Leipzig: Strafverfolgung droht Stillstand durch Wahlblockade im Stadtrat

Die Ratsversammlung verweigert einem AfD-Mann die Wahl in das Gremium, das über die Berufung der Laienrichter für die nächsten fünf Jahre entscheidet. Die Konsequenzen sind gravierend.

Eigentlich sollen die sächsischen Gemeinde- und Landkreisvertretungen bis 30. Juni ihre Vertrauensleute für die Schöffen-Wahlausschüsse an den Amtsgerichten wählen. Leipzig, so viel steht aber schon jetzt fest, wird diesen Termin nicht einhalten. Der Stadtrat konnte sich bislang nur auf sechs der erforderlichen sieben Kandidaten einigen. Der Personalvorschlag der AfD fiel im Gegensatz zu den Nominierungen der anderen Ratsfraktionen mittlerweile schon bei drei Wahlgängen durch. Doch ohne die siebente Vertrauensperson droht die ganze Terminkette für die Schöffenwahl in Verzug zu geraten – mit der Folge, dass die Strafverfolgung durch Leipziger Gerichte ab dem nächsten Jahr zum Stillstand kommen könnte, warnt das sächsische Justizministerium.

Am 31. Dezember läuft die Wahlperiode der aktuellen Laienrichter an Land-, Amts- und Verwaltungsgerichten aus. Ihre Teilnahme an Gerichtsprozessen ist beispielsweise immer dann erforderlich, wenn Angeklagte mit einer mindestens zweijährigen Haftstrafe rechnen müssen.

1392 Schöffinnen und Schöffen stehen zur Wahl

Dabei fehlt es keineswegs an Freiwilligen in Leipzig. Für die neue Schöffenperiode – die Jahre 2024 bis 2028 – hatten sich 1446 Leipzigerinnen und Leipziger beworben. 1392 Bewerberinnen und Bewerber davon erhielten die Zustimmung des Stadtrates. Wer von ihnen zum Schöffen berufen wird, darüber entscheidet letztlich aber ein Wahlausschuss am Amtsgericht. Dieser setzt sich laut Gerichtsverfassungsgesetz aus einem Amtsrichter, einem Verwaltungsbeamten, den die Landesregierung benennt, sowie aus sieben Vertrauenspersonen als Beisitzer zusammen. Letztere werden aus der Einwohnerschaft des jeweiligen Amtsgerichtsbezirks durch den zuständigen Gemeinderat oder Kreistag gewählt.

Der Leipziger Stadtrat hatte sich per Ratsbeschluss darauf verständigt, dass jede der sechs Fraktionen einen Personalvorschlag unterbreitet. Der weitere Sitz soll an die stärkste Fraktion gehen. Da mittlerweile Linke und Grüne gleichstark sind, entschied das Los zugunsten der Linken.

AfD-Kandidat für Schöffen-Wahlausschuss fällt durch

Auf der Juni-Sitzung gelang es dem Stadtrat allerdings nur, in geheimer Wahl sechs Vertrauensleute zu bestimmen. Erforderlich ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der zur Sitzung anwesenden Gemeinderäte, mindestens jedoch der Hälfte des Stadtrates – das sind 36 Stimmen. Beate Ehms und Steffen Wehmann (beide Linke), Norman Volger (Grüne), Philipp Sondermann (CDU), Getu Abraham (SPD) und Ute Elisabeth Gabelmann (Freibeuter) erreichten jeweils das Quorum. Jörg Kühne, den die AfD aufgestellt hatte, fiel mit 18 Stimmen im ersten und 21 Stimmen im zweiten Wahlgang durch. Er bekam jedoch deutlich mehr Stimmen, als seine eigene Fraktion aufbringt. Im dritten Anlauf schickten die Grünen dann noch Martin Biederstedt mit ins Rennen. Die nötige Mehrheit erreichte trotzdem keiner von beiden – ein Zeichen dafür, dass es offenbar genügend Stadträte gibt, die sich an der Blockade der AfD nicht beteiligen wollen.

Am 5. Juli, der letzten Sitzung vor der Sommerpause, will der Stadtrat nun einen neuen Wahl-Versuch unternehmen. Doch was passiert, wenn auch der scheitert?

