Infos und Chronik über das §129-Verfahren um Lina E. und weiteren Beschuldigten
Folgender Text soll einen Überblick über das §129- Verfahren geben in Folge dessen Lina nun in U-Haft sitzt und es in den letzten anderthalb Jahren zahlreiche Hausdurchsuchungen in Leipzig, Berlin und Weimar gab. Dabei soll mit diesem Text vor allem eine Informationsgabe erfolgen, welche nicht auf den Medien, irgendwelchen Fascho-Webseiten oder auf Pressemitteilungen der stattlichen Behörden beruhen. Somit wollen wir ein Stück der Informationshoheit zurückgewinnen: Wir werden eine kleine Chronik der Geschehnisse vorstellen. Zusätzlich wollen wir einige Methoden und Arbeitsweisen der Bullen darstellen, auf Nazis eingehen, welche in das Verfahren verwickelt sind und die Rolle des Generalbundesanwaltes thematisieren.
Bereits Anfang 2020 leitete das sächsische LKA ein Verfahren nach dem als „Schnüffelparagraphen“ bekanntem §129 – „Gründung einer kriminellen Vereinigung“ ein. Seit Sommer 2020 wird dieses vom Generalbundesanwalt geführt. Zum aktuellem Zeitpunkt sind 10 Personen beschuldigt, Mitglieder jener Gruppe zu sein, welche unter den Ermittlungen dargestellt wird. Gegen die ersten vier Personen wurde jetzt Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden erhoben, unter ihnen befindet sich auch Lina. Sie sitzt mittlerweile seit 8 Monaten in Untersuchungshaft. Den vier Angeklagten wird durch den GBA vorgeworfen „Mitglieder einer kriminellen Vereinigung“ zu sein (§ 129 Abs. 1 StGB)“, sowie sieben weitere Tatkomplexe, welche als vermeintliche Vereinigungstaten benannt werden. Aufgrund derer ergeben sich unterschiedliche Anklagepunkte: Von gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch, über räuberischen Diebstahl, Sachbeschädigung bis hin zur Urkundenfälschung. Welche Taten die Bullen in den fortlaufenden Ermittlungen den anderen Beschuldigten vorwerfen, ist nicht abzusehen. Aber wir kennen ja schon den Konstruktionseifer, den die sächsischen Bullen an den Tag legen.
Hier eine Chronik im Überblick:
→ Vorab eine wichtige Zusatzinformation:
§129 – neue Rechtsauslegung/ Veränderung seit 2018, auch ohne feste Vereinsstrukturen*
•August 2018 – laut GBA: Zeitpunkt der Gründung besagter kriminelle Vereinigung
•30. Oktober 2018 – Angriff auf Cedric Scholz in Wurzen, laut GBA: „…überfiel die Vereinigung zu fünft eine der rechten Szene zuzurechnende Person in Wurzen.“ (laut GBA: 1. Tatkomplex)
•08. Januar 2019 – Angriff auf einen Kanalarbeiter in Leipzig-Connewitz, während er eine Mütze von einer bekannten Nazikampfsportmarke trägt. (2. Tatkomplex)
•19. Oktober 2019 – Angriff auf Nazi-Kneipe „Bullseye“ in Eisenach. Betreiber ist der Faschist Leon Ringel. Die Bilanz sind 6 verletzte Nazis und eine zerstörte Kneipe. (3. Tatkomplex)
•13. Dezember 2019: Lina wird in einem Leipziger Baumarkt von Security‘s angegangen und beschuldigt mehrere Hämmer geklaut zu haben. (4.Tatkomplex)
•14. Dezember 2019 – Angriff auf die Faschisten Maximilian Andreas, Robert Schwaab, Nils Ackermann und Leon Ringl (Betreiber der Nazikneipe „Bullseye“). Später werden in der Nähe von Eisenach zwei Fahrzeuge von den Bullen gestoppt und fünf Personen in Gewahrsam genommen. Am Abend des selbigen Tages werden alle nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Behandlung) und einer DNA-Entnahme wieder entlassen. (5. Tatkomplex)
•Anfang 2020 – Das sächsische LKA regt ein Verfahren nach §129 „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ an.
•15. Februar 2020 – Angriff auf Faschisten in Wurzen, während deren Rückreise von einer Nazidemonstration in Dresden. Bilanz: fünf Faschisten bleiben liegen. (6. Tatkomplex)
Der GBA dazu: „…als Teil einer aus insgesamt etwa 15 bis 20 Personen bestehenden Gruppe an einem Überfall auf sechs Personen am Bahnhof in Wurzen. Die Opfer befanden sich auf dem Rückweg von einer Gedenkveranstaltung in Dresden anlässlich des 75. Jahrestags der Bombardierung der Stadt und gehörten zum Teil dem äußeren Anschein nach zur “rechten Szene.“
•21.05.2020 – Gegen die in Eisenach Festgenommenen werden Beschlüsse zur längerfristigen Observation erlassen.
