NSU-Terror: Neue Verbindungen führen von Sachsen nach Nürnberg

André Eminger gilt als einer der wichtigsten Unterstützer der NSU-Terrorzelle. Der Neonazi aus Sachsen pflegte jahrelang Kontakt zu den untergetauchten Terroristen. Recherchen von BR und NN zeigen Verbindungen Emingers nach Nürnberg.

Am 4. November vor zehn Jahren fliegt die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) auf. Nach einem Banküberfall in Thüringen erschießen sich die beiden NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Fluchtfahrzeug, einem Wohnmobil. Kurz danach sprengt Beate Zschäpe die konspirative NSU-Wohnung in Zwickau in die Luft, um Beweise zu vernichten.

Wenige Minuten später ruft sie mehrmals hintereinander André Eminger auf seinem Handy an. Der heute 42-Jährige gehörte damals zu den engsten Kontaktpersonen von Zschäpe. Das Rechercheteam von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten hat aufgedeckt: Es gab Verbindungen von Eminger nach Nürnberg. In dieser Stadt hat der NSU drei Menschen ermordet. Doch wer ist André Eminger?

André Eminger als viertes NSU-Mitglied?

Der Neonazi aus Sachsen gilt als einer der wichtigsten Unterstützer des NSU-Kerntrios, mietete Fahrzeuge und eine Wohnung für die untergetauchte Gruppe. Als sich Zschäpe 2011 stellte, trug sie Kleidung seiner Ehefrau. Die Ermittler gehen davon aus, dass das Ehepaar Zschäpe nach dem Auffliegen des NSU mit frischen Sachen ausgestattet hat. Eminger wird später wegen Unterstützung einer Terrororganisation im NSU-Prozess in München angeklagt.

„André Eminger war sicherlich der langjährigste Unterstützer des sogenannten Kerntrios, wir gehen aber davon aus, dass der NSU ein Netzwerk ist und noch viele weitere Mitglieder hatte. So eng wie André Eminger an diesen drei Personen war, kann man davon ausgehen, dass er – und das hat auch der Generalbundesanwalt gesagt – quasi als viertes Mitglied des NSU gehandelt werden kann“, meint der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der im NSU-Prozess Hinterbliebene der Mordopfer vertreten hat.

Neonazis jubelten im NSU-Prozess bei der Urteilsverkündung

Im Juli 2018 endet der Prozess vor dem Oberlandesgericht. Zschäpe erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe. André Eminger wird wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Diese Zeit hat er bereits als Untersuchungshäftling abgesessen, daher kann er den Gerichtssaal nach dem Urteilsspruch als freier Mann verlassen.

Das Gericht sah es als nicht erwiesen an, dass er von dem mörderischen Treiben der Terrorzelle wusste. Die anwesenden Neonazis jubelten damals auf der Zuschauertribüne, Hinterbliebene im Gerichtssaal waren schockiert über das milde Urteil. Weil die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Gefängnis gefordert hat, ist sie in Revision gegangen. Vor dem Bundesgerichtshof soll nun im Dezember ein Urteil fallen.

NSU-Gedenken in Emingers Wohnung

André Eminger ist ein „überzeugter Nationalsozialist, mit Haut und Haaren“, sagte sein Anwalt einst über ihn. Das zu leugnen wäre auch aussichtslos, denn auf seinen Bauch hat sich der 42-Jährige „Die Jew Die“ („Stirb, Jude, stirb“) und mehrere NS-Symbole tätowieren lassen.

Im April 2013 durchsuchte das Bundeskriminalamt die Wohnung von Emingers Familie. Die Ermittler fanden eine aufwendige Kohlezeichnung in einem braunen Rahmen. Lächelnd abgebildet: Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Zeichnung trägt den Schriftzug „Unvergessen“ und ist mit einer in der Neonazi-Szene beliebten Todesrune unterlegt.

Ausschnitte eines Nürnberger Stadtplans gefunden

Noch völlig unbeleuchtet sind die Verbindungen von André Eminger nach Nürnberg. Das Rechercheteam von BR und Nürnberger Nachrichten hat interne Akten des Bundeskriminalamts ausgewertet. Auf dem Computer in Emingers Haus konnten Ermittler Ausschnitte eines Nürnberger Stadtplanes sicherstellen. Die Karten zeigen die Stadtteile Laufamholz, Erlenstegen und Mögeldorf.

Abgespeichert wurden diese laut Ermittlungsakte im April 2001, also kurz nach dem ersten Mord an dem Blumenhändler Enver Şimşek und wenige Wochen vor dem zweiten Mord am Metallfacharbeiter und Schneider Abdurrahim Özüdoğru. Beide Opfer starben in Nürnberg. „Keiner der Morde, welche in Nürnberg geschehen sind, befinden sich in den oben gezeigten Bereichen in Nürnberg. Warum sich lediglich diese beiden Ausschnitte auf der Festplatte befinden, kann nicht gesagt werden“, notiert eine BKA-Kriminaloberkommissarin.

NSU-Kerntrio übernachtete in Nürnberger Neonazi-WG

Jedoch befand sich genau in diesem Bereich, im Nürnberger Stadtteil Mögeldorf, in den 1990er Jahren eine Neonazi-Wohngemeinschaft. Das bezeugte ein damaliger Führungskader der Szene dem gemeinsamen Rechercheteam von BR und Nürnberger Nachrichten. Tatsächlich hatten Anwohnerinnen und Anwohner in dieser Zeit immer wieder über den Auftrieb und die Bedrohungen von gewaltbereiten Neonazis geklagt, sodass ein dortiger Kulturladen ein Notruf-Telefon für die besorgten Bürger einrichtete, wie die Nürnberger Nachrichten damals berichteten.