„In diesem Fall müsste die Kommunalaufsicht entsprechende Maßnahmen erwägen, um die Wahl der Schöffinnen und Schöffen termingerecht zum 1. Januar 2024 sicherzustellen“, sagte Alexander Melzer vom sächsischen Justizministerium gegenüber der LVZ. Das Gesetz schreibe nun mal sieben Vertrauensleute zwingend vor. „Ein Abweichen nach unten ist daher nicht zulässig.“

Ernste Konsequenzen für Strafverfolgung

Bis 30. Oktober soll der Ausschuss die Schöffen wählen, einen Monat später sollen sie auf die jeweiligen Gerichte verteilt werden. Scheitert die rechtzeitige Berufung der neuen Laienrichter zum 1. Januar 2024, hat dies ernste Konsequenzen. Der Wahlprozess sei nach den Worten von Ministeriumssprecher Melzer „ein hochkomplexes Verfahren, bei dem das Zusammenwirken einer Vielzahl von Beteiligten koordiniert werden muss“. Die verschiedenen, teilweise sogar für sich justiziablen Maßnahmen bauten aufeinander auf und setzten ein reibungsloses Funktionieren der Abläufe voraus.

Melzer: „Weil es sich bei den Strafsachen, welche durch die Schöffengerichte zu verhandeln sind, um keine Bagatelldelikte handelt, droht in diesem Fall in der Stadt Leipzig nicht nur ein Stillstand der Strafverfolgung im Bereich der mittleren und schweren Kriminalität, sondern auch die Entlassung derartiger Straftaten bezichtigter Beschuldigter infolge überlanger Verfahrensdauer.“

LVZ


Leipziger Schöffenwahl-Desaster stärkt nur die AfD

Leipzigs Stadtrat hat bis heute nicht zum richtigen Umgang mit der AfD gefunden. Statt sich inhaltlich mit ihr auseinanderzusetzen, wird sie im Rat blockiert, wo es nur geht. Das hat perspektivisch fatale Folgen, meint LVZ-Autor Klaus Staeubert.

Leipzig. Die Wahl ist zwar geheim, aber das Muster durchsichtig: Bei der personellen Besetzung des Schöffen-Wahlausschusses, der die Laienrichter für die nächsten fünf Jahre bestimmt, scheiterte die AfD einmal mehr an der rot-rot-grünen Ratsmehrheit. Ähnlich war das schon am Anfang der Wahlperiode, als ihr der zustehende Sitz im Jugendhilfeausschuss verweigert wurde – bis ein Gericht die Stadt zur Kurskorrektur zwang. Mittlerweile scheitern selbst Stadtbezirksbeiräte, die die AfD vorschlägt – selbst auf die Gefahr hin, dass diese bürgernahen lokalen Gremien dadurch nicht mehr beschluss- und mithin arbeitsfähig sind.

Vertrauen in den Rechtsstaat leidet

Die Blockade bei der Schöffenwahl wiegt allerdings schwerer. Denn ohne die rechtzeitige Einsetzung des Wahlausschusses können die neuen Schöffen ihr Ehrenamt 2024 nicht antreten. Eine wesentliche Voraussetzung für eine demokratische Rechtssprechung gerät in Gefahr. Selbst im von Grünen geführten sächsischen Justizministerium befürchtet man schon einen Vertrauensverlust der Bürger in einen zuverlässigen und starken Rechtsstaat.

Blockade ist keine inhaltliche Auseinandersetzung

Noch immer haben Linke, Grüne und SPD nicht zum richtigen Umgang mit der AfD im Stadtrat gefunden. Statt sich inhaltlich mit der rechtspopulistischen Partei auseinanderzusetzen, wird ihr lediglich demokratische Teilhabe versagt, werden ihre Anträge abgelehnt, selbst dann, wenn sie der Bürgerschaft nützen. So macht man einen unliebsamen politischen Gegner nicht überflüssig, sondern stärker.


Frank Döring 25.06.2023

Fünf Jahre Schöffin in Leipzig: „Man kann nicht allen helfen“

Fast fünf Jahre lang wirkte Kristina Danz aus Taucha als Jugendschöffin am Landgericht bei Urteilen gegen Straftäter mit. Ihre Amtszeit endet, für die nächste Wahlperiode werden wieder Laienrichter gesucht. Allerdings hat das aus dem 19. Jahrhundert stammende Schöffensystem auch seine Tücken.