•03. Juni 2020 – Im Rahmen der Observationen wollen die Bullen zwei Personen dabei beobachtet haben, wie sie die Wohnanschrift des Faschisten Brian Engelmann in der Frohmannstraße 12 in Leipzig-Reudnitz ausspähen. (7.Tatkomplex)
Der GBA dazu: „Bedingt durch polizeiliche Gefahrenabwehrmaßnahmen konnte der Angriff nicht wie geplant durchgeführt werden.“
•10. Juni 2020 – Die Soko LinX durchsucht mehrere Wohnungen in Leipzig, Weimar und einer weiten Stadt. Dies geschieht auf Gundlage der Vorwürfe, am 14.12.2019 und am 15.02.2020 Neo-Nazis in Eisenach bzw. Wurzen angegriffenen zu haben.
•10. Juli 2020 – 1. Inhaftierung von Lina, angeordnet durch das Amtsgericht Meiningen.
•15. Juli 2020 – Lina wird nach einer gerichtlichen Haftprüfung vorerst aus der Untersuchungshaft entlassen.
•Sommer 2020 – Der GBA übernimmt in Folge der Hausdurchsuchungen die Ermittlungen, für die zuvor die Staatsanwaltschaft Meiningen zuständig war.
•05. November 2020 – Lina wird zum 2. Mal verhaftet und verschleppt. Der Haftbefehl wurde am Vortag vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gefertigt. Am Folgetag wird sie mit dem Helikopter nach Karlsruhe geflogen, wo ihr Haftbefehl vom BGH bestätigt wird.
•06. November 2020 – Der GBA gibt eine Pressemitteilung in Folge der Verhaftung von Lina raus und tritt mit den laufenden Ermittlungen das erste Mal in die Öffentlichkeit.
•08. Mai 2021 – Anklageerhebung gegen die vier Angeklagen, durch den GBA.
•01. Juni 2021: Erklärung der Verteidigung von Lina bezüglich der mittlerweile öffentlichen Anklageschrift:
“In dieses Bild passt es auch, dass die Bundesanwaltschaft nunmehr willkürlich vier Beschuldigte “abtrennt” und nur gegen sie Anklage erhebt. Hielte sie ihre Vereinigungs-Konstruktion tatsächlich für tragfähig, wäre es nicht zu einer so eng geführten Anklage gekommen.Aber auch die weiteren Vorwürfe gegen unsere Mandantin basieren zum Teil auf sehr dünner Beweislage. So basiert etwa der Vorwurf der “Ausspähung” eines später angegriffenen Neonazis auf einem einzigen Asservat, dessen Zuordnung zu ihr mehr als fraglich ist. Eine weitere Tat soll ihr im Wesentlichen mit der Behauptung nachgewiesen werden, ihr Lebensgefährte sei daran beteiligt gewesen. Wir gehen nicht davon aus, dass solche “Bonnieund Clyde” -Logik vor Gericht Bestand haben wird.“
(thttps://twitter.com/RA_Elberling/status/1399760440834539525)
Zu den betreffenden Nazis:
Im Verfahren spielen Neonazis als Zeugen oder vermeintlich Geschädigte eine große Rolle. Diese wurden durch das ermittelnde LKA und die deutsche Presselandschaft immer wieder verharmlost und lediglich als Opfer dargestellt.Unter Anderem aus diesem Grund wollen wir abermals über einige der benannten Nazis und ihre Backgrounds aufklären:
Leon Ringl:
Leon Ringl ist seit einigen Jahren, neben Kevin Noeske, die zentrale Figur der Eisenacher Neonaziszene, welche in der Gruppe „Nationaler Aufbau“ aktiv waren. Diese Gruppe lösten sich aufgrund von Repression auf, deren Strukturen aber existieren bis heute noch fort, und das obwohl Noeske mittlerweile in Erfurt lebt. Neben seiner Beteiligung am rechtsradikalen Kampfsport-Projekt Knockout 51 betreibt Leon Ringl die Fascho-Kneipe Bull‘s Eye in der Mühlhäuser Str. 61a in Eisenach.Besonders bekannt wurde er durch die Veröffentlichung seiner Verbindung zur US-amerikanischen Terrorgruppe „Atomwaffen Division“:
„In den vergangenen Wochen wurde ein Leak des Neonazi-Forums “Ironmarch” veröffentlicht. Darin finden sich alle auf der Plattform verfassten Posts und privaten Nachrichten der User. Leon Ringl registrierte sich am 26. April 2017 in dem Forum, nachdem er von Aktivisten der “National Action” (NA) aus Großbritannien bei einem Aufmarsch am 1. Mai 2016 in Plauen von der Plattformgehört hatte.“
