Vor 10 Jahren – Antifa-Demo gegen einen Vortrag von Karl-Heinz-Hoffmann in der O8
Wir wollen hier in unregelmäßigen Abständen autonome Leipziger Stadtgeschichte dokumentieren. Dabei gehen wir immer 10 Jahre zurück und tragen zu besonderen Ereignissen zusammen, was wir noch finden.
Antifa-Demo der Kampagne Fence-Off gegen einen Vortrag von Karl-Heinz-Hoffmann im NPD-Zentrum in der Odermannstraße 8
Für den 26.11.2011 hatte die NPD den Neonazi Karl-Heinz-Hoffmann [1] eingeladen, in ihrem damals noch existierenden Zentrum in der Odermannstraße 8 einen Vortrag zu halten. Karl-Heinz Hoffmann gründete 1973 die rechtsterroristische [2] Wehrsportgruppe Hoffmann [3], leitete sie bis zu seiner Festnahme im Juni 1981 und blieb auch nach fünfjähriger Haft im gewaltbereiten Nazispektrum aktiv. Dass ein Vortrag mit ihm stattfinden sollte, wäre schon für sich ein Grund für eine Demonstration gewesen, dieser Vortrag allerdings sollte nur kurz nach der Selbstenttarnung des NSU am 4. November stattfinden.
Das Zentrum in der Odermannstraße 8 [4] in Leipzig-Lindenau war zwischen 2008 und 2014 immer wieder Ort für Naziveranstaltungen wie Vorträge, Partys und Liederabende gewesen, von denen nicht selten auch Übergriffe ausgingen. Schließen musste es 2014 wegen Geldproblemen, internen Streitigkeiten sowie „belagerungsartige Zustände“, denen man keine „Angriffsfläche“ mehr bieten wolle.
Mit „belagerungsartigen Zuständen“ waren die vielfältigen antifaschistischen Aktionen und Demonstrationen gemeint, die die Odermannstraße 8 seit ihrem bestehen begleitete. Eine davon fand auch am 26.11.2011 statt. Die Veranstaltung mit Hoffmann musste abgesagt werden, die Antifademonstration, mobilisiert von dem Bündnis „Fence off!“ [5] unter dem Motto „Nazis entwaffnen – Rechten Terror bekämpfen, Freies Netz zerschlagen” fand trotzdem mit 700 Antifas statt.
Wir dokumentieren hier den Aufruf zur Demo von Fence-off! und verlinken das Mobivideo und einen Videobericht von Fence-off! von damals. Dazu gibt es noch einen Bericht über die Demo bei addn.me aus Dresden. Die Seite von Fence-off ist leider nicht mehr online.
Mobi-Video: https://vimeo.com/32509415
Video-Bericht: https://vimeo.com/32740270
Demo-Bericht bei addn.me: https://www.addn.me/antifa/demonstration-gegen-rechten-terror-in-leipzig/
Der Aufruf-Text:
Die Nachrichten über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ schockieren auch uns – aber nicht, wie so genannte Extremismusexperten meinen, weil Nazis organisiert morden – sondern weil sie dies über Jahre hinweg unerkannt tun konnten. Ermöglicht wurde ihnen dies durch eine rassistische Stimmung, die die Taten der „Dönermörder“ in “innertürkische Konflikte“ und “Milieukriminalität” umdeutete. Bezeichnungen wie “Dönermörder” und “Soko Bosporus” sind nur die oberflächlichsten Ausdrücke dafür.
Wir trauern um die Opfer, ihre Angehörigen haben unsere Anteilnahme – doch dabei darf es nicht bleiben, denn rechten Terror gibt es weiterhin. So wollen die Jungen Nationaldemokraten (JN) am 26. November 2011 eine Veranstaltung mit dem Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffmann im Nazizentrum “Odermannstraße 8″ in Leipzig-Lindenau durchführen. Die JN dient dabei als Tarnorganisation des “Freien Netzes” und führt nicht zum ersten Mal eine Vernstaltung mit einem Rechtterroristen durch [6].
