Platz für 660 Menschen: Leipzigs größte Geflüchtetenunterkunft soll im Osten entstehen

In Schönefeld-Abtnaundorf will die Stadt Leipzig eine neue Unterkunft für Geflüchtete bauen. Mit 660 Plätzen wäre die Immobilie in der Rackwitzer Straße die größte ihrer Art in der Messestadt.

Im Osten der Messestadt soll eine neue Geflüchtetenunterkunft entstehen. Wie die Stadt Leipzig am Mittwoch mitteilte, möchte sie in der Rackwitzer Straße ein Gebäude mit Platz für rund 660 Personen errichten. Damit wäre die Gemeinschaftsunterkunft die größte in Leipzig. Der Neubau soll bis Anfang 2026 bezugsfertig sein. Den Vorschlag von Bürgermeisterin Martina Münch hat Oberbürgermeister Burkhard Jung (beide SPD) in seiner Dienstberatung bestätigt.

Das noch unbebaute Grundstück in der Rackwitzer Straße 38–42 umfasst etwa 6000 Quadratmeter. Es befindet sich unweit des Mariannenparks – konkret zwischen der 100 Jahre alten Arbeiterwohnsiedlung Fliederhof im Süden sowie einem Gewerbegebiet im Norden, das bis zur Berliner Brücke reicht. Das Gelände wird zurzeit durch einen Zaun abgeschirmt. An diesem weisen Plakate darauf hin, dass das Leipziger Unternehmen CE-Projekt für dieses Areal Baupläne hegt. Auch eine Art Informations-Terminal des Bauprojektentwicklers war dort unlängst noch zu sehen.

Rackwitzer Straße: Schnelles Bauen mit Holz

Bislang sollten auf dem Areal eigentlich 266 Studentenapartments entstehen. Ein Entwurf vom Leipziger Architekten Martin Faßauer dazu findet sich noch im Internet, ist aber wohl nicht mehr aktuell. Faßauer sagte der LVZ, der bisherige Eigentümer der Fläche habe das Grundstück veräußert. Ein neuer Besitzer erstelle dafür nun eigene Baupläne. Bei dem neuen Eigentümer handelt es sich offenbar um eine Gesellschaft, die der Firma CE-Projekt zugeordnet werden kann. Der Entwickler mit Sitz in der Zimmerstraße wollte sich am Mittwoch auf LVZ-Anfrage aber nicht zu dem Vorgang äußern, verwies für alle Auskünfte auf die Stadt Leipzig.

Auf einer Internetseite der CE-Projekt wird das Areal in der Rackwitzer Straße 38–42 jedoch noch für Kaufinteressenten schmackhaft gemacht. Dort steht, es solle an der Stelle bald ein „nachhaltig gebautes Refugium für bis zu 650 Menschen“ entstehen. Das künftige Gebäude biete Platz für 244 Mikroapartments mit mehr als 7300 Quadratmetern Wohnfläche. „Die grüne Lunge des Gebäudes befindet sich auf der Dachfläche“, heißt es weiter. Sie werde mit Photovoltaikanlagen ausgestattet und begrünt. „Die Zusammenarbeit mit dem Modulbauhersteller Modus ermöglicht eine sehr kurze Baulaufzeit von unter 16 Monaten.“ Die Raumgrößen seien flexibel gestaltbar. Angestrebt sei eine Holzmodulbauweise. Die Zimmer würden komplett möbliert. Die Planung erfolge so, dass sich der Neubau später auch für andere Zwecke nutzen lasse.

Sechs Geschosse und soziale Betreuung

Alle diese Details stimmen weitgehend überein mit den Informationen, welche die Stadt am Mittwoch mitgeteilt hat. Demnach baut der aktuelle Eigentümer vor Ort ein sechsgeschossiges Wohnhaus für etwa 660 Personen. Die Fertigstellung sei für das erste Quartal 2026 vorgesehen. Die Stadt kaufe das Grundstück von rund 6000 Quadratmetern, weil es für „eine dauerhafte Unterbringung von Geflüchteten und für die Erfüllung der Pflichtaufgaben dringend notwendig“ sei. Zum vereinbarten Kaufpreis äußerte sich die Kommune nicht.

Alle Wohneinheiten bekommen eine eigene Küche und einen Sanitärbereich, um eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. „Darüber hinaus sind ausreichend Gemeinschaftsräume sowie Räume für die soziale Betreuung vorgesehen“, teilte die Stadt weiterhin mit. „Durch die effiziente Bauweise und die Verwendung von ausschließlich nachhaltigen Rohstoffen wird bei der Modulbauweise standardgemäß das Niveau der aktuellen KfW-Klasse 40 erreicht. Die einzelnen Wohnmodule werden ausschließlich aus ökologischen Materialien wie Holz und Holzwerkstoffe produziert.“ Die Bewirtschaftung, die soziale Betreuung und der Sicherheitsdienst sollen von der Kommune extern vergeben werden. Die Kontaktdaten zur Unterkunft würden auf www.leipzig.de/gefluechtete kurz vor der Inbetriebnahme veröffentlicht.

Die bisher größte Unterkunft steht ebenfalls im Leipziger Osten. In einem Haus in der Torgauer Straße leben bis zu 500 Menschen. Im Laufe des vergangenen Jahres kamen 2100 Personen neu in Leipzig an, die Anspruch auf Unterstützung geltend machen konnten. Die meisten kamen aus Syrien. Dort herrscht seit nunmehr 13 Jahren Krieg, in den vergangenen Monaten haben die Kampfhandlungen laut UN wieder zugenommen.