(https://agst.noblogs.org/post/2020/01/27/leon-ringl-alias-antidemokrat-fan-der-terrorgruppe-atomwaffendivisionouting-zu-seinen-strukturen-nationaler-aufbau-eisenach-und-knockout-51/)
Maximilian Andreas:
Maximilian Andreas ist, wie Leon Ringl, fester Bestandteil der rechten Szene in Eisenach. Gerade im Hinblick auf dieses Verfahren, wo immer so getan wird, als hätte es keine Gewalt im Raum Eisenach gegeben stehen die Aktivitäten von Noeske, Ringl, Andreas und Co. im Widerspruch:
„Im Zeitraum von 2015 bis 2018 waren vor allem Noeske und Fischer, teilweise auch Andreas, nachts in Eisenach unterwegs und markierten die Straßen mit Stickern und Graffitis als “NS-Kiez”, hinterließen Hakenkreuze, SS-Symbole und antisemitische Beleidgungen auf dem Gedenkstein der ehemaligen Synagoge, schlugen die Scheiben eines DGB-Autos ein und klauten dort ein Transparent, besprühten das Büro der Linkspartei, malten Morddrohungen aufs Pflaster, verprügelten Passant*innen, die Protest gegen Hitlergrüße äußerten und lauerten Antifaschist*innen vermummt und mit Pfefferspray bewaffnet im Dunkeln auf.“ (siehe: Link oben)
Nils Ackermann (ESA)
Zu dieser Gruppe ist auch Nils Ackermann zu zählen.
Brian Engelmann und Cedric Scholz:
Brian Engelmann und Cedric Scholz sind seit Jahren bekannte Rechtsradikale in Sachsen und insbesondere durch ihre Beteiligung am Angriff auf Connewitz 2016 aufgefallen.
(https://le1101.noblogs.org/post/2017/01/11/31-brian-engelmann/ und https://le1101.noblogs.org/post/2017/01/11/152-cedric-scholz/)
Zum LKA Sachsen (Landeskriminalamt Sachsen):
Das sächsische LKA (Landeskriminalamt) ist schon seit Jahren für ihre Verstrickungen in konservative bis hin zu rechtsextremen Kreisen bekannt und landet mit diesen regelmäßig in den Schlagzeilen. Ob das nun der LKA Beamte ist der mit Deutschland – Anglerhut bei PEGIDA in Dresden war, Munitionsdiebstähle durch die Spezialeinheit MEK (Mobiles Einsatzkommando) Dresden, einschließlich inoffiziellen Schießtrainings bei Rechtsextremen in Mecklenburg-Vorpommern oder das Entgegen-nehmen und Verwenden von Dossiers über vermeintliche Linksextreme, ausgehändigt von Rechtsextremen wie Enrico Böhm. Die Liste der Skandale und Verstrickungen lässt sich wahrscheinlich noch unendlich fortführen, aber auch alles nichts Neues und verwundern tut es mittlerweile wohl auch nicht mehr.Was jedoch interessant ist, ist dass die schon erwähnten Dossiers die von Rechtsextremen angefertigt wurden und dann von Enrico Böhm und seiner Ex-Lebensgefährtin Annemarie K. an das sächsische LKA weitergegeben wurden, wahrscheinlich auch in diesen Ermittlungen von der Soko Linx als Stütze ihrer Theorien verwendet wurden. Das dazugehörige Treffen, samt Übergabe fand bereits im Oktober 2018 statt und dauerte laut Protokoll wohl eine Stunde und 20 Minuten, in dem Annemarie K. genug Zeit blieb, ihre Theorien über Leute und deren Beziehungen zueinander darzulegen und womöglich den Anstoß für einige Ermittlungen gegen ihre Feinde zu geben. Aber wer weiß schon wie viel Einfluss das auf die Entscheidung der Sicherheitsbehörden hatte?!
Ansonsten hat das LKA Sachsen die letzten Jahren keine nennenswerten Erfolge im Bereich Linksextremismus vorzuweisen. Auch die Neugründung der Soko Linx im Jahre 2019 als Nachfolge-Organisation der GEG-LE (Gemeinsame Ermittlungsgruppe Linksextremismus) konnte daran bisher nicht viel ändern. Aufgrund dessen können wir uns vorstellen unter welchem großem Ermittlungs- und Erfolgsdruck die Behörden stehen. Gerade in einer Stadt wie Leipzig, in der so viel möglich war die letzten Jahre und die unsere Kämpfe bundesweit bereichert und zusammengeführt hat.
