Jessica S. in Paunsdorf getötet: Sie wollte sich von ihm trennen – da rastete er aus

Vieles deutet darauf hin, dass am Pfingstmontag in Leipzig ein 40-Jähriger seine 30-jährige Freundin tötete. Aus dem Umfeld des Opfers heißt es: Der inzwischen Inhaftierte handelte aus Hass und Eifersucht.

Nach allem, was man über Jessica S. weiß, war sie eine junge Frau mit großen Plänen. Nach acht Jahren Beziehung, acht Jahren mit dem Mann, der sie offenbar tötete, weil er es nicht ertrug, dass sie ihre Zukunft ohne ihn plante, wollte sie mit den beiden Kindern ausziehen.

Sie wollte sich trennen, neu anfangen. S. träumte von der weiten Welt, in ihrer Wohnung hing eine große Weltkarte, neben dem Fernseher stand ein leuchtender Globus. Für August muss sie eine Zusage für eine Wohnung ganz in der Nähe gehabt haben. So habe sie es, das erfährt man im Stadtteil Paunsdorf, wenige Tage vor ihrem Tod in einer nahen Gartenkneipe erzählt.

Mehr als zwei Wochen später, Anfang Juni, hält ein grauer Van in der grün bewachsenen Siedlung im Leipziger Osten. Noch immer räumen Kriminalbeamte die Wohnung aus. Manche Nachbarn lugen hinter einer Gardine hervor. Was genau geschehen ist, können sie nur erahnen. Die Meldung der Polizei fällt am Tag nach der Tat, dem 21. Mai, eher kurz aus.

„Tatverdächtiger wegen Verdachts des Totschlags in Untersuchungshaft“, heißt es da. Im Leipziger Stadtteil Paunsdorf sei die Leiche einer 30-jährigen Frau gefunden worden. „Noch am selben Tag wurde ein 40-Jähriger (deutsch), der dem Umfeld der Verstorbenen zuzuordnen ist, als dringend tatverdächtig vorläufig festgenommen.“

Marcus K., der Sohn einer Leipziger Handwerkerfamilie

Die Rede ist von Marcus K., Jessicas Freund und Vater eines gemeinsamen vierjährigen Sohns. „Derzeit sind keine weiteren Auskünfte möglich“, erklärt die Polizei.

Doch dieser Fall, so scheint es, könnte eine größere gesellschaftliche Dimension haben. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland, weil ihr Partner oder Ex-Partner es so will. Schon seit Jahren fordern Aktivisten, inzwischen auch Politiker, den Tatbestand des „Femizids“. Was sie fordern: Gezielte Prävention für Frauen, die von ihren Partnern bedroht werden. Doch nicht bei jedem Delikt ist sofort klar, ob es sich um einen Femizid handelt. Spricht man mit Personen aus dem Umfeld von Jessica S., deutet sich an: Offenbar musste S. sterben, weil sie sich trennen wollte – und ihr Partner rasend vor Eifersucht war.

Wer ist Marcus K.? Der Sohn einer Leipziger Handwerkerfamilie lernte Jessica S. als Mutter einer zweijährigen Tochter kennen. Sie verliebten sich, zogen vor acht Jahren in die gemeinsame Wohnung, bekamen nach vier Jahren einen Sohn. S. arbeitete bei einer Modekette im nahen Paunsdorf Center, war dort beliebt. K. stieg ins Geschäft des Vaters ein: Ein gut laufender Handwerksbetrieb, der damit wirbt, viele Lösungen aus einer Hand anzubieten. Mit seinem weißen Van führte K. Aufträge aus, sollte das Unternehmen eines Tages mit seinem Bruder übernehmen.

Jedoch: Laut Bericht von Tag24 gab der Vater und Chef der Firma an, sein Sohn habe „seit sechs Jahren nichts mehr mit der Firma zu tun“. Für eine LVZ-Anfrage war der Vater nicht zu erreichen.

