Zeugen schildern Angriff auf Kulturzentrum in Leipzig: „Wir lassen uns nicht einschüchtern“

Nach dem Angriff auf das Kulturzentrum „Anker“ bleibt das Motiv unklar. Die Geschäftsführerin gibt sich kämpferisch. Wie sie und ein Landtagsabgeordneter den Angriff erlebten.

„Die Täter haben in Kauf genommen, Anwesende übel zu verletzen“, sagt Heike Engel. Die Geschäftsführerin des „Ankers“ in Möckern war noch im Dienst, als Unbekannte am Freitag gegen 23.45 Uhr mehrere Pflastersteine gegen die Scheiben des Kulturzentrums warfen. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich im Gebäude des „Ankers“ noch insgesamt fünf Personen: Heike Engel, zwei ihrer Mitarbeiter – sowie der Leipziger Landtagsabgeordnete Wolf-Dietrich Rost und seine Frau.

Das Glas der getroffenen Tür und der Fenster splitterte, zersprang aber nicht. Die Scheiben bestehen aus widerstandsfähigem Sicherheitsglas. „Das konnten die Angreifer aber nicht wissen“, sagt Engel. „Sie konnten auch nicht wissen, ob sich im Raum hinter der Scheibe Menschen befinden.“ Die Jalousien seien heruntergelassen gewesen, die Täter hätten den Raum vor dem Angriff unmöglich einsehen können – und hätten somit in Kauf genommen, dass Anwesende vom Glasscherben getroffen werden. Doch alle Anwesenden befanden sich zur Tatzeit in einem anderen Teil des Gebäudes, keiner von ihnen kam zu Schaden.

Zum Tatzeitpunkt war auch ein Abgeordneter im „Anker“

Der CDU-Politiker Wolf-Dietrich Rost und seine Frau waren die letzten Gäste, die am Freitagabend den „Anker“ verließen. Der CDU-Ortsverband Leipzig Nord hatte zum Neujahrsempfang geladen, etwa 70 Gäste kamen, sie feierten in der Kneipe des Kulturzentrums. Nach dem Ende des Empfangs, die Mitarbeiter verstauten gerade Gläser und Teller, hörte Heike Engel plötzlich fünf dumpfe Schläge. So berichtet sie es der LVZ am Montag.

„Mein Kollege ging sofort nachschauen und gab uns Bescheid, dass jemand Steine gegen die Glastür und die Fenster der anderen Gebäudehälfte geworfen hatte“, sagt Engel. Sie fand die faustgroßen Pflastersteine vor dem Eingang des Kulturzentrums. Während Engel mit dem Landtagsabgeordneten Rost die Schäden inspizierte, lief ihr Kollege die umliegenden Straßen ab. Doch der oder die Täter waren verschwunden.

Motiv der Tat noch unklar – Chefin spricht von „Anschlag“

Die Mitarbeiter des „Ankers“ riefen die Polizei. Die Beamten kamen laut Engel und Rost allerdings erst mehr als eine Stunde nach dem Steinwurf. Die Pressestelle der Polizei konnte sich auf LVZ-Anfrage am Montag nicht zur Ankunftszeit äußern. Fest steht: Auch die Polizisten konnten im Umkreis keine Tatverdächtigen finden. Und so ist das Motiv der Tat bis jetzt noch vollkommen unklar – die Polizei schließt ein politisches Motiv nicht aus. Wollten die Täter das soziokulturelle Zentrum treffen, das auch Konzerte gegen rechts ausrichtet? Geschäftsführerin Engel vermutet zwar: „Das war ein bewusster Anschlag.“ Doch sie sagt auch, bisher habe sie noch keine rechten Anfeindungen erlebt.

Im September 2021 ermittelte die Polizei schon einmal erfolglos wegen eines Steinwurfes gegen die Fassade des „Ankers“. Damals entstand ein Sachschaden von 800 Euro. Engel berichtet von einem kleinen Schaden, hält die Tat von damals für einen Jugendstreich. Schließlich hätte dabei niemand zu Schaden kommen können.

Auch der Abgeordnete Rost spricht davon, dass mit der Tat am Freitag mit dem Anker „eine ganz tolle Kultureinrichtung mit Gewalt bedroht wurde“. Er glaubt derweil nicht, dass sich der Angriff gegen den Neujahrsempfang der CDU richtete. Schließlich war der Termin nur geladenen Gästen mitgeteilt worden. Engel hoffe nun auf die Ermittlungen der Polizei – und darauf, dass Anwohner diese mit Hinweisen unterstützen. „Für mich und meine Mitarbeiter ist es total wichtig, das Motiv zu erfahren“, sagt sie.

„Wir lassen uns nicht einschüchtern“

Während die Polizei die Ermittlungen aufgenommen hat, geht es im „Anker“ weiter, als wäre nichts gewesen – zumindest fast. Als am Samstag die Leipziger Band Stilbruch in dem Kulturzentrum auftrat, sei die Stimmung unter den Mitarbeitern gedrückt gewesen. „Aber wir haben uns darauf geeinigt: Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Geschäftsführerin Engel. „Das würde die Täter nur freuen.“

Die Kosten für den Austausch der Scheiben, die die Polizei auf 15.000 Euro schätzt, trägt die Stadt Leipzig. Ihr gehört das Gebäude. So treibt die Attacke den Verein hinter dem Kulturzentrum nicht in den finanziellen Ruin. Dennoch hätten viele Freunde und Partner Hilfe angeboten, sagt Engel. „Wir sind sehr beeindruckt, wie viele Menschen auch in schwierigen Situationen hinter uns stehen.“