Jedoch haben die sächsischen Cops bei den Ermittlungen unter dem §129 und anderen großen Ermittlungen nun die Möglichkeit, ihre ganze Spanne an operativen Maßnahmen und anderen Ermittlungsmethoden zu nutzen und sie zögern nicht, diese auch anzuwenden. So wurden Personen observiert, DNA-Entnahmen, Telekommunikationsüberwachungen und Finanzermittlungen angeordnet, sowie eine Vielzahl an Hausdurchsuchungen durchgeführt – samt der Beschlagnahmungund Verwüstung ganzer Haushalte.Zum GBA
Zum Generalbundesanwalt / Bundesanwaltschaft:
Der GBA (Generalbundesanwalt) ist bei diesen Ermittlungen seit der Übernahme von der Staatsanwaltschaft Meiningen, federführend. Er ist die höchste anklagende Instanz in der Bundesrepublik und sitzt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sein Aufgabenbereich ist nach eigener Darstellung, die Bekämpfung von Terrorismus und Spionage, sowie die Zuständigkeit bei Revisionen und Verfahren nach dem Völkerstrafrecht. Daher ist er für Verfahren nach §129a zuständig und bei Verfahren nach §129 nur wenn diese sich in der Nähe zum Terrorismus befinden. Deswegen ist es nicht verwunderlich dass er, seit der Übernahme der Ermittlungen, immer wieder die angebliche Nähe zum Terrorismus herbei konstruiert und versucht mit dieser zu argumentieren um sich selbst und seine Zuständigkeit zu rechtfertigen. Daher ist es für uns nicht verständlich wie in einem Verfahren, in dem es um gefährliche Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch geht, in die Zuständigkeit des GBA gehört. Besonders da wir in letzter Zeit so viel von Waffen, Munition und Sprengstoff in den Zeitungen der Republik lesen, gleichwohl uns bewusst ist, dass der GBA eine politische Institution ist, welche hier offensichtlich bewusst in Zusammenarbeit mit dem Oberlandesgericht Dresden als Instrument zur Bekämpfung unsere Bewegung eingesetzt wird. So sehen wir es auch in seiner Verantwortung das scheinbar dauerhaft Ermittlungsakten an die Presse und Nazis durchsickern, auch wenn der Ursprung vielleicht bei den sächsischen Bullen liegt. Zumindest scheint er nicht gewillt zu sein dies zu unterbinden. Entweder wegen mangelnden Interesses seinerseits, oder es fehlt ihm über die nötige Kontrolle über die, ihm unterstellten exekutiven Behörden – was bei den Vorgängen innerhalb der deutschen Bullen auch nicht verwundern würde. Es wäre jedoch für ihn und den deutschen Staat ein weiteres Armutszeugnis.
Zur Rolle der öffentlichen Medien und Presse:
Um vorneweg etwas klarzustellen: Wir haben nie erwartet das bei einem solchen Verfahren die deutsche Medienlandschaft mit produktiven und diskursiven Artikeln und Beiträgen reagiert. Jedoch zeigt sich diese mit ihren hetzerischen, sexistischen und menschenverachtenden Inhalten mal wieder von ihrer „besten“ Seite. Da verwundert es auch nicht das Welt, Focus und Bild ganz vorne mit dabei sind, es ist ja schon seit den 70-er Jahren bekannt für welche konservativen und rechten Werte diese Pressehäuser einstehen.
Zum Abschluss:
Wir hoffen, mit diesem Text ein bisschen Klarheit in die Wirren dieses Verfahrens bringen zu können. Unterstützt die Betroffenen, kommt zum Verfahren und schafft solidarische Bezüge!
Kommt am 31.07.2021, zur Demo „ANTIFASCHISMUS VERVIELFÄLTIGEN! – Gegen Faschismus, Staat und ihre Handlanger!“ nach Weimar!
Startpunkt: 18 Uhr, August-Baudert-Platz (Bahnhofsvorplatz)
– Soligruppe der im 129er-Verfahren Beschuldigten aus Weimar / Juli 2021 –
*Seit 2018 hat sich die Auslegung des 129er Paragrafen verändert. Mittlerweile ist es für eine Verurteilung nicht mehr zwingend notwendig eine gemeinsame Organisation an sich nachzuweisen, sondern es reicht schon eine gemeinsame Zielstellung, die „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ bestrebt ist. Aus diesem Grund ist es kaum möglich, dass aktuelle 129er-Verfahren mit anderen bisherigen gleichzusetzen.
gefunden auf kontrapolis.info am 28.07.2021