Statement zu den Entwicklungen um J. Domhöver
Johannes Domhöver ist Kronzeuge im Antifa Ost Prozess. Hat er sich selbst dafür entschieden? Wurde er von den Bullen unter Druck gesetzt? Wie dieser Prozess genau abgelaufen ist, werden wir nie erfahren. Ob er diesen Weg widerwillig gegangen ist, weil er keine andere Variante gesehen hat oder ob er einfach wirklich nur das Arschloch ist, für das wir ihn halten, werden wir nicht raus bekommen. Gehen wir also vom Schlimmsten aus: Domhöver wird vollumfänglich zu allem, was er weiß, aussagen. Er wird Leute verraten, er wird Leute beschuldigen, er wird jede Variante, die die Bullen und Staatsanwaltschaft ihm hinlegen, unterschreiben.
Eine der Fragen, um die wir kreisen, ist, wie sind wir – als Bewegung oder Szene – hierher gekommen? Wie konnte uns die Situation so sehr entgleiten, dass nun ein ehemaliger Genosse – einige haben ihn lange genug dafür gehalten – gegen uns aussagt? Zweifel daran, ob wir seit dem Outcall nicht hätten anders handeln sollen. Zweifel, ob nicht doch die Stimmen recht hatten, die meinten, dass die Auseinandersetzung mit Domhöver jetzt und so öffentlich nicht hätte stattfinden sollen. Vielleicht gibt es eine Antwort auf unsere Fragen, wenn wir zurück zum Anfang der Auseinandersetzung gehen.
Am 21. Oktober 2021 kam der Outcall über Domhöver. Die Betroffene schreibt von wiederkehrender sexualisierter Gewalt, Drohungen, Lügen, Manipulation. Sie schreibt von Todesangst, die sie hat und die jetzt stärker ist, weil sie sich öffentlich äußert. Trotzdem hat sie den Mut sich zu äußern. Sie fordert:
Ich erwarte von seinem Umfeld, dass sie es sich jetzt nicht einfach machen, indem sie sagen, sie hätten von nichts gewusst und Johannes als den einzigen Täter darstellen. Ich weiß, dass einige von euch von der Gewaltbeziehung wussten. Ich gebe euch eine Mitschuld daran, dass Johannes so viele Jahre mit seinem Frauenhass durchgekommen ist. Warum habt ihr nicht einmal versucht mich zu kontaktieren? Es wäre so einfach gewesen.
Kurz darauf veröffentlichte die Antifa Friedrichshain den Umstand, dass Domhöver von Repression betroffen ist. Die Criminals for Freedom präzisierten dann, er sei Beschuldigter im Antifa Ost Verfahren. Wieder einige Tage später erschien ein zweites Outing, nun von einer Unterstützungsgruppe aus Nürnberg. Erneut geht es um sexualisierte Gewalt und Übergriffe. Diese Texte noch einmal zu lesen, zerstreut die Zweifel um die öffentliche Auseinandersetzung mit Domhöver und seinen Taten bereits weitgehend. Immer noch denken wir, dass eine öffentliche Kommunikation nicht in einen Distanzierungswettlauf ausufern muss. Kollektive Prozesse brauchen Zeit, erst recht braucht es Zeit sie anderen zu vermitteln. Aber eine schnelle Reaktion auf den Outcall, Unterstützung für die Betroffenen und Anerkennung ihrer Situation durch andere bleiben wichtig.
Den Schaden hat Domhöver und sein Umfeld angerichtet
Immer wieder kam in der Debatte um den Outcall und die Repressionsgefahr, die daraus entsteht, das Argument auf, der Zeitpunkt sei der Falsche gewesen. In der Tat können wir an dieser Stelle sagen, dass es einen besseren Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung gegeben hätte – viel früher! Spätestens 2020, so das Solidaritätsbündnis, wussten Leute zum Teil von Domhövers Taten und hätten Rückschlüsse ziehen können, wozu er in der Lage ist. In jedem Fall hätte er mit so einem Vorwurf aus allen Strukturen ausgeschlossen werden müssen, für die Vertrauen und Konsens wichtig sind. Eine Auseinandersetzung mit ihm, patriarchaler Gewalt und wie sie sich in unseren Strukturen fortsetzt, wäre ja trotz seines Szeneausschlusses und trotz seiner fehlenden Bereitschaft zur Reflexion möglich gewesen. Aus allem was wir wissen, ahnen wir, dass damals nicht mit der nötigen Konsequenz vorgegangen wurde.
