Anschlagserklärung der Flammenden Herzen 1993 zu Wehrpflicht und patriarchale Zurichtung von Männern.

Ein Hoch auf die linken Archive. Alarmiert von der kommenden Wehrpflicht und angeregt durch die Veröffentlichung einer Erklärung (Seite 272) in dem Buch „Herzschläge – Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionären Zellen“ haben wir uns auf die Suche gemacht und eine weitere Erklärung der „Flammenden Herzen“ entdeckt.

Die „Flammenden Herzen“ sind politisch zwischen den RZ („Revolutionäre Zellen“), der Roten Zora und den Autonomen Gruppen Anfang der 90er Jahre einzuordnen. Als Militante Zellen verübten sie bundesweit mindestens drei Anschläge zu denen sie sich öffentlich bekannten (Oldenburg, Marburg, Berlin) und wir entdeckten auch in der ehemaligen „Radikal“ (Zeitung der Autonomen) ein Plakat der Gruppe. Der militante Zusammenhang konzentrierte sich auf Anschläge gegen die Wehrpflicht und die „patriarchale Zurichtung von Männer“ durch die Bundeswehr. Entwickelte die Rote Zora einen militanten Kampf entlang feministischer Themen (sie war in der Landschaft der Guerilla bis heute so gut wie einmalig), versuchten männliche Militante einen antipatriarchalen Ansatzpunkt auf militanter Ebene herauszuarbeiten und mit der patriarchalen Kumpanei zu brechen. Sie bezogen sich auf autonome Männer, die die Frage des Patriarchats und seinen Stellenwert im Kampf diskutierten, sie bezogen sich auf politische Schwule und auf die Wehrdienstverweigerungskampagnen, Totalverweigererinitiativen und antirassistischen Gruppen.

Vorausgegangen waren Diskussionen und Brüche innerhalb der autonomen und linksradikalen Bewegung an der Frage des Patriarchats. Frauen forderten unter Männern eine Auseinandersetzung über deren Anteil an Herrschaft ein. Vielfach zogen sie dann Konsequenzen aus der Sprachlosigkeit und Verweigerung zur Diskussion und organisierten sich in FrauenLesben-Strukturen. Viele Autonome, Antifa-Strukturen und Antiimperalisten entzogen sich nämlich dem Auseinandersetzen auf vielen Wegen. Doch einige Gruppen innerhalb der Autonomen versuchten eine antipatriarchale Neuausrichtung radikaler Politik zu diskutieren. Innerhalb der RZ, dokumentiert in dem genannten Buch, scheiterte der Zusammenhang an einer politischen Neubestimmung, die dem Patriarchat eine militante Option entgegen gesetzt hätte. Die Qualität einer antirassistischen Kampagne und einer Neubestimmung des Internationalismus durch die RZ war davon zwar getrübt, aber trotz allem seiner Zeit weit voraus. Die Zora hatte mit ihrer ausgesprochen erfolgreichen Unterstützung der Streiks der Frauen bei Adler in Südkorea politische Perspektiven eröffnet, versuchte aber, wie die RZ, einer starken Repression durch den Staat zu widerstehen.
Die „Flammenden Herzen“ entwickelten in diesem Spannungsverhältnis eine militante Perspektive, die dem Kampf der „Patriarchalen Zurichtung“ eine Richtung und politische Verankerung in laufende Kämpfe gab und auch als Vorschlag an die RZ zu lesen war, dass eine militante Praxis von Männern gegen das Patriarchat möglich ist. Den Zerfall der RZ (aus vielen Gründen, siehe auch „Gespräch mit Ex-Militanten der revolutionären Zellen“ ab Seite 128) konnte dieser Ansatz nicht mehr aufhalten.

Die Aktionen der „Flammenden Herzen“, so entnehmen wir dem Einleitungstext der Gruppe unten, wurden unter dem Label der „terroristische Vereinigung“ staatlich verfolgt und somit mit den gleichen Verfolgungsinstrumenten bedacht wie gegen die Revolutionären Zellen und die Zora.
Die Aktion im Dezember 1993 gegen das Amt, welches die Männer „wehrerfasst“, ist unten dokumentiert und drückte ein sozialrevolutionäres Verständnis aus, welches „die Köpfe und Herzen der Angesprochenen zu erreichen“ versuchte. Sie steckten das Amt nicht nur an, sondern entwendeten zuvor Akten mit Namen von „wehrerfassten“ jungen Männern und schrieben diese persönlich per Post an (auch unten dokumentiert). Das Amt, so ein Zeitungsschnipsel in dem Archiv, hatte wohl einen beträchtlichen Brandschaden und dadurch einen Arbeitsausfall von mehr als einer Woche zu verzeichnen. Über Rückmeldungen der Angeschriebenen haben wir keine Informationen gefunden.

