Zur leidigen Frage der Gewalt

Es fällt schwer diesen Text zu veröffentlichten. Er ist ein entstanden trotz monatelangem Hadern, da einem das Gefühl nicht verlässt doch falsch zu liegen mit dem Gesagtem und eigentlich selbst nichts Gescheites zur Sache beitragen zu können. Die größte Angst ist, den Rechten in die Hände zu spielen und unser einziges wirksames Mittel gegen den aufkommenden Faschismus aufzugeben. Auf Grund der Freiheit der Kritik, welche eine der Grundsätze der autonomen Szene ist, wird der Text nun doch veröffentlicht. Aber gleich vorweg: Der Text soll keine Distanzierung da stellen, sondern den Genoss*innen Respekt zollen die so selbstaufopferungsvoll die Faschist*innen bekämpfen. Es soll also gerade nicht wieder ein Artikel sein, der von oben herab erklärt, was man doch hätte alles besser machen können,[1] sondern einen konkreten und zentralen Punkt diskutieren. Der Text soll eine längst überfällige Debatte um Gewalt in unserer Szene anstoßen. Es wurde in einigen Texten nach Tag X in Leipzig schon benannt, dass Gewalt in einigen Punkten für uns nicht mehr moralisch vertretbar ist. Es soll damit auch an die zahllosen Rechtfertigungstexte angeschlossen werden, die nach dem Prozess entstanden sind.[2] Um nicht ganz von vorne anzufangen, wird hier einfach mit den Begriffen und Annahmen aus dem Artikel „Kleiner, kritischer Beitrag“ weitergearbeitet. Also den Grundannahmen, dass Kommandoaktionen/klandestine Aktionen gegen Infrastruktur von Faschos richtig ist, genauso wie handfeste Auseinandersetzungen am Rande von Demonstrationen um uns zu schützen und die Handlungsräume der Nazis einzuengen.[3]

Der Text knüpft auch an die Diskussion des Sammelbandes „Gewalt und Moral“ von Hendrick Wallat an. Wir müssen uns ernsthaft fragen, welche Teile unserer Theorie an der missglückten Befreiung in der UdSSR oder dem Scheitern der Revolution in Spanien eine Rolle gespielt haben. Beide Revolutionen wurden von ihren Kritiker*innen als ausgesprochen gewalttätig bezeichnet und haben dadurch die Sympathien vieler Menschen verloren. So kam es auch im anarchistischen Spanien zu willkürlichen Erschießungen (vermeintlicher) politischer Gegner*innen.[4] Es geht darum die theoretischen Grundlagen, welche zur Gewaltproblematik in der sozialistischen, aber auch der anarchistischen Bewegung geführt haben zu beleuchten und diese nicht nur als Produkt der aufgezwungenen Geschichte abzutun. Die emanzipatorischen und humanistischen Prinzipien radikale Herrschaftskritik dürfen in der Praxis nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden.[5] Gewalt ist also nicht nur auf Grundlage von Empathie Grenzen zu setzen, sondern auch um die Durchsetzung unserer Ziele zu gewährleisten. Es erscheint daher als wichtig einen klaren moralischen Standpunkt zu entwickeln, der die Gewalt eingrenzt und daher auch begründet in welchem Maße sie gerechtfertigt ist. Natürlich können sich hier einige Alt-Autonome verächtlich lachend abwenden und „nicht noch eine Gewalt-Debatte“ murmeln. Warum wir immer unbedeutender und weniger werden, liegt dann natürlich je nach Belieben an der Übermacht des Staates, der Bösartigkeit des (deutschen) Individuums oder der Niedertracht der Kapitalistenklasse und ihrer Presse, aber natürlich niemals an unseren Taktiken und Außenwirkung.

