Spediteur erscheint mit Kampftruppe
Mehr als 60 Lkw-Fahrer bestreiken ihren polnischen Arbeitgeber. Dem wird Ausbeutung vorgeworfen. Am Freitag eskalierte der Konflikt.
GRÄFENHAUSEN taz | Der Streik von inzwischen mehr als sechzig, vor allem usbekischen und georgischen Lkw-Fahrern auf der Raststätte Gräfenhausen West bei Darmstadt geht weiter. Sie fahren alle für das polnische Fuhrunternehmen Mazur (Lukmaz, Agmaz und Imperia), werden dort als Scheinselbstständige ausgebeutet und haben wohl seit Wochen keinen Lohn mehr erhalten, obwohl ihnen ein Tagessatz von 80 Euro versprochen worden war.
Seit dem 20. März haben die ersten Fahrer auf der Raststätte die Lkw, zum Teil mit Fracht, abgestellt und verweigern die Weiterfahrt. Seitdem wächst die Gruppe der Streikenden in Gräfenhausen. Bislang blieben Verhandlungsversuche mit dem Inhaber der Firma, Lukasz Mazur, erfolglos.
Am Freitagvormittag kam es auf der Raststätte zu einer Eskalation. Nachdem Mazur sich seit dem 31. März zunächst nicht mehr in Gräfenhausen hatte blicken lassen und nur noch schriftlich über seinen Anwalt verhandelte, tauchte er am Karfreitag wieder bei den Parkplätzen auf. Begleitet von Männern der „Rutkowski Patrol“.
Dabei handelt es sich um eine paramilitärisch auftretende Kampftruppe der polnischen Privatdetektei Krzysztof Rutkowski. In Gräfenhausen fuhren Mazur und seine Begleitung unter anderem in einem Panzerwagen vor. Offenbar wollte Mazur die streikenden Arbeiter einschüchtern und unter Androhung von Gewalt dazu bringen, die Lkw freizugeben.
Dafür hatte er neben der „Rutkowski Patrol“ auch Ersatzschlüssel für alle Lkw sowie vier Minibusse mit Ersatzfahrern mitgebracht. Letztere hätten allerdings nicht gewusst, wofür sie eingesetzt werden sollten und wollten keineswegs als Streikbrecher fungieren.
Das berichtet Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Augenzeugin der Ereignisse war, gegenüber der „taz“. Die Mitarbeiter*innen von „Faire Mobilität“ unterstützen gemeinsam mit Kolleg*innen der niederländischen Gewerkschaft FNV die Streikenden.
Polizei nimmt Unternehmer Mazur fest
Beim Versuch Mazurs und der Kampftruppenmitglieder, sich zu einem der geparkten Lkw Zugang zu verschaffen, wurde Weirich zufolge ein Fahrer leicht am Kopf verletzt. Danach schritt die Polizei ein, nahm alle Personalien auf und schließlich sowohl die Männer der „Rutkowski Patrol“ als auch Unternehmer Mazur fest – unter Applaus der Streikenden.
Gegen die insgesamt 19 Festgenommenen wurden der Polizei zufolge Anzeigen wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs, Bedrohung, Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Störung einer Versammlung erstattet. Zudem hätten sie einen Platzverweis für die Rastanlage erhalten. Nachfragen der „taz“ bei der Firma Mazur zu den Ereignissen blieben unbeantwortet. Die Festgenommenen sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, wie die Polizei am Samstag mitteilte.
„Nach dem großen Schrecken zu Beginn herrschte nach der Verhaftung Mazurs Euphorie bei den Fahrern. Aber ihre Gehälter haben sie immer noch nicht“, fasst Weirich die Ereignisse des Tages zusammen. Der Protest wird also fortgesetzt. In den vergangenen Tagen erfuhren die Fahrer viel Solidarität von Gewerkschafter*innen aus der Region.
Am Freitag war neben anderen Unterstützer*innen auch DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell anwesend, als Mazur und die Kampftruppe auftauchten. Körzell sprach danach gegenüber der Deutschen Presse-Agentur von einem „ungeheuerlichen Vorgang“.
„Mazur hat sich völlig entblößt. Er hat sein wahres Gesicht gezeigt. Noch offensichtlicher geht es nicht“, sagt Weirich, sicherlich auch mit Blick auf die deutschen und westeuropäischen Firmen, in deren Auftrag Mazur Waren transportiert. In der Branche ist es üblich, dass Auftraggeber aus Westeuropa Fuhrunternehmen aus Osteuropa anheuern, die den Transport günstig anbieten und für sie abwickeln.
Diese Unternehmen wiederum heuern oft Fahrer aus Ländern außerhalb der EU an, die weit unter dem etwa in Deutschland geltenden Mindestlohn bezahlt werden und – entgegen der EU-Vorschriften – oft monatelang auf der Straße unterwegs sind, ohne je außerhalb der Fahrerkabine zu übernachten, so wie auch viele der Streikenden in Gräfenhausen.
Am Donnerstag hatten diese sich daher mit einem Brief und der Bitte, sich bei Mazur für sie einzusetzen, an wichtige Auftraggeber ihrer Touren gewandt: DHL, Lkw Walter, C.H. Robinson und Sennder. Eine Sprecherin der Spedition Sennder sagte der „taz“, man nehme die Vorwürfe „sehr ernst“ und habe die Zusammenarbeit mit Mazur „mit sofortiger Wirkung eingestellt“.
Lkw Walter und C.H. Robinson waren für Nachfragen nicht zu erreichen, C.H. Robinson habe aber laut Anna Weirich auf den Brief reagiert und zugesagt, Konsequenzen zu prüfen. Ein Sprecher der DHL erklärte gegenüber der „taz“, er könne weder bestätigen, dass die Firma Mazur Kunde von DHL, noch dass ein offener Brief eingegangen sei.