Wir dokumentieren die Erklärung, weil sie für die laufende Debatte um einen Umgang mit der kommenden Wehrpflicht und den Zwangsdiensten aktuell ist. Wir sind zwar über einige Formulierungen gestolpert, bewerten diese aber im Kontext der Zeit von vor dreißig Jahren.
Im Kontext der Zeit gab es damals kein Gendern, so wie es heutzutage angewendet wird. In der Regel wurden „People of colour“ vielfach als „Farbige“ bezeichnet, was der damaligen Auseinandersetzung entsprach, wenn sie überhaupt in den Texten Erwähnung fanden, bzw. mitgedacht wurden. Und auch wenn der Ansatz vieler Autonomer eine Internationalisierung von Kämpfen herzustellen versuchte, bezog man sich oft noch auf den Begriff „Völker“. Ein Begriff, der nach vielen Diskussionen heute nur noch von „Tankies“ (Panzer: Marxistisch-leninistischen Gruppen) verwendet wird, da mit ihm eine nationale, bzw. nationalistische Zuschreibung einhergeht. Der Begriff „Flüchtlinge“ war in den Erklärungen der RZ, wenn man sie im Gesamtkontext liest, keine Herabwürdigung, sondern der politische Begriff, der zur damaligen Zeit innerhalb der Bewegung benutzt wurde. Auch haben sich in jener Zeit die wenigsten Männer innerhalb der Bewegung politisch, geschweige denn militant, mit dem Patriarchat auseinandergesetzt. Die „Flammenden Herzen“ scheinen eine der wenigen Ausnahmen gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, die Erklärung nicht an der Sprache von vor dreißig Jahren festzunageln, sondern den politischen Ansatz der „Flammenden Herzen“ und deren Bedeutung für heute zu diskutieren.

In diesem Sinne haben wir als „Historiker_innen im Wühlmäusearchiv“ diesen Text reproduziert.
Viel Spaß beim Lesen

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DOKUMENTATION FLAMMENDE HERZEN:

Hallo Freunde und Freundinnen!

Den beiliegenden Brief haben wir an wehrerfasste Jungen und Männer verschickt.

Wir haben uns darin bemüht, bereits existierende Positionen zu vermitteln. Die Verbreitung neuer Erkenntnisse war nicht unser Anspruch. Für uns lebt die Aktion – so sie uns gelingt – im Wesentlichen davon, mit diesem Brief direkt in den „Privatbereich“ der Wehrpflichtigen hineinzuwirken, die Köpfe und Herzen der Angesprochenen zu erreichen, und ihnen unsere Positionen ungefiltert mitteilen zu können. Wir haben keinerlei Probleme damit, wenn dieser Brief benutzt wird für weitere öffentliche Aktionen gegen das Militär. An Kritik und Verbesserungsvorschlägen bezüglich der gelaufenen Aktion sind wir sehr interessiert.

Wir bitten Euch – entsprechend Euren Möglichkeiten – um Veröffentlichung dieser beiden Briefe in Eurer Zeitung/Infoladen/Cafe/Gruppe usw., möchten aber zu bedenken geben, dass dies womöglich als „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ ausgelegt werden könnte (z.B. Kriminalisierung der Hannoveraner Zeitung RAZZ).