Eine Freundin: „Sie war sozusagen eingesperrt“

Vor dem Mietshaus in Paunsdorf sind Blumen, Kerzen und Kuscheltiere niedergelegt. „Jazzi, du fehlst uns“, steht auf einer Tafel.“ Jazzi – so nannte sich S. auch auf der Videoplattform Tiktok. Mit Schmuck, Sonnenbrille und immer neuen Outfits nahm sie regelmäßig Tanzvideos von sich auf. Zur Musik bewegte sie die Lippen. „Ich hab neulich geträumt von einem Land, in dem für immer Frühling ist“, heißt es im vorletzten Clip vor ihrem Tod. „Vanilleeis zum Nachtisch, alle sterben alt.“

Manche der Videos haben Zehntausende Aufrufe. Auf Kommentare antwortete sie häufig und freundlich: „Wie ist eure Woche bis jetzt?“ – „Morgen Weisheitszähne ziehen…“ – „Ohh ohh, du schaffst das!“ Ihr Profilbild glich sie mit anderen Nutzern ab. Es scheint, als hatte S. auf Tiktok eine kleine zweite Familie gefunden. Menschen, die von ihren Videos begeistert waren und ihr Aufmerksamkeit schenkten. In ihrem Profil vermerkte sie auch ihren Beziehungsstatus: Ein „M“, ein Unendlichkeitszeichen, ein Herz.

Brauchte Jessica S. eine Ersatzfamilie? Eine junge Frau, die Jessica S. gut kannte, glaubt das. Die Beziehung mit Marcus K. sei schon seit Langem in die Brüche gegangen. „Er war krankhaft eifersüchtig“, sagt sie gegenüber LVZ. Sie glaubt auch, Spuren häuslicher Gewalt erkannt zu haben. Und: Dass K. sie psychisch manipulierte. „Sie war sozusagen eingesperrt“, so die Freundin. „Absolute Kontrolle, immer und überall.“

Als K. die Videos seiner Freundin auf Tiktok entdeckte, wo S. sich schön und lebenslustig zeigte und Anerkennung fand, sei er „ausgerastet“.

Die Kinder sind bei der Mutter des Tatverdächtigen

Am Sonntag, einen Tag vor ihrem Tod, war die kleine Familie noch zu Besuch in der nahen Gartenlaube mit Gaststätte. K. muss inzwischen gewusst haben, dass S. sich von ihm trennen – den Kindern zuliebe aber in eine nahegelegene Wohnung ziehen wollte. Das ertrug er offenbar nicht. „Für ihn war das so: Wenn er sie nicht haben kann, soll sie keiner haben“, sagt eine Bekannte.

Offenbar blieb die Tat am Pfingstmontag noch einige Zeit unentdeckt, bevor sich Marcus K. seiner Mutter anvertraute. Sie war es auch, die Jessica S. in der Wohnung fand und die Polizei alarmierte. Die Leipziger Beamten machen zu dem Fall auch zwei Wochen später keine neuen Angaben.

Die Mutter des Tatverdächtigen nahm auch die beiden Kinder des Paars in Obhut, was in sozialen Medien für Entrüstung sorgt. Nach Ansicht von Freundinnen der Verstorbenen sei dies aber eine gute Lösung. „Für die beiden ist es das Beste.“ Das Jugendamt der Stadt Leipzig erklärt: „Aufgrund der aktuell noch laufenden polizeilichen Ermittlungen können wir uns nicht zu dem Einzelfall äußern.“ Generell werde „im Sinne des Kindeswohls als erstes im familiären Umfeld geprüft, ob und wie die Kinder dort untergebracht werden können.“

Schwester sammelt Spenden für Nebenanklage und Beerdigung

Der Verdacht des Totschlags, erklärt die Staatsanwaltschaft am Dienstag, sei nicht endgültig. „Das ist keine abschließende rechtliche Würdigung“, erklärte Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz gegenüber LVZ. Im Rahmen des Verfahrens sei „eine weitere, eingehende Prüfung der Tat“ vorhergesehen. Die Anklage könne dann auch schnell anders lauten: Mord.

Über eine Gofundme-Seite sammelt Sindy S., die Schwester von Jessica, Spenden für die Beerdigung Ende des Monats und eine Nebenanklage für den zu erwartenden Gerichtsprozess gegen Marcus K.


Alexander Bischoff mopo 05.06.2024

Jessica (†30) vom Ex getötet – ihre Kinder bekommt die Familie des Killers

Leipzig – Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch den gewalttätigen Übergriff eines Mannes. Auch in Sachsen hat sich wieder ein solcher Femizid ereignet, der zwei Kindern die Mutter nahm. Die Behörden informierten zwar kurz über den Tod der Leipzigerin, halten die Hintergründe jedoch unter der Decke.

Gerade mal 13 Zeilen war es der Polizei wert, über eine in Leipzig-Paunsdorf tot aufgefundene Frau und die Festnahme eines 40-Jährigen „aus dem Umfeld“ zu informieren. Hinter der Kurzmeldung steht die tragische Geschichte der zweifachen Mutter Jessica S. (†30), die nach achtjähriger Beziehung von ihrem Ex-Partner Marcus K. ermordet wurde.

„Sie hatte sich von ihm getrennt und wollte aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen“, heißt es aus der Familie des Opfers.

Der Handwerker habe dies jedoch nicht akzeptieren wollen. „Marcus war eifersüchtig, hat Jessica auf Schritt und Tritt überwacht“, berichtete eine Angehörige gegenüber TAG24.

Am 21. Mai geschah dann das Unfassbare: Zunächst soll Marcus K. den gemeinsamen Sohn (4) und Jessicas Tochter (10) aus einer Vorbeziehung zu seiner eigenen Mutter gebracht haben. Anschließend ging er in die Vier-Raum-Wohnung zurück und tötete seine einstige Liebe.

„Er hatte ihr schon vorher einmal gesagt, wenn er sie nicht haben kann, soll sie keiner kriegen … Doch weder Jessica noch wir hätten jemals gedacht, dass dieser ruhige Mann ihr etwas antun könnte“, erzählt ein Familienmitglied.

Statt Mord: Staatsanwaltschaft ermittelt zunächst „nur“ wegen Totschlags

Nach dem Mord vertraute sich Marcus K. offenbar seiner Mutter Gabriele (60) an. Sie war es auch, die die Leiche in der Wohnung fand und die Polizei alarmierte. „Das tut mir so leid, könnte ich doch nur alles rückgängig machen …“, sagte Gabriele K. am Telefon. Zu ihrem Sohn und dessen Beziehung zu Jessica wollte sie sich nicht äußern.

Die Polizei hat Marcus K. nach dem Leichenfund festgenommen, er sitzt in U-Haft.

Merkwürdig: Obwohl Eifersucht ein Mordmerkmal (niedriger Beweggrund) ist und die Begehungsweise für ein heimtückisches Vorgehen (zweites Mordmerkmal) spricht, wird gegen den Spross einer bekannten Unternehmerfamilie nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags ermittelt. Eine Anfrage von TAG24 hierzu an die Staatsanwaltschaft blieb bis Sonntag unbeantwortet.

Was die Familie des Opfers besonders schmerzt: Die Behörden haben verfügt, dass Jessicas Kinder bei der Familie des mutmaßlichen Mörders bleiben müssen. Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht übt aktuell Gabriele K. aus.

Um dagegen juristisch ankämpfen und Jessica ein würdiges Begräbnis finanzieren zu können, hat die Familie auf dem Portal gofundme.com eine Spendenaktion gestartet. Bis Sonntag waren dort bereits 2870 Euro zusammengekommen.

Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels wurde der Tatverdächtige als Juniorchef eines bekannten Leipziger Handwerksbetriebes bezeichnet. Zwischenzeitlich meldete sich der Vater und Chef der Firma bei der Redaktion und erklärte, dass sein Sohn seit sechs Jahren nichts mehr mit der Firma zu tun habe. In einschlägigen Firmenverzeichnissen ist Marcus K. jedoch als Ansprechpartner des familiären Handwerksbetriebes aufgeführt. Auf Wunsch des Vaters hat sich die Redaktion entschlossen, die Formulierung zu ändern.