Chef des Migrantenbeirats verliert Rückhalt im Leipziger Stadtrat

Die CDU-Fraktion hat die Abwahl von Mohamed Okasha nach dessen Genozid-Vorwurfs gegenüber Israel beantragt. Die Christdemokraten stehen damit nicht allein.

Nach seinen umstrittenen Äußerungen zu Israel hat die CDU-Ratsfraktion am Mittwoch im Leipziger Stadtrat die Abwahl des Vorsitzenden des Migrantenbeirats, Mohamed Okasha, beantragt. Dieser hatte Israel, das sich nach dem Massenmord an Jüdinnen und Juden am 7. Oktober gegen Angriffe der islamistischen Terrororganisation Hamas verteidigt, des Genozids am palästinensischen Volk beschuldigt. Angesichts der öffentlichen Kritik an seinen Worten erklärte Okasha daraufhin, diesen Vorwurf zu einem „unangebrachten Zeitpunkt“ erhoben zu haben.

Inzwischen schwindet der Rückhalt des gebürtigen Ägypters, der mittlerweile einen deutschen Pass besitzt, im Stadtrat immer weiter. Das zeigte eine Debatte zu den Auswirkungen des Nahostkrieges auf das Zusammenleben mit Menschen jüdischen Glaubens in Leipzig am Mittwoch im Stadtrat. Vertreter alle Parteien machten dabei deutlich, dass Antisemitismus in Leipzig keinen Platz haben darf.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) fand deutliche Worte: Es gebe das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Aber es gibt kein Recht auf Vernichtungsfantasien und mörderische Parolen, es gibt kein Recht, alles in eine historische Suppe zu rühren und geschichtlichen Unsinn zu fabrizieren.“ Er habe sich „maßlos geärgert“ über die Äußerungen des Vorsitzenden des Migrantenbeirats. Und die Stellungnahme danach, in der Okasha nur vom falschen Zeitpunkt seiner Wortwahl sprach, habe es nicht besser gemacht. Jung: „Also am 9. November darf ich das nicht sagen, aber am 10. oder 8.?“

OBM Jung: Da spürt man manchmal eine klammheimliche Freude

Der Vorsitzende des Migrantenbeirats stehe in der besonderen Pflicht, „versöhnend und integrativ zu agieren“. Er sei stolz darauf, sagte Jung, dass sich nach dem Holocaust in Leipzig wieder eine jüdische Gemeinde etabliert hat, der inzwischen 1300 Mitglieder angehören. Es gehe ihm daher ans Herz, wenn Jüdinnen und Juden jetzt in Leipzig wieder Angst haben, in der Öffentlichkeit eine Kippa zu tragen und zu bekennen, dass sie Juden sind. Er bedauerte, dass zu wenige Menschen sich solidarisch mit Israel zeigen. „Da spürt man manchmal eine klammheimliche Freude“, so Jung. „Wir sind aufgerufen, klar rote Linien zu ziehen.“

Adam Bednarsky (Linke) beklagte eine Zunahme antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober. Durch die Polizei wurden seit dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel in Leipzig 20 antisemitische Straftaten festgestellt, vier davon auf öffentlichen Kundgebungen. „Jeder Angriff auf Jüdinnen und Juden, auf jüdische Einrichtungen, auf ihre Würde, auf ihre Ehre ist Antisemitismus, nichts anderes“, stellte Bednarsky klar. Gleichwohl sehe er auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Mitleid und Wut darüber rechtfertigten jedoch keinen Antisemitismus. Der Linken-Parteivorstand hatte Okasha sogar als Kandidaten für die Kommunalwahl im kommenden Jahr vorgeschlagen – das war aber lange vor dessen Genozid-Vorwurf.

CDU: Völkermord-Vergleich ist nicht entschuldbar

Nach den Verbrechen des Nationalsozialismus sei es die Pflicht der Deutschen und „all jener, die einen deutschen Pass haben wollen“, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, erklärte CDU-Fraktionsvorsitzender Michael Weickert. „Wir haben auch in diesem Hause antisemitische Äußerungen von ganz links bis ganz rechts in den vergangenen Jahrzehnten ertragen müssen.“ Dass nun der Vorsitzende des Migrantenbeirats am 9. November, jenem Tag, an dem 1938 jüdische Einrichtungen in Deutschland zerstört wurden, den Holocaust relativiere und Israels Selbstverteidigung mit einem Völkermord vergleiche, sei für seine Fraktion „nicht hinnehmbar und auch nicht entschuldbar“, sagte Weickert und forderte den Chef des Migrantenbeirats auf: „Herr Okasha, wenn Sie Anstand besitzen, dann treten Sie nach dieser Äußerung zurück, und wenden Sie Schaden von Ihrem Gremium und von der Stadt Leipzig ab.“ Das Problem an Okashas Wortwahl sei nicht der unangebrachte Zeitpunkt, „sondern die Haltung an sich“.