Einige Gedanken möchten wir gern noch kurz mitteilen.
Am Beispiel Kreiswehrersatzamt: Wir setzen auf das Bedürfnis vieler Männer, sich angesichts des offensichtlichen Zwangscharakters diesen Institutionen entziehen zu wollen. Diesen Fluchtreflex (z.B. die hohen Verweigerungszahlen während des Golfkriegs) halten wir für eine der wenigen Tugenden von Männern, die aber nur zum Teil pazifistisch begründet ist. Die Antisozialität der Zwangsdienste, nicht nur gegen die Gesellschaft, sondern auch gegen den einzelnen Zwangswehrdienstpflichtigen muss als solche benannt werden, um sozusagen die Flucht, Desertion, Totalverweigerung und Sabotage zu „adeln“. Wir wünschen uns, dass öffentliche antimilitaristische Gruppen ihre Aktivitäten nicht im Widerspruch zu militanten Aktionen betrachten, – oder aber ihre Kritik zur Diskussion stellen. Linksradikale/revolutionäre Männer fordern wir auf, die Existenz von Totalverweigerergruppen zur Kenntnis zu nehmen, sie zu stärken oder mitaufzubauen. Wir meinen, dass es darum geht, ein solidarisches Netz zu schaffen, welches auch von Männern mit Totalverweigerungsambitionen genutzt werden kann, die nicht jahrelang politisch gearbeitet haben. Antimilitaristische und antipatriarchale Aspekte der Totalverweigerung sollten offensiver in die öffentliche Auseinandersetzung getragen werden und auch als Verweigerung zur Männlichkeit thematisiert werden.

Bündnisse zwischen (Schublade auf) Totalverweigerern, Pazifisten, Militanten, Linksradikalen, Antimilitaristen, antipatriarchalen Männern (Schublade zu) sind möglich! Zum Teil beweist uns dies diese Aktion. Die Aktion ordnen einige von uns als einen Beitrag ein, den Vormarsch einer vermehrt sichtbaren militaristischen Formierung von Männern abzubremsen. Wir haben nicht die Illusion, diese Entwicklung zu stoppen, zum Stehen zu bringen. Wir sehen aber unserer Chance und Aufgabe aktuell darin, die Zeit der linksradikalen Orientierungslosigkeit zu nutzen , um dem eine antipatriarchale Widerstandsutopie entgegenzusetzen und weitere militaristische Einbrüche in die Gesellschaft zu verhindern. Bestehende Widersprüche innerhalb diverser Männerbünde (wie Militär, faschistische Männerrudel) gilt es zu erkennen und im Sinne antipatriarchaler Tendenzen zu schüren und spaltend/schwächend in diese hineinzuwirken.

Wir sind davon überzeugt, dass die gesellschaftlich breitere Thematisierung von den Orten und Funktionen patriarchaler Zurichtung von Männern zu soldatischen Männern Chancen bietet für die Entwicklung eines Ansatzes, der an die Wurzeln der militaristischen Formierung geht. Immerhin ist die Zurichtung zu soldatischen Männern eine Grundlage, auf der auch die derzeitige faschistische Mobilisierung greifen kann.

Parolen gibt es diesmal keine – dafür aber liebe Grüße an Euch. (Ihr dürft ruhig mit uns in Gedanken darauf anstoßen, wenn alles geklappt hat.)

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Hallo! Guten Morgen! Guten Tag!

Musst Du demnächst zur Musterung? Oder zur „Eignungsprüfung“? Oder bist Du schon gemustert und „tauglich“ für den „Dienst am Vaterland“? Weißt Du schon, wie Du Dich dazu stellst? Zum Bund gehen? Als Kriegsdienstverweigerer Zivildienst machen? Überlegst Du, keinen dieser beiden Zwangsdienste ableisten zu wollen (Totalverweigerung)?

Eine Entscheidung darüber triffst Du – aber vielleicht können wir Dir mit diesem Brief ein paar neue Denkanstöße geben; jedenfalls versuchen wir es.

Wir – das sind ein paar Männer, die sich aus verschiedenen Gründen zusammengetan haben, um dem Kreiswehrersatzamt in Marburg einen Brand zu stiften, die Bundeswehr zu sabotieren. Wir sind gegen jedes Militär, weil es ein Instrument der Herrschaft ist, Interessen mit Drohungen, Mord und Totschlag durchzusetzen. (Mehr dazu weiter unten.)

Deinen Namen und Deine Adresse haben wir aus dem Kreiswehrersatzamt gestohlen, weil wir ihn für die Verschickung dieses Briefes brauchten. Aber keine Panik, wir garantieren: keine Vertreterbesuche. Wenn wir eine glückliche Hand hatten, ist es uns gelungen, die dort lagernden Akten zu vernichten. Mit viel Glück sind die Dateien schwer zu rekonstruieren und das Kreiswehrersatzamt liegt eine Zeitlang lahm – was für Dich bedeutet, etwas mehr Zeit zum Nachdenken zu haben.

