücknahme der Entlastung für Sozialhilfe-Empfänger*innen oder dem Engerschnallen der haushaltspolitischen Gürtel – wobei sich allein diese drei Bereiche mittelfristig wiederum auf das weitere Erstarken der Rechten auswirken. Es gibt für mich dahingehend nichts zu verteidigen, was die Regierungspolitik angeht – warum auch? Sie interessiert mich eigentlich auch nicht besonders.
Die ganze Schiene „Wer hat uns verraten“, erschien mir allerdings völlig lächerlich, wenn ich sie auf der Straße zur Identitätsbildung linker Demonstrant*innen in den letzten Jahren wahrgenommen habe. – Denn in ihrem Bewusstsein kamen jene, welche die Parole am lautesten brüllten, meistens selbst nicht über sozialdemokratisches Denken hinaus – was ihnen freilich nicht bewusst war, sonst hätten sie sie wohl auch nicht gerufen… Trotzdem kann das Phänomen beleuchtet werden, warum gerade die Grünen so explizit zum Magneten des rechtspopulistischen Hasses werden – beziehungsweise so strategisch gemacht wurden -, dass sie für das rechtspopulistische Lager fast eher ein Mythos statt eine Realität darstellen.
Die Antwort führt meines Erachtens nach wieder dahin zurück, dass die Partei als Sinnbild schlechthin für die Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft angesehen wird (mit den Stichworten Inklusion, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Bildungschancen, Queer-Freundlichkeit etc.). Diese wollen die Reaktionären zurückschrauben. Zur Debatte gestellt wird insofern tatsächlich das komplette Modell des („progressiven“ / „neoliberalen“, aber ausgleichenden, pluralistischen) kapitalistischen Staates, zugunsten eines anderen Modells, welches als neokonservativ, „neo-feudal“ und „neo-ständisch“, sowie homogen, bezeichnet werden kann. Um dem Trend zum Autoritarismus zu begegnen, ohne sich mit der kapitalistischen Staatlichkeit gemein zu machen, wäre die Systemfrage nunmehr – andererseits – sozialrevolutionär zu beantworten.
Womit wir wiederum bei den eingangs erwähnten jugendlichen Berliner Kommis wären, welche dem Irrglauben erliegen, dass man entspannt mal selbst einen Fascho-Slogan sprühen kann und sollte. Was BSW angeht, inszenieren sich die Wagenknechte ebenso als systematische Alternative. Dabei sind sie nichts weiter als ein autoritär und nationaler zugespitzter Sozialdemokratismus und bilden lediglich den Trend unserer Zeit ab, statt die Systemfrage ernsthaft zu stellen. Vom sozial-revolutionären, emanzipatorischen Projekt fehlt weiterhin jede Spur. Dabei handelt es sich bei diesem nur um eine romantische Projektion oder idealistische „Idee“. Es wäre möglich, machbar, vermittelbar. Nur gemacht werden kann das Einfache so schwer…