„Wir laufen nicht mit Antisemiten“: Israel-Feinde als Teil eines Linken-Bündnisses?

Ein linkes Bündnis wollte am Wochenende in Eisenach gegen die dort drohende „rechte Hegemonie“ protestieren. Doch es sieht sich gezwungen, die Demonstration abzusagen – wegen Antisemitismus bei angeblichen Verbündeten.

Eisenach ist eine Kleinstadt im Westen Thüringens. Bekannt ist sie für die Wartburg, auf der sich Martin Luther aufgehalten hat, Johann Sebastian Bach, der dort geboren wurde und einen Handball-Verein, der in der ersten Bundesliga spielt. Doch Interessierte und Engagierte wissen: Die Stadt ist auch eine Hochburg der extremen Rechten mit fest etablierten Neonazi-Strukturen.

Dagegen wollten in der Stadt aktive Antifaschist:innen am Wochenende protestieren. „Ihr kriegt uns nicht klein – Rechte Strukturen zerschlagen“, lautete das Motto der Demonstration der Antifaschistischen Linken und des Solidarischen Kollektivs Eisenach, die ein halbes Jahr lang vorbereitet wurde und zu der Sympathisierende aus dem ganzen Bundesgebiet kommen sollten. Doch die Demonstration fand nicht statt – weil ein Konflikt über Antisemitismus im Kreis der vermeintlichen Unterstützer:innen sie unmöglich gemacht hat.

Gewalttättige Neonazis in Eisenach planten politische Gegner zu töten

Symbolisiert werden die angemahnten Neonazi-Strukturen im Schatten der Wartburg durch das „Flieder Volkshaus“. Die Immobilie in einer Straße im Zentrum der Stadt, in der auch eine Geschwister-Scholl-Schule steht, gehört der NPD (die sich inzwischen „Heimat“ nennt). Getroffen haben sich dort aber nicht nur Kader der faschistischen Partei, sondern auch andere Gruppen aus der Neonazi-Szene der Region. Darunter auch die Gruppe „Knockout 51“.

Vier mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppierung stehen als Teil einer kriminellen Vereinigung seit diesem Jahr in Jena vom dem Oberlandesgericht. Vorgeworfen wird ihnen, geplant zu haben, Menschen aus dem linken Spektrum in Eisenach zu töten. Linke Aktivist:innen monieren, schon lange auf eine rechtsextreme Bedrohungslage hingewiesen zu haben, bevor staatliche Strafverfolgungsbehörden aktiv geworden seien. Auch über „Knockout 51“ hinaus zeigten antifaschistische Recherchepublikationen immer wieder auf, dass Personen aus dem Neonazi-Milieu in Eisenach deutschland- und europaweit in gewaltbereiten rechtsextremen Strukturen eine Rolle spielen.

Zwar ist mit Katja Wolf seit 2012 eine Vertreterin der Linken Oberbürgermeisterin von Eisenach, in dessen Stadtrat ist aber auch die NPD vertreten. Und die in Thüringen als gesichert rechtsextrem einzuordnende AfD ist in der Region nicht schwächer als im Rest des Bundeslandes, in dem sie in Umfragen vor der anstehenden Landtagswahl auf die meisten Stimmen kommt. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann ein AfD-Kandidat das Direktmandat für den Wahlkreis von Eisenach und Umgebung.

Absage der Demo, um Antisemitismus keine Plattform zu bieten

Der Grund für die Absage der Demonstration „gegen die rechte Hegemonie vor Ort“ wenig mehr als 24 Stunden vor ihrem Beginn war die Ankündigung der Gruppe „Young Struggle“, sich daran zu beteiligen. Sie hat in Blog-Artikeln und Beiträgen in sozialen Netzwerken Unterstützung für den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgedrückt. Der Überfall, den die Gruppe „Operation Al-Aqsa Flut“ nennt, sei zwar „angeführt worden durch die reaktionäre Hamas, aber unterstützt durch alle revolutionären und fortschrittlichen Organisationen Palästinas“. Statt als Massaker an israelischen Zivilist:innen wird der Terrorakt als von einer Besetzung Gazas legitimierter militärischer Widerstand beschrieben. „Uns hat dieser unverhohlene Antisemitismus, diese völlige Empathielosigkeit gegenüber den Opfern und die Bereitschaft, die Mörder der Hamas als ‚Widerstand‘ zu feiern, erschüttert“, schreibt das Solidarische Kollektiv Eisenach in seinem Statement zur Absage der Demonstration. Die sei unvermeidbar gewesen, weil „Young Struggle“ trotz einer expliziten Ausladung angekündigt habe, teilnehmen zu wollen.

Damit habe es für die Eisenacher Gruppen nur zwei Möglichkeiten gegeben: Antisemitische Slogans auf der eigenen Kundgebung zu dulden oder einen Ausschluss der Gruppe zu erzwingen. Das jedoch hätte, so die Organisator:innen, zwangsläufig körperliche Auseinandersetzungen oder ein Einschreiten der Polizei bedeutet. Und damit: „Noch mehr Repression gegen antifaschistische Strukturen in Thüringen, mehr Hausdurchsuchungen, mehr Verfahren – und letztlich eine Schwächung des Antifaschismus in Eisenach und Thüringen“. Einer der Beteiligten sagt der FR, ein solches Geschehen und solche Bilder wären „ein Schlag ins Gesicht für die Strukturen in Thüringen gewesen“. „Young Struggle“ äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu dem Vorgang.

Aktivist:innen aus Eisenach wollen linker Szene insgesamt einen Impuls geben

Die Absage der Demonstration sei so unvermeidlich geworden. Das Handeln von „Young Struggle“ sei außerordentlich „übergriffig und unsolidarisch“, sagt Katharina König-Preuss der FR. Sie ist für „Die Linke“ Abgeordnete im Thüringer Landtag und war als Anmelderin der Eisenacher Demonstration in deren Organisation eingebunden.

Die Entscheidung sei den Aktivist:innen extrem schwer gefallen, wurde aber in dem Bündnis breit getragen. „Die Eisenacher, die zu großen Teilen junge Menschen sind, haben sich da sehr stabil gezeigt“, sagt König-Preuss. Auch Mitglieder der Gruppen berichten, nach ihrem Statement gegen Antisemitismus und schließlich der Absage der Demo habe es unter den Reaktionen im Netz zwar einige Beleidigungen, aber vor allem auch viel Zuspruch gegeben. „Wir hoffen, dass davon für die ganze Szene ein Impuls ausgeht, sich mit dem Problem Antisemitismus ernsthaft auseinander zu setzen.“

Die bittere Folge der Demo-Absage beschreibt das Organisationsteam so: „Im Flieder Volkshaus wird dieser Tage sicher das ein oder andere Mal auf ‚Young Struggle‘ und das gemeinsame Feindbild Israel angestoßen“. Trotzdem ist sich König-Preuss sicher, dass die Antifaschist:innen in Eisenach ihr Engagement fortführen werden – gerade weil sie dort unmittelbar bedroht würden. Einer der Aktivisten aus Eisenach sagt der FR: „Die Neonazi-Strukturen hier bleiben bestehen, und wir werden uns ihnen weiter entgegenstellen“.