Wenn Menschen immer noch nach einem besseren Moment der Veröffentlichung des Outcalls Domhövers suchen, dann sollten sie sich damit nicht an die Betroffenen seiner Gewalt wenden. Stattdessen müssen wir diese Frage weiterhin allen stellen, die ihn kannten, die etwas wussten, mutmaßten, Gerüchte hörten, diese weiter verbreiteten und sich nicht ernsthaft damit befassten. Die Rote Hilfe Leipzig konstatierte ganz richtig: anscheinend hat niemand etwas gewusst, niemand gesteht die eigene Unzulänglichkeit, Überforderung und Passivität ein. Alle distanzieren sich.
Es ist wichtig und richtig klar zu stellen, dass sich Domhöver selbst für seine Aussagen bei den Bullen entschieden hat. Vielleicht war er in einer beschissenen Lage, aber diese Scheiße hat er selbst angerichtet, indem er mit allen Werten gebrochen hat, die er sich als Teil der radikalen Linken selbst mal auf die Fahnen geschrieben hat. Und trotzdem: Domhövers Umfeld trägt die Verantwortung sich damit auseinanderzusetzen, welchen Anteil sie an seinen Aussagen haben. Was wolltet ihr nicht sehen? Was hättet ihr verhindern können? Welche Anzeichen und Zweifel habt ihr ignoriert?
Und dann gibt es auch noch solche wie uns: Den Typen zum Glück nie gesehen und jetzt den erhobenen Zeigefinger ausstrecken und andere zur Selbstkritik zwingen. Für uns gilt die Frage, was hätten wir denn besser gemacht? Haben wir auch permanent mit Menschen zu tun, die daherkommen, wie Superheld*innen und genau deswegen einknicken werden? Welche sexistischen oder einfach nur Selbstdarsteller*innen tolerieren wir denn tagtäglich?
Verrat
Die Zusammenarbeit zwischen Domhöver und den Bullen basiert auf dem Paragrafen 46b (https://dejure.org/gesetze/StGB/46b.html) des Strafgesetzbuchs. Dieser verspricht eine erhebliche Strafmilderung für den Fall, dass Leute Aussagen zu Straftaten machen, die im Absatz 2 des § 100a StGB (https://dejure.org/gesetze/StPO/100a.html) benannt sind: darunter die kriminelle Vereinigung. Der Strafnachlass wird wiederum im § 49 StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/49.html) angegeben. Ausschlaggebend ist, dass Domhöver seine Aussagen gemacht hat, bevor der Prozess in Gera begonnen hat, in welchem er angeklagt worden wäre bzw. noch wird. Der aktuelle Prozess in Dresden spielt für seine Strafbemessung keine Rolle. Domhöver dürfte nach seinen Aussagen mit wenigen Monaten Haftzeit, die ja auch auf Bewährung ausgesetzt werden können, raus sein und ein neues Leben anfangen können.
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Zugegebenermaßen haben auch wir die Möglichkeit, dass Domhöver aussagen würde, eher ignoriert. Warnende Stimmen konnten sich nicht durchsetzen, um eine vorausschauende Auseinandersetzung mit dem Szenario zu erzwingen. Das sollten wir jetzt nachholen. Nicht, indem wir öffentlich darüber spekulieren, was Domhöver aussagt. Wir scheißen auf ihn und den gequirrlten Mist, den er und die Bullen zusammen einrühren. Wir waren zunächst geneigt ihn an dieser Stelle mit anderen historischen Fällen von Leuten, die sich den Bullen angedient haben, zu vergleichen, Tarek Mousli zum Beispiel.¹ Das lassen wir mal weg. Offensichtlich gibt sich die Soko LinX reichlich Mühe, die Daumenschrauben anzuziehen. Aber was hatte Domhöver denn zu erwarten? Im Vergleich zu den Angeklagten der Stadtguerilla recht wenig. Wir haben keinen Bock, ihn in diese Reihe zu stellen.
Aber natürlich müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, was jetzt kommt. Es wird weitere Hausdurchsuchungen geben. Weitere Menschen werden in das Visier der Bullen kommen, zum Beispiel diejenigen, die sich aktiv für eine Auseinandersetzung mit Domhöver eingesetzt haben – solche Racheaktionen können wir uns zumindest vorstellen. Wahrscheinlich ist auch, dass Leute nicht als Beschuldigte ins Visier geraten, sondern als Zeug*innen. Mit solchen Szenarien sollten wir uns auseinandersetzen. Nicht aus Sensationsgier, sondern um den Schaden zu erahnen, den seine Aussagen anrichten werden. Weiterhin sollten alle, die von Repression aufgrund seiner Aussagen betroffen sind, ebendies veröffentlichen. Wir müssen wissen, was er alles ausgesagt hat. Denn für andere, die ebenfalls in seinem Verrat vorkommen könnten, ist das enorm wichtig. Und wiederum hat das auch nichts damit zu tun, ob wir auch nur einen Deut auf diese Aussagen geben. Was er zum Besten gibt, wird den Bullen reichen um daraufhin aktiv zu werden.
