Anschlag auf Leipziger Wohnung von Minister Gemkow: Ein Stein mit DNA
Drei Angeklagte gab es nach dem Anschlag auf die Leipziger Wohnung des damaligen sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow im November 2015. Zwei wurden schon freigesprochen, der dritte Mann steht seit Donnerstag vor Gericht.
Leipzig. Es ist der finale Akt in einem überaus zähen Verfahren: Mehr als siebeneinhalb Jahre nach dem Anschlag auf die Wohnung des damaligen sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) begann am Donnerstag am Landgericht Leipzig der Prozess gegen Jens E. (43), den letzten von ursprünglich drei tatverdächtigen Männern. Die anderen beiden Beschuldigten wurden freigesprochen – so wie auch Jens E. in erster Instanz.
Laut Anklage soll der Leipziger zu einer Gruppe von mehreren Angreifern gehört haben, die am 24. November 2015 kurz nach 2 Uhr schwere Granitsteine und mit Buttersäure gefüllte Weihnachtsbaumkugeln gegen die Fenster von Gemkows damaliger Hochparterrewohnung im Eckhaus August-Bebel-/Scharnhorststraße schleuderten. Obwohl die Scheiben mit einer Spezialfolie gesichert waren, landeten zwei Steine im Wohnzimmer. Im Raum nebenan schliefen der Minister, seine Frau und seine zwei Töchter. Durch den Säuregestank wurde die Wohnung unbewohnbar, der Schaden lag bei über 10 000 Euro. Und das womöglich wegen eines Irrtums: Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen davon aus, dass es die Angreifer eigentlich auf eine benachbarte Wohnung abgesehen hatten, wo ein in Antifa-Kreisen beliebtes Modelabel residierte.
Von Jens E. waren DNA-Spuren an einem Granitstein am Tatort entdeckt worden. Doch die Beweiskraft des Zellmaterials gilt gerade in diesem Fall als dürftig. So war ein anfangs verdächtigter Autohändler aus Nordrhein-Westfalen in erster Instanz freigesprochen worden. Seine DNA muss einem Gutachter zufolge durch eine Sekundärübertragung von Körperzellen an einen Granitstein gelangt sein. Demnach war ein Mercedes-Benz, den er im Herbst 2015 verkauft hatte, für den Transport von mindestens 19 Granitsteinen von jeweils bis zu zwei Kilogramm Gewicht und auch den Weihnachtsbaumkugeln zum Tatort benutzt worden. Zuvor hatte der Geschäftsmann darin verschwitzte Sachen und ein Handtuch liegen. Der Autohändler besaß ein Alibi und war bis zum Prozesstermin am Amtsgericht noch nie in Leipzig.
Von Thomas K. (36), einem vorbestraften Kampfsportler aus der rechten Szene, hatten Ermittler Spuren an einer Verpackung für Weihnachtsbaumkugeln sichergestellt. Doch das Landgericht hielt auch hier eine Sekundärübertragung von DNA für möglich und sprach ihn frei, nachdem das Amtsgericht eine Haftstrafe verhängt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte zweieinhalb Jahre Haft gefordert, ihre Revision aber zurückgenommen.
„Nicht unerhebliche Zweifel am Tatbeitrag“
Im November 2021 wurde auch Jens E. vom Amtsgericht freigesprochen. Man habe „nicht unerhebliche Zweifel am Tatbeitrag des Angeklagten“, hieß es im Urteil. Allerdings legte die Anklagebehörde dagegen Rechtsmittel ein. „Wir wollen eine Aufhebung des Freispruchs erreichen“, sagte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz zum Auftakt der Berufungsverhandlung am Donnerstag. „Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der Angeklagte an der Tat beteiligt war und einen Stein geworfen hat.“ Schulz erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass Jens E. wegen der Beteiligung an den Ausschreitungen von Hooligans und Rechtsextremen im Januar 2016 in Connewitz ebenso rechtskräftig verurteilt ist wie etwa Thomas K., und vor einigen Jahren als „Gewalttäter Sport“ galt.
Am Amtsgericht bestritt Jens E. den Anklagevorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung. Sein Mandant habe auch keine rechtsextreme Gesinnung, sagte Verteidiger Axel Kaufmann.
Wie kam die DNA des Angeklagten an das Wurfgeschoss?
Doch wie gelangte Zellmaterial von ihm an einen Stein vom Tatort, wenn er ihn nicht selbst geworfen haben will? Seine Erklärung: Er sei am Tag vor dem Anschlag auf die Ministerwohnung bei einer Legida-Versammlung in der Innenstadt gewesen. Dort hätten ihm vermummte Unbekannte einen Stein in die Hand gedrückt, damit er sich notfalls gegen Gegendemonstranten zur Wehr setzen könne. Er habe diesen aber gleich wieder zurückgegeben. Die Staatsanwaltschaft hält das für eine Schutzbehauptung. Auch ein Bekannter, der mit bei Legida-Demos war, konnte sich vor Gericht nicht an eine solche Situation erinnern. Doch sowohl er als auch die Ex-Freundin des Angeklagten sagten übereinstimmend: Jens E. sei nicht gewaltbereit und eher besonnen.
Ende Juni wird der Prozess gegen den letzten verbliebenen Tatverdächtigen fortgesetzt. Andere Ermittlungsansätze waren nach dem Anschlag auf Gemkows Familie nicht verfolgt worden. Ein Umstand, der in früheren Prozessen von Richtern durchaus kritisch gesehen wurde. So hatte die Polizei einen Fährtenhund im Einsatz, der 2,5 Kilometer vom Tatort zu einem Haus in der Connewitzer Biedermannstraße lief, wo ein wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruchs verurteilter Linksextremer wohnte. Dessen Alibi wurde nach Angaben von Beamten nie überprüft. Es sei ein Fehler gewesen, befand im Juli 2019 das Landgericht, die am Tatort gesicherten DNA-Spuren als zweifelsfrei anzusehen.
LVZ