Leipzig. Es war gleich zu Beginn ihres ersten Verhandlungstages, als der Vorsitzende Richter Norbert Göbel etwas zu ihr sagte, das Kristina Danz (69) bis heute nicht vergessen hat. Er sagte: „Ich hoffe, Sie können mir helfen.“

Mehr als vier Jahre ist das her und der damalige Richter ist inzwischen im Ruhestand. Für Frau Danz aus Taucha, die gerade vereidigte neue Schöffin in der Jugendkammer des Landgerichts, war das vielleicht der wichtigste Satz in all den Jahren als ehrenamtliche Richterin. „Ich hatte dadurch den Eindruck, dass wir wirklich beachtet werden“, sagt sie, „dass wir mitentscheiden können“.

Während ihre Amtsperiode endet, sucht die Justiz sachsenweit nach Angaben des Ministeriums wieder rund 3500 Schöffen für die Jahre 2024 bis 2028. In der Stadt Leipzig haben sich schon jetzt so viele Interessenten gemeldet, dass weitere Bewerbungen gar nicht mehr berücksichtigt werden können. Ob das Ehrenamt anderswo im Freistaat auf ähnlich große Resonanz stößt, ist derzeit noch unklar, da das Verfahren noch läuft. In der Messestadt wird die Vorschlagsliste bis spätestens 31. Juli für eine Woche öffentlich ausgelegt, damit jeder prüfen kann, ob womöglich Kandidatinnen und Kandidaten darauf stehen, die nicht zum Schöffenamt berufen werden sollten. Bis zum 30. Oktober entscheidet dann der Wahlausschuss beim Amtsgericht über die zu wählenden Schöffen, bis zum 30. November werden sie per Auslosung auf die Sitzungstage der Gerichte verteilt.

Bisher keine Zwangsverpflichtung nötig

Bei dramatischen Engpässen wäre es sogar möglich, dass jemand als Schöffe zwangsverpflichtet wird. „Das Schöffenamt ist nicht nur ein Ehrenamt, sondern auch eine Staatsbürgerpflicht“, erklärt Alexander Melzer vom sächsischen Justizministerium. Aber zumindest aus der jüngeren Vergangenheit seien keine derartigen Fälle bekannt. Wer in Sachsen ehrenamtlich Urteile fällte, tat dies aus freien Stücken. Die Ehrenamtlichen erhalten eine Entschädigung für Zeitversäumnis von sieben Euro pro Stunde sowie für Verdienstausfall. Auch Fahrtkosten werden erstattet.

„Man muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass diese Tätigkeit sehr zeitaufwendig ist“, schildert Kristina Danz. Deshalb wartete sie zunächst ab, bewarb sich erst gegen Ende ihrer beruflichen Laufbahn dafür. Mehr als 28 Jahre lang leitete sie das Tauchaer Geschwister-Scholl-Gymnasium. „Ich habe mich immer für rechtliche Dinge interessiert und auch Referendare im Schulrecht unterrichtet“, begründet sie ihr Interesse. 2019, in ihrem ersten Jahr als ehrenamtliche Richterin, war sie dienstlich noch voll gefordert und erhielt viel Unterstützung von ihrem stellvertretenden Schulleiter. Ihr längster Prozess sei über zehn Verhandlungstage gegangen. „Im Schnitt jeweils drei, vier Stunden“, erzählt sie, „immer sehr aufmerksam zuhören, sich Notizen machen, Fragen stellen“.

Diese Zeit muss man erst einmal in seinen Alltag integrieren als Leiterin eines Gymnasiums, als Mutter von zwei Söhnen und Oma mit fünf Enkelkindern. Grundsätzlich sollen Schöffen zu nicht mehr als zwölf Sitzungstagen im Jahr herangezogen werden. „Es ist aber möglich, dass ein Schöffe an deutlich mehr Werktagen zum Einsatz kommt“, erläutert der Sprecher des Justizministeriums. Gerade am Landgericht Leipzig gab es in den vergangenen Jahren Prozesse, bei denen alle Beteiligten konditionell ihre Grenzen ausloteten.

Marathonsitzungen und geplatzte Prozesse

Im Hells-Angels-Prozess waren 90 Verhandlungstage und über 200 Zeugen nötig, bis das Schwurgericht im Juni 2019 sein Urteil wegen gemeinschaftlichen Mordes verkündete. Und die Verhandlung um den Mord an einer jungen Frau im Leipziger Auwald umfasste fast 60 Verhandlungstage, die um 9 Uhr morgens begannen und teilweise abends um 18.30 Uhr noch nicht beendet waren. Auch auf solche Marathonsitzungen müssen sich Schöffen einstellen. Die Justiz sorgt nach Informationen des Ministeriums lediglich für Ersatz, wenn ein Schöffe aufgrund längerer oder zusätzlicher Sitzungstermine nicht an der neuen Verhandlung teilnehmen kann, für die er laut Geschäftsverteilungsplan vorgesehen war.

