Angriffe auf Kommunalpolitiker: Keine Solidarität mit der AfD?

Zerstochene Reifen, ein brennendes Auto und Schmierereien an der Hauswand – wenn Politiker und deren Familien zu Hause bedroht werden, ist die Empörung groß – nur nicht bei Marius Beyer (AfD).

Leipzig. Wenn Marius Beyer seine Eltern in Leipzig-Engelsdorf besucht, dann ist da immer noch dieser große schwarze Fleck in der Auffahrt, wo das Auto seiner Mutter brannte. Unbekannte hatten es mitten in der Nacht angezündet. Als die Feuerwehr die Flammen gelöscht hatte, war nur noch die Karosserie übrig. Schmieriger Ruß fraß sich in die Pflastersteine. Er lässt sich nicht so einfach entfernen wie das Graffiti an der Garagenwand. „Nazischwein. Wir kommen wieder“ stand da. Bis der Maler kam. Eine Warnung an Beyer, Leipziger Stadtrat, Landtagskandidat und AfD-Mitglied.

Wenn Politiker und deren Familien zu Hause bedroht oder angegriffen werden, dann ist die Betroffenheit groß: Am 18. Februar brannte in Waltershausen der Briefkasten des SPD-Ortsvorsteher Michael Müller. Die Fassade seines Wohnhauses fing Feuer. Der Innenminister von Thüringen meldete sich zu Wort, der Ministerpräsident, Bundespolitiker. Journalisten schrieben Reportagen.

Stadtrat: „Die AfD ist keine Partei wie jede andere“

Das brennende Auto in Leipzig-Engelsdorf ein paar Tage später, das „Nazi-Schwein“ war nicht mehr als eine Meldung wert. Der CDU-Landtagsabgeordnete Roland Pohle veröffentlichte ein kurzes Statement. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung reagierte erst, als ihn die AfD im Stadtrat mit dem Anschlag konfrontierte: Er verurteile jede Form von Gewalt gegen Menschen und Sachen, sagte Jung. „Das darf kein Stil der politischen Auseinandersetzung sein.“ Dann ging der Oberbürgermeister zur Tagesordnung über. Wenn man sich umhört in den anderen Stadtratsfraktionen, hält sich die Betroffenheit in Grenzen: „Die AfD ist keine Partei wie jede andere“, sagt einer.

Es stimmt ja auch: Der Verfassungsschutz stuft den sächsischen Landesverband als rechtsextrem ein. Die Partei heizt die Stimmung an, gefällt sich nur allzu gern in der Opfer-Rolle. Büros und Politiker der AfD werden seltener zum Ziel, als es bei anderen Parteien der Fall ist. Aber wenn einer so massiv angegriffen wird wie Marius Beyer, hat er es dann nicht verdient, dass die Gesellschaft verurteilt, was ihm geschieht?

Der Jadebogen in Leipzig-Engelsdorf ist eine typische Reihenhaussiedlung: Gestutzte Hecken, gepflegte Vorgärten, Blumengestecke vor der Tür. Beyer wohnt nicht mehr hier, aber er ist in einem der Häuschen groß geworden. Seitdem die Adresse vor vier Jahren auf der linksextremen Seite Indymedia auftauchte, landete ein Brandsatz im BMW der Mutter, Autoreifen wurden zerstochen, die Garage beschmiert.

In Leipzig ist Beyer in gewisser Weise das, was grüne Kommunalpolitiker in den AfD-Hochburgen auf dem sächsischen Land sind: Anders als die politische Mehrheit und so besonders exponiert. Im Februar 2023 wird er in einer Shisha-Bar erkannt und verprügelt. Zuvor soll ihn jemand als „Nazi“ beschimpft haben. „Ich lasse mich davon nicht einschüchtern“, sagt der 24-Jährige. Und trotzdem haben die Angriffe Spuren hinterlassen: Er ist abends selten allein unterwegs, sein früherer Partner litt unter der Bedrohung – und dann sind da noch die Eltern. Sie mache sich Sorgen um ihren Sohn, sagt die Mutter von Beyer. Ihre Stimme bricht.

Beyer gehört in der AfD zu den Scharfmachern

Wegen der Angriffe gab es vier Ermittlungsverfahren. Zwei wurden eingestellt, weil kein Täter ermittelt werden konnte, heißt es bei der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Wenn man Beyer fragt, warum er so im Fokus steht, dann sagt er: „Ich bin jung und als Vertreter meiner Partei sehr engagiert und sichtbar“. Beyer zählt auf: Er unterstützt zwei Bürgervereine im Leipziger Osten, hat sich für die Erneuerung des Rastplatzes im Engelsdorfer Wäldchen eingesetzt und Geld für zwei Entenhäuser gespendet.

Aber das ist natürlich nicht alles. Beyer organisiert seit Jahren Demonstrationen. Gegen die Corona-Maßnahmen, gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Stötteritz und Paunsdorf. Er fordert einen Aufnahmestopp für Migranten in Leipzig und findet: Vergünstigungen für Einkommensschwache führten zu „massenhafter Armutsmigration“. In der AfD gehört Beyer zu den Scharfmachern: Beim Parteitag der AfD Mitte März kandidierte er für Platz 43 auf der Landesliste. „Unser Land ist befallen vom Kopf bis in die Zehen“, sagte er auf der Bühne. „Linksgrün versiffte Vereine“, „Kommunal- und Landesfürsten“, „der Blockparteienfilz“ – das seien die „Krankmacher unserer Gesellschaft“. Am 1. September werde man die „Bolschewoken“ aus dem Landtag „schmeißen“.

Wie geht man also um mit einem wie Marius Beyer, der Opfer eines Brandanschlags wird und selbst sprachlich zündelt? Johannes Hillje ist Politikberater und AfD-Experte. Dass es eine Gewaltaffinität in der Partei gibt, steht für ihn außer Frage. Trotzdem sagt Hillje: „Wenn Politiker der AfD derart massiv angegriffen werden, sollten selbstbewusste Demokraten offen Solidarität zeigen.“ Wer da Unterschiede mache, nähre die Opfer-Erzählung der AfD. Folgt man der Argumentation von Johannes Hillje, dann gilt es klarzumachen: „Gewalt ist mit unseren Werten nicht vereinbar, egal wen sie trifft.“

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