Hoffmann, Begründer der “Wehrsportgruppe Hoffmann”, die mit dem “Oktoberfest-Attentat” in Verbindung gebracht wird, ist für die rechte Szene Vorbild und Mythos zugleich. Er hielt bereits im September 2010 auf Einladung des “Freien Netzes” einen Vortrag in Hausdorf bei Colditz. Im Anschluss kam es zu Hausdurchsuchungen bei “Freies Netz”-Aktivisten in Jena, die zur Veranstaltung gereist waren, außerdem am Veranstaltungsort selbst und auf Hoffmanns Grundstück in Kohren-Sahlis. Die Polizei suchte dabei gezielt nach Sprengstoff. So engagiert geht der Staat in der Regel aber nicht gegen Nazis vor, im Gegenteil: Bereits Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass der Freistaat Sachsen das Rittergut in Kohren-Sahlis, das sich in Hoffmanns Privatbesitz befindet, über Jahre hinweg mit mehr als 130.000 Euro gefördert hatte. [7]
Auch deshalb ist es eine Farce, wenn “ExpertInnen” von einer “neuen Qualität” rechter, rassistischer und neonazistischer Gewalt reden. Nazis Morden nicht erst, seit es die so genannte “Zwickauer Zelle” gibt, neuste Zahlen von Opferberatungsgruppen und engagierten JournalistInnen sprechen von 182 Opfern rechter Gewalt allein seit 1990. In Leipzig wurde im vergangenen Jahr Kamal K. von zwei Neonazis am Hauptbahnhof erstochen. Die Familie des Ermordeten und AntifaschistInnen musste lange kämpfen, damit das Tatmotiv im Urteil gegen die Täter überhaupt beachtet wurde – und bekamen dafür in der Lokalpresse und Szeneblättern einiges zu hören, aber sicherlich keine Unterstützung angeboten. Hinzu kommen unzählige Übergriffe auf andersdenkende und -aussehende Jugendliche oder Anschläge auf linke und alternative Projekte. Als Beispiele seien hier nur die Brandanschläge im April 2008 auf die Fankneipe des Roten Stern Leipzig und auf ein soziokulturelles Zentrum im Leipziger Stadtteil Grünau im November 2008 genannt. Es verwundert niemanden, dass sächsische Neonazis ganz legal mehr als 150 Schusswaffen besitzen. [8] Die Dunkelziffer dürfte auch hier weitaus höher liegen.
Die Diskussion über die Verstrickung des Verfassungsschutzes, zeugt mehr von Geschichtsvergessenheit als von überzeugender Betroffenheit. Die VS-Behörden subventionieren seit Jahren militante und parteigebundene Naziorganisationen über Zahlungen an V-Leute, allein in Thüringen standen zwischen 1994 und 2000 dafür 1,5 Millionen Euro bereit. [9] Auch die Verfassungsschutzskandale der vergangenen Jahre belegen, wie dieses Geld direkt dem Aufbau von Naziorganisationen zu Gute kommt und dass die V-Leute in ein von ihnen kontrolliertes System aus Geld- und Informationsfluss eingebunden sind. [10] Der “Thüringer Heimatschutz” (THS) ist für diese Praxis nur ein Beispiel von vielen, und es weist auf ein systematischen Problem hin, das letzlich die Rolle und Funktion des “Verfassunsgsschutzes” als Ganzes in Frage stellt. Auch wenn der THS Mitte der 2000er von der Bildfläche verschwand, sind seine Strukturen noch immer aktiv und haben wahrscheinlich auch dazu beigetragen, den “Nationalsozialistischen Untergrund” zu unterstützen.
Eine der Nachfolge-Organisationen des THS ist das “Freie Netz” (FN). Es entstand Anfang 2007 als scheinbar loser Zusammenschluss mehrerer Kameradschaften in der Region zwischen Leipzig, Chemnitz und Jena. Schnell wurde jedoch klar, dass feste Absprachen und dauerhafte Strukturen den Zusammenhang bestimmen. Als Beispiel dafür kann man die „Volkstodkampagne“ nennen, durch die ein völkischer Märtyrermythos propagiert wird. Ebenso wie der “Thüringer Heimatschutz”– also der Organisation, der das Mördertrio der „Zwickauer Zelle“ angehörte – hat das “Freie Netz” das Ziel, lose Kameradschaften zu organisieren und dann geschlossen und gemeinsam zu handeln. Das erst kürzlich veröffentlichte interne Forum der 21 “Kameradschaftsführer” des FN belegt dies eindeutig. [11] Doch wie schon beim Thüringer Heimatschutz verharmlosen die Verfassungsschutz-Ämter das “Freie Netz” und beschreiben es, auch nach der Veröffentlichung des internen Forums, wahlweise als „loses Netzwerk“ oder als „Schaufenster der Kameradschaftsszene“. [12] Doch neben den organisatorischen und ideologischen Parallelen zum THS gibt es auch auf höchster Ebene des FN, also bei den 21 Kameradschaftsführern, personelle Kontinuitäten: Ralf Wohlleben, André Kapke und Thomas Gerlach – allesamt im THS aktiv und enge Vertraute der „Zwickauer Zelle“ – sind Mitbegründer und Führungskader des Freien Netzes. Neben Aufmärschen und Wehrsportübungen sind Mitglieder des FN auch für zahlreiche Übergriffe verantwortlich, die zum Teil lebensbedrohliche Verletzung zur Folge hatten. Eben diese Organisation lädt nun den wohl bekanntesten deutschen Naziterroristen der Nachkriegszeit ein und kann sich dabei der Tolerierung durch die hiesigen Behörden sicher sein.