Aber was, wenn ein Schöffe nicht durchhält? Wenn die Gesundheit nicht mitspielt, wenn der Körper streikt? Strafkammern leben immer mit der Sorge, dass ein solcher Ausfall einen ganzen Prozess platzen lässt. So wie im Herbst 2021: Monatelang war wegen eines blutigen Bandenkrieges im Leipziger Osten verhandelt worden, die Beweisaufnahme weit fortgeschritten. Doch dann die Schocknachricht: Eine am Verfahren beteiligte Jugendschöffin gab an, wegen einer fortgeschrittenen beidseitigen Schwerhörigkeit nicht mehr in der Lage zu sein, der Hauptverhandlung zu folgen. Auch ein Hörgerät oder Ähnliches würde nichts daran ändern. Der 3. Strafkammer blieb damit nichts anderes übrig, als den Mammutprozess auszusetzen. Nachdem der Prozess Anfang 2022 aus gesundheitlichen Gründen erneut platzte, mussten zwei wegen versuchten Mordes angeklagte Tunesier aus der Untersuchungshaft entlassen werden.

Auch Kristina Danz war als Schöffin in Jugendstrafverfahren eingesetzt. In diesen Fällen sind die Angeklagten zwischen 14 und 17 Jahren jung. Auch Heranwachsende bis 20 Jahre können noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Es geht hier nicht nur um Schuld und Sühne, sondern vor allem auch um Erziehung und Prävention – selbst wenn ganz junge Menschen schon zfurchtbaren Verbrechen fähig sind. „Gerade bei schweren Straftaten fragt man sich, wie so etwas passieren kann“, sagt die Tauchaerin. „Solche Gedanken bewegen einen schon.“

Sie glaubt, dass sie als Lehrerin einen besonderen Zugang hat, wenn sehr junge Angeklagte vor Gericht stehen. „Wenn du in ihre Augen schaust, dann merkst du, wie wichtig es ist, sie zu erziehen und ihnen zu helfen“, findet Kristina Danz. „Aber man muss auch hinnehmen, dass manche sich allen Maßnahmen entziehen. Man kann nicht allen helfen, sondern in einigen Fällen ist es eben wichtig, andere vor einem solchen Täter zu schützen.“ Gerade ein Urteil mit Freiheitsstrafen habe sie immer belastet. „Ich denke häufig daran, wie das Leben der jeweiligen Angeklagten wohl weiter verlaufen ist“, sagt die 69-Jährige. „Man hört eigentlich nie wieder davon.“ Aber sie sei auch nie der Meinung gewesen, dass eine richterliche Entscheidung falsch war.

Allerdings ist es für Schöffen wie Kristina Danz gerade am Anfang eines Verfahrens nicht leicht, da sie im Unterschied zu Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Berufsrichtern die Prozessakten nicht kennen und auf das angewiesen sind, was sie im mündlichen Verfahren mitbekommen. Kann das Laien überfordern, gerade bei hochkomplexen Verfahren mit meterweise Akten? Ihre Verantwortung ist jedenfalls groß, betont Hans Jagenlauf, Vizepräsident des Landgerichts Leipzig. Die Stimme eines Schöffen wiegt beim Urteil genauso schwer wie die eines Berufsrichters. „Es gilt die Zweidrittelmehrheit“, so Jagenlauf, der als Kammervorsitzender selbst schon zahlreiche bedeutende Mordprozesse leitete. In einer Großen Strafkammer mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen kommt es zu einer Verurteilung nur bei 5:0 oder 4:1 Stimmen. „Wenn zwei für einen Freispruch sind und drei für eine Verurteilung müsste der Angeklagte freigesprochen werden“, erklärt der Gerichtssprecher.

