Zu den einleitenden Worten der „Antimilitarist_innen“ im Autonomen Blättchen #57

Die Recherche zum Einsatz des KI-Systems „Lavendel“ im +972mag (April 2024) hat für weit weniger Furore innerhalb radikaler Zusammenhänge gesorgt, als es dem Thema angemessen gewesen wäre. Auch deshalb ist es mit Sicherheit ein Fortschritt, dass eine gekürzte Version der Übersetzung (von Matthias Monroy) aus der „Neues Deutschland“ im Autonomen Blättchen #57 abgedruckt wurde. Die einleitenden Worte einiger „Antimilitarist_innen“ (S. 31) dazu waren aber gelinde gesagt, ein Griff ins Klo und sagen so viel mehr über seine Autor_innen aus, als diese zu der Recherche von Yuval Abraham.

Das Offensichtlichste zuerst: „Der folgende Text […] basiert auf Recherchen der israelischen Investigativ-Plattformen +972 und Local Call.“ Was harmlos anmuten mag, ist bei genauerem Hinschauen ein (un-?)bewusstes unsichtbar-machen palästinensischer Stimmen. So haben die Autor_innen scheinbar nur wenige Sätze des (englischsprachigen) Wikipedia-Artikel zum +972 magazine gelesen, anstelle sich die Mühe zu machen auf der Onlineseite des Magazin selbst zu „recherchieren“. Sowohl unter dem Reiter „about“ als auch „our story“ hätte aufallen müssen, dass es sich eben nicht um eine ausschließlich „israelische“ Investigativ-Plattform handelt. Vielmehr ist das +972 mag ein „nonprofit magazine run by a group of Palestinian and Israeli journalists“ das 2010 von einer „group of longtime Israeli and Palestinian journalists“ gegründet wurde. Dass die „Antimilitarist_innen“ der englischen Sprache mächtig sind ist insofern deutlich geworden, als dass sie (bewusst?) den englischen Wikipedia-Eintrag zur Grundlage ihres Vorworts genommen haben, der sich nicht mit dem deutschen Eintrag zum +972mag als „unabhängiges linkes E-Zine mit Sitz in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten“ deckt.

Mit ihrer Nachlässigkeit reihen sich die „Antimilitarist_innen“ in die Erklärung von Claudia Roth nach dem „Skandal“ auf der Berlinale ein, die ihren Applaus bei der Verleihung des Dokumentarfilm Preises an „No Other Land“ von Yuval Abraham und Basel Adra, im Nachhinein nur als einen für den „jüdisch-israelischen Filmemacher“ verstanden wissen wollte. Palästinenser:innen existieren, wenn überhaupt als „Terrorist:innen“, „unbestimmte Masse aggressiver Männer“ und „namenlose Opfer“, nicht aber als alles was sie bspw. sonst noch sind oder seien könnten: „Autor:innen“, „Künstler:innen“, „freiheitsliebende Menschen“,.. die Liste ist unerschöpflich.

Das Autonome Blättchen hat im Vorwort entweder denselben Fehler begangen oder einfach die Worte der „Antimilitarist_innen“ übernommen und noch einen draufgesetzt und eine „Recherche israelischer Journalist_innen“ angekündigt, obwohl Yuval Abraham seine Arbeit an keiner Stelle als eine „ausschließlich israelische“ kennzeichnet. Im Wissen um das +972mag wäre das zwar möglich, aber trotzdem unwahrscheinlich. Das Details im Hinblick auf dieses Thema von Bedeutung sind, dürfte in den letzten Monaten, einmal mehr allen klar geworden sein, auch wenn die Auswirkungen der Details nur von den Betroffenen wirklich nachvollzogen werden können.

Mindestens umstritten ist auch die Beschreibung der letzten 9 Monate durch „Antimilitarist_innen“ als „Krieg der israelischen Regierung gegen die Hamas“, die sich nur schwer mit dem Inhalt des von ihnen im Folgenden abgedruckten Artikels in Einklang bringen lässt. Ergänzend – auch aus dem +972mag – der Artikel vom 8. Juli 2024 „‘I’m bored, so I shoot’ The Israeli army’s approval of free-for-all violence in Gaza“ oder zahlreiche andere Texte der letzten Monate. Nicht zuletzt ermittelt auch der Internationale Strafgerichtshof wegen des Verdachts des Völkermords gegen den israelischen Staat und hat schon am 26. Januar 2024 Forderungen diesbezüglich formuliert. Ein oder zwei Sätze mehr hätten bestimmt geholfen und dazu beitragen können widerstreitende Positionen diskutierbar zu machen.