Beim Verfassen dieses Briefes ist uns klar geworden, dass es uns nicht leicht fällt, mit Leuten schriftlich zu „diskutieren“, die wir nicht mal kennen; und dabei Dinge verständlich darzustellen, die teilweise auf recht komplizierte Art mit anderen Sachverhalten verwoben sind. Wir wissen nicht, ob uns das halbwegs gelungen ist; einiges haben wir aus unserer Sicht beschrieben, vieles bleibt unerwähnt. Sei also etwas nachsichtig mit uns, wenn nicht alles verständlich rüberkommt und manches etwas platt klingt.

„Zur Führungsaufgabe der Bundeswehr gehört, die Soldaten mit dem Tod vertraut zu machen!“ (Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr, zitiert nach Spiegel 15/92). Wir sollen uns daran gewöhnen, dass der Fronteinsatz in immer größerer Nähe rückt, dass „unserer“ Soldaten demnächst kämpfen und morden sollen und natürlich auch ermordet werden. Als Wehrerfasser betrifft Dich dies ganz direkt!

„Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten“ (Kohl in seiner Regierungserklärung vom 30.1.91). Die Formalitäten dazu sind weitgehend erledigt – die Pläne stehen, der Umbau der Bundeswehr läuft. Es geht nur noch darum, die Bevölkerung psychologisch auf Kriegseinsätze vorzubereiten, denn noch ist sie nicht so richtig auf Vordermann gebracht. Die nicht ganz berechenbaren Massenproteste und die sprunghaft angestiegenen Kriegsdienstverweigerungszahlen während des Golfkriegs und die Meinungsumfragen über „Out-of-area-Einsätze“ der Bundeswehr deuten jedenfalls darauf hin. Deshalb wird uns – zur besseren Gewöhnung – der Weg zum Fronteinsatz häppchenweise serviert.
– Stationierung des Oldenburger Luftwaffengeschwaders an der türkisch-irakischen Grenze
– Beteiligung der Bundesluftwaffe an Aufklärungsflügen über dem Irak als Vorarbeit für die Bombardierung militärischer und ziviler Ziele
– Minensuchboote der Bundesmarine im persischen Golf
– Sanitätssoldaten werden zum Einsatz nach Kambodscha abkommandiert
– Einsätze der Bundesmarine und des BGS zur Überwachung der Sanktionen gegen Jugoslawien
– usw.
– bis zum vorläufigen Höhepunkt: der Einsatz von 1700 Bundeswehrsoldaten in Somalia unter deutschem Kommando.

Parallel dazu werden wir über die Medien regelrecht überschwemmt mit der „Debatte“ darüber, dass weltweite Einsätze „unserer Mannen“ das Gebot der Stunde seien. Wortverbiegungen in bester Politiker-Manier wie: Krisenmanagement, chirurgische Eingriffe, peace-keeping, peace-enforcing usw., die das, was tatsächlich dahintersteckt, auf furchtbare Art verharmlosen, tun ihr Übriges.

Für diesen Propagandafeldzug sind die Kriege in Jugoslawien und Somalia Gold wert: das angesichts der Fernsehbilder über Hunger, Massenvergewaltigungen, Tod und Elend aufkommende Gefühl „Da muss doch was getan werden!“ wird derart verwurstet, dass die Bundeswehr als Samariterverein dargestellt wird. Großformatige Anzeigen in den Zeitungen (Die Engel von Phnom Pehn; Ja, Menschlichkeit; Ja, Sicherheit) sollen zukünftige Militäreinsätze als das hinstellen, was sie gerade nicht sind – als einen Akt der Mitmenschlichkeit. In Somalia wurde der Blauhelmeinsatz anfangs als ein Kampf gegen den Hunger – verursacht durch rivalisierende „Banden“ – dargestellt. Und schrittweise wurde daraus eine Kampfansage an die Bevölkerung, bei der Bombardierung von Wohnvierteln mit hunderten von Toten zur „humanitären“ Normalität gehören. Der wahrscheinlich vorzeitige Abzug der Bundeswehr aus Somalia wird jedoch an den Absichten der deutschen Kriegsstrategen nichts ändern.

Wir sehen, dass es einen kleinen Teil der Welt gibt, der von Reichtum und Wohlstand überzogen ist, während der große Teil der Welt mehr mehr als weniger am Hungertuch nagt. Das liegt nicht etwa daran, dass die einen Völker klug sind und die anderen zu blöd, sondern an den internationalen Machtverhältnissen. Tatsache ist, dass die reichen Länder dieser Welt (bei denen die BRD an der Spitze rangiert) ein vielfältiges Instrumentarium haben und auch nutzen, um diesen Zustand zu erhalten. Über Einrichtungen wie Weltbank, Internationaler Währungsfond, Wirtschafts-, Militär-, „Entwicklungs“hilfe und anderes mehr werden die armen Länder zu einem politischen und wirtschaftlichen Handeln erpresst, welches sowohl den Wohlstand der Reiche als auch die Armut der Armen vergrößert.

