Antifa außer Relevanz. Zum Antifa-Kongress in Berlin

bezieht sich auf: https://gegenform.tem.li/selbstverstaendnis/
In Berlin veranstaltet ein „Bündnis gegen autoritäre Formierung“ vom 1. bis 3.5. einen Antifa-Kongress. Was mir vor Jahren falschen Respekt abgenötigt hätte, weil sich in diesen Zusammenhängen die wirklich ernsten, klugen und kritischen Linksradikalen äußern, lockt mir mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln hervor. Für andere mag dies umso mehr Grund sein, sich zum Kongress zu begeben und sicherlich lassen sich dort sinnvolle Gespräche führen. Doch das pseudointellektuelle Geschwafel, die allzudeutschen Allüren und das eminent eindimensionale Denken, welches aus dem Aufruf sprechen, sind mittlerweile doch eher peinlich als ernsthaft zu diskutieren.
Abgesehen davon, dass mit keinem Wort erwähnt wird, wie die (vorgebliche) Positionierung gegen Antisemitismus als Staatsdoktrin gerade jenen Autoritarismus nährt, den das Bündnis zu bekämpfen hofft, findet sich im Selbstverständnis der meiner Ansicht nach schon immer falsche Grundgedanke, man müsste die „Werte“ des „liberalen Westens“ und seine begrenzte Rationalität vehement verteidigen, weil diese die Ausgangsbasis für Emanzipation überhaupt darstellen würden. Die eigene patriarchale Kultur, postkoloniale Ausbeutung, die heimische Klassengesellschaft müssen damit kein Gegenstand der Kritik werden.
Ganz im Gegenteil, in verselbständigter Verbohrtheit wird sozialen Bewegungen mit überheblicher Arroganz begegnet – denn irgendwo finden sich schließlich immer Verkürzungen und Widersprüche. So überrascht es auch nicht, dass gerade die aktuelle Neuformierung der Klassengesellschaft, in keinem einzigen Workshop thematisiert wird – obwohl Faschismus nicht lediglich eine „Krisenideologie des Kapitalismus“ ist, sondern ganz wesentlich ein durch Fraktionen der herrschenden Klasse genährtes und gefördertes Herrschaftsprojekt…
Selbst „autoritäre Gesellschaftsentwürfe“ werden pauschal den „verschiedenen Staaten des sogenannten ‚Globalen Südens'“ zugeschrieben – als wenn der Obrigkeitsstaat und Untertanengeist in Deutschland keine Tradition hätten; als wenn Diktaturen weltweit nicht wesentlich durch wirtschaftliche und geostrategische Interessen westlicher Industriestaaten gestützt werden würden. Aber ja, im bündnis gegen autoritäre Formierung gibt man sich „ideologiekritisch“-staatskritisch, um die besseren Nationalstaaten zu verteidigen…
Konstatiert wird, dass „Rote Gruppen und ihre autoritären Weltbilder […] wieder wie Pilze aus dem Boden“ schießen. Dass die Verschlossenheit, Abgehobenheit und Arroganz deutscher linksradikaler Gruppen in vielerlei Hinsicht kaum Ansatzpunkte bieten, damit sich Menschen mit kritisch-emanzipatorischen Positionen auseinandersetzen oder sich ihnen gar anschließen können, wird dabei nicht reflektiert.
Leichter ist es, auf den mehr oder weniger als Psychopathologie gerahmten Autoritarismus verschiedener Gruppen und Milieus zu verweisen – statt sich erstens selbst als Bestandteil jener kritisierten Gesellschaftsform zu verstehen, welche diesen hervorbringt und zweitens die unbequeme Rationalität in verschiedenen Ausprägungen des Autoritarismus anzuerkennen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass jene, die das Erstarken von K-Gruppen kritisieren, gleichwohl Referenten einladen, welche den Anarchismus seit Jahren diffamieren, obwohl dieser ein wirksames Antidot gegen sie wäre.
