„CSD-Verteidigen“ und „Pride Rebellion“, was geht da eigentlich ab?! Erfahrungen und daraus resultierende Kritik

Die Apostel, die sich die Hände reiben:
Worum geht’s?
Unter dem Label „CSD-verteidigen“ ist seit Mitte März eine politische Initiative in einigen Städten in Erscheinung getreten, die nach einem ersten Eindruck vorerst eine „eindeutige Mission“, CSDs vor Nazigewalt zu verteidigen, vermittelt. So weit, so notwendig. Jedoch wird „CSD-verteidigen“ nicht in der Lage sein, dem eigenen Namen gerecht zu werden.
Der Titel der Initiative gibt den Initiator*innen eher moralischen Vorschub, der dem Erreichen anderer Ziele als der tatsächlichen Organisierung von antifaschistischem Massenselbstschutz dient.
Denn: „CSD-verteidigen“ wird als Vorfeld-Initiative von der Young Struggle (YS) nahen Orga „Pride Rebellion“ koordiniert. Eine erste Einordnung und Warnung dazu von Anfang Mai ist hier zu finden: https://knack.news/12550
Möglicherweise geht es also vielmehr um die Agitation von jungen Queers für die eigenen Reihen. Die Präsenz von YS, Zora und Pride Rebellion(-Fahnen) auf vielen, auch kleinen CSDs in ganz Deutschland und das Errichten des öffentlichen Images, eigenhändig alle CSDs „verteidigt“ und geschützt zu haben, lässt das unschwer vermuten.
Wir bewerten die Initiative als den Teilnehmenden gegenüber fahrlässig, intransparent, repressionsanfällig und insgesamt nicht zielführend. Es fehlt zudem an Kontakten und Austausch mit CSD-Orgas und lokalen antifaschistischen Strukturen. Daher schreiben wir diese öffentliche Kritik.
Das trojanische Pferd von der Stange
Vorgegebene VS. Tatsächliche Ziele
Pride Rebellion scheint die YS-nahe Organisation für Queers zu sein, wie Zora die für Frauen ist. Die Zusammenhänge der Gruppen werden bei Ortsgruppentreffen von „CSD-verteidigen“ nicht erläutert, je nach Ort werden diese mehr oder weniger stark verschleiert. So erscheinen über die erstmal anschlussfähige Initiative „CSD-verteidigen“ plötzlich Vertreter*innen YS-naher Organisationen bei Treffen in Orten, die bisher von diesen Gruppen verschont geblieben sind.
Kooperationen mit Gruppen vor Ort werden aufgebaut, die die Treffen für Pride Rebellion umsetzen. Diese Kooperationen bundesweit aufzubauen, ist sicher auch ein Ziel der Kampagne. Ob den Kooperationspartner*innen bewusst ist, auf welche Strukturen sie sich da einlassen, bleibt unklar.
Einzelpersonen, die bisher nicht organisiert waren und/oder sich gerade politisieren, werden über die Hintergrundorganisationen im Dunklen gelassen.
Eine umfassende Kritik an Young Struggle können wir hier nicht leisten, für uns ist dieses Vorgehen, sich aus vordergründig agitativem Eigeninteresse in stattfindende Kämpfe einschleichen zu wollen, nix Neues, sondern eher ein nervtötendes Mittel autoritärer Orgas von der Stange.
Daher verweisen wir an dieser Stelle an bereits ausgedrückte Kritik zu anderen Anlässen:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179895.autoritaer-kommunistische-gruppen-neue-k-gruppen-die-avantgarde-von-vorgestern.html
By the way: Das anmaßende Logo der Kampagne besteht zentral aus einem Rosa Winkel. Dieser wurde im Nationalsozialismus von den Tätern für die Kennzeichnung und Kategorisierung von (vermeintlich) homosexuellen Männern in Konzentrationslagern und Haftstätten genutzt. Andere Personen wie lesbische Frauen und Queers wurden unter anderen Kategorien verfolgt und gekennzeichnet.
Dieses instrumentelle Verhältnis zu Symbolen der faschistischen systematischen Verfolgung und Vernichtung finden wir entsetzend.
