Are you serious? Antwort auf die Auswertung zur Demo in Zschocher am 31.07.

Am 31.07. hatte die Antifaschistische Vernetzung Leipzig /AVL zu einer Demonstration unter dem Motto „A Monday without you – wer Faschismus sät, wird Antifaschismus ernten“ in Groß- und Kleinzschocher mobilisiert und dazu einen kurzen Auswertungstext verfasst.

Hierauf eine kurze Antwort, weil wir mit der „Analyse“, die dort stattfindet, nicht einverstanden sind. Mit der Demonstration hingegen waren wir sehr einverstanden und finden es gut, dass die AVL sie veranstaltet hat.

Vorneweg erstmal eine Sache: Eine Analyse der Demonstration setzt voraus, dass man sich kritisch mit dieser auseinandersetzt und nicht einfach das wiederholt, was man sowieso schon denkt. Irgendwelche Allgemeinplätze auf ein konkretes Geschehen anzuwenden ist keine Analyse. Das ist vielmehr der Versuch, unter dem Titel der Analyse seine persönliche Meinung durchzusetzen, indem sie als Ausdruck des besonders reflektierenden Denkens erhöht wird. Die vorgelegte „Analyse“ tut aber genau das. Sie bezieht sich nur ganz oberflächlich auf das konkrete Geschehen und führt dann aus, was ganz losgelöst von diesem für richtig befunden wurde.

Nun erstmal der Reihe nach: „Die Versammlung hat einige Neonazis aufgescheucht, die das Geschehen aus Seitenstraßen heraus beobachtet haben.“ Das können wir so teilen und hat uns gefreut, auch wenn zu der Beobachtung dazu gehört, dass sich diese gegenüber der Demonstration in keiner Weise zurückhaltend gezeigt haben. Sie waren zwar verärgert über die Demonstration und fanden wohl auch, dass diese in „ihr Viertel“ eindrang, aber sie hatten keine Hemmung, die Demonstration anzupöbeln oder zu bedrohen. Ein Mann kam einfach aus der Einfahrt seines Wohnhauses, um ein paar Drohungen zu äußern, ein anderer pöbelte „was, mehr seid ihr nicht, ihr Hansel“ aus dem Fenster seiner Wohnung. Wir können also festhalten, dass die Demonstration offengelegt hat, wie sicher sich das rechte Pack in Zschocher fühlt. Die Demonstration hat sie zwar aufgebracht, aber in gewisser Weise das Gefühl von Stärke und Dominanz im Viertel noch einmal verstärkt. Das lasten wir natürlich nicht der Demonstration oder dem Anliegen an, sondern vielmehr dem Umstand, dass die Mobilisierung für die Demonstration nicht wirklich mobilisieren konnte, aber zur Kenntnis nehmen muss man das ja mal, gerade in einer Analyse. Dann wird auch die Aussage „Parolen wie „Gebt dem Nazi was er braucht …“ finden wir peinlich.“ noch einmal interessanter und weist über das Gefühl der Peinlichkeit hinaus. Dieses ist ja für eine politische Analyse gar nicht interessant: Ob jemandem etwas peinlich ist oder nicht, ist ganz subjektiv. Anderen ist es offensichtlich nicht peinlich und so bleibt es dann ja stehen: Die einen so, die anderen so. Es scheint doch aber so zu sein, dass der Spruch irgendetwas erwirken soll, dafür wird er gerufen und was soll es anderes sein, als den Ausdruck von Gefährlichkeit, Krassheit und Bedrohung zu vermitteln, um den damit adressierten Feind einzuschüchtern? Es ist aber – ganz losgelöst von derlei Sprüchen – etwas, was die Demo nicht ausgelöst hat. Das verweist zusammen auf ein weiteres konkretes Problem: Antifaschismus fehlt in Leipzig (und anderswo) derzeit eher der Ausdruck der Stärke und ist in der Gesellschaft zunehmend isoliert.