Des Weiteren wundert mich, dass das BSW dahingehend mit keinem Wort erwähnt wird. Nur, weil es bei den Bundestagswahlen unter der 5%-Hürde lag, sollte das Phänomen, dass fast 5% der Wähler*innen für eine nationalistische und rassistische Kaderpartei mit linkem Anstrich stimmen, einer Besprechung wert sein.
Ganz nebenbei: Was ist eigentlich mit dem Autoritarismus des liberal-demokratischen, kapitalistischen Staates? In keinem der Beiträge auf dem Kongress wird auf die massive Repressionswelle gegen Antifaschist*innen in den letzten Jahren hingewiesen, sei es im Zusammenhang mit dem Umfeld von Lina E. oder den untergetauchten Antifas im sogennnten Budapest-Komplex. Weder wird thematisiert, welche Bedeutung der gigantische Kessel und die Demoverbote am 03.06.2023 in Leipzig zur Gängelung der antifaschistischen Szene hatte, noch, wie sich die verstreuten Antifaschist*innen im ländlichen Raum unter schwierigsten Bedingungen organisieren können. Weder die Bedeutung der linksbürgerlichen Demokratie-Proteste von Anfang 2025 und 2024, noch die jüngsten Versuche der Stigmatisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen wird auf die Tagesordnung gebracht. – Was bleibt ist ein Verständnis von Antifaschismus, dessen Fluchtpunkte nicht neu justiert wurden und dessen Linien sich daher unzeitgemäß in der Bedeutungslosigkeit verlieren.
Dass Antideutsche und ihre Verbündeten selbst bisweilen eminent autoritär agieren, lässt sich ferner verschleiern. Dies zeigte sich unter anderem während der Corona-Pandemie, in welcher jede Kritik an den autoritären Maßnahmen und Diskursstrategien des Staates pauschal als Schwurbelei diffamiert wurde. Damit spreche ich keineswegs gegen Wissenschaftlichkeit, noch brandmarke ich vernünftige Einschränkungen der bürgerlichen Freiheit – in besonderen Situationen – als per se autoritär. (Ja, es gibt Sinn, dass nicht alle Angehörigen ihre Verwandten in Krankenhäusern besuchen dürfen, wenn eine Pandemie grassiert. Es gibt Sinn, dass Menschen Masken tragen und man dies auch ethisch einfordern sollte. Nein, es gibt keinen Sinn, dass in diesem Zusammenhang nächtliche Ausgangssperren verhängt werden; ebenso wenig, wie die Vereinsamung vieler Menschen durch die Verordnungen einfach als Kollateralschaden weggeredet werden darf.)
Ich führe dieses leidige Thema nicht an, weil ich damit alte Geschichten aufwärmen will, die wir alle hundertmal durchgekaut haben. Wenn ich oben von der unter Umständen akzeptablen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten unter besonderen Umständen schreibe, dann weil wir eine andere – die soziale Freiheit – dafür gewinnen könnten. Mit dem Bündnis gegen autoritäre Formierung ist dies jedoch nicht zu machen – denn in ihm werden keine sozialen Fragen thematisiert. Es strebt nur ideell, nicht tatsächlich, die Überwindung jener Gesellschaftsform an, welche den Autoritarismus in seinen verschiedenen Ausprägungen hervorbringt.
Vielmehr erneuert sich der Eindruck, welcher in Begegnungen und Gesprächen, die ich hatte, und der über viele Jahre gewachsen ist und sich immer wieder bestätigte: Die „kritische Kritik“ aus diesen Lager erscheint als Vehikel zur Affirmation eines eigentlich bürgerlichen Bewusstseins, dass sich selbst genügt – in dem es den Autoritarismus immer woanders sucht, nur nicht bei sich selbst. Mit jenen Linksradikalen wird keine sozial-revolutionäre Orientierung zu gewinnen sein.
Dennoch wünsche ich den Beteiligten alles Gute bei ihrem Unterfangen. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja an anderer Stelle.