Aufs offene Treffen gehen, um ins offene Messer zu rennen oder aus Versehen im Fahnenappell zu landen
Eine Abschätzung der tatsächlichen Wirkung nach (eigenen) Erfahrungen in mehreren Städten
Das proklamierte Ziel, CSDs zu verteidigen und massenhaften antifaschistischen Selbstschutz der CSD-Teilnehmenden zu organisieren, kann nach unserer Einschätzung nach Ortsgruppentreffen von „CSD-Verteidigen“ und dem Austausch über Erfahrungen aus anderen Städten nicht erreicht werden.
Obwohl dieses eigentlich sehr klare Ziel im Vordergrund der Kampagne steht, scheinen sich die Organisator*innen schlicht keine sinnvollen Gedanken zu der tatsächlichen praktisch realisierbaren Umsetzung zu machen. Das lässt erahnen: es geht den Initiator*innen eigentlich um etwas anderes.
Die Initiative „CSD-verteidigen“ ist offensichtlich schon jetzt im Fokus der Repressionsbehörden. Bei einem offenen Treffen gab es eine Ansprache durch die Polizei, die Ort und Zeit des Treffens kannten und offenbar Präsenz zeigen wollten.
Junge Linke landen durch das Besuchen offener Treffen so schon im Zweifel in der Dokumentation und Beobachtung der Repressionsbehörden, ohne darüber aufgeklärt zu werden oder eine Abschätzung der Folgen dessen zu bekommen. An die Orgas: Danke für gar nichts!
Natürlich gehören Repressionsrisiken zu antifaschistischer Arbeit dazu, aber nur ein Bewusstsein darüber im Vorhinein macht die eigenen Aktivitäten nachhaltig möglich.
Durch die Selbstorganisierung von Schutz, den wir als absolut notwendig erachten, wird das staatliche Gewaltmonopol angegriffen, was den Behörden natürlich ein Dorn im Auge ist.
Notwendig, da die ausführende Staatsgewalt (die Polizei) nur in Rechtsrahmen (z.B. eine Versammlung/CSD) und nur „seine“ Bürger*innen (Staatstreue) schützt. Auch wenn durch Pinkwashing queere Auslebung zur Befriedung von Widerstand teils staatlich geduldet wird, stellt Queeres Leben letztendlich eine Bedrohung für cis-hetero-normative, patriarchale, staatliche Herrschaft dar. Wenn wir für ein freies Leben kämpfen, müssen wir uns als Queers und Linke selbst schützen, erst Recht z.B. bei An- und Abreise von CSDs und (nachts) auf den Straßen. Autoritäre Selbstdarstellung hat darin nichts zu suchen, Selbstschutz geht nur in Bündnissen und Bedarf dauerhafter Auseinandersetzung, gerne empfehlen wir hier z.B. den Debattenbeitrag zu Antifaschistischem Schutz aus Berlin:
https://de.indymedia.org/node/501939
Eine Zusammenarbeit und Austausch mit den jeweiligen CSD-Organisator*innen wird zwar versucht aufzubauen, wird jedoch ohne konkrete Angebote, was durch „CSD-verteidigen“ geleistet oder übernommen werden kann, vermutlich unproduktiv verlaufen. Notwendig wäre, die eigenen Fähigkeiten der „CSD-verteidigen“ Gruppe zu kennen und passend zu nutzen, was jedoch auch durch den offenen Charakter der Gruppe erschwert ist.
Gänzlich zu fehlen scheint die Zusammenarbeit mit lokalen linken Strukturen und Antifa-Gruppen. Es werden keine Einschätzungen von den Personen eingeholt, die tatsächlich Ahnung von den Gegebenheiten haben (CSD-Orga, Faschos, Repression, bestehende solidarische Strukturen).
Eine Erfahrung berichtet davon, dass die Idee, eine Art Selbstverständnis als Ortsgruppe zu schreiben, von der koordinierenden Orga direkt damit abgelehnt wurde, dies widerspreche der bundesweiten Initiative. Das lässt tief blicken. Selbstständig Politik zu machen, wird so als unmöglich dargestellt.