Im Aufsatz „Polizeisoldat des Himmels“ wird die linke Moral als Ursache für das Gewaltproblem ausgemacht. Während in der bürgerlichen Gesinnungsmoral, nach der Theorie des Christentums und Kant, das Menschenleben als unverletzbar gilt, gibt es in der linken Verantwortungsethik keine oberste Moral außer die Errichtung der Utopie. Linke Verantwortungsethik ist aus der Kritik an der Gesinnungsethik entstanden, da doch in der bürgerlichen Gesellschaft jeder Mensch als wertlos gilt und durch Hunger sterben oder sich in Fabriken totschuften darf. Die Unverletzbarkeit des Menschenlebens ist im Kapitalismus also nur eine Farce. Die Nichtigkeit des Individuums aufgrund historischer Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, ergibt aber nur weitere Menschenverachtung, wie die willkürliche Unterwerfung des Einzelnen unter das Kollektiv. Es brauch also eine Ethik, in der nicht der Zweck die Mittel heiligt und dadurch Massenerschießungen, Folter und Gulags gerechtfertigt werden. Genauso wenig eignet sich eine Ethik in der die Mittel nur dem Zweck heiligen, weil ansonsten jede notwendige Grenzverletzung zur Überwindung der barbarischen Zustände delegitimiert wird, sei es (ganz im kantschen Sinne) der Diebstahl aus Hunger oder die bewaffnete Befreiung von Konzentrationslagern. [6]

Um der kritisierten Moral also etwas entgegenzusetzen, soll hier versucht werden eine eigene Moral zu skizieren. Vergegenwärtigen wir uns also einfach unser Ziel. In unserer Utopie soll jeder Mensch so leben können, wie er will. Unsere obersten Ziele sind Gleichheit (und damit inbegriffen Gleichberechtigung und Gerechtigkeit) und Freiheit des Einzelnen (und damit inbegriffen Emanzipation). Das Menschenleben mit all seinen Freiheiten ist damit unser oberstes Maxim und gilt als unverletzbar, weder durch Strafe noch durch Lohnarbeit. Wir lehnen daher Ausbeutung, Diskriminierung und Herrschaft ab. Das Ziel linker Politik ist damit gegeben, sich soweit es geht an unseren Prinzipien zu orientieren und sofern es möglich ist, Menschenverachtung, sei es durch Herrschaft oder Ausbeutung nicht zu reproduzieren. Wir glauben aber auch, dass es notwendig ist Menschenleben zu opfern, wenn dadurch mehrere gerettet werden können, daher lehnen wir auch gewaltsamen Antifaschismus und gewalttätige Revolutionen nicht ab.

Der Text soll dazu ermutigen sich in konkreten moralischen Handlungsfragen wieder an dem Konzept der „Gegengewalt“ der deutschen Autonomen zu orientieren und dieses um das Konzept der Menschenrechte zu erweitern. Deutsche Autonome haben sich mit ihrem Gewaltverständnis bewusst von der avantgardistischen und menschenverachtenden Gewalt der RAF distanziert (und trotzdem die Repression und die Gewalt des Staates kritisiert. Grüße gehen hier raus an alle die Knäste sprengen!) Linke Gewalt muss somit immer unter der Gewalt liegen, die diese bekämpft und die Tötung eines Menschenlebens muss nur als letzte Möglichkeit betrachtet werden, beispielsweise in kollektiven Kampfsituationen wie antifaschistischen oder anti-kolonialistischen Kriegen. Wir wissen genau, dass die Tötung eines Managers einer Waffenfabrik oder einer Bank, zwar moralisch verständlich ist, aber in der Praxis keine Auswirkungen besitzt, bis auf negative Außenwirkung, da nur die nächste Charaktermaske ihren Platz einnehmen wird. Gewalt sollte daher nicht als Strafe eingesetzt werden, sondern nur gegen Menschen die Gewalt ausüben damit diese ihre Gewalt beenden. Von daher können auch klandestine Aktionen gegen einzelne Faschisten durchaus Sinn ergeben. Es ist nur die Frage inwieweit nicht eine Solidaritätskampagne zugunsten der „Opfer“ eintritt, wie so oft bei Angriffen auf Einzelpersonen[7] oder inwiefern ideologisch-gefestigte Kader sich wirklich einschüchtern lassen. Eine Schlägerei mit einer rechten Kameradschaft die gerade öffentliche Raumeinnahme versucht, hat da doch eine ganz andere Außenwirkung und Einschüchterungsfaktor, da sie wissen, dass sie selbst als Gruppe, also wenn sie sich stark fühlen, aufpassen müssen.[8]