Wenn das auch zusammenhängt, so sind es doch auch zwei unterschiedliche Anliegen, die sich daraus ergeben: Zum einen soll die gesellschaftliche Isolation durchbrochen, zum anderen Nazis und andere rechte Strukturen eingeschüchtert, also das verwirklicht werden, was nicht der Fall ist.
Hieraus erklärt sich nun auch jenes Problem, was hier – wie schon im Aufruf – von der AVL als wesentlich ausgemacht wird: Dass die Demonstration von ihrem Look her dem Versuch schadet, die gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen, weil sich nicht an den zuvor geäußerten Wunsch gehalten wurde, sich nicht schwarz anzuziehen: „Außerdem haben wir es nicht geschafft unsere gewünschte Außenwirkung zu erzielen“, obwohl „wir vorher klar kommuniziert hatten auf ein Auftreten in „schwarz“ doch bitte zu verzichten.“ Oder war das vielleicht schon mehr als nur ein Wunsch? Es wurde klar kommuniziert, auf ein Auftreten in schwarz zu verzichten – eine solche Aussage lässt doch einen gewissen autoritären Einschlag nicht leugnen. Natürlich geht die AVL nicht so weit, eine bestimmte Kleiderordnung anzuweisen, vermutlich aber nur, weil das ihr nicht zusteht. Das Insistieren auf die schlechte Wirkung schwarzer Kleidung, welche dann verhindert, die doch so sehr „gewünschte Außenwirkung zu erziehlen“ jedenfalls legt aber nahe, dass man eigentlich doch will, dass die Demonstrationsteilnehmenden sich an das halten was „klar kommuniziert“ wird. Frecherweise werden nun von der AVL hierfür auch noch die antifaschistischen Bewohner:innen von Zschocher vorgeschoben, denn schließlich hätten diese den Wunsch nach einer einheitlichen Demonstration nicht geäußert. Hätten diese das getan, wären sie natürlich auch für eine solche Demonstration eingetreten. Vielleicht findet die AVL dieses „Argument“ ja selbst überzeugend, vielleicht ist es auch so vorgeschoben, wie es wirkt, denn mal ehrlich: Wann und wo ist sowas jemals vorgekommen? Wie soll das aussehen? Sollen die antifaschistischen Bewohner:innen, die sich natürlich alle untereinander kennen, sich vor der Demo in einer Stadtteilversammlung treffen, sich absprechen, einen Konsens zu dieser Frage finden und ihn dann der AVL mitteilen, damit diese dann den Willen der Viertelbewohner:innen umsetzt? Woher überhaupt weiß denn die AVL, dass unter denen, die „völlig vermummt“ waren, niemand aus Zschocher war?

Dazu noch etwas. Erstens: Es waren im Grunde niemand „völlig vermummt“. Eine Person zog, soweit wir das mitbekamen, die Aufmerksamkeit der Bullen auf sich, weil sie neben einer aufgezogenen Kapuze noch eine FFP2-Maske oder ähnliches trug. Das ist zwar irgendwie eine Vermummung, aber doch in keinem Fall eine „völlige“ Vermummung. Alle andere trugen einfach nur schwarz. Nun hier zu versuchen, die Frage nach Vermummung vermeintlich aus strategischen Erwägungen zu klären, während die Bullen dafür am liebsten jeden lang machen würden, der auch nur im Ansatz vermummt ist, macht ein völlig falsches Diskussions- und Auseinandersetzungsfeld nach innen auf, welche in der Hauptsache doch sowieso die ganze Zeit mit den Repressionsorganen geführt werden muss.