Wir wünschen uns einen offensiven Umgang: ja – für die Angeklagten in Dresden und alle diejenigen, die die Bullen gerne durch Domhöver erwischen wollen, sieht es gerade mies aus. Und ja – es ist möglich, dass die Bullen uns in den Lebenslauf pfuschen: Haft, Verurteilungen, Berufsverbote, öffentliche Stigmatisierung können uns erwischen, selbst wenn wir »nur« Solidaritätsarbeit machen. Aber ja – es ist umso richtiger, daß wir deswegen nicht klein bei geben. Wir müssen füreinander stark sein.
Betroffene von Repression erleben häufig, dass sich Personen und Zusammenhänge aus der Szene wegen der Ermittlungen von ihnen distanzieren. Gerade der § 129 StGB legt es mit seinen Konstruktionsmöglichkeiten auf so etwas an. Natürlich kann es sein, dass wir über eine »Kontaktschuld« in solche Verfahren geraten. Doch die Schuld tragen die Bullen und der »ehemalige Genosse«, nicht die Betroffenen der Repression. Darum gilt für uns: keine Distanzierung, kein Rückzug bei staatlicher Drangsalierung.
Wir wollen aber zum Anfang der Debatte zurückkehren. Noch einmal: alles, was bis hierher passiert ist, darf nicht unter den Tisch gekehrt werden. Domhöver darf auf gar keinen Fall wieder in linke Strukturen und Zusammenhänge hinein kommen. Dafür müssen wir sorgen, auch europaweit und international. Seine Personenbeschreibung aus dem Outcall und Informationen über seine Aussagen sollten wir darum auch über die deutsche Grenze hinaus verbreiten, Artikel dazu übersetzen und weitläufig teilen.
Zweifelsohne ist der Vertrauensbruch durch eine*n Kronzeug*in unfassbar schmerzhaft. Zweifelsfrei gehört dieses Verhalten auch von allen geächtet. Der eigentliche Bruch ist aber schon Monate und Jahre her. Jede Vergewaltigung, jeder Versuch dazu, die Morddrohungen gegen die Genoss*innen, Lügen, Manipulation, all dieses Verhalten war schon Verrat. Wir hoffen, dass dieses Verständnis von Verrat auch in Zukunft so verhandelt wird.
Die Auseinandersetzung muss erneut in Schwung kommen. Zuletzt ist es wieder ganz ruhig geworden. Und das, obwohl noch so einige erhobene Forderungen nach Auseinandersetzung und Stellungnahmen offen sind.
Verantwortungsübernahme bedeutet nicht, jetzt einen auf „wir wussten von nichts“ zu machen und sich jetzt, wo es eh schon viel zu spät ist, von Johannes abzuwenden, um ja nicht mit ihm in eine Schublade gesteckt zu werden. Verantwortungsübernahme bedeutet, dass ihr eure Rolle in dem Ganzen reflektiert, aus euren Fehlern lernt und zu eurem Versagen steht.²
¹ Alle Veröffentlichungen zur Debatte um Domhöver (die wir finden konnten) findet ihr unter: www.https//ea-dresden.site36.net/verfahren-antifa-ost
² Mousli hat viele Jahre nach seinem Ausstieg aus den Revolutionären Zellen vor Gericht gegen seine ehemaligen Freund*innen und Genoss*innen ausgesagt und sie in den Knast gebracht. (http://www.freilassung.de/prozess/mousli/mousli.htm) Den Verrat Mouslis wollen wir nicht schön reden. Doch immerhin ging es in seinem Fall um wesentlich mehr: Sprengstoffanschläge, Attentate, und vieles anderes. Mousli wäre für viele Jahre im Knast verschwunden. Ob er das hätte auf sich nehmen können, hätte er natürlich genauso wie Domhöver früher entscheiden müssen.
Ein Überblicksartikel zu Mousli findet sich unter: http://www.freilassung.de/presse/mousli/ak446.htm
² aus dem ersten Outing zu Johannes Domhöver (https://de.indymedia.org/node/156448)
Daten Johannes:
– Körpergröße 1,96m
– Geburtsdatum 09.06.1992
– Kommt aus Franken, hat in Nürnberg und Berlin gelebt. War viel in Leipzig, hält sich momentan in Warschau auf.
– Hat als Security in Berlin gearbeitet sowie auf Festivals wie z.B. der Nation oder der Fusion
– Aussehen: siehe Fotos
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