Auf seiner nächsten Sitzung im Dezember muss der Stadtrat dann über die Abwahl Okashas beraten, die die CDU-Fraktion am Mittwoch förmlich beantragt hat.

Grüne: Nicht in jeder Aussage die bösesten Absichten vermuten

Andreas Dohrn (Grüne) hält Okasha hingegen nicht für untragbar. Es sei nicht klug, „unversöhnlich auf öffentliche Personen einzudreschen“, die andere Positionen vertreten. „Mohamed Okasha ist kein Antisemit, Nuria Silvestre ist auch keine Antisemitin. Was sie beide getan haben, ist, dass sie beide Argumentationsmuster und Begriffe verwendet haben, die Menschen antisemitisch verwenden und verwenden können“, nahm Dohrn beide in Schutz. Auch die Grünen-Stadträtin Silvestre hatte den israelischen Verteidigungskrieg gegen die Hamas einen Völkermord genannt. Man solle „nicht in jeder Aussage, die bösesten Absichten vermuten“, warb Dohrn um Verständnis.

Für Tobias Keller von der AfD liegen die Gründe dafür, dass Jüdinnen und Juden heute in Leipzig wieder Angst haben müssen, auf der Hand. Die „verheerende und rechtsbrüchige Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre“ habe entscheidend dazu beigetragen, das „ausländische Konflikte auf deutschem und auch Leipziger Boden ausgetragen werden“, sagte er. Judenfeindlichkeit gebe es insbesondere in migrantischen und linken Kreisen. Der Migrantenbeirat müsse sich jetzt zu Israel bekennen – und falls das ausbleibe, aufgelöst werden.

„Nach einem solchen Terrorakt, dem massivsten Zivilisationsbruch gibt es kein ,Ja, aber‘, kein Relativieren“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker. Eine pauschale Verurteilung von Muslimen geht ihm jedoch zu weit. Dies sei widerwärtig und unerträglich, erwiderte er auf seinen Vorredner von der AfD. „In der Vergangenheit haben wir vor allem einen Antisemitismus von rechts erleben müssen. Auf diesen waren 90 Prozent der antisemitischen Straftaten zurückzuführen“, erinnerte Zenker. Seit dem 7. Oktober breche sich allerdings islamistischer und linker Antisemitismus Bahn.

FDP: Integrieren statt Öl ins Feuer gießen

Der Vorsitzende des Migrantenbeirats sollte „integrieren, statt Öl ins Feuer zu gießen“, forderte Sven Morlok (FDP) von der Freibeuter-Fraktion. Wer wie Okasha Zweifel an seiner Haltung aufkommen lasse, müsse auf ein solches Amt verzichten. Dass sich ausgerechnet die AfD über den Migrantenbeirat erhebt, ist für Morlok nicht nachvollziehbar. Er erinnerte daran, dass AfD-Stadtrat Roland Ulbrich den versuchten Massenmord an Jüdinnen und Juden am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle nur als Sachbeschädigung abgetan hatte. Wenn die AfD-Konsequenzen jetzt fordere, so Morlok, dann solle sie doch in ihren eigenen Reihen damit anfangen.


15.11.2023 Tobias Prüwer Kreuzer

Blinde Stellen

»Genozid an Palästinensern«: Migrantenbeirat-Chef Mohamed Okasha bereut das Datum der Äußerung. Das reicht nicht.

Eine Entschuldigung sieht anders aus. »Mohamed Okasha entschuldigt sich, mit dem Teilen eines Instagram-Posts das Wort ›Genozid‹ zu einem unangebrachten Zeitpunkt verwendet zu haben«, heißt es in einer am Montagabend versendeten Stellungnahme, die dem kreuzer vorliegt. Darin nehmen die Co-Vorsitzenden des Leipziger Migrantinnen- und Migrantenbeirats Mohamed Okasha und Francesca Russo Bezug zu Okashas Äußerungen der vergangenen Woche. Demnach bedauert dieser, am 9. November Israel des Genozids bezichtigt zu haben – mehr nicht. Auch sein im Nachgang unterbreitetes Bild der Nahost-Historie ist bedenklich.