Aufgrund der unzureichenden Vorbereitung auf das tatsächliche Schützen von CSDs, werden die Mitglieder der Ortsgruppen vermutlich als Teil eines Blocks die CSDs besuchen und sich dort in einem Fahnenmeer von YS, Zora und Pride Rebellion wiederfinden, wie bereits in einigen Städten geschehen.
Chaotische Alleingänge verursachen, anstatt vernetzt mitzuwirken
Weitere Erfahrungen
Erfahrungen von Genoss*innen aus verschiedenen Städten möchten wir exemplarisch anführen.
„CSD-verteidigen“ bemühte sich bspw. im Vorfeld, Struktur- und Schutzaufgaben zu übernehmen, was jedoch weder von CSD-Orgaseite noch von anderen involvierten Gruppen gewünscht wurde. Die Zusammenarbeit mit „CSD-verteidigen“ wurde von der jeweiligen CSD-Orga abgelehnt, was „CSD-verteidigen“ nicht davon abhielt, trotzdem dort hin zu mobilisieren und mithilfe von mitgebrachten Materialien ungebeten für Schutz sorgen zu wollen. Dies führte vor Ort zu Verwirrung und unnötigem, nervenden Mehraufwand.
Bei anderen CSDs schien es mehr um die Selbstinszenierung als um realen Schutz zu gehen, was anhand mitgebrachter Flyer, Fahnen und Banner und passenden selbstlobenden und anmaßenden Social Media Posts à la „Wir haben CSD XY verteidigt!“ im Nachgang deutlich wird.
Ortsunabhängig schätzen wir daher ein: Es wird darauf hinauslaufen, dass „CSD-verteidigen“ lediglich Präsenz auf CSDs zeigt, zu dem tatsächlichen sinnvollen Schutz vor Faschos, vor allem vor und nach dem CSD, bei Rahmenprogramm oder An- und Abreise der Teilnehmenden, aufgrund des Mangels an Information und Vernetzung mit lokalen Strukturen wenig beitragen können wird. Chaotische Alleingänge bedeuten so einen Mehraufwand für alle Strukturen.
Die Gefahr von Repressionen und deren Folgen scheint durch die Orga dabei auch nicht angemessen ernst genommen zu werden. Ähnliches lässt sich in Hinblick auf die Gefahr von rechter Gewalt und deren Folgen für die jungen Aktivist*innen vermuten. Dass die Orga ohne eigens ausreichendes Wissen, Struktur, Erfahrung oder Vorbereitung bereitwillig junge Linke auf Faschos losschickt, ist schlicht fahrlässig.
Schlechte Pläne aus dem Hinterzimmer
Fallstricke autoritärer Organisierung
Wie kann es also zu so etwas kommen? Wenn innerhalb linker Strukturen Hierarchien und Ränge bis in bundesweite Ebenen zentralistisch aufgebaut werden und nur einzelne Personen mit Rang und Namen politisch geschult und in die Pflicht genommen werden, Kader also, sorgt das früher oder später immer für schlechte Analysen, strategische Fehlentscheidungen aus dem Elfenbeinturm und fehlende Fähigkeiten in der Basis. Kaderstrukturen bekommen gar nicht mehr mit, was in den tatsächlich zu organisierenden Kämpfen passiert. Selbstorganisierte Politik mit kollektiven Fähigkeiten wird verunmöglicht.
So lässt sich zwar mal schnell eine bundesweite Social-Media-Präsenz, Erst-Treffen in vielen Städten und Flyer-Verteilung auf ein paar CSDs realisieren. Tatsächlich dann Queers von rechter Gewalt zu schützen, Selbstschutz aufzubauen, Nazistrukturen zu schwächen oder linksradikale Inhalte in CSDs zu tragen, geht anders.
Top-Down-Organisierungen sorgen zwar durchaus für vorübergehende Effizienz, kranken jedoch an organisatorischer Schwäche, verursachen Unbeständigkeit und werden mit hinterhältiger Zweckentfremdung von autoritären Bestrebungen getrieben.
Darüber hinaus schult dies junge interessierte Linke zu politischem Gehorsam statt zu kritischem Denken und notwendigen Selbstverteidigungs-Fähigkeiten. So wir nur gelernt, aufs offene Treffen zu kommen und dann zu machen was gesagt wird, anstatt kollektiv Pläne schmieden zu können. Welche linken Gruppen können das nur wollen?