„Es gibt Verfahren, die Schöffen an ihre Grenzen bringen“

Das Schöffensystem stammt aus dem 19. Jahrhundert, als die Realität an den Gerichten noch eine andere war. „Heute gibt es zweifellos Verfahren, beispielsweise im Wirtschaftsstrafrecht, die Schöffen an ihre Grenzen bringen“, räumt Jagenlauf ein. „Als Vorsitzender muss man den Schöffen umso mehr erklären und hilfreich zur Seite stehen, je komplexer es wird.“ Aber es komme auch immer darauf an, welche Voraussetzungen die jeweiligen Laienrichter mitbringen. Ein Mediziner hat bei rechtsmedizinischen Gutachten zu Tötungsdelikten einen anderen Blick auf die Thematik als eine Bilanzbuchhalterin, die wiederum bei einem komplizierten Finanzverfahren ihre Expertise einbringt. Nur: Kammern können sich ihre Schöffenbesetzung nicht aussuchen, dies entscheidet das Los.

Trotz des mitunter erheblichen Zeitaufwands: Ein Mangel an Ehrenamtlichen bestand in den vergangenen Jahren nie. Gerichte melden ihren Bedarf, Kommunen erstellen Vorschlagslisten mit geeigneten Kandidaten zwischen 25 und 70 Jahren, Schöffenwahlausschüsse an den Amtsgerichten wählen aus diesem Pool möglichst repräsentativ aus. „Als Vertreter des Volkes entscheiden sie am Ende eines Strafprozesses gleichberechtigt neben den Berufsrichtern über Schuld oder Unschuld einer angeklagten Person“, nennt Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) die idealtypische Idee hinter dem Schöffensystem. „Schöffen sind somit der Garant dafür, dass die Justiz im Bereich der Strafrechtspflege das Urteil nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch durch das Volk spricht.“

„Mein Glas ist immer noch halbvoll“

Kristina Danz findet es gut, dass verschiedene Berufsgruppen und Generationen an Urteilen mitwirken, auch wenn die Laienrichter keine juristischen Experten sind. „Es kann ja auch ein Vorteil sein, dass man nicht so vorbelastet ist, auch eigene Lebenserfahrung und den menschlichen Aspekt mit einbringt.“ Für sie selbst wird es altersbedingt keine weitere Amtsperiode geben.

Hat sich ihre Sicht aufs Leben verdüstert, wenn man diese Einblicke in menschliche Abgründe bekommt? Verfolgen sie schlimme Fälle wie Tötungsdelikte, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung bis in den Schlaf? „Es hat mich nicht runtergezogen, mein Glas ist immer noch halbvoll“, sagt die Ruheständlerin. „Es war eine wichtige Erfahrung für mich und hat mir gezeigt, wie der Rechtsstaat funktioniert. Die Gesetze sind in unserem Land alle vorhanden, man muss sie nur anwenden.“

Bei jährlich sechs Prozessen hat die Tauchaerin vorn am Richtertisch gesessen und an insgesamt 30 Urteilen mitgewirkt. Was davon bleibt, ist eine Mappe, in der sie alles aufgehoben hat aus dieser Zeit. Jede Vorladung, sämtliche Notizen. „Es ist ein Stück Leben“, sagt Frau Danz.


Kai Kollenberg 19.01.2023

Schöffen gesucht: Die Furcht vor Extremisten auf der Richterbank

Neben den Berufsrichtern sprechen auch Ehrenamtler Recht: 3400 dieser Stellen müssen in Sachsen für die nächsten Jahre neu besetzt werden. Wie stellt man sicher, dass sich die Richtigen melden?

Das Verfahren ist eine sensible Angelegenheit: Rund 3400 neue Schöffinnen und Schöffen werden in diesem Jahr in Sachsen gesucht. Sie werden in den kommenden fünf Jahren gemeinsam mit den Berufsrichtern Recht sprechen. Und sie sollen ein „Garant“ dafür sein, „dass die Justiz im Bereich der Strafrechtspflege das Urteil nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch durch das Volk spricht“, wie die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) sagt. Dafür muss im Verfahren aber sichergestellt werden, dass sich am Ende keine Schöffen auf der Richterbank finden, die dort wegen eines extremistischen Einstellung nichts zu suchen haben. Das kann durchaus schwieriger sein als gedacht.

Fall in Erfurt sorgt für Aufsehen

Erst vor wenigen Tagen machte ein Fall aus Thüringen Schlagzeilen. Dort hatte das Landgericht Erfurt in einem Prozess gegen mutmaßliche Schleuser eine Frau mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene als Schöffin eingesetzt. Der MDR hatte den Hintergrund der Frau öffentlich gemacht. Der Prozess wurde schließlich ausgesetzt, es muss neu verhandelt werden.