 

Zur Praxis

Um der Kritik etwas entgegenzusetzen, dass das ja nur alles leeres Gewäsch ist, sollen hier drei aktuelle Problemfelder angeschnitten werden, in denen linke Gewalt anhand unserer Moralprinzipien und Zielsetzungen diskutiert werden müssen. Wie bereits gesagt, sollte die Freiheit des Individuums unser höchstes Ziel sein. Das heißt, dass sich auch heute jeder auf dem Acker prügeln, Pillen schmeißen oder einer asketischen Sekte hingeben kann. Es widerspricht daher unseren emanzipatorischen-freiheitlichen Prinzipen Gruppen, wie Kirchen, Moscheen, Burschenschaften und Traditionsvereine anzugreifen, wenn diese nur in einer Selbstkasteiung oder anderer Formen unsinniger Selbstdisziplinierung leben. Wenn aber solche Gruppen anfangen Menschen anzugreifen oder darauf hinarbeiten, müssen wir dagegen vorgehen. Dabei sind genau die gleichen Mittel gerechtfertigt, die sie auch ausüben oder propagieren. Es stellt sich dabei aber auch immer die Frage um den Sinn von Gewalt und damit auch wie diese wahrgenommen wird. So kam es in Leipzig am 13.12.2021 auf einen Angriff auf eine DITIB-Moschee (und es wurden auch Autos von Anwohner*Innen angegriffen). Die Aktion hat dazu geführt, dass Pöbelleien und körperliche Angriffe auf Spontis auch rund 2 Jahre später noch stattfinden durch (post-)migrantische Personen. Religiöse und selbst extremst politische und fundamentalistische Gotteshäuser anzugreifen, bringt also oftmals nur Ablehnung der Anhänger*innen und deren Umfeld mit sich, da mit religiösen Gebäuden oft auch die Religion an sich und die Freiheit dazu identifiziert wird. Gegen Religion hilft somit nur Aufklärung und Wohlstand, Repression dagegen führt eher zu deren erstarken.

Auch Angriffe auf Pegida-Opas, wie sie in den letzten Jahren vorkamen, widersprechen unseren Prinzipien und bringen unsere Sache nicht voran. Die Vielschichtigkeit der Realität und Intentionen der Menschen muss auch hierbei bedacht werden. Migrationskritiker*innen betonen in ihren Intentionen oftmals die Gewalt gegen Frauen durch Migrant*innen oder die Gewalt in den Brennpunkten und wollen dagegen aktiv werden. Ja, oft sprechen und denken sie rassistisch. Und ja oft sind (gewaltbereite) Neonazis unter den Protesten, welche diese radikalisieren wollen. Diese Personen können und sollten wir angreifen. Alle anderen sind schlichtweg keine Faschist*innen. Das Problem ist eher, dass Integrationsprobleme, wie islamistische Abschottung oder Gewaltproblematiken, von uns nicht angegangen werden. Wir erklären nicht, dass Ghettos und reaktionäre Ideologien aus Sozialisierungen und aussichtlosen Lagen resultieren, welche durch Arbeitsbedingungen, fehlende Integration, diskriminierende Polizist*innen, kaputtgesparte Bildungssysteme, beschissenen Wohnungsbedingungen und viele anderen Punkten entstehen. Unser Ziel muss daher sein, linke Lösungen für diese Probleme anzubieten und die Ursachen klar zu benennen, anstatt auf alle einzuprügeln, welche den rechten Rattenfängern und eigenen Ressentiments auf den Leim gehen.