Die Polizei in Nürnberg notierte damals auch Autokennzeichen aus Sachsen. In dieser WG übernachteten dem Neonazi-Aussteiger zufolge auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe des Öfteren. War auch André Eminger öfter in Nürnberg? Übernachtete er hier vielleicht sogar mit dem späteren NSU-Kerntrio in der Wohnung in Mögeldorf? Oder warum befanden sich auf seinem Computer ausgerechnet die Kartenausschnitte des Stadtteils, in dem das Kerntrio offenbar ab und an Unterschlupf fand?

Eminger erhielt Kredit von Nürnberger Bank

Eine weitere Spur führt nach Mittelfranken: Ende 2007 beantragte Eminger bei einer Bank am Rathenauplatz in Nürnberg einen sogenannten Konsumentenkredit. Das Geldhaus überwies am 4. Dezember mehrere tausend Euro auf sein dort neu eingerichtetes Konto. Die Summe sei nicht zweckgebunden, die Raten würden ordnungsgemäß zurückgezahlt, teilte die Bank dem BKA mit. Wofür der Betrag gedacht war, blieb offen. Für Anfragen des Rechercheteams zu seinen Kontakten nach Franken war Eminger nicht erreichbar.

Sprengstoffanschlag führt laut Zeuge zu Emingers Frau

Doch es gibt noch eine weitere Spur nach Nürnberg. Der erste Bombenanschlag des NSU wurde 1999 auf die Pilsbar Sonnenschein in Nürnberg verübt. Betrieben hat sie der damals 18-jährige Mehmet O. (Name geändert). Er überlebte den Anschlag, weil die als Taschenlampe getarnte Bombe nicht richtig zündete, wie Beamte des LKA-Sprengstoff-Dezernats in ihrem internen Bericht 1999 festhielten. Erst im NSU-Prozess wurde 2013 bekannt, dass der Anschlag einen rechtsterroristischen Hintergrund hatte.

NSU-Überlebender erkennt Ehefrau von André Eminger

Im Juni 2013 vernahmen Beamte des Bundeskriminalamts Mehmet O. erneut. 115 Bilder von Beschuldigten und Verdächtigen im NSU-Verfahren wurden dem ehemaligen Wirt vorgelegt und beim Foto einer Frau blieb er hängen. „Die geht mir nicht mehr aus dem Kopf, die kenne ich“, sagte er in der Zeugenvernehmung, die dem BR/NN-Rechercheteam vorliegt.

Und die Ermittler notierten umgehend, wen der türkischstämmige Mann da identifiziert hatte: die Frau von André Eminger. Auch sie war in den vergangenen Jahren eine Neonazi-Aktivistin aus Zwickau – eine enge Freundin von Beate Zschäpe, vielleicht sogar ihre beste und wichtigste. Erfahren hat das Mehmet O. erst Jahre später durch das BR/NN-Rechercheteam, die Ermittler haben sich nach seiner Aussage nicht mehr gemeldet.

Ermittlungen gegen Emingers Frau

Seit Januar 2012 ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen die Ehefrau von André Eminger wegen Unterstützung der Terrorvereinigung NSU. Ihr wird vorgeworfen, die Tarnung des NSU-Kerntrios im Untergrund aufrecht erhalten zu haben. Laut Ermittlungen hat sie Beate Zschäpe bei mehreren Gelegenheiten ihre Personalien zur Verfügung gestellt, damit diese nicht enttarnt wird. Beispielweise nutzte Zschäpe mehrere Bahncards, die auf Emingers Frau ausgestellt waren.

Wie eng das Verhältnis zwischen Emingers Frau und Zschäpe offensichtlich war, zeigen gemeinsame Fotos, die Ermittler im Bauschutt des NSU-Verstecks in Zwickau fanden. Auf den Bildern, die dem Rechercheteam vorliegen, sind eine lächelnde Beate Zschäpe und Emingers Frau zu sehen. Zudem besuchte sie das NSU-Kerntrio regelmäßig mit ihren Kindern im Zwickauer NSU-Unterschlupf.

Verbindungen nach Nürnberg wurden nicht untersucht

Das Verfahren gegen Emingers Frau läuft noch. Ob es je zu einer Anklage kommt, bezweifeln viele Experten. Der Bombenanschlag auf die Pilsbar in Nürnberg war im NSU-Prozess kein Thema. Aus „verfahrensökonomischen Gründen“ wurde das Attentat ausgeklammert. Auch im ersten und einzigen bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss war der Anschlag kein Thema, denn damals waren viele Einzelheiten und Vorgänge wie der Bombenanschlag noch gar nicht bekannt.

Auch die Rolle André Emingers und seine Verbindungen nach Bayern wurden kaum behandelt. Mit dem Urteil im Dezember könnte noch einmal Fahrt in die Geschichte kommen. André Eminger drohen weiterhin mehrere Jahre Haft.

Bislang unbekanntes NSU-Mitglied in Nürnberg?

Das NSU-Kerntrio konnte sich insgesamt bei der Mordserie auf etliche Unterstützer aus der Neonazi-Szene stützen. Das Umfeld des NSU wird auf bis zu 200 Personen geschätzt. Mindestens eine Person aus dem direkten Umfeld des Kerntrios wurde jedoch bis heute nicht ausfindig gemacht. Nach der Selbstenttarnung der rechtsextremen Terrorzelle warf eine bislang unbekannte Person das Bekennervideo unfrankiert in den Briefkasten der „Nürnberger Nachrichten“. Beate Zschäpe kann es nicht gewesen sein. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot.