Abspann: Viele langjährige Angestellte haben den Regina-Palast verlassen – wegen der dortigen Arbeitsbedingungen
Die junge Angestellte stellt ihren Chef zur Rede. Am Vortag hatte er sie mit einem Putzlappen beworfen. Er streitet es zunächst ab, gibt es dann aber doch zu. Es sei ein Reaktionstest gewesen. Vielleicht sei sie ja betrunken im Dienst. Sie habe gestern wieder so beschissen ausgesehen. Die Angestellte rechtfertigt sich, es gehe ihr gerade nicht gut. Ihr Chef verspricht, sie in Zukunft nicht mehr mit dem Lappen zu bewerfen – »Beim nächsten Mal nehme ich ein Auffangsieb.«
Monatelang hat die ehemalige Angestellte des Regina-Palast die Handlungen und Aussagen der Chefetage immer wieder dokumentiert, weil sie es satt hatte, beleidigt und schlecht behandelt zu werden. Der Regina-Palast, das Kiez-Kino im Leipziger Osten, war für einige Angestellte ein ungemütlicher Arbeitsort, wie sie dem kreuzer berichten. Die Stimmung sei vergiftet gewesen, zahlreiche langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in den vergangenen Monaten gekündigt.
Auch die junge Angestellte von oben hat das Kino Ende 2023 verlassen – zu diesem Zeitpunkt als Dienstälteste –, nachdem es ihr zu viel wurde: »Ihnen hat wohl schon lange niemand mehr den Hintern versohlt«, habe es einmal aus der Geschäftsführung geheißen. »Vielleicht sollte ich das nächste Mal mit in die Posterschleuse kommen« ein anderes Mal – ein kleiner Raum, in dem die Filmplakate aufbewahrt werden. Immer wieder habe sie sich anzügliche Bemerkungen des Chefs anhören müssen, der mehrfach »scherzte«, sie mit in den Keller zu nehmen, wo sie niemand schreien höre.
Wiederholt sei der Chef scheinbar unabsichtlich mit Mitarbeiterinnen zusammengestoßen oder habe an der Popcorn-Maschine um sie gegriffen, berichtet die ehemalige Angestellte. Als sie sich darüber mit den Worten »Das ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz« beschwert habe, habe er geantwortet: »Ja, und das wird auch wieder vorkommen.«
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten uns zudem, sie seien während ihrer Schichten per Kamera überwacht worden. Als sich eine Angestellte – wie sie uns sagt: nach einem Schwächeanfall – einmal auf der Theke ausgeruht habe, sei sie von der Chefetage am nächsten Tag ermahnt worden, sie solle nicht auf der Theke sitzen – man habe Bilder, die beweisen, dass sie das getan hätte.
»Es gab unzählige unbezahlte Überstunden«, erzählt eine andere ehemalige Mitarbeiterin. »Es wurde einfach erwartet, dass man früher kam und länger blieb.« Aus Loyalität den Kolleginnen und Kollegen gegenüber habe man das hingenommen: »Wenn fünf Säle gleichzeitig gereinigt werden mussten, ging es gar nicht anders.« Dienste hätten teilweise von zehn Uhr morgens bis zwei Uhr nachts gedauert.
Einer der ehemaligen Mitarbeiter habe nach eigener Aussage einmal 32 Tage am Stück gearbeitet: »In der Dok-Woche hatte ich am Ende 80 Arbeitsstunden, am Ende des Monats über 300 Überstunden.« Bei Spätvorstellungen von Blockbustern mit Überlänge wie »Endgame« seien die Angestellten regelmäßig zu zweit bis morgens um sechs geblieben, um die Säle zu reinigen.
»Es wurden auch keine Erfahrungswerte gezogen. Wenn man etwas angesprochen hat, wurde nicht reagiert. So haben sich die Leute konsequent kaputtgeschuftet.« Ideen und Eigeninitiative seien von der Geschäftsführung als respektlos kritisiert worden.
»Bei ›Barbenheimer‹ ging das wieder los. (Die beiden Blockbuster »Barbie« und »Oppenheimer« liefen parallel, Anm. d. Red.) Wir haben gefragt, ob wir bei 800 Besuchern noch eine dritte Reinigungskraft dazuholen können – und wurden mehr oder weniger ausgelacht.«
Außerdem berichten die ehemaligen Angestellten, während der Pandemie seien die Maskenpflicht, Abstandsregeln und beschränkten Platz-Kapazitäten nicht eingehalten worden. Als nach dem langen Lockdown das Publikum zurück in die vollen Kinos strömte, habe es eine Mitarbeiterin vorgezogen, weiterhin mit Maske zu arbeiten – von der Geschäftsführung habe es daraufhin geheißen:
»Entweder Sie nehmen jetzt die Maske ab oder Sie können sich einen anderen Job suchen«. Der Satz sei wie andere Kritik auch vor den Gästen geäußert worden. »Es gab immer ein Team Mitarbeiter und ein Team Geschäftsführung«, beschreibt ein ehemaliger Mitarbeiter die Situation. Es sei immer kritisiert, nie motiviert worden.
Die auch daraus resultierende Solidarität unter den Angestellten sei für viele der einzige Grund gewesen zu bleiben: »Wir lieben Kino, wir lieben Filme, sonst hätte das alles nicht so lange funktioniert. Wir haben unsere Deko-Aktionen geplant, gemeinsame Aktionstage gemacht – das hat es aufgewogen, so dass man trotzdem gesagt hat: ›Ich gehe immer noch gerne hin!‹«, sagt eine ehemalige Angestellte. »Für Außenstehende sieht das dann aus, als wäre da ein Haufen Leute, die mega Bock auf Kino haben und alles dafür geben«, ergänzt ihr früherer Kollege.
In den Monaten vor ihrer Kündigung habe sie zunehmend das Gefühl gehabt, man wolle sie loswerden, erzählt eine ehemalige Angestellte. »Es kamen immer mehr Aushilfen, weiblich, unter zwanzig. Wir wurden immer mehr aus dem Dienstplan entfernt. Wir waren wahrscheinlich einfach zu erfahren, zu aufmüpfig.«
Die Geschäftsführung des Regina-Palasts war zu einer Stellungnahme zu all diesen Punkten bisher nicht bereit. Im Kino, das in den Augen der LVZ-Leserschaft zu den drei beliebtesten in Leipzig zählt, stehen heute Aushilfen hinter der Theke und am Einlass. Von den früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Haus jahrelang prägten, ist niemand mehr übrig.