Außerdem kamen 2023 in Leipzig noch mehr als 800 Schutzsuchende aus der Ukraine an. Unterbringungen gibt es in fast allen Stadtteilen, deren Größe unterscheidet sich mitunter stark. Insgesamt lebten in der Messestadt Ende 2023 mehr als 6000 schutzsuchende Personen.

Noch für 2024 ist die Inbetriebnahme von vier Gemeinschaftsunterkünften geplant. Ihre Kapazität liegt zwischen 30 und knapp 100 Personen. Leipzig benötigt nach Aussage der Stadtverwaltung dringend neue Plätze für Geflüchtete, denn in den vergangenen Jahren sind vermehrt Menschen auf der Suche nach Schutz und einer besseren Zukunftsperspektive nach Leipzig gekommen. Häufig kamen sie in Notunterkünften unter, oft in Zeltstädten am Stadtrand, wie etwa in der Hohentichelnstraße in Paunsdorf. Diese Notunterkunft soll noch dieses Jahr um 300 Plätze erweitert werden.

Der Stadtrat soll über den Grundstückskauf in der Rackwitzer Straße voraussichtlich im Mai abschließend entscheiden.


Andreas Bayer 30.12.2023

Kaum noch freie Flächen für Notunterkünfte in Leipzig

Ein Jahr voller Diskussionen über Flüchtlingspolitik und überlastete Kommunen: Auch die Stadt Leipzig stößt bei der Unterbringung an Grenzen. Ortsbesuch in der Notunterkunft Hohentichelnstraße.

Eine rund zwei Fußballfelder große Schotterfläche im Osten von Leipzig. Hier stehen seit kurzem 16 große Zelte und dutzende Container dicht an dicht. Seit Dezember werden die großen Wohnzelte allmählich von Asylbewerbern bezogen, etwa 600 Menschen können hier ein provisorisches Dach über dem Kopf bekommen – wenn auch nur ein Zeltdach. Überwiegend aus Syrien, Venezuela, Irak und Iran werden die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in Paunsdorf stammen.

Allein für das Jahr 2023 werden der Stadt Leipzig durch den Freistaat rund 3100 Asylbewerberinnen und -bewerber zugewiesen. Weil die vorhandenen Kapazitäten dafür längst nicht ausreichen, müssen rund 1700 von ihnen ihr erstes Obdach in einem der Provisorien finden, die gerade im Winter kein angenehmes Umfeld darstellen. Zudem erschwert die Isolation auch das Ankommen in der Fremde.

Möglichst kein zweiter Winter in Notunterkunft

„Der Wohnungsmarkt in Leipzig gibt es aktuell nicht mehr her, alle Geflüchteten in bestehenden Gebäuden unterzubringen“, sagt ­Martina Münch, Sozialbürgermeisterin der Stadt. „Wir versuchen natürlich alles, damit möglichst niemand einen zweiten Winter in der Einrichtung verbringen muss.“ Vor allem Familien mit Kindern hätten oberste Priorität.

Im Schnitt hat nach einem Jahr aber nur knapp die Hälfte einen Platz außerhalb der Erstaufnahme gefunden. Lediglich die aus der Ukraine Geflüchteten finden zum Großteil schnell eine private Unterkunft.

Von der neuen Einrichtung in der Hohentichelnstraße, an der Grenze zwischen den Stadtteilen Paunsdorf und Heiterblick, ist es knapp einen Kilometer bis zur nächsten Straßenbahn-Haltestelle. Unterwegs streift der Blick nur weniges, auf der einen Seite den Kleingartenverein Ostende sowie den Friedhof, gegenüber Feld, Wiese und ein Schrotthandel. Eine triste Umgebung, die den Charakter der Notlösung noch unterstreicht. Sobald die Geflüchteten einen Aufenthaltsstatus besitzen, können sie sich selbst auf die Suche nach einer Wohnung machen, so die Sozialbürgermeisterin.

Bürokratische Hürden und Diskriminierung

Doch das ist alles andere als einfach, wie auch die Kontaktstelle Wohnen auf Nachfrage bestätigt. Das gemeinnützige Projekt setzt sich seit 2016 dafür ein, dass Geflüchtete selbstbestimmt und dezentral wohnen können, in der Stadt ebenso wie inzwischen auch in den Land­kreisen Leipzig und Nordsachsen. Im Jahr 2023 konnten durch Unterstützung des Vereins knapp 550 Personen in Mietwohnungen vermittelt werden.

Bürokratische Hürden und immer wieder auch Diskriminierung erschweren die Arbeit. Zudem wurde im November kurzfristig die sächsische Förderrichtlinie für integrative Maßnahmen geändert, weshalb bereits fest eingeplante Mittel für 2024 wegzubrechen drohen.

Anwohnern und Nachbar nicht „vor den Kopf stoßen“

Auch selbstgemachte Fehler der Stadtverwaltung erschweren die Integration, wie Proteste an den Erstaufnahmen in Lindenthal, ­Stötteritz, Böhlitz-Ehrenberg und auch Paunsdorf in diesem Jahr gezeigt haben. „Es ist wichtig, dass frühzeitig die Kommunikation mit den Menschen aus dem Stadtteil geführt wird, sonst fühlen sich die Ansässigen vor den Kopf gestoßen“, appelliert eine Besucherin beim Tag der offenen Tür an Martina Münch. Als Mitglied des Vereins Querbeet bemüht sie sich, die Neuankömmlinge etwa mithilfe von Mitmachgärten besser zu integrieren.

„Bis zum Jahresende kommen wir damit klar. Nächstes Jahr fangen wir von vorne an“, sagt der Stadtsprecher Mathias Hasberg mit Blick auf die Kapazität der neuen Einrichtung. Doch dann dürfte die Stadt an ihre Grenzen kommen. Es gebe kaum noch freie Flächen, auf denen selbst die Notunterkünfte errichtet werden können.