Darüber hinaus ist es doch ein Irrglaube, dass das eigene Anliegen irgendwie besser rüberkommt, wenn wir uns angepasst kleiden. Dass wir nicht angepasst sind, das wissen alle. Niemand wird sich darüber täuschen lassen, wer wir sind, weil wir ein adrettes Hemd anziehen. Selbst wenn wir alle zusammen vorher durch H&M gestiefelt wären, um uns einzukleiden, hätten die Bewohner:innen von Zschocher nicht applaudierend die Straße gesäumt und der AVL Fanpost geschrieben. Die Außenwirkung wäre wesentlich die gleiche geblieben. Und überhaupt: Wesentlich sollen sich die Menschen doch von uns ab- oder zu uns hinwenden wegen unserer Inhalte und Positionen und nicht deswegen, weil wir im gesellschaftlichen Sinne gut oder schlecht gekleidet sind. Zudem hat ja selbst die AVL in ihrer „Analyse“ festgestellt: „Froh waren wir über die Resonanz, die die Demo in Zschocher erzielt hat. […] Viele Anwohner*innen haben uns Sympathie entgegengebracht und aus ihren Fenstern oder von ihren Balkonen aus zugehört.“ Ja, was denn nun? Wieviel mehr Zuspruch wurde denn erwartet dafür, dass man zum einen seit langer Zeit überhaupt mal wieder in Zschocher auftaucht und zum anderen als AVL das erste Mal überhaupt auf die Bühne getreten ist? Unser Eindruck war das jedenfalls auch, dass uns zugewandte Rückmeldungen da waren, und zwar explizit einer Demonstration gegenüber, die in schwarz aufgelaufen ist.

Noch etwa zu diesem Thema: Die AVL schreibt „Es gibt Anlässe, da ist ein Auftreten als Blackblock zum Schutz vor Identifizierung und Repression sinnvoll.“ und „Die Versammlung wurde ihren gesamten Verlauf über von einer großen Anzahl von Pressevertreter*innen und Fotograf*innen auch aus dem linken Spektrum begleitet.“ Woher hat die AVL das Wissen, wann für wen aus welchem Grund der Schutz vor Repression und Identifizierung sinnvoll ist? Offensichtlich bemerkt wurde ja wohl, dass viel fotografiert und gefilmt wurde. Filmaufnahmen wurden von der L-IZ unverpixelt ins Netz gestellt. Zu anderen Zeiten kommen regelmäßig rechte Streamer um die Ecke, um zu filmen. Aber davor schützen soll sich niemand, weil es vermeintlich das Außenbild der Demo beeinträchtigt? Hier noch davon zu sprechen, dass man damit einen „sinnlosen Anlass zur Repression“ bietet, ist schon dreist.

Statt auf der Seite derer zu stehen, die sich – und bei dieser Demo ja wirklich nur ein kleines bisschen – aus welchem Grund auch immer vermummen, will die AVL lieber mit den Vertreter:innen der Presse kungeln, die ohne jede Hemmung Bilder von Antifaschist:innen ins Netz stellen. Man habe diese nicht so zahlreich erwartet, man würde sich aber „über eine Absprache im Vorfeld oder zum Demoauftakt am Lauti freuen, (um eine bessere Zusammenarbeit zu garantieren/um uns besser abzustimmen).“ Und als Letztes nochmal ein Punkt: Es gibt natürlich viele Möglichkeiten sich zu kleiden und in der Regel kleiden sich die Menschen ja so, wie es ihnen gefällt, ihnen nützlich ist usw. Für viele ist das Tragen schwarzer Kleidung aber nicht ein Outfit, das sie sich anziehen, wenn sie demonstrieren gehen, wohingegen sie sonst immer in allerlei Farben herumspringen. Gerade bei „uns“ gibt es doch viele, die fast immer in schwarz gekleidet sind. Zu erwarten, dass sich nun extra ein buntes oder graues oder was sonst für ein Outfit zuzulegen ist, nur weil sich das die AVL aus der falschen Annahme, so ließe sich mehr Bürger:innennähe herstellen, wünscht, ist geradezu absurd. Soviel erstmal zum „Black-Block“-Thema.
Zuletzt schreibt die AVL: „Auch wenn wir mit der Zahl von 150 Demonstrant*innen zufrieden sind, stellt sich die Frage, warum in Leipzig kaum noch größere antifaschistische Mobilisierungen möglich sind. Neben der Repression der vergangenen Jahre hat das sicher mit einem Überangebot an Versammlungen und mit der Enttäuschung  nach manchen Demos zu tun. Insbesondere aber damit, dass die Leipziger Szene untereinander nicht gut genug vernetzt ist. Uns fehlen ebenfalls Kontakte zu Teilen der Szene – gezielte Mobiveranstaltungen könnten hier in Zukunft Abhilfe schaffen. Insbesondere geht es aber darum, verloren gegangenes Vertrauen untereinander zurückzugewinnen und zu zeigen, dass Versammlungen konkrete Ziele verfolgen, nachhaltig und sinnvoll sind.“