Vorfeld-Starter von leninistischen, maoistischen, trotzkistischen oder stalinistischen Organisationen versuchen immer wieder, für die eigenen Zwecke in links-bürgerliche Kreise zu wirken und „Zusammenarbeit“ zu propagieren.
Klingt für manche nach normaler Bündnisarbeit? Leider nicht, denn für uns ist klar, dass solch eine Top-Down-Organisierung Schaden für emanzipatorische Kämpfe anrichtet, anstatt sie zu stärken!
Als emanzipatorische radikale Linke immer wieder Umgänge mit solchen Vereinnahmungsversuchen finden zu müssen kostet vor allem Zeit und lenkt ab von tatsächlich solidarischen, antifaschistischen Aktionen und Aufrufen.
Wir verstehen, dass Leute solche offenen Angebote attraktiv finden und nutzen. Offene Organisierungsformen sind gut, sehr wichtig und sinnvoll. Aber nur, solange drin ist, was drauf steht und geleistet werden kann, wozu angetreten wird!
Antifa geht anders und Antifa wirkt!
Gute Möglichkeiten, mitzuwirken und CSDs zu supporten
Wer feministischer Selbstermächtigung den Rücken decken, Kritik an Entpolitisierung und bürgerlicher Einhegung von CSDs üben, oder Nazistrukturen schwächen will, wäre unserer Ansicht nach bei lokalen, undogmatischen feministischen oder antifaschistischen Gruppen besser aufgehoben! In einigen Städten beobachten wir bereits offene, zugängliche Angebote, in denen sich Menschen auch langfristig organisieren können. Gerne mehr davon!
Mit dieser Kritik hier ist bei Weitem nicht alles gesagt. Die Notwendigkeit, feministische und antifaschistische Kämpfe zu verbinden, wird anhand von Jungfaschos auf CSDs offensichtlich. Es ist jedoch nur ein Symptom des Erstarkens rechter bis faschistischer Kräfte, unter Anderem vereint in einem bedrohlichen Antifeminismus.
Wir freuen uns, dass die Entwicklung von Analysen dahingehend und eine daraus resultierende Praxis wächst.
Tendenziell bundesweit und mit großem Fokus in ostdeutschen Städten wird uns diese Notwendigkeit den Sommer über weiter umtreiben.
Es reicht jedoch nicht, zu erkennen, DASS CSDs antifaschistischen Support brauchen. WIE dieser realisiert werden kann, ist dabei die entscheidende Frage.
Beteiligt euch an Anreisen durch Antifa-Gruppen!
Gründet Bezugsgruppen, lernt voneinander!
Jungfaschos Entgegentreten!
Den antifaschistischen Massenselbstschutz organisieren!
Wir wollen hiermit zwar vorhandene Furchen unter linken Gruppen nicht tiefer schlagen, sondern ernste Kritik leisten, sehen uns aber auch im wütenden Widerspruch zu solch falscher Theorie und Praxis!
Wenn ihr unsere Kritik teilt, diskutiert sie mit übrig gebliebenen Friends aus autoritären Gruppen und verbreitet sie in CSD-Orgas.
Wenn ihr bei dieser Kritik mit gemeint seid: Warum macht ihr sowas? Wo wollt ihr damit hin? Was geht eigentlich ab bei euch?
-Verfasst von einer knappen Handvoll Autonomen
Links zum Weiterlesen:
Ersteinschätzung von Anfang Mai:
https://knack.news/12550
Erklärung Ostdeutscher CSDs: „Wir sind das bunte Hinterland“
https://www.queerpridedd.org/wp-content/uploads/2025/05/WIR-sind-das-bunte-Hinterland.pdf
Beiträge zur Schutzdebatte:
https://de.indymedia.org/node/501939
https://de.indymedia.org/node/478292
Zu autoritär-kommunistischen Gruppen:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179895.autoritaer-kommunistische-gruppen-neue-k-gruppen-die-avantgarde-von-vorgestern.html
Zum Rosa Winkel:
https://arolsen-archives.org/ueber-uns/standpunkte/homosexualitaet-nationalsozialismus/