Eigentlich will der Bund das Problem grundsätzlich ausräumen. Es gibt Ankündigungen von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), die Verfassungstreue als Voraussetzung für die Einsetzung als Schöffe gesetzlich zu verankern. „Unter keinen Umständen dürfen wir zulassen, dass Extremisten in unserem Land Recht sprechen“, sagt Buschmann. Inzwischen hat er einen Entwurf für die Überarbeitung des Deutschen Richtergesetzes vorgelegt.

Wie werden Schöffen in Sachsen überprüft?

Auch das sächsische Justizministerium wartet auf die Gesetzesänderung durch den Bund. Allerdings betont es, „dass Schöffinnen und Schöffen auch bereits nach geltender Gesetzeslage wie Berufsrichterinnen und Berufsrichter dem allgemeinen Gebot der Verfassungstreue unterworfen sind“. Der Freistaat überprüft potenzielle Schöffinnen und Schöffen sowieso nach der derzeit geltenden Regelung im Deutschen Richtergesetz: Danach wird zum Amt einer ehrenamtlichen Richterin oder eines ehrenamtlichen Richters nicht berufen, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat – und beziehungsweise oder wer aufgrund einer Stasitätigkeit in der DDR nicht für das Amt geeignet ist.

Andere Bundesländer gehen andere Wege – zum Beispiel Niedersachsen. Dort sollen Schöffen-Bewerber nun explizit aufgefordert werden, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. Zudem soll abgefragt werden, ob sie sich mit einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz einverstanden erklären. Die sächsische Landesregierung möchte aber nicht ähnlich agieren: Eine entsprechende Abfrage beim Verfassungsschutz sei „bislang nicht vorgesehen“, teilt das Justizministerium mit.

Jeder darf Schöffen-Vorschlagsliste einsehen

In Mitteldeutschland ist der Freistaat damit nicht alleine. Das Justizministerium in Sachsen-Anhalt verweist auf Nachfrage zu der niedersächsischen Regelung auf die eigene Praxis, mit der aktuell rund 2500 Schöffinnen und Schöffen gesucht werden: Bereits seit 2013 sei in einem Runderlass geregelt, dass keine Personen in die Vorschlagslisten für das Schöffenamt aufgenommen werden dürfen, „die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen oder bekämpfen“. Das thüringische Justizministerium beantwortete eine LVZ-Anfrage zum Thema nicht.

Der erste Schritt, um neue Schöffen zu finden, läuft bereits in Sachsen. Jede Kommune muss im ersten Halbjahr eine Vorschlagsliste vorlegen. Hierbei können sie auf Selbstbewerbungen, aber auch auf Vorschläge von Vereinigungen oder Einzelpersonen zurückgreifen. Diese Liste wird in der Kommune bis spätestens zum 31. Juli eine Woche zur Einsicht öffentlich ausgelegt. Auf diese Weise kann die Bevölkerung prüfen, ob in die Vorschlagsliste Personen aufgenommen wurden, die nicht zum Amt der Schöffin berufen werden dürfen oder sollen. Anschließend entscheidet der Wahlausschuss beim Amtsgericht bis spätestens zum 30. Oktober über die zu wählenden Schöffinnen und Schöffen. Sie werden dann bis zum 30. November im Wege der Auslosung auf die Sitzungstage der Gerichte verteilt.

Sachsen setzt auf viele Freiwillige

Die sächsische Landesregierung setzt darauf, dass sich möglichst viele Freiwillige melden. So könne die Einflussnahme von Extremistinnen und Extremisten auch eingeschränkt werden, argumentiert das Justizministerium. Ministerin Meier sagt: „Ich kann Sie, die sächsische Bevölkerung, nur dazu ermutigen, Verantwortung für unsere Demokratie und Gesellschaft zu übernehmen: Bewerben Sie sich als Schöffin oder Schöffe in Ihrer Wohnsitzgemeinde und machen Sie aktiv von Ihrem Einsichtsrecht in die Vorschlagsliste für Schöffinnen und Schöffen Gebrauch!“

Neben der freiwilligen Bewerbung und dem Vorschlag gibt es einen dritten Weg, um Schöffe zu werden: die Zwangsverpflichtung. Gibt es zu wenige Freiwillige, können Kommunen Bürgerinnen und Bürger für den Dienst bei Gericht bestimmen. In Sachsen ist dies aber nicht der Fall gewesen: In der aktuellen Amtsperiode konnte der Bedarf laut Justizministerium „erfreulicherweise“ durch freiwilliges Engagement vollständig abgedeckt werden.

LVZ