Zuerst einmal: Wir waren mit der Anzahl der Demoteilnehmer:innen nicht zufrieden, es hätten ruhig ein paar mehr sein können, gerne doppelt so viele. Tatsächlich stellt sich die Frage, wieso so wenig gekommen sind. Dass antifaschistische Mobilisierungen in Leipzig kaum noch möglich sind, würden wir jedoch bestreiten. Das Problem ist ganz sicher nicht das Überangebot (was ist das denn bitte für eine oberflächliche Betrachtung? Wo soll den dieses Überangebot sein?), sondern vielmehr die abnehmende Qualität der Mobilisierung, die oft schon an schlechten und nahezu inhaltsleeren Aufrufen zu erkennen sind, aber sich darin nicht erschöpfen; zugleich ist es so, dass insgesamt eine Demobilisierung eingesetzt hat, die vielerlei Ursachen hat, die wir hier nicht umfassend behandeln können. Sicher ist aber, dass Mobilisierung nicht etwas ist, was erst anfängt, wenn Aufruf und Plakate zu einer Demo mobilisieren, vielmehr ist es ein allgemeiner Zustand der Bewegung: Entweder wird sie dem Namen „Bewegung“ durch eine solche Praxis gerecht; das bedeutet aber auch, dass alle im Allgemeinen bereits „mobil“ sein müssen. Oder sie beginnt sich selbst stillzustellen und damit sich aufzulösen. Das ist ein Zustand, der auch dadurch eintritt, dass sich das Denken stillstellt, wie etwa bei den Rotgruppen oder allen anderen, die mit ihrem verhärteten Denken ganz genau wissen, wie alles zu bewerten ist, gut beobachtet werden kann.
Größere Mobilisierungen zu erreichen, ist viel Arbeit und auch mehr Arbeit, als eine Demonstration zu veranstalten und danach einfach ins Lamenti einzustimmen, dass zu wenig geht. Dass so wenige kamen, verweist jedenfalls darauf, dass einiges an Aufbau nötig ist, um wieder Größeres hinzubekommen, während – da stimmen wir zu – die Repression alles dazu beiträgt was sie kann, den Abbau und Zerfall von allem voranzutreiben und das ausgerechnet in einer Situation, wo praktischer Antifaschismus immer dringender wird. Dass es darum geht Vertrauen zurückzugewinnen, sehen wir allerdings auch so. Es braucht eine sich ihrer selbst bewusste Bewegung.

Wir haben hier mal kein Blatt vor den Mund genommen. Aber wir werden das Anliegen der AVL mindestens in Teilen weiter unterstützen, auch wenn das hier anders rüberkommen mag. Wir sehen Dinge unterschiedlich und stehen bei einigen Punkten im Widerspruch zueinander – eine antifaschistische Bewegung wird aber ihre Stärke nie aus Homogenität gewinnen, sondern daraus, dass die Unterschiedlichen zusammenstehen.

In diesem Sinne
Alerta Alerta!
Wir sehen uns auf den Straßen.