Tja was ist mit Angriffen auf hochrangige Neo-Nazi Funktionäre? Es gibt bei der Frage viele Wenn und Aber. Erst aber einmal, viel Liebe und Kraft an alle inhaftierten und untergetauchten Genoss*innen. Jede Person, die in Orten leben musste mit einer rechten Hegemonie, sprich mit einer ständigen Bedrohungslage, weiß, dass ihr das richtige getan habt. Es geht also hierbei nicht um eine Verurteilung von oben herab, sondern um eine solidarische Kritik von gleichberechtigten Genoss*innen untereinander, um gemeinsam zu diskutieren wie eine erfolgreiche antifaschistische Praxis aussehen kann. Es kam bei einigen Aktionen zu Folter, also dem Festhalten von Menschen und dabei einem kontrollierten Zufügen von Schmerzen, welche grundsätzlich abzulehnen ist. Als Anarchist*innen und Antiautoritäre sind wir gegen jede Form der Strafe, aufgrund unserer Achtung des Individuums und weil wir Strafe als unsinnig ansehen. Wir sollten uns also auch auf den Boden der Menschenrechte stellen. Wir dürfen in unserer Praxis nicht hinter die Systeme zurückfallen, die wir kritisieren. Wo ist sonst die Grenze gesetzt? Wer darf festgehalten werden und wem die Sprunggelenke zerschlagen werden? Auch unsere Geschichte hat gezeigt, dass solche Grenzen gezogen werden müssen, da linke Gewalt ansonsten willkürlich wird wie in der UdSSR.

Es geht dabei auch um die Bilder, welche produziert werden. Überfallende Faschist*innen können sich als Opfer inszenieren und viele Menschen wenden sich aufgrund des Gewaltgrades von uns ab. Ein Faschist, der eine Opferrolle einnimmt, ist gefährlicher als ein toter Faschist. Wir wissen sowieso, dass wir andere Taktiken als Gewalt brauchen, um den Kapitalismus und Faschismus zu überwinden.[9]  Wir sollten also nicht immer versuchen die krassesten Aktionen zu machen oder das Handeln unser Genoss*innen ständig zu rechtfertigen, sondern solidarische Kritik üben um eine Diskussion über sinnvolles revolutionäres Handeln vorantreiben. Der Text soll aber kein Gewaltverzicht beschwören, sondern im Gegenteil zu mehr Gewalt gegen Faschist*innen aufrufen. Wir sollten mehr trainieren damit wir Nazis wirklich angreifen können. Faschos müssen genau die gleiche Angst spüren, wie wir, wenn sie uns sehen. Wir sollten auch weiterhin Räume der Rechten angreifen und unser Wissen dazu weitervermitteln. Wir sollten uns nur nicht mehr dazu hinreißen lassen gefesselte Menschen gezielt Knochen zu brechen

Kraft für alle Genoss*innen in der Haft!

Glück für alle im Untergrund!

Durchhaltevermögen für alle die revolutionäre und antifaschistische Aufbauarbeit leisten!

 

[1] Eine Antwort auf „Zu Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen“ aus dem AIB, 7. Februar 2024, unter: https://knack.news/8411

[2] Einige Gedanken zu Status quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung, 15. August 2023, unter: https://knack.news/6532

[3] Kleiner, kritischer Beitrag zum Text „Einige Gedanken zu Status quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung“, 25. August 2023, unter: https://knack.news/6592

[4] Walther L. Bernecker (Hg.): „Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936–2006“, Münster 2006, S. 104-105.

[5] Hendrik Wallat (Hg.): „Gewalt und Moral. Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung“, Münster 2014, S. 13-16.

[6] Sebastian Tränkle: „Polizeisoldat des Himmels“, in: „Gewalt und Moral“, S. 51-54.

[7] Siehe bspw. die Ausrufung der Münchener Räterepublik als Ergebnis vom Attentat auf Kurt Eisener 1919 oder das Abflauen der italienischen Autonomen Bewegung nach dem Attentat auf Aldo Moro 1978.

[8] III. Weg Training interveniert in Leipzig, 21. Oktober 2023, unter: https://knack.news/7016

[9] Einige Gedanken zu Status quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung, 15. August 2023, unter: https://knack.news/6532