Wir sehen, dass die Rüstungsindustrie (die BRD ist der drittgrößte Rüstungsexporteur weltweit) sich eine goldene Nase verdient, indem sie in Zusammenarbeit mit dem Staat „Qualitätsprodukte“ in alle Welt verkauft. Dass es einen Dreck interessiert, was diese Geschäfte für Folgen haben, zeigt die Praxis immer wieder. Hauptsache, der Profit und die politische Einflussnahme auf den Empfänger stimmen.

Wir sehen, dass viel von dem Elend, der Armut, dem Tode in den Ländern der sogenannten 3. Welt zusammenhängt mit der Politik, die hier gemacht wird. Die Folge davon ist, dass den Menschen dort ihre Lebensgrundlage entzogen wird – riesige Flüchtlingsströme sind weltweit unterwegs. Den wenigen, die es schaffen, sich bis in die BRD durchzuschlagen in der Hoffnung, in einem der reichsten Länder der Welt wenigstens minimale (Über-)Lebensvoraussetzungen zugestanden zu bekommen, wird von feisten vollgefressenen Politikern erklärt: „Das Boot ist voll!“. Und sie werden kurzerhand wieder außer Landes befördert oder von echten Deutschmännern bzw. organisierten Faschisten bedroht, geschlagen, erstochen, totgetreten, angezündet.

Wir sehen, dass es für das Kriegführen gegen andere Völker eine notwendige Voraussetzung ist, wenn in der eigenen Bevölkerung eine vorurteilsbeladene, ablehnende, rassistische Haltung gegenüber zukünftigen möglichen „Feinden“ besteht. Als in den letzten Jahren von den PolitikerInnen damit begonnen wurde, Stimmung zu machen gegen „Asylschmarotzer“ und „Wirtschaftsasylanten“ (also Flüchtlinge = unerwünschte AusländerInnen), da fiel das auf fruchtbaren Boden. Denn schon vorher wurden hier Menschen nichtdeutscher Herkunft mit einer gehörigen Portion Verachtung bedacht. „Gastarbeiter“ wurden sie genannt, und Spanjockels, Spaghettis, Kümmeltürken, Knoblauchfresser, die zu nichts besserem als Müllmänner und Dreckwegmacherinnen zu gebrauchen sind – und genauso wurde vielerorts mit ihnen umgegangen. Nachdem nun der alte Feind, die Gefahr aus dem Osten, gebannt ist, muss ein neuer Feind her. Dafür infrage kommen alle Völker, die im Besitz sogenannter strategisch wichtiger Rohstoffe sind. Und wir meinen, dass u.a. aus diesem Grund ein Bild von z.B. der arabischen Welt gezeichnet wird, in dem die Menschen von dort als verschlagen, terroristisch, irre, – eben: gefährlich erscheinen. Andere Völker werden mit entsprechen anderen Attributen ausgestattet, und da werden die „Farbigen“ zu einer „Rasse“ von „Dummbeuteln“, die sich gegenseitig nur abschlachten können und ansonsten zu blöd sind, für ihre Ernährung zu sorgen.

Wir sehen, dass wir als Männer eine besondere Rolle in diesem „Spiel“ einnehmen. Männer sind die Herren der Gewalt (und der Welt). Dabei ist weniger die Tatsache wichtig, dass wir einen Schwanz zwischen den Beinen baumeln haben, wesentlich ist das Denken!

