Öffentliche Stellungnahme des Solidaritätsbündnisses Antifa Ost zu den Outcalls betreffend Johannes Domhöver
++++ Triggerwarnung: Der folgende Text bezieht sich auf die Benennung und Beschreibung von sexualisierter, physischer und psychischer Gewalt ++++
Nach den Outcalls zu Johannes Domhöver (1) Ende Oktober 2021 und darauf folgenden Erklärungen und Diskussionen sehen wir uns als Solidaritätsbündnis Antifa Ost (SAO) in der Verantwortung, unserem Statement vom 26.10 (2) eine weitere öffentliche Erklärung folgen zu lassen.
Johannes D. ist einer der Beschuldigten im Antifa Ost-Verfahren. Daher müssen und wollen wir auf einige offene Fragen Antwort geben – so gut dies in einem öffentlichen Papier gelingen kann. Zur sexualisierten, psychischen und physischen Gewalt gegenüber FLINTA* durch Johannes D. stellt sich die berechtigte Frage, inwiefern Teile des SAO von den in den Outcalls formulierten Gewalttaten Kenntnis hatten. Diese Antworten wurden auch durch die FLINTA* im SAO eingefordert. Wenn im Folgenden vom SAO die Rede ist, sind damit stets sowohl das Solidaritätsbündnis als Struktur sowie auch alle darin aktiven Einzelpersonen gemeint.
Trotz unseres Anspruchs und unserer Verantwortung, mögliche Verstrickungen mit dem Täter transparent zu machen, müssen wir beachten, dass parallel zur Anklage weiterhin nach § 129 ermittelt wird. Es ist also davon auszugehen, dass alle Arten von Informationen auch dem staatlichen Repressionsapparat in die Hände spielen können und im Sinne der Ermittungsthese der Bundesanwaltschaft interpretierbar sind. Das betrifft vor allem Darstellungen von festen Gruppenkonstellationen. Stattdessen handelt es sich bei der Konstellation an Personen, die von den Behörden nach § 129 verfolgt wird, um ein Konstrukt der Soko LinX und der Bundesanwaltschaft und nicht um eine real existierende Gruppe. Für Fragen sind wir selbstverständlich unter info@soli-antifa-ost.org erreichbar, und bitten euch, uns bei Unklarheiten anzusprechen anstatt öffentlich Spekulationen anzustellen.
Neben den vier derzeit Angeklagten im laufenden Gerichtsverfahren gibt es weitere Beschuldigte, zu denen auch Johannes D. gehört, und gegen die u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 ermittelt wird. Sie werden ebenfalls vom SAO unterstützt. Johannes D. hat allerdings bislang keine materielle Unterstützung durch das SAO erhalten. Den Forderungen der Betroffenen und unserem eigenen emanzipatorischen Selbstverständnis entsprechend, hat sich das SAO gegen jegliche Art von zukünftiger Unterstützung entschieden. Auch besteht seitens des SAO derzeit kein privater Kontakt zu ihm. Wir leisten keine Täterarbeit und uns ist nicht bekannt, dass dies anderweitig stattfindet. Personen aus dem Umfeld des SAO kooperieren mit der Unterstützungsgruppe.
Über die Taten, die in den beiden Outcalls beschrieben werden, bestand keine Kenntnis. Bisher gab es keine Hinweise, dass wir früher von dieser konkreten Gewalt hätten wissen können. Ob ein schärferer Blick und mehr Engagement unsererseits dazu geführt hätten, diese früher mitzubekommen, wird sich in unserer laufenden internen Auseinandersetzung klären.
Es gibt allerdings mindestens einen weiteren Fall, in dem Johannes D. Gewalt gegen eine Frau ausgeübt hat. Einzelpersonen aus und rund um das später gegründete SAO war ein eindeutiger Hinweis darauf seit Sommer 2020 bekannt. Bis zum Sommer 2021 wurde durch Einzelpersonen ein aktiver Umgang gesucht, wobei im Zuge dessen alle Vertrauensverhältnisse zu Johannes D. eingebrochen sind. Eben jenes Vertrauen, das bis zum Frühjahr 2021 vielfach dazu beigetragen hat, dass der Hinweis auf von ihm verübte Gewalt fast ein Jahr lang nicht ausreichend ernst genommen wurde. Im August 2021 wurde diese Gewalt schließlich der Gesamtstruktur SAO und weiteren Solidaritätsgruppen transparent gemacht. Daraufhin wurde der Beschluss getroffen, die Unterstützung für Johannes D. auf ein für das Verfahren notwendiges Minimum zu reduzieren. Außerdem wurde er von Besuchen der anstehenden Prozesstage ausgeschlossen.
Mit den beiden Outcalls im Herbst 2021 haben wir von einer neuen Dimension der von ihm ausgeübten Gewalt erfahren, und daraufhin die Unterstützung für ihn komplett eingestellt. Nun zu sagen, es hätte alle vollkommen überrascht, wäre trotzdem falsch. Dass das Verhalten einiger Personen aus dem Umfeld des SAO Johannes D. über einen langen Zeitraum hinweg als Täter geschützt hat, zeigt, dass es in diesem Umfeld einen unkritischen Umgang zwischen Cis-Männern und fehlendes Bewusstsein für sexualisierte Gewalt gab und gibt. Diesen Umgang zu benennen, aufzuarbeiten und zu beenden ist jetzt die Verantwortung derer, die daran beteiligt waren.
Wir planen, im Sinne der Forderungen der Betroffenen und auch im Sinne der Erwartungen der FLINTA* aus dem Umfeld des SAO, Verantwortung zu übernehmen. Dies kann nur in strukturierten und regelmäßigen Treffen stattfinden. Dafür werden wir auch auf externe Unterstützung zurückgreifen. Darin soll es nach einer allgemeinen Einordnung von sexualisierter Gewalt durch Cis-Männer besonders um ihr Fortbestehen in linken Kreisen gehen. Der Fokus liegt auf täterschützenden Dynamiken und wie sie Gewalt weiterhin ermöglichen.
Aus den eigenen Fehlern zu lernen, ist in unseren Augen im Falle der Cis-Männer im SAO möglich und nötig.
Wir sind wütend und beschämt. Wütend über die ausgeübte Gewalt, über die Täter in unseren Reihen und die vielen weiteren Fälle, die zu Tage getreten sind und vermutlich weiterhin werden. Um so mehr beschämt uns der fehlende Umgang und das täterschützende Verhalten durch Menschen, mit denen wir politisch zusammenarbeiten oder befreundet sind.
Den Betroffenen der Gewalt gilt unsere vollste Solidarität!
Verweise:
1) de.indymedia.org/node/156448 und kontrapolis.info/5338
2) https://www.soli-antifa-ost.org/statement-des-solidaritaetsbuendnis-antifa-ost-zum-outcall-von-johannes-domhoever