Tolerierung und Unterstützung gehen dabei weit über das bisher Beschriebene hinaus, denn der Verfassungschutz und seine Ideologen im akademischen Betrieb und den Ministerien propagieren die Extremistheorie. Mit Hilfe dieser Konstruktion wird nicht nur die alltägliche Gewalt von Nazis verharmlost, sondern es werden all jene kriminalisiert, die sich entschlossen gegen Nazis und deren gesellschaftliche Basis engagieren. In Sachsen wird seit mehren Jahren das ganze Repertoire von Repressionsinstrumenten eingesetzt – von Observierungen, Hausdurchsuchungen, DNA-Tests, Telefonüberwachung bis hin zur “Demokratieerklärung” – um eben jenen Widerstand gegen rechte Umtriebe auf allen Ebenen zurückzudrängen. Zur selben Zeit konnte sich das Nazimördertrio in Zwickau einen Rückzugsraum schaffen, ihr unterstützendes Umfeld konnte sich festigen und macht weiter wie bisher. So veröffentlichte die NPD Leipzig im Oktober einen Artikel unter der Überschrift “Die Zeit für Widerstand ist gekommen”. Was darunter zu verstehen ist, sollte allen klar sein, die die aktuellen Ereignisse ernst nehmen. [13]
Wir werden den Umtrieben der Nazis weiter aktiv entgegentreten. Auf den Staat, der die Nazis mehr als 13 Jahre lange unterstützt, gedeckt und verharmlost hat, können wir uns dabei nicht verlassen. Deshalb rufen wir alle, die gegen Nazis aktiv sind und sich nicht länger durch den Staat dafür kriminalisieren lassen wollen, auf, mit uns zur Odermannstraße zu ziehen und den Nazis dort ihre Rückzufräume streitig zu machen. Die Odermannstraße 8 ist genau der richtige Ort dafür, denn hier kommt alles Zusammen: NPD und JN, Freies Netz und Naziterroristen. Und mindestens einen V-Mann gibts dort auch – von dessen Spesen vielleicht Hoffmanns Honorar bezahlt wird. [14]
Wir ersparen uns an dieser Stelle die obligatorische Abschlussparole und setzen lieber auf das, was zu tun notwendig ist…
- https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Heinz_Hoffmann_(Rechtsextremist)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsterrorismus
- https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrsportgruppe_Hoffmann
- https://www.inventati.org/leipzig/?p=2439
- https://www.antifainfoblatt.de/artikel/%C2%BBfence-off%C2%AB-eine-kampagne-gegen-neonazis-leipzig
- Der Bombenbauer Josef Kneifel referierte am 13. August 2011 im Leipziger NPD-Büro. Ein weiterer Bombenleger und ehemaliger Rechtsterrorist, der NPD-Aktivist Peter Naumann, führte zudem bei Kadern des “Freien Netzes” Schulungsveranstaltungen durch.
- http://gamma.noblogs.org/archives/242
- Das geht aus der Antwort des sächsischen Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz hervor. Danach besitzen 38 Personen aus dem rechtsextremen Milieu 51 Pistolen und 105 sogenannte Landwaffen. Dazu gehören alle Schusswaffen, die länger als 30 Zentimeter sind, also etwa Gewehre, Büchsen oder Flinten. Siehe: http://www.mdr.de/sachsen/rechtsextreme-waffen100.html
- http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1231972
- http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2011/11/17/waffen-drogen-nazi-propaganda-das-falsche-spiel-rechtsextremer-vs-spitzel_7541
- http://gamma.noblogs.org/fn-leaks
- Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2010, S. 23.
- http://www.npd-leipzig.net/sachsischer-landtag/%E2%80%9Edie-zeit-fur-widerstand-ist-gekommen%E2%80%9C/
- An dieser Stelle sei nur auf den entarnten VS-Spitzel Sebastian Ristau verwiesen. Siehe: Gamma Newsflyer #190.