Dem nicht genug habe ich mir die Mühe gemacht und den durch die „Antimilitarist_innen“, „eigenmächtig gekürzt[en]“ Text, einmal genauer anzuschauen und auf eine Stelle hinweisen, die mir aufgefallen ist: „Die Luftangriffe auf hochrangige Hamas-Kommandeure dauern jedoch noch an, und Quellen zufolge genehmigt das Militär bei diesen Angriffen die Tötung von »Hunderten« von Zivilisten pro Ziel (…)“. Gekürzt haben die „Antimilitarist_innen“ den Rest des Satzes: „– eine offizielle Politik, für die es keinen historischen Präzedenzfall in Israel oder sogar bei jüngsten Militäroperationen der USA gibt.“ Ich bin auch davon überzeugt, dass das israelische Militär nicht „brutaler als andere kriegführende Armeen“ ist, anderseits lässt die absichtliche Kürzung des Satzes den Verdacht zu, dass die Tragweite und der – bis dato – beispiellose Einsatz des KI-Systems „Lavendel“ an dieser Stelle banalisiert werden soll. Das „Wieso?“ könnten nur die „Antimilitarist_innen“ selbst beantworten. An einer weiteren Stelle verschwindet durch Kürzung der Antimilitarist_innen ein weiterer Hinweis, der die Besonderheit des KI-Systems „Lavendel“ hervorhebt: „Wir haben Menschen mit Kollateralschäden im hohen zweistelligen, wenn nicht gar niedrigen dreistelligen Bereich getötet. Das sind Dinge, die vorher noch nie passiert sind.« Eine so hohe Rate an »Kollateralschäden« ist nicht nur im Vergleich zu dem, was die israelische Armee früher für akzeptabel hielt, sondern auch im Vergleich zu den Kriegen, die die Vereinigten Staaten im Irak, in Syrien und in Afghanistan führen, außergewöhnlich.

General Peter Gersten, stellvertretender Befehlshaber für Operationen und Nachrichtendienste im Kampf gegen Isis im Irak und in Syrien, erklärte 2021 gegenüber einer US-Verteidigungszeitschrift, dass ein Angriff, bei dem 15 Zivilisten zu Schaden gekommen seien, von der üblichen Vorgehensweise abweiche; um ihn durchzuführen, habe er eine Sondergenehmigung vom Leiter des US-Zentralkommandos, General Lloyd Austin, einholen müssen, der heute Verteidigungsminister ist.“

Die vorgegebene Neutralität mit der die „Antimilitarist_innen“ sich augenscheinlich schmücken wollen, ist aber auch an dieser Stelle nur eine vorgegebene und nicht dazu geeignet Diskussionen anzuregen, sondern ganz im Gegenteil im Kern zu ersticken. Dem Text des +972mag „sprachlich und gedanklich“ eine „militärische Logik“ vorzuwerfen ist in Anbetracht der Thematik der Recherche, wohlwollend formuliert komisch, vielleicht aber auch Ausdruck eines fehlenden Verständnis’ der Situation vor Ort. Auffällig oft wurden auch Zitate gekürzt, die den Text so technischer und emotionsloser werden lassen, als er es im Original ist. Auch verstummen so die menschlichen Töne – egal von wem. So auch am Ende des „Schritt 4“, wo die lebhaften Beschreibungen einiger Quellen über die Atmosphäre innerhalb der israelischen Armee nach dem 7. Oktober 2023 verschwinden.

Die gekürzte Version der „Antimilitarist_innen“ ist nicht zwingend tendenziös, mindestens aber sorglos und dem Inhalt der Recherche unangemessen. Um sich nicht weiter in den drei Absätzen der „Antimilitarist_innen“ zu verlieren und meine und anderer Gefährt:innen wertvolle Zeit zu verschwenden, eine letzte Bemerkung: Objektive Neutralität gibt es nicht. Diesen Anspruch an andere zu stellen ist nicht Ziel dieses Kommentars. Nichtsdestotrotz möchte ich dazu anregen die eigenen Gedanken, das was wir sagen und schreiben, sorgfältig zu überprüfen. Wer Dinge bewusst auslässt oder inhaltlich – mit Hinblick auf eigene Überzeugungen – kürzt ist nicht gleich ein schlechter Mensch, sondern im besten Fall nur unehrlich gegenüber sich selbst, möglicherweise aber auch gegenüber Gefährt:innen.

Anmerkung knack.news:

Den kritisierten Text gibt es auch online unter
https://autonomesblaettchen.noblogs.org/ausgaben/ausgabe-nr-57/