Nachdem bereits Grünen-Stadträtin und Beiratsmitglied Nuria Silvestre Israel des Genozids beschuldigt hatte, äußerte sich der Beirats-Vorsitzende Okasha auf inakzeptable Weise. Zunächst teilte er am 9. November auf Instagram einen Beitrag, der den Holocaust mit anderen (Kriegs-)Handlungen der USA verglich oder gleichsetzte und zudem Israel des »Genozids« an den Palästinensern bezichtigte.

Auf LVZ-Anfrage rechtfertigte er das mit Hinweis auf »die weißen Männer in der Welt«, die hinter den Taten steckten und die jetzt Israel unterstützen würden. Das kann bloß Ausdruck einer bis zur Unkenntlichkeit verkürzten postkolonialen Theorie zu verstehen sein, wenn es keine Holocaust-Relativierung sein soll. Zwar nennt Okascha die Shoa das schlimmste Verbrechen und verneint, Antisemit zu sein, aber weder für den Inhalt auf Instagram noch diese Äußerung entschuldigt er sich. Er bedauert nur das Datum seines Posts, das der Reichspogromnacht vor 85 Jahren. Doch damit nicht genug, zeichnet Okasha zudem ein schiefes Geschichtsbild, was den Nah-Ost-Konflikt angeht.

Schiefes Geschichtsbild von Okasha

So fordert Okasha in der LVZ eine »neue Erinnerungskultur«. Zwar müsse die Shoa Bezugspunkt deutscher Erinnerungskultur sein, sagt der in Ägypten Geborene. Man solle aber auch den Erfahrungshorizont der »neuen Deutschen« bedenken, etwa jener arabischer Herkunft. »Die Juden sind zu uns geflohen, als sie in Europa verfolgt wurden. Wir haben nebeneinander gelebt.« »Doch mit dem Sechstagekrieg sei Israel 1967 zu einer Kolonialmacht geworden«, gibt ihn die LVZ mit indirektem Zitat wieder. Ob diese Aussage eine Verdrehung oder Verkürzung ist und auch, ob er sich insgesamt richtig wiedergegeben fühlt im entsprechenden Artikel, ließ Okasha auf kreuzer-Anfrage unbeantwortet.

Damit muss unterstellt werden, dass der Vorsitzende des Migrantinnen- und Migrantenbeirats nicht weiß oder sogar leugnet, dass Juden im Gebiet des heutigen Israel seit 3.000 Jahren siedeln. Zudem stammt die Hälfte der nach 1948 nach Israel gezogenen Juden nicht aus Europa, sondern aus arabischen Ländern, wo sie größtenteils vertrieben wurden. Ob man mit einem solchen Geschichtsbild die komplexe Lage im Nahen Osten beurteilen und einordnen kann, muss infrage gestellt werden.

Wenn sich Mohamed Okasha nun in einem gemeinsam mit der Beirätin Francesca Russo verfassten Text entschuldigt, ist das löblich. Und es ist ihre Rolle, Lobbyarbeit zu leisten und darauf hinzuweisen, dass auch zugewanderte Stimmen gehört werden müssen – wie sie es in der Stellungnahme tun. Darin weisen sie zu Recht auf antimuslimische Ressentiments als Problem hin. Allerdings klingt hier eine Diskriminierungskonkurrenz an, wenn das Schreiben eigentlich Okashas Äußerungen betreffen soll. Auch darum reicht es als Entschuldigung nicht aus. Mit Rücktrittsforderungen, wie sie jetzt von der Leipziger CDU kommen, sollte man sich aber zurückhalten, sondern besser das Gespräch suchen.

Immerhin soll der beratende Beirat ja Brücken bauen. Und wenn dessen Vorsitzender, der 2024 auch bei der Kommunalwahl für die Linkspartei antritt, blinde Flecken im Geschichtsverständnis zeigt, muss man sich darüber verständigen. Mit ihm im Stadtrat und vor allem innerhalb des Beirats. Konsequenzen aus der Nonpology können dann immer noch gezogen werden.