Wir glauben nicht daran, dass wir per Geburt dazu auserkoren sind, die gesellschaftlich bestimmende Macht zu sein; über Frauen und andere unter uns stehende Männer zu bestimmen oder zu herrschen – Männer (und Frauen) werden gemacht! – von Menschen, die ihre Lektion bereits gut gelernt haben. Von klein an werden wir dazu erzogen, „richtige“ Männer zu werden. Als Spielkameraden schießen wir uns mit dem Colt gegenseitig nieder, lernen durch unsere Umgebung, dass wir uns durchsetzen sollen, im Falle eines Falles eben mit Gewalt. Wir sind erzogen, unsere Ellbogen zu gebrauchen, gegeneinander zu konkurrieren und möglichst dabei zu gewinnen, nicht zu heulen, wenn uns danach zumute ist, Schmerzen tapfer zu ignorieren und unserer Gefühle zu beherrschen. Furchtlos sollen wir sein, nach Macht über andere streben, herrschen, aber auch uns gegenüber „Höherstehenden“ unterordnen und Befehle/Anweisungen befolgen. Als „Herren der Schöpfung“ glauben wir immer zu wissen, wo es lang geht. Den Platz, den wir für uns beanspruchen, gestehen wir meist anderen (z.B. Frauen und Flüchtlingen) nicht zu. Unser Handeln sollen wir nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern vom Kopf. Wir dürfen auch ruhig mal aggressiv werden und Probleme mit Prügeln lösen. Frauen werden erobert und unterworfen. Wärme und Zuneigung, Geborgenheit und Zärtlichkeit sollen wir nur bei Freundinnen suchen, auf keinen Fall bei unseren Freunden. Richtige Männer sind hart gegen sich und andere. Schwächen dürfen nicht gezeigt werden und alle Eigenschaften, die als „weiblich“ angesehen werden, gelten als verachtungswürdig. Hat ein Junge das alles in sich hineingefressen (gut gelernt), wird er mit dem Prädikat „ganzer Mann“ ausgezeichnet; hat er nicht gut gelernt, wird er dafür als Waschlappen, Memme, schwul, weibisch und Schlappschwanz verachtet.
Dieses gesellschaftlich anerkannte Bild von Männern hat zur Folge, dass es zwar streckenweise ganz schön mühsam ist, die Anforderungen, die an ihn gerichtet werden, zu erfüllen. Aber die Besserstellung, die Bevorteilung, die Machtpositionen – die Privilegien, die seine gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, sind das Zuckerbrot, mit dem die Peitschenhiebe und „Zurichtung zum Mann“ mehr als versüßt werden. Und es sind nicht nur die männlichen Privilegien, die das gesellschaftliche Miteinander prägen. Die Tatsache, dass in der BRD nahezu alle drei Minuten eine Frau vergewaltigt wird, das erschreckende Ausmaß von sexuellem Kinder“missbrauch“, die bis unters Dach belegten Frauenhäuser, in denen Frauen Schutz vor ihren prügelnden Männern finden können, usw. sind ein paar Beispiele, die zeigen, von wem Gewalt und Unterdrückung ausgehen.
Die Erziehung zum Mann hat keine örtliche oder zeitliche Begrenzung. Was im Elternhaus und im Kindergarten begonnen wurde, das setzt die Schule, die Kirche, die Jugendgang, Lehre oder Uni und die Maloche fort. Es liegt auf der Hand, dass solcherart vorgeprägte Menschen fast ideale Voraussetzungen bieten zum „Dienen bei der Truppe“ und das Militär setzt dem Ganzen noch einmal die Krone auf.

In der „Schule der Nation“ kriegen die Rekruten ihren letzten Schliff verpasst. Und am Kreiswehrersatzamt kommt kein Mann vorbei! Die Erfassung und anschließende Musterung ist total und die für „tauglich“ Befundenen werden später in den Kasernen zu Spezialisten der Gewalt ausgebildet, inklusive Gehirnwäsche, bei der das Bild vom richtigen Mann nochmal ausgebaut und verfestigt wird. Mit Befehl und Gehorsam, Drill und Druck werden die Kanten der eigenen Persönlichkeit weggehauen.

„Kommt ein Mann in die Kaserne, wird ihm der Privatbereich entzogen. Selbst seine Kleidung wird
gegen die Uniform eingetauscht. Dort treten sie nicht nur an ihn heran, sondern in ihn hinein. So erfährt der Mann eine für ihn bestimmte Zurichtung, die bis über die Leistungsgrenze hinausgeht. Diese Überschreitung der Grenze wird bis zur Besinnungslosigkeit praktiziert. Den Druck, die Entmenschlichung und Entwürdigung in der allgemeinen Ausbildung zum soldatischen Mann vordergründig ertragen zu können, gilt als „mannhaft“ und ist somit positiv besetzt. Dieses Ertragen ist jedoch nur die Fassade, hinter der der unerbittliche Kampf gegen die eigenen Schwächen und alles „Unmännliche“ geführt wird. Die Verinnerlichung dieser kaputten Selbstdisziplinierung und Unterwerfung funktioniert bei auch noch nicht so weit unten stehenden weißen Männern in der Gesellschaft darüber, dass ihnen Macht über Frauen und „Farbige“ zugestanden und ihnen suggeriert wird, Herr über die eigenen Person und Schwachheit zu sein. Mit anderen Worten: Die männlichen weißen „Sklaven“ akzeptieren die Existenz von Hierarchisierung und patriarchalen Gewaltstrukturen insofern, als dass sie selbst Herr sein wollen oder können. Diese Akzeptanz macht jeden Mann zum permanenten Täter! Der soldatische Mann, hart gegen andere und sich, ist ein gesellschaftliches Leitbild. An diesem Leitbild verlaufen die Orientierungen von Jungen und Männern.“ (Flammende Herzen 1991).

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann!“

Was tun?

Neben der Möglichkeit, zur Bundeswehr zu gehen, kannst Du Dich auch für den Dienst ohne Waffe entscheiden. Die DFG/VK (Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner) bietet Information und Beratung an (gibts auch in Deiner Stadt).

Wenn Du für die Totalverweigerung offen bist, weil Du sowohl der Bundeswehr als auch dem Zivildienst ablehnend gegenüber stehst, wird Dir die DFG/VK sicherlich Adressen von Totalverweigerergruppen/-initiativen geben können. Diese solltest Du dann auf jeden Fall aufsuchen und gemeinsam mit ihnen beratschlagen, wie dieser Weg für Dich aussehen könnte.

Wir können und wollen Dir in dieser Frage keine Ratschläge erteilen. Beide Wege haben so ihre Tücken. Zum Zivildienst: Wenn Männer soziale Dienste machen wollen, ist das gut und zu begrüßen.; und natürlich sind soziale Arbeiten allemal sinnvoller als strammstehen, marschieren und morden zu lernen. Es ist jedoch ein Unding, wenn diese Arbeiten erzwungen sind und mit Dumping-Löhnen bezahlt werden. Das liegt daran, dass viele soziale Dienste (z.B. Altenpflege) keine wirklich anerkannten Arbeiten sind. Unterbezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen sind in diesem Bereich nicht unüblich. Es kann Dir durchaus passieren, dass Du feststellen musst, wie kalt, funktional und hierarchisch die Arbeit an, mit und für andere Menschen organisiert ist. Für uns ist es eine offene Frage, ob der Zivildienst das Militär infrage stellt oder nicht. Klar ist jedoch, dass er im „Spannungsfall“ (offizielle Bezeichnung) ein Kriegsdienst ohne Waffe ist.

Zur Totalverweigerung: Unser Herz schlägt aus politischen Gründen für die Totalverweigerung und wir träumen davon, dass tausende von Männern sich dem staatlich verordneten Zwang zu Dienen widersetzen und verweigern, aber wir wissen auch, dass eine solche kompromisslose Haltung gegenüber dem Militärdienst strafrechtliche Folgen hat (Geldstrafe, Bewährungsstrafe bis zu mehreren Monaten Knast). Trotzdem wurden 1992 bundesweit ca. 400 Totalverweigerer gezählt. Wir glauben, dass die möglichen Folgen für Dich am besten zu bewältigen sind, wenn Du weißt, dass Freunde und Freundinnen hinter Dir stehen und Totalverweigerergruppen Dich aktiv unterstützen.

Wie immer Du Dich entscheidest, ob Du zum Bund gehst, Zivildienst leistest oder totalverweigerst: Wehren kannst Du Dich überall und vielfältig! Wir glauben nicht an Sprüche wie „das ist eben so, da kann man nix machen“. Wir können sehr wohl was machen! Indem wir die Verantwortung für das eigene Denken und Handeln übernehmen. Wir können genau hingucken, wo wir im Alltag unsere Männlichkeit beweisen sollen; wo andere uns zu deutschen Herrenmenschen (-männern) machen wollen – und uns dem verweigern. Mehr noch: Wir können uns solidarisch zu all jenen verhalten, die durch die deutsche Männerherrlichkeit angegriffen und ausgegrenzt werden.

Verweigern wir uns der Gefolgschaft von Militär und Patriarchat!

So, genug der Worte, wir sagen Dir hiermit Tschüss und wünschen Dir auf Deinem Weg das Allerbeste.
(Weihnachts-)Männer gegen Befehl und Gehorsam